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Aus der Neuen Solidarität Nr. 16/2002

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Das Ende eines Wahns

- 4. Teil -

Von Lyndon H. LaRouche

Die folgende Schrift von Lyndon LaRouche erschien am 12. Januar 2002 und ist dazu gedacht, die methodischen Grundlagen eines dringend nötigen Wirtschaftsaufschwungs für Amerika zu umreißen. Wir veröffentlichen große Auszüge daraus in acht aufeinanderfolgenden Teilen.


Die Struktur von Zyklen
Die Bedeutung des Individuums in der Geschichte

Zyklen in einem Riemannschen Universum

Die Struktur von Zyklen

Im folgenden möchte ich etwas Grundlegendes über die funktionale Bestimmung und Rolle mittel- und langfristiger Wirtschaftszyklen sagen. Dabei behandele ich bestimmte Aspekte von Zyklen, die, wie ich bereits betont habe, derzeit von der Profession der Finanzbuchhalter und ähnlichen Kreisen nicht anerkannt werden: den funktionalen Wert individueller realwirtschaftlicher Aktivitäten, so wie diese vom zyklischen Standpunkt volks- und weltwirtschaftlicher Prozesse, in denen sich diese Aktivitäten vollziehen, bewertet werden müssen.

Seit meinem ersten Prognose-Projekt, das zwischen 1954 und 1957 Gestalt annahm, basiere ich meine Untersuchungsmethode kurz- und mittelfristiger Prozesse auf mittelfristige Kapitalinvestitionszyklen, wie sie in bestimmten Änderungen der Kreditpolitik und verwandter Aspekte der Wirtschaftspolitik nach 1954 enthalten waren. Eine Untersuchung von Kreditschöpfungsmethoden, wie sie zur Vermarktung von Automobilen benutzt werden, war ein zentraler, wenn auch nur einleitender Aspekt meiner ersten volkswirtschaftlichen Prognosen. Dabei betrachtete ich beispielsweise den einzelnen Industriearbeiter einerseits als Teilnehmer an der Produktion und andererseits auch als Benutzer dieses Produktes.

Mit diesem Ansatz wandte ich mich gegen die kontraproduktive Tendenz, die Rolle des Industriearbeiters aus dem verengten Blickwinkel des Buchhalters betrachten zu wollen. Die Bedeutung des kognitiven Potentials des Individuums für den Gesamtprozeß wird von der gängigen Finanzbuchführung entweder negiert oder auf Diskussionen fernab der Realität des Produktionsprozesses abgedrängt.

Bei meinen Untersuchungen über die Probleme der amerikanischen Automobilvermarktung im Jahr 1955 fand ich hierfür deutliche Anzeichen. Eines davon war das nicht unbekannte Problem, daß die Fließbandarbeiter diverse "Rückstände" wie leere Cola-Flaschen oder Sandwichreste in den ausgelieferten Autos vergessen hatten. Bei der Rückverfolgung dieses Phänomens zeigte sich, daß die Bemühungen, bei der Planung von Produktion und Produkten natürliche physiologische Merkmale wie Augen- und Körperbewegungen zu berücksichtigen, schon damals - also lange vor den berüchtigten 70er Jahren - zugunsten massiver "Kostensenkungen" bei der Produktion aufgegeben worden waren. Der kognitive Faktor spielte für die Produktivität und die Funktion des Arbeiters in der Produktion keine Rolle mehr.

Es ist sinnvoll, diese Art Problem vom Standpunkt der sog. "Auftragstaktik" in der deutschen Soldatenausbildung seit Scharnhorst bis in die jüngste Zeit hinein zu betrachten. Hervorragende Leistungen in taktischen Belangen des Gefechts wie auch in der Produktion beruhen auf jenem gewissen kognitiven "Extra", das die Offiziere bzw. Facharbeiter vor Ort beitragen, damit die zu bewältigende Aufgabe auf eine Weise erfolgreich abgeschlossen wird, wie sie auf der höheren Kommandoebene nicht vorausgeplant werden kann. Der entscheidende Aspekt bei der Produktion ist die Anwesenheit eines Menschen statt eines bloßen programmierten Roboters.

