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Aus der Neuen Solidarität Nr. 15/2002

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Das Ende eines Wahns

- 3. Teil -

Von Lyndon H. LaRouche

Die folgende Schrift von Lyndon LaRouche erschien am 12. Januar 2002 und ist dazu gedacht, die methodischen Grundlagen eines dringend nötigen Wirtschaftsaufschwungs für Amerika zu umreißen. Wir veröffentlichen große Auszüge daraus in acht aufeinanderfolgenden Teilen.


"Freihandel" als Kolonialismus
Amerikanisches contra Britisches System

"Freihandel" als Kolonialismus

Der Schwindel vom "Freihandel" führt zu typischen "Zweideutigkeiten" und Widersprüchen. Nehmen wir ein typisches Beispiel. Ein amerikanisches Unternehmen wird in eine asiatische Nation ausgelagert, weil dort die Arbeitskraft angeblich billiger ist, usw. In diesem Fall gehen Leute, die nichts von Wirtschaft verstehen, fälschlicherweise davon aus, durch solches "Outsourcing" würden die Gewinnträchtigkeit und die Wachstumsraten der Weltwirtschaft steigen. Diese törichte Annahme ist das Hauptargument der fatalen Seuche, die als "Globalisierung" bekannt ist.

Für einen vergleichbaren Fall sollte man Henry Careys Buch über den Sklavenhandel studieren. Leute, die das ABC der Wirtschaftswissenschaft nicht beherrschen, neigen zu der Ansicht, die amerikanische Wirtschaft als Ganzes habe von der Sklavenarbeit einen Gewinn gehabt. Carey weist nach, daß sich zwar die britische Monarchie und einige Amerikaner am Handel mit Gütern aus Sklavenarbeit bereicherten, die amerikanische Wirtschaft als Ganzes aber durch die Ausbeutungseffekte der Sklavenarbeit massive wirtschaftliche Verluste erlitt. Der Aufstieg der USA zur wirtschaftlichen Großmacht von 1861-76 war das Ergebnis der Befreiung der Nation von diesen Auswirkungen der Sklaverei.

Betrachten wir den Fall der Auslagerung einer Fabrikationseinheit von den USA nach Asien aus der Sicht von Careys Untersuchung der Auswirkungen der Sklaverei auf die amerikanische Wirtschaft.

Sollten wir den Einsatz moderner Fabrikationsmethoden in asiatischen Nationen fördern? Ja, zweifellos. Der Nutzen einer Steigerung der Arbeitsproduktivkraft für den Verbrauch in der Binnenwirtschaft dieser Länder sollte auf der Hand liegen. Sollten wir deshalb auf Billiglohnfabriken in Asien ausweichen, um für die USA lebensnotwendige Produkte herzustellen? Es wäre töricht, so zu handeln, und brächte weder Asien noch letztlich den USA Nutzen.

Der Grund dafür liegt in der Wechselwirkung zwischen den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Eigenschaften (Charakteristika) einer Volkswirtschaft. Ich spreche von Charakteristik im Sinne von Bernhard Riemanns Definition dieses Begriffs, d.h. in Begriffen einer physikalischen Differentialgeometrie. Eine Volkswirtschaft besteht nicht in der Gesamtsumme ihrer unabhängigen Einzelteile, wie etwa einzelnen Unternehmen. Sie läßt sich nicht angemessen beschreiben durch eine Aufzeichnung statistischer Bewegungen zwischen einzelnen Ereignissen, wie man es im Rahmen einer euklidischen Geometrie tun müßte. Es besteht vielmehr eine mehr oder weniger untrennbare funktionelle gegenseitige Abhängigkeit der Gesamtheit aller wesentlichen Bestandteile - ein wechselseitiges Wirken des Ganzen.

Anders gesagt, wenn man zwei völlig identische Fabriken hat, mit identischem Produktdesign, gleichen Arbeitsbedingungen usw., aber in zwei unterschiedlichen Volkswirtschaften, dann wird der Beitrag der durchschnittlichen Arbeitsproduktivkraft pro Kopf entsprechend der charakteristischen relativen Produktivität dieser beiden Volkswirtschaften unterschiedlich sein. Entscheidend ist dabei der Unterschied der physisch-wirtschaftlichen Krümmung der Raumzeit der jeweiligen Volkswirtschaft. So ist beispielsweise der Vorschlag, Entwicklungsländer sollten sich auf Tourismus verlegen, statt ihre grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur aufzubauen, eines der zuverlässigsten Mittel, um sicherzustellen, daß ein solches Land niemals moderne Standards der Pro-Kopf-Produktivität erreicht.

