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Neue Solidarität
Nr. 20, 19. Mai 2016

AfD: Alter Wein in neuen Schläuchen?

Von Helga Zepp-LaRouche

Es ist für viele Menschen so etwas wie die neue Gretchenfrage in Deutschland - nicht, wie hältst Du es mit der Religion, sondern was hältst Du von der AfD? Ist sie nur eine „Partei der schlechten Laune“, die man nicht als Nazis bezeichnen soll, solange die AfD „nur rechtspopulistisch ist“, wie der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Olaf Scholz, meint? Wo könnte Frau Merkel bloß Menschen mit „Schaum vorm Mund“ bei deren Auseinandersetzung mit der AfD gesehen haben? Bildet die AfD wirklich das „Licht am Ende des Tunnels“, weil sie den Einfluß von CO2- Emissionen auf das Klima leugnet, wie Eike-Vizepräsident und AfD-Mitglied Michael Limburg meint? Das Vorhandensein verschiedener Strömungen und ihre plötzlichen Wahlerfolge lassen die AfD als geeignet erscheinen, sie als Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Erwartungen und Wunschvorstellungen zu nutzen.

Was also ist von dieser Partei zu halten, wie zielführend ist ihr Programm für die Hoffnungen derer, die sie gewählt haben? Ist sie gefährlich, oder kann sie sich zu etwas Gefährlichem entwickeln? Hat sie Lösungen für die existentiellen Herausforderungen der Gegenwart, wie die eskalierende Gefahr eines neuen, diesmal thermonuklearen Weltkriegs, oder die akute Gefahr eines neuen Finanzkollapses des transatlantischen Sektors, diesmal weitaus dramatischer als 2008, oder - um etwas anzusprechen, wozu sich die AfD schon einmal geäußert hat - hat sie eine Lösung für die Flüchtlingskrise?

Da bei dieser Partei schon vom Selbstverständnis her jeglicher Ansatz zu strategischem Denken ausgeschlossen ist, liegt es ihrem Denken vollkommen fern, eine Lösung zur Überwindung der Kriegsgefahr definieren zu können. Da sie selbst völlig in einem diffusen Gemisch aus Ordoliberalismus und Österreichischer Schule gefangen ist, hat sie keine analytischen Voraussetzungen, um das Ausmaß der Krise erkennen zu können, ganz zu schweigen von einer Konzeption, wie die Systemkrise des transatlantischen Finanzsystems überwunden werden kann. Und selbst bei einem der Themen, bei dem die AfD meint, punkten zu können, nämlich der Flüchtlingskrise, ist sie himmelschreiend inkompetent. Wer meint und vorgibt, mit Stacheldrähten und dem Einsatz von Schußwaffen gegen Flüchtlinge an den Grenzen die größte humanitäre Katastrophe der Nachkriegszeit lösen zu können, bei der in den nächsten Jahren viele Hunderte von Millionen Menschen vor Krieg, Hunger und Epidemien fliehen werden, wenn die Fluchtursachen nicht behoben werden, der macht sich und anderen etwas vor - einmal ganz abgesehen von dem häßlichen Geist der Autoren solcher Vorschläge, der da zutage getreten ist.

Jegliche Einordnung dieser Partei muß mit der Bestimmung der Gründe beginnen, die ihrem plötzlichen Zulauf zugrunde liegen. Diese liegen in dem so gut wie vollständigen Politikversagen der EU, der Berliner Regierung und der etablierten Parteien, die immer größeren Teilen der Bevölkerung seit geraumer Zeit den Eindruck vermitteln, daß es letztlich keine Instanz gibt, die sich um ihre Interessen kümmert oder an die sie sich wenden können. Und solange dies nicht zugegeben und korrigiert wird, werden die sogenannten Volksparteien weiter schrumpfen. Frau Merkel hat zwar hin und wieder gesagt, man müsse sich mit den Fluchtursachen der Flüchtlingskrise beschäftigen, aber sie hat es nicht getan: weder bezüglich der auf Lügen basierenden Kriege der Regierungen Bush und Obama in Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien und Jemen - die eine Ursache der Flüchtlingskrise -, noch was die jegliche wirtschaftliche Entwicklung unterbindende Politik der Kreditauflagen des IWF gegenüber Afrika betrifft, die andere Ursache der Flüchtlingskrise. Infolgedessen bleiben sowohl diese Ursachen als auch ein wirklicher Lösungsansatz unverständlich. Und deshalb fallen mehr und mehr Bürger auf die simplistischen, inkompetenten und zutiefst unmenschlichen Vorschläge der AfD herein.

Je mehr die deutsche Regierung und der Bundestag von den EU-Verträgen von Maastricht bis Lissabon Kompetenzen und damit Verantwortung an eine intransparente, seelenlose Bürokratie in Brüssel abgegeben haben, desto mehr wächst das Gefühl der Hilflosigkeit, was sich im Lieblingssatz der Deutschen ausdrückt: „Man kann ja sowieso nichts machen!“ Dazu kommt der Eindruck, daß das Parteiensystem dem einzelnen keinerlei Einflußnahme auf das politische Geschehen gestattet, weil die Kriterien der Kandidatenaufstellung und die Fraktionsdisziplin eine totale Kontrolle von oben her bedeuten. Und daß diese Kontrolle permanent zugunsten der Finanzinteressen und gegen das Gemeinwohl ausgeübt wird und als Folge die Reichen immer reicher und die bisherige Mittelschicht und die Armen immer ärmer werden, ist eine Erfahrung, die insbesondere seit 2008 und den wiederholten Rettungspaketen dauernd gemacht wurde. Das Handelsblatt veröffentlichte dieser Tage die Dokumentation dessen, was eh klar war: 95% der Rettungspakete für Griechenland flossen an die europäischen Banken.