Kognitives Denken, selbst wenn es nur den eigenen Arbeitsplatz im Werk betrifft, geht in Hinblick auf das Produkt und seinen Gebrauch "instinktiv" von der Ökonomie als Ganzer aus. Der denkende Arbeiter macht sich Gedanken über die Qualität der Werksinfrastruktur und erkennt deren Beziehung zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen vor Ort und einer qualitativen wie quantitativen Steigerung der Nettoproduktivität des dort gefertigten und dann ausgelieferten Produkts. Er identifiziert sich mit dem Unternehmen, für das er arbeitet, und macht sich Gedanken darüber, ob er auf die Qualität der Produkte dieser Firma stolz sein kann. Ähnlich denkt er über das Realeinkommen seiner Familie: Er sieht darin nicht bloß etwas, das man eben "bekommt", sondern etwas, das entweder im Lande selbst hergestellt wird oder importiert werden muß. Eine Überbetonung finanzieller Kostenrechnung verzerrt oder erstickt sogar die kognitiven Impulse der Beschäftigen und verstellt somit den Blick dafür, daß das, was wir verbrauchen, ein integraler Bestandteil dessen ist, was wir selbst produzieren.

Auslagerung der Produktion ist daher nicht nur eine Brüskierung der Arbeitslosen, sondern zugleich ein großes moralisches Problem für die ganzen Bevölkerung. Das Selbstverständnis der noch Beschäftigten und der zum alten Eisen geworfenen Vorruheständler gerät unter Beschuß, mit schwerwiegenden moralischen Folgen für die Fähigkeit zu produzieren.

Unter Berücksichtigung von Elementen wie der typischen Lebensdauer eines Produktes und - wie im Falle der amerikanischen Automobile jener Zeit - dem Verkaufszyklus von Neu- und Gebrauchtwagen erarbeitete ich eine Annäherung an einen umfassenden Produktions-Verbrauchs-Zyklus aller Stellen in der Volkswirtschaft. Als ich dann verschiedene wichtige langlebige Güter mit der Automobilvermarktung verglich, ergab sich Mitte 1956 eine interessante und zutreffende Prognose einer baldigen und tiefen Rezession. Das war zwar noch eine verhältnismäßig bescheidene Leistung, aber für einen Neuling auf dem Gebiet ein erster guter Treffer in der professionellen Prognosenerstellung.

Die meisten veröffentlichten Vorhersagen bekannter anderer Ökonomen aus der gleichen Zeit lagen da ziemlich falsch. Ich sah in meinem Erfolg anfangs nur eine etwas bessere als die herkömmlichen Wirtschaftsanalysen, bis mir klar wurde, wie hartnäckig hirnverbrannt die meisten veröffentlichten Prognosen auch in der weiteren Zeit bis 1958 hinein waren. Ende 1958 und im Verlauf von 1959 veranlaßte mich mein Anfangserfolg dazu, ein Problem langfristiger Prognose anzugehen: Was würde es für die amerikanische Wirtschaft als ganzes bedeuten, wenn die Politik des damaligen Zentralbankchefs Arthur Burns und ähnlicher Kreise bis weit in das kommende Jahrzehnt anhielte?

Etwa 1959/60 - zur gleichen Zeit führte ich gegen Marvin Minsky vom MIT und andere den Beweis, warum der Versuch, eine heute so genannte "New Economy" aufzubauen, kläglich scheitern müßte - gelangte ich zu folgenden allgemeinen Schlußfolgerungen über die amerikanische Wirtschaft der 60er Jahre. Sollten die USA an den Vorgaben von Arthur Burns' Politik festhalten, würden in der zweiten Hälfte der 60er Jahre internationale Währungskrisen um sich greifen und zum Zusammenbruch der Währungsvereinbarungen von Bretton Woods führen. An dieser Prognose hielt ich in den ganzen 60er Jahren fest und verwies auf die Pfund-Sterling-Krise von 1967, die US-Dollarkrise von Januar bis März 1968 sowie auf die Krise von Penn-Central und Chrysler 1970 als typische Beispiele für die Situation, die ich für die zweite Hälfte der 60er Jahre als wahrscheinlich vorhergesagt hatte. Als dann Mitte August 1971 das System fester Wechselkurse auseinanderbrach, war ich der einzige öffentlich in Erscheinung getretene Ökonom, dessen Prognose für die Wirtschaftsentwicklung als Ganze das gesamte vorangegangene Jahrzehnt überdauert hatte.