Beispielsweise hing das Gemeinwohl Amerikas seit den Anfängen in den englischsprachigen Kolonien von dem unbeschränkten Recht ab, Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrie zu entwickeln und dabei technischen Fortschritt umzusetzen. Eines der strategisch bedeutsamen Kennzeichen der USA gegen Ende des 18. Jahrhunderts war der Vorteil, daß das durchschnittliche Realeinkommen mehr als doppelt so hoch war wie im Vereinigten Königreich. Auch das Analphabetentum war nur halb so verbreitet wie in England - typisch ist das Phänomen des "lateinsprechenden Farmers" in Amerika. Die relative Stärke und die Wechselwirkung solcher wesentlichen Aspekte der Souveränität war typisch für die amerikanische Wirtschaft als ganze. Es war eine Charakteristik des Ganzen, die sich als Charakteristik der Handlungen der einzelnen Teile dieses Ganzen widerspiegelte.

In früheren, normaleren Zeiten - noch vor wenigen Jahrzehnten - beurteilte ein potentieller Investor die Entwicklung von Wirtschaftszweigen auf der Grundlage von Untersuchungen der Merkmale der Arbeitskraft, der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur usw. der zu vergleichenden Standorte. Das Bildungsniveau und die technischen Fähigkeiten der Bevölkerung im allgemeinen und der Arbeitskräfte im besonderen waren wichtige Gesichtspunkte bei der Auswahl neuer Standorte. Andere waren die Verkehrsanbindung, die Qualität der örtlichen Bildungseinrichtungen sowie die geographische Nähe zu wichtigen Kunden und Lieferanten.

Eine intelligente Unternehmensführung, ob staatlich oder privat, beurteilte den potentiellen Erfolg eines Unternehmens unter Einbeziehung der relativen wirtschaftlichen Eigenschaften jedes in Frage kommenden Standortes.

Bei der Beurteilung des mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Entwicklungspotentials einer sog. "Entwicklungsregion" der Welt gelten die gleichen Überlegungen, in umgekehrter Reihenfolge. Wie muß das Potential der Bevölkerung und der verschiedenen Regionen entwickelt werden, um die Rate der Verbesserung der wirtschaftlichen Eigenschaften der betreffenden Volkswirtschaft zu optimieren?

Mit dem Trend der letzten Jahrzehnte hin zur Auslagerung produktiver Kapazitäten Amerikas in ärmere Länder kopierten die beteiligten amerikanischen Interessen die Methoden der portugiesischen, spanischen, holländischen, britischen und französischen Kolonialmächte in den Kolonien. Die Kolonialreiche hatten Spaß daran, die Kolonien möglichst gewinnbringend auszuplündern, aber in der Regel hatte das die katastrophale Folge, daß die Alternative, diese Kolonien insgesamt auf das produktive Potential einer modernen europäischen Gesellschaft anzuheben, immer unmöglicher wurde.

Die genannten europäischen Kolonialmächte hatten seit Beginn dieser Form des Kolonialismus Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts ihre bestimmte Methode. Sie standen alle unter dem Einfluß der imperialistischen Seemacht Venedigs. Portugal, Spanien, die Niederlande, England und Frankreich arbeiteten meistens entweder in Partnerschaft mit venezianischen Grundbesitz- und Finanzinteressen oder orientierten sich an venezianischen Vorbildern. Die wichtigste, aber nicht die einzige Ausnahme war die Entwicklung der englischen Kolonien in Nordamerika. Man kann daher mit gutem Recht die vorherrschende koloniale Praxis der portugiesischen, spanischen, niederländischen, britischen und französischen Interessen insgesamt als "venezianisches" oder "britisches Modell" bezeichnen, und wir führen niemanden in die Irre, wenn wir sagen, daß es nach dem 15. Jahrhundert nur zwei Vorbilder für die Entwicklung von Kolonien gegeben hat: das venezianisch-britische Modell und das amerikanische Modell. Gemeint sind dabei die Paradigmen, d.h. nicht unbedingt immer die jeweilige örtliche Praxis an sich. Die Praxis der Sklaverei, die zuerst von den portugiesischen und spanischen Kolonisten eingeführt wurde, ist in diesem Rahmen ein Ausdruck des venezianisch-britischen Typs.

Das "amerikanische" Paradigma ist das amerikanische Modell für den Aufbau einer Nation. Das Ziel der Wirtschaftspolitik und verwandten Politik ist dabei eine eigenständige, in sich abgerundete (full set) Volkswirtschaft. Damit ist gemeint, daß sie u.a. in die Lage gebracht wird, in Hinsicht auf den technischen Standard, den realen Lebensstandard und die relative Produktivität der Arbeitskräfte allgemein eine Parität mit anderen Nationen zu erreichen und zu erhalten.