Hartz 4, als die kalte Enteignung von schuldlos arbeitslos gewordenen Menschen, der Flop mit der Riester-Rente, Altersarmut, steigende Kosten und schlechtere Versorgung im Gesundheitssektor, ein Mangel an erschwinglichen Wohnungen, schwindendes Sicherheitsgefühl nicht zuletzt infolge des Personalabbaus bei der Polizei, das Gefühl, allein gelassen zu werden beim Zusammentreffen mit anderen, unverstandenen Kulturen, das Gefühl, von den Massenmedien manipuliert zu werden, von der eigenen Regierung nicht gegen die Totalüberwachung durch in- und ausländische Dienste geschützt zu werden, die Wahrnehmung, daß die Regierung am Gängelband der USA und Großbritanniens eine Konfrontationspolitik gegenüber Rußland und China verfolgt, die eine neue Kriegsgefahr heraufbeschwört - diese Liste ließe sich noch um einiges verlängern. Resultat all dessen ist, daß sich mehr und mehr Menschen nicht mehr durch die etablierten Parteien repräsentiert fühlen. Und dies ist nicht nur in Deutschland der Fall, sondern in den meisten Staaten in Europa, ebenso wie in den USA - siehe Donald Trump.

In Deutschland weist die Entwicklung sehr offensichtliche Parallelen zu der Situation in den 20er und 30er Jahren auf: Das Schuldendiktat des Versailler Vertrages war prinzipiell das gleiche wie das EU-Schuldenkorsett, welches das Interesse der profitsüchtigen Kasino-Banken heute über das Gemeinwohl der Bürger stellt, gleich ob derer in Griechenland oder in Deutschland. Der Unterschied zwischen Brüning und Schacht einerseits und Schäuble und Draghi andrerseits betrifft allenfalls die Prädikate, nicht die Essenz. Es ist beinahe gesetzmäßig, daß sich aus einer sehr ähnlichen Frustration und Verunsicherung in ihren Strukturen ähnliche und lediglich in ihren Erscheinungsformen verschiedene politische und sozialen Bewegungen manifestieren.

Und genau wie damals gilt es heute sehr deutlich zu unterscheiden zwischen den vielen Menschen, die entwurzelt und betrogen denjenigen hinterherliefen, die pragmatische Lösungen in ideologischen Verpackungen versprachen, und denjenigen, die es als Drahtzieher geopolitischer Interessen verstanden, das soziale Ferment für ihre Zwecke auszunutzen.

Der Schlüsselbegriff für die Entwicklung, die sowohl die Vorgeschichte zum Ersten Weltkrieg als auch die Entwicklung zwischen den Weltkriegen charakterisiert, und der auch heute die Prozesse in den USA, in Europa, aber eben auch in Deutschland bezüglich der AfD auf den Punkt bringt, ist die kontinuierliche Tradition der Konservativen Revolution. Es geht dabei um die Gegenbewegung gegen die „Ideen von 1789“, also die Ideen der Französischen Revolution und noch mehr der an Leibniz orientierten Amerikanischen Revolution, der universellen Menschenrechte und eines Menschenbildes, das den Menschen als grenzenlos vervollkommnungsfähig auffaßt.

Damals wie heute ist diese Konservative Revolution, auf die sich z.B. solche „rechten Intellektuellen“ wie Götz Kubitschek explizit beziehen, keine homogene Weltanschauung, sondern ein breites Spektrum von „völkischen“, „nationalrevolutionären“, auf jeden Fall ab- und ausgrenzenden Ideologien, die aber immer rückwärtsgerichtet sind und eine biologistische Identität der Menschheit postulieren.

Um es gleich vorwegzunehmen: Wenn wir irgend etwas aus der Geschichte gelernt haben, dann sollten wir auf den Unterschied schauen, wie Amerika und Europa in den 30er Jahren aus der Depression und Weltwirtschafts- und Finanzkrise herausgekommen sind. In Amerika beendete Franklin D. Roosevelt die Kasino-Wirtschaft, die für die Krise verantwortlich war: mit dem Glass-Steagall-Trennbankengesetz, der Wiedereinführung des auf Alexander Hamilton zurückgehenden Kreditsystems, der Reconstruction Finance Corporation, dem Tennessee-Valley-Programm und später dem Bretton-Woods-System, und damit einem Maßnahmenpaket, das Amerika aus der Krise herausführte und zur stärksten Wirtschaftsmacht werden ließ. In Europa setzten sich dagegen verschiedene Formen des Faschismus durch, von Mussolini bis zu Franco, Pétain und Hitler.

Eine Ironie der Geschichte ist es, daß heute China mit seiner Politik der Neuen Seidenstraße die Tradition Roosevelts verwirklicht, während Amerika im Griff der Wall Street die Rezepte aus der Mottenkiste Europas der 30er Jahre vertritt. Deutschland steht noch auf der Kippe, noch ist es nicht entschieden, welchen Weg wir einschlagen werden.

Fortsetzung folgt