Dabei verfolgte ich keineswegs das Ziel, als Prognostiker Karriere zu machen. Ich war damals vorrangig damit beschäftigt, eine Anwendung meiner Entdeckungen der Zeit 1948-52 auf das existentielle Problem zu erarbeiten, das sich der amerikanischen und der Weltwirtschaft stellte: Wie müßte eine Politik beschaffen sein, die die USA und andere Nationen in die Lage versetzte, die verheerenden Fehler der Regierung Truman und die Mißstände, die Arthur Burns' Einfluß auf die Regierung Eisenhower hervorgerufen hatte, zu vermeiden? Parallel dazu widmete ich besondere Aufmerksamkeit den axiomatischen Irrtümern, die unter renommierten marxistischen Ökonomen verbreitet waren.

Als ich zwischen 1966 und 1973 regelmäßige Lehrveranstaltungen abzuhalten begann und meine Prognosen seither als Teil der Aktivitäten meiner Mitarbeiter veröffentlicht wurden, zogen meine Vorhersagen innerhalb und außerhalb der USA immer breitere Kreise. Als es dann Mitte August 1971 zu besagtem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse kam, fand meine besondere Autorität als Prognostiker in wichtigen Kreisen in den USA und im Ausland breite Anerkennung. In anderen Kreisen, vor allem den führenden Finanzzirkeln der Welt, betrachtete man mich wegen meiner Leistungen zwar als außerordentlich kompetent, aber deswegen zugleich als gefährlichen Gegner. Damit wurde ich zur Zielscheibe für Verleumdungen bis hin zum Rufmord und sogar der versuchten physischen Vernichtung. Aus Gründen, die sich aus der Geschichte des Zeitraums 1956-71 ergeben, habe ich mich, wenn ich meine Erfahrungen als Prognostiker darlegte, meist auf Vorhersagen bezogen, die in den letzten 35 Jahren verbreitet wurden. Nur gelegentlich ging es dabei um Vorhersagen, die in wenigen Kreisen zwischen 1959-65 zirkulierten.

Von 1966 bis kürzlich waren meine wirtschaftswissenschaftlichen Veröffentlichungen in ihrer Wirkung dadurch beschränkt, daß es an Fachkollegen mangelte, die qualifiziert gewesen wären, über ein Anfängerniveau der Prinzipien der physischen Ökonomie hinauszukommen. Die Kombination aus meinen prognostischen Erfolgen, der Aufmerksamkeit, mit der sie aufgenommen wurden, und der Schwere der derzeit ablaufenden weltweiten Wirtschafts- und Währungskrise hat jetzt vor kurzem dazu geführt, daß meine Entdeckungen und ihre Anwendungen intensiver studiert werden. Angesichts der heutigen Weltkrise sind die detaillierten Aspekte meiner Auffassungen zu diesen Fragen tatsächlich für viele Nationen, einschließlich der USA, von großer Dringlichkeit.

Im folgenden fasse ich einige der Konzepte zusammen, die ich bereits an anderer Stelle in diesem Kapitel dargelegt habe. Dabei werde ich jetzt die Argumente vom Standpunkt der entscheidenden Rolle des Individuums und des individuellen Handels innerhalb des Produktionszyklus erörtern. Es stellt sich die gleiche Frage, wie ich sie bereits bei meiner Untersuchung über die Zyklen der Autoindustrie 1954-57 aufgeworfen habe: Welche Art individuellen Handelns ist für den positiven Fortgang des gesamten Unternehmens oder der Volkswirtschaft erforderlich, und wie ist ihr relativer Wert aus dieser Sicht zu bestimmen?