Im Gegensatz dazu ist das Kennzeichen des Britischen Systems, wie es sich im 18. Jahrhundert unter Führung der Britischen Ostindiengesellschaft herausbildete, eine Kombination aus Kolonialismus und Ausplünderung durch ein System internationaler Kredite - ganz ähnlich der Ausplünderung der Nationen Mittel- und Südamerikas durch die USA und andere im IWF-System der "freien Wechselkurse" nach 1971. Betrachten wir nun diesen Gegensatz zwischen den beiden weltweit führenden Systemen der letzten beiden Jahrhunderte, dem Britischen System - grob als "Kapitalismus" bezeichnet - und dem Amerikanischen System der politischen Ökonomie.

Amerikanisches contra Britisches System

Das Amerikanische System gründet auf dem Prinzip der Förderung des Gemeinwohls und der sog. amerikanischen patriotischen intellektuellen Tradition, die Präsident Franklin D. Roosevelt weitgehend verteidigte und zu deren führenden Sprechern ich heute gehöre. Es zielt auf entsprechende soziale und wirtschaftliche Erfolge im Inland und auf den Aufbau einer "multipolaren" Machtkonstellation, wie man heute sagt - d.h. eine Prinzipiengemeinschaft auf der Grundlage des Konzepts des Gemeinwohls zwischen den und innerhalb der Mitgliedstaaten einer Gemeinschaft souveräner nationalstaatlich verfaßter Republiken. Der Dienst am Gemeinwohl macht das Amerikanische System vom Wesen her protektionistisch.

Das Britische System gründet sich auf die genau entgegengesetzten Prinzipien der Philosophie eines Thomas Hobbes, John Locke, Bernard Mandeville, Adam Smith, Jeremy Bentham u.a., die von den Ideologen der Haileybury School der Britischen Ostindiengesellschaft maßgeblich geprägt wurde. Es beruht auf dem räuberischen Prinzip vom "Kampf aller gegen alle" und allgemein nur räuberischen und hedonistischen Motiven. Bis vor kurzem war das Britische System in seinem Binnenmarkt strikt protektionistisch, predigte aber in Fragen des Handels und internationalen Kredits die räuberische Freihandelslehre. Die amerikanischen Kreise, die im Sinne des antiamerikanischen, britischen Modells denken und handeln, werden seit dem amerikanischen Unabhängigkeitskampf oft "amerikanische Tories" genannt.

Die Funktion des "Freihandels" im Welthandel und bei internationalen Krediten besteht darin, die Preise der Güter und Dienstleistungen anderer Nationen auf ein Minimum zu drücken und so die Unterordnung dieser Nationen unter die imperialen Interessen des Britischen Systems und seiner Verbündeten von der amerikanischen Tory-Fraktion erzwingen. Daher haben die anglo-amerikanischen Verfechter des "Freihandels" und der "Auslagerung" in den sog. "aufstrebenden Märkten" zwar Möglichkeiten zur Produktion geschaffen, dies aber nur unter Bedingungen und Preisen, die sicherstellen, daß diese "Märkte" ihr eigenes Gemeinwohl nicht steigern können, während die anglo-amerikanischen Finanzinteressen sie zumindest zeitweise massiv ausplündern können.

Tatsächlich ist es eine wesentliche Prämisse einer von der amerikanischen intellektuellen Tradition geprägten Politik, daß relative Preisgünstigkeit und Qualität der Waren, die wir durch Handel erwerben können, für alle Nationen wichtig ist. Aber diese erstrebenswerten Qualitäten erreicht man nicht, indem man die Arbeitskosten in den Herkunftsländern senkt, wie es die derzeitigen IWF-Auflagen tun, sondern durch die Steigerung der Arbeitsproduktivkraft über eine Erhöhung des Lebensstandards und verbesserte Technik in diesen Ländern. Anders gesagt, man mißt die Qualität der Güter einer Nation anhand der durchschnittlichen Pro-Kopf-Arbeitszeit ihrer Arbeitskräfte. Dazu müssen wir erkennen, daß der Lebensstandard und das technische Niveau einer Nation entscheidend dafür sind, ob sie uns auch in Zukunft diese Ergebnisse liefern kann.

Das Ziel ist, die Arbeitsproduktivkraft aller Nationen zu erhöhen, was allen nutzt. Dies wird erreicht, indem man den Lebensstandard und die Produktivität pro Kopf und Quadratkilometer in allen Nationen steigert.

Charakteristisch für den Gegensatz zwischen dem amerikanischen und britischen Modell ist, daß das Universum des britischen Konzepts ein Alptraum à la Hobbes und Locke ist, worin das Prinzip universeller Entropie herrscht. In einem solchen Universum kann der eine immer nur etwas gewinnen, indem er dem anderen etwas wegnimmt.

Dieser Grundsatz kam durch die Übersetzung der Werke der Venezianer Botero und Giammaria Ortes nach England. Der Schreiberling der Ostindiengesellschaft, Thomas Malthus, lieferte im Grunde nur ein Plagiat, eine englische Version der Thesen von Ortes.

Das Amerikanische System, das in seinen Grundzügen auf den Einfluß von Lockes Gegner Leibniz zurückgeht, erkennt dagegen, daß die Resultate der menschlichen Erkenntnis grundsätzlich antientropisch sind - wie es z.B. Abraham Kästner tat, der Lehrer von Carl Friedrich Gauß und zeitweilige Gastgeber Benjamin Franklins. Im Amerikanischen System erzeugt kognitives Handeln anti-entropische Wirkungen. Der Handel zwischen Nationen gründet auf dem Bestreben, die Früchte der menschlichen Erkenntnis untereinander zu teilen, und kommt dem Exporteur wie dem Importeur mehr oder weniger gleichermaßen zugute. Diesen "anti-malthusianischen Gewinn" verdankt man der systematischen Förderung der erlernbaren schöpferischen Kräfte des Individuums. Diese Förderung besteht z.B. darin, die Erkenntnisfähigkeit des Einzelnen zu steigern und die Produktionsweise so zu verbessern, daß in ihr immer mehr wissenschaftlich-technischer Fortschritt assimiliert wird.

An dieser Stelle sollte festgestellt werden, daß ich als amerikanischer Patriot grundsätzlich gegen den hirnlosen Gebrauch des Begriffs "Kapitalismus" bin, wie er heute allgemein gelehrt wird. Man lese dazu nur die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die amerikanische Verfassung von 1787-89, die Berichte von US-Finanzminister Alexander Hamilton an den Kongreß sowie die Verteidigung des Amerikanischen Systems durch Mathew Carey, Friedrich List, Henry C. Carey und Abraham Lincoln. Man spricht heute nur noch von "Kapitalismus" im Sinne von Karl Marx, und wie man an seinen Werken feststellen kann, fehlte Marx jedes angemessene Verständnis der amerikanischen Geschichte und des Amerikanischen Systems. Nicht nur Marx benutzt den Begriff in diesem Sinn, sondern auch die Anhänger des britischen Systems. Diese Bedeutung steht im direkten Gegensatz nicht nur zum Amerikanischen System, sondern auch zum Begriff des souveränen Nationalstaates überhaupt.

Anstatt diesen irreführenden Begriff "Kapitalismus" zu verwenden, sollten wir die sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatunternehmen erkennen, die Finanzminister Hamilton so treffend beschrieb. Sein berühmter Bericht über das Manufakturwesen ist das wichtigste frühe Dokument in dieser Hinsicht, und das nicht nur für die amerikanische patriotische Tradition, sondern implizit auch als Entwurf für die Gestaltung der Volkswirtschaft in jeder nationalstaatlich verfaßten Republik.

Aus der Sicht eines amerikanischen Patrioten bestand also die Schwäche des sowjetischen Wirtschaftssystems im mangelnden Verständnis der unverzichtbaren, voluntaristischen Rolle des Unternehmertums sowie der Aufgabe der Regierung, dieses (mittelständische) Unternehmertum über die implizit oligopolistische Herrschaft von Finanzinteressen kontrollierter Großkonzerne zu stellen (während diese Konzerne in den USA seit der Ermordung des Präsidenten William McKinley den amerikanischen Unternehmer sukzessive verdrängten).

Diese Unterscheidung wird deutlicher, wenn man meine Argumente zur Hauptschwäche der zivilen Seite der sowjetischen Wirtschaft nachvollzieht. Das Ziel einer neuzeitlichen Volkswirtschaft ist schon seit dem französischen König Ludwig XI. und dem englischen Herrscher Heinrich VII. die Freisetzung der schöpferischen Kräfte des Individuums für die Entwicklung von Innovationen, über die wissenschaftlicher Fortschritt als technischer Fortschritt in den Produktionsprozeß und Produktentwurf eingeht. Aber da der einzelne Unternehmer im Unterschied zur öffentlichen Aktiengesellschaft in der Regel nur ein Unternehmen mit wenigen, höchstens einigen hundert Mitarbeitern repräsentiert, kann dieses Unternehmen nur mit Unterstützung erheblicher protektionistischer Maßnahmen blühen, die nur von Regierungen gewährleistet werden können.