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal einen früheren Aspekt dieses Kapitels hervorheben. Keplers Methode gründete sich, wie er selbst schrieb, auf seine Auseinandersetzung mit Nikolaus von Kues, Luca Pacioli und Leonardo da Vinci. Kepler erwähnt zudem einen gleichgesinnten Zeitgenossen, William Gilbert, der einen wichtigen Beitrag zu seinem Werk Neue Astronomie geleistet hätte. Die gleiche Methode hatten auch der Entdecker des relativistischen Prinzips der "kürzesten Zeit" Pierre Fermat, aber auch Keplers Anhänger wie Pascal, Huyghens, Jean Bernoulli und Leibniz' Anhänger wie Kästner, Gauß und Riemann angewendet. Und die gleiche methodische Herangehensweise muß auch bei der Untersuchung der tieferen zyklischen Bestimmung des Verhaltens von Wirtschaftsprozessen gewählt werden.

Die folgenden historischen Anmerkungen fassen die entscheidenden Elemente des vorangegangenen Teils dieses Kapitels zusammen.

Das entscheidende Prinzip jeder Wirtschaftswissenschaft besagt, daß sich die steigende Überlebensfähigkeit der Menschheit in Größen der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte messen läßt. Dies impliziert, daß man Veränderungen dieses Potentials im Rahmen nationaler oder regionaler Wirtschaftsräume mißt und zugleich die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Weltwirtschaft als Ganze feststellt. So definiert ist ein Anstieg der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte einer Wirtschaft mit dem Begriff der Förderung des Gemeinwohls gleichzusetzen.

Ohne dieses Gemeinwohlprinzip ist eine vernünftige Definition einer Volkswirtschaft unmöglich. Sobald eine Regierungsmacht dieses Prinzip übernahm - wie etwa die Päpste des 15. Jahrhunderts, die mit dem Florenzer Konzil und Kardinal Nikolaus von Kues zusammenarbeiteten, sowie die französische Monarchie unter Ludwig XI. und die britische Monarchie unter Heinrich VII. - , definierten sich alle Aspekte der weltweit verbreiteten europäischen Gesellschaft durch ihre Zustimmung oder ihre Ablehnung zu diesem Prinzip. Alle Leistungen einer Gesellschaft - besonders ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit - müssen daran gemessen werden, inwieweit sie der Verpflichtung zur Förderung des Gemeinwohls nachkommen. Dies bedeutet nicht nur, das Gemeinwohl zu verteidigen, sondern auch Neuerungen wie künstlerischen und wissenschaftlichen Fortschritt einzuleiten, welche die erforderliche Qualität des Gemeinwohls anheben.

Auf diese Prinzipien gründete sich auch jene souveräne nationalstaatlich verfaßte Republik im 18. Jahrhundert: die Vereinigten Staaten als konstitutionelle föderale Republik.

Die Bedeutung des Individuums in der Geschichte

Vor diesem Hintergrund muß man hervorheben, daß sich die moderne europäische Zivilisation durch die qualitativ neue Betonung der Wirtschaft und damit zusammenhängend der Bedeutung des kognitiven Individuums in der Geschichte in praktischer wie konzeptioneller Hinsicht auszeichnet. Manchmal wird dies auch als die "voluntaristische" Sichtweise der Rolle des einzelnen in der Geschichte bezeichnet.

Diese "voluntaristische" Sicht, die Entschlossenheit, für das Gemeinwohl (oder auch agape) einzustehen, drückt sich auf vielfältige Weise aus. Für den vorliegenden Zweck meint sie besonders, daß der individuelle Mensch in der Gesellschaft fähig ist, den Gang der Geschichte in der Gesellschaft durch Handlungen, die mit einer ursprünglichen Entdeckung oder der Vermittlung gültiger universeller physikalischer Prinzipien in Beziehung stehen, zum Besseren zu beeinflussen. Der Hauptbeitrag des Individuums hierbei ist die Veränderung der Zyklen, die das Resultat der gegenwärtigen und zukünftigen Geschichte bestimmen. Hierin findet sich zugleich der eigentliche Grund, das Prinzip des Unternehmertums im Amerikanischen System zu verteidigen.

In der vom Christentum geprägten Geschichte Europas wird dieses Verständnis der Rolle des Individuums in der Geschichte mit dem Bild des Leidens Christi verknüpft. Der Begriff "Nachfolge Christi" als höchste Berufung des Menschen drückt dieses Konzept mit einer besonderen Intensität aus. Die Aufgabe des Individuums besteht darin, den Gang der Geschichte zu ändern. Die Qualität dieser Veränderungen betrifft besonders die hier zur Debatte stehenden Fragen, nämlich die Änderung der Merkmale geschichtlicher Zyklen.

Das Amerikanische System der politischen Ökonomie, so wie es u.a. vom ersten amerikanischen Finanzminister Alexander Hamilton beschrieben wurde, ist ein besonderer Ausdruck dieser "voluntaristischen" Sichtweise der Ökonomie und der damit verbundenen Bedeutung des Individuums in der Geschichte: Die von agape getragene Entschlossenheit, das Gemeinwohl zu fördern. Dieser Begriff des Individuums unterscheidet sich grundsätzlich von den Auffassungen eines Hobbes, Locke und der Physiokraten und bildet den Kern dessen, was zu recht die amerikanische intellektuelle Tradition von Franklin, Lincoln und anderen genannt wird. Aus den gleichen Gründen haben die Habsburger in Mitteleuropa (mit Ausnahme des großen österreichischen Reformkaisers Joseph II.) und auf der Iberischen Halbinsel - so natürlich Fürst Metternich von der Heiligen Allianz und die degenerierten Karlisten, die mit den berüchtigten Familieninteressen der Buckleys in den heutigen USA zusammenhängen - diese amerikanische intellektuelle Tradition zutiefst gehaßt.

Was nun die Prozesse in Industrie und Produktion angeht, können wir folgende wichtige Feststellungen treffen. Erstens die Entdeckung des wissenschaftlichen oder technischen Prinzips, von dem der produktive Prozeß oder seine Verbesserung abhängen. Zweitens der produktive Akt, den diese Technologie verkörpert. Und drittens der Grad der Arbeitsteilung, den diese Produktion erfordert. Die Bedeutung des Produktionsvorgangs in einem Einzelunternehmen ist jedoch untrennbar mit seinen Folgen auf das Allgemeinwohl verbunden, was sich über den Verbrauch wiederum als Anstieg der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der Gesamtbevölkerung ausdrücken läßt.

Die hierzu erforderlichen Messungen können auf der Grundlage fixer Input-Output-Parameter für eine Volkswirtschaft nicht kompetent angestellt werden. Der ausschlaggebende Faktor ist hierbei die Veränderungsrate dieser Parameter, wobei sich diese Rate implizit in Veränderungen der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte ausdrücken muß. Die treibende Kraft hinter dieser Veränderungsrate ist der geistige Erkenntnisakt des souveränen Individuuums, durch den experimentell nachprüfbare Hypothesen bzw. "universelle physikalische Prinzipien" hervorgebracht und repliziert werden.

Um noch einmal zusammenzufassen: Jede Entdeckung eines experimentell nachprüfbaren universellen physikalischen Prinzips erfolgt durch die völlig souveränen kognitiven Fähigkeiten eines individuellen Geistes, der entweder die ursprüngliche Entdeckung macht oder diesen Entdeckungsakt nachvollzieht. Das Individuum vollzieht stets einen universellen Akt, der auf das Universum als Ganzes wirkt. Kein anderes Wirken eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen außer dieser Entdeckung selbst oder einer von ihr ausgehenden Handlung besitzt irgendeinen universellen Wert.