Wenn wir alle Herstellungskosten eines Produkts in Betracht ziehen, sind deshalb in einem sogenannten Entwicklungsland die Erzeugungskosten bei gleicher Produktqualität höher, wenn man die langfristigen realwirtschaftlichen Kosten einbezieht. Wie man an der Geschichte der europäischen Kolonialpolitik vor 1939 sieht, ging die scheinbare Entwicklung einiger lokaler Bereiche der Wirtschaft der Kolonie immer zu Lasten anderer Bereiche. Denken Sie beispielsweise an die scheinbare Entwicklung einer Hafenstadt - etwa in Britisch-Bengalen - vor dem Hintergrund der Tatsache, daß diese Stadt kaum oder überhaupt nicht an die Wirtschaft des Landesinnern angebunden war.

Die allgemeine Lehre, die aus Erscheinungen wie dem Kolonialismus gezogen werden sollte, ist also wiederum: Der Wert der einzelnen produktiven oder verwandten Aktivität liegt in der Beziehung zwischen der Qualität dieser individuellen, örtlichen Handlung und den Eigenschaften der Volkswirtschaft insgesamt. Typisch ist die Bedeutung der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur für das charakteristische Potential der Nation oder der Region, in der die produktive Tätigkeit erfolgt. Die relative Produktivität einer Nationalökonomie besteht nicht in der Summe ihrer einzelnen Teile, sondern in der entscheidenden Beziehung zwischen dem Charakter der einzelnen oder örtlichen Aktivität und der Charakteristik der Volkswirtschaft oder größeren Region.

Wenn wir also z.B. zulassen, daß große Regionen der Welt wie etwa Mittel- und Südamerika seit 1971-82 oder Afrika südlich der Sahara ausgeplündert werden, verringern wir auch das produktive Potential von Regionen wie Nordamerika und Westeuropa. Dies deutet darauf, wie verrückt es ist, auf die Volkswirtschaften die heute gängigen Buchhaltungsstandards und damit die heutige verrückte und potentiell kriminelle monetaristische Theorie anzuwenden.

Entwicklungsländer sollten vollen Zugang zu allem erhalten, was sie für eine "abgerundete" Wirtschaft brauchen. Sie benötigen dies für ihre innere Entwicklung und um sich die Mittel anzueignen, um gleichberchtigt an der Weltwirtschaft teilzuhaben. Die Produktionskosten sind dabei in diesen Nationen aber nicht geringer, obwohl es durch die Plünderungspraktiken für einige Teile der Bevölkerung der Fall zu sein scheint. Tatsächlich sind die gesamtgesellschaftlichen Kosten, und das sind die wirklichen Kosten, höher als in den Industrienationen.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sollte man sich Wladimir Wernadskijs wichtige Erkenntnis vor Augen halten (vom Standpunkt einer Riemannschen Differentialgeometrie betrachtet), daß das Universum aus drei unterschiedlichen, aber zueinander in Wechselwirkung stehenden Klassen universeller physikalischer Prinzipien zusammengesetzt ist - nämlich unbelebten Prozessen, lebenden Prozessen sowie dem Bereich der Erkenntis/Kognition. Schon die Existenz einer lebensfähigen Wirtschaft hängt ab von Mehrdeutigkeiten (Paradoxe), die widerspiegeln, daß eine dieser Prinzipienklassen - deren Existenz von der heute vorherrschenden Buchhaltungspraxis implizit abgestritten wird - insgesamt bestimmend ist: die menschliche Erkenntnis, ohne die die Wirtschaft nicht existieren kann. Deshalb steht bei jeder kompetenten Wirtschaftswissenschaft heute im Mittelpunkt, die menschliche Vernunft nicht so zu ignorieren, wie es die meisten heute tätigen Ökonomen tun.

Es gibt diverse Aspekte, diese Ziele zu erreichen, aber einer ist von überragender und grundlegender Bedeutung: die Entwicklung der Erkenntniskraft pro Kopf in jeder Nation und in der ganzen Menschheit. Die Natur dieser Beziehungen wird nur deutlich, wenn wir - wie oben angekündigt - das Wesen physikalisch-wirtschaftlicher Zyklen in Betracht ziehen. Darum geht es im folgenden.

wird fortgesetzt

 

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