Jede Entdeckung oder andere Handlung, die auf die Entdeckung eines universellen Prinzips zurückgeht, drückt diese Qualität aus. Dies betrifft auch Technologien, die sich aus solchen Prinzipienentdeckungen ableiten und von diesen abhängen.

Dieses Argument ist bereits bei Leibniz in der Entwicklung universeller Konzepte im Zusammenhang mit seiner Monadologie enthalten.

Der Kern menschlichen Wissens und die Handlungen, die sich aus dem Wissen unbestreitbar universeller Qualität ergeben, liefert uns wahre Universalien, deren unterschiedliche Typen wir erkennen können.

Solcherart ist die universelle Wahrheit und Schönheit von allem, was ein aufrichtiger Ausdruck des menschlichen individuellen Lebens ist. Aus dieser Sicht läßt sich die Bedeutung wirtschaftlicher und verwandter langfristiger Zyklen ableiten. Wenn man den von mir präzisierten Wernadskijschen Begriff der "Noosphäre" übernimmt, erklärt uns dieses erweiterte Konzept der Noosphäre, wie langfristige Zyklen in einem Riemannschen Universum - so der richtige Begriff - auftreten und sich entfalten.

Zyklen in einem Riemannschen Universum

Wernadskij und seine Schüler verstanden diesen zyklischen Prozeß so, daß die weitere Existenz des Menschen auf der Erde von einem universellen physikalischen Prinzip abhängt, dessen "natürliche Produkte" Ausdruck lebender Prozesse menschlicher Kognition sind. Wie ich bereits früher betonte, geht dieses Prinzip nicht auf einen "Urkeim" des Lebens zurück, sondern ist ein universelles schöpferisches Prinzip, eine "Absicht" in Keplers Verständnis universeller Prinzipien, das auf das Universum wirkt, um das Leben und seine Schöpfungen hervorzubringen. Dieses Prinzip - ob als solches bekannt oder nicht - gehört zu den Grundeigenschaften aller langfristigen Zyklen im Universum, solchen der physischen Wirtschaft und anderen.

Wer sich mit Wernadskijs Beitrag zum Begriff der Biosphäre und Noosphäre auseinandersetzt, mißt die relativen Raten, mit der die Erde jene natürlichen Produkte hervorbringt, von denen die fortdauernde menschliche Existenz abhängt, aber auch die Rate, mit der die Menschen oder andere Einflüsse diese Produkte aufbrauchen.

Das menschliche Leben hat das höchste Interesse am Erhalt der Ozeane und der Atmosphäre, die als Produkte lebender Prozesse entstanden und durch deren Aktivität erhalten werden. Kohle ist ein Beispiel jener natürlichen Produkte lebender Prozesse, die man "fossil" nennt, während man mit Recht bezweifeln könnte, ob Erdgas und Erdöl in gleicher Weise Fossilien seien. Es gibt auch Fossilien nichtlebender Prozesse, wenn sich auch die Bezeichnung "Fossil" im allgemeinen auf Überreste lebender Prozesse bezieht. Was wir "Biosphäre" nennen, enthält in organisierter Form Tausende geologische Mineralientypen scheinbar präbiotischen Ursprungs. Es sollen nicht weniger als 4000 Typen sein, deren Verteilung und Beschaffenheit im wesentlichen oder zumindest vorwiegend die Folge langfristiger Einwirkungen der Biosphäre auf die präbiotische Erde sind.

In einer ersten Annäherung erkennen wir bestimmte Volumina solcher Fossilien, darunter Wasser und Luft, und verschiedene Erschöpfungsraten pro Kopf, die vom technischen Entwicklungsstand und der funktionalen Organisation dieser Entwicklung in den Nationen und dem Planeten als Ganzem abhängen. Wälder, Wasserläufe und Wiesen sind ebenso wie Treibsand und Sümpfe Fossilien.

Aber die Gesellschaft erzeugt entweder selbst oder über die Biosphäre neuen Nachschub nützlicher Fossilien oder sorgt für die Auffüllung erschöpfter früherer Vorkommen. Die Gesellschaft muß nicht nur den Verbrauch fossiler Produkte der vormenschlichen Biosphäre im Auge behalten. Die Noosphäre erzeugt neue Kategorien dessen, was Ökonomen und Politiker als fossile Rohstoffe definieren können. In dem Maße, wie eine Gesellschaft die Energieflußdichte etwa bei der Energieerzeugung erhöht, wächst auch die Fähigkeit der Menschheit, neue benötigte Fossilientypen der Noosphäre zu erzeugen. Der Mensch bringt neue, ansonsten als abiotisch und organisch bezeichnete Existenzformen hervor. Die grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur in Verkehr, Wasserwirtschaft, Energieerzeugung und -verteilung, Kanalisation, Forstwirtschaft, Stadtentwicklung usw. stellen eine Ausdehnung der fossilen Erdentwicklung dar, wodurch die "Ökologie" unseres Planeten auf eine viel höhere Ebene antientropischer Metastabilität gehoben wird, als die Erde ohne uns hätte erreichen können.

Die prinzipielle Unterscheidung zwischen Fossilien ist daher die Unterscheidung zwischen den Prozessen, die sie hervorgebracht haben, insbesondere die Unterscheidung zwischen bewußten menschlichen Einflüssen und anderen. Die Werke des Menschen müssen deshalb in die Kategorie jener Fossilien eingeordnet werden, von denen die weitere Existenz und die Verbesserung menschlichen Lebens abhängt.

Investitionen wirtschaftlicher Ressourcen in Entwicklung und Erhalt der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur, in Fertigungsstätten, in das Bildungs- und Gesundheitswesen, in die Stadtentwicklung sind ebenso fossile Ressourcen und unterliegen somit der Erschöpfung. (Manchmal wird auch ein Lehrer von der Klasse als "Fossil" verschrien, aber das ist eine andere Sache.) Aber die wirkende Kraft, von der dieser Gesamtprozeß abhängt, ist die menschliche Gattung und insbesondere ihre fortschreitende Selbstentwicklung.

Eine der bemerkenswertesten Eigenheiten bei der Auffüllung nötiger fossiler Ressourcen und bei der Erzeugung neuer nützlicher Fossilientypen ist die Tatsache, daß Fortschritt keine bloße Option ist. Nullwachstum läuft auf Völkermord hinaus; eine solche Politik ist das wirksamste mögliche Mittel zur Selbstzerstörung der Menschheit. Die Menschheit ist eine Gattung, deren physisches Merkmal kognitive Antientropie ist. Durch die Erhöhung dieser Antientropie gewinnt unsere Gattung in wachsendem Maße die Fähigkeit, fossile Ressourcen, die zum Erhalt der Menschheit benötigt werden, zu ersetzen oder überflüssig zu machen, indem wir neue Kategorien fossiler Rohstoffe entdecken, die jene ablösen, die wir gerade erschöpfen.

Wir haben es somit in erster Annäherung mit zwei Eigenschaften physischer Wirtschaftszyklen zu tun. Zunächst gibt es Zyklen der Erschöpfung und des Ersetzens fossiler Grundstoffe, die für die jeweilige Existenzform der menschlichen Bevölkerung erforderlich sind. In einer zweiten Annäherung stoßen wir jedoch auf ein verfeinertes Konzept realwirtschaftlicher Zyklen. Ein benötigter fossiler Rohstoff, der erhalten werden muß, bestimmt sich nach der Veränderung technologischer Fähigkeiten, die für eine Erhöhung der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte erforderlich sind, sowie durch die Rate der Antientropie des erreichten Pro-Kopf-Potentials.

Die Verhältnisse, die in dieser Sicht von Erschöpfung und ersetzender Erschöpfungsrate stecken, definieren die wichtigen realwirtschaftlichen Zyklen, die sich als langfristige Wirtschaftszyklen in Erscheinungen ausdrücken, wie ich sie bisher in dieser Darstellung beschrieben habe.

wird fortgesetzt

 

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