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Neue Solidarität
Nr. 45, 10. November 2016

Geopolitik im Interesse Washingtons –
oder Politik für die gemeinsamen Ziele der Menschheit?

Von Helga Zepp-LaRouche

Ganz gleich, wer am Dienstag die Wahl in den USA gewinnt, jedes Land der Welt muß danach seine eigene strategische Lage und seine existentiellen Interessen neu beurteilen und seine Politik neu ausrichten. Falls die falkenartige Hillary Clinton gewinnt, wird die Außenpolitik Deutschlands unmittelbar vor die Herausforderung gestellt sein, sich nicht in die Eskalation zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA und Rußland hineinziehen zu lassen, die aus Clintons angekündigter Syrien-Politik zu entstehen droht. Gewinnt Donald Trump, dann fallen die Würfel wohl mehr als einmal neu.

Was für eine verlorene Chance war vor diesem Hintergrund die jüngste China-Reise von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel! Als gut dressierter Pudel, der brav die Agenda Washingtons auszuführen versuchte, mutierte Gabriel im Vorfeld der Reise und den fünf Tagen von Beijing nach Chengdu und Hongkong zu dem sprichwörtliche Elefanten im Porzellanladen – was, auf Englisch übersetzt, passenderweise „elephant in the china shop“ heißt.

Deutschland kann – immer noch – eine einzigartige Rolle dabei spielen, die klar erkennbar drohende Katastrophe einer militärischen Konfrontation des Westens mit Rußland und China abzuwenden und durch die bewußte Kooperation mit der Dynamik der Neuen Seidenstraße die Weichen für einen glücklichen Ausgang der gegenwärtigen Epoche der Geschichte neu zu stellen. Aber von Gabriel wurde diese Chance gründlich in den Sand gesetzt.

Wie das Handelsblatt berichtete, blockierte die deutsche Regierung im Vorfeld der Reise auf Anordnung des amerikanischen Geheimdienstes die chinesische Investition in die Aachener Firma Aixtron, indem sie die Unbedenklichkeitsbescheinigung bezüglich der Übernahme widerrief. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, DSW, die die Interessen der Aixtron-Aktienbesitzer vertritt, warf Gabriel vor, Deutschland zu schaden und nur die schmutzige Arbeit der Obama-Administration gegenüber China auszuführen. Angesichts der Tatsache, daß Aixtron in den vergangenen Jahren mehrfach Maschinen für die Produktion von Chips nach China geliefert hat – ebenso wie übrigens die jetzt nutznießende amerikanische Konkurrenzfirma Veeco –, ist das Argument, daß es sich bei den Aixtron-Produkten um Technologien handelt, die sowohl im zivilen wie militärischen Bereich Verwendung finden können, hinfällig.

Zwar fürchten die USA, die im Gegensatz zu China mehr auf den nominellen Wertzuwachs des spekulativen Profits und weniger auf die Realwirtschaft achten, um den Fortbestand ihrer militärischen Vormachtstellung als Supermacht mit unipolaren Ansprüchen, was sie aber nicht daran hindert, aus ihrer geopolitischen Konfrontation gegenüber Rußland und China auch monetären Nutzen auf Kosten ihrer Verbündeten zu ziehen, denen sie ihre Auflagen aufdrücken.

So reiste der „Hohe Vertreter“ des US-Finanzministeriums, Adam Szubin, soeben nach Berlin, Rom und Paris, um die Wichtigkeit der Aufrechterhaltung der bestehenden Sanktionen gegen Rußland geltend zu machen. In deutschen Industriekreisen ist es dagegen kein Geheimnis, daß die US-Industrie trotz Sanktionen ihren Handel mit Rußland ausgebaut hat, während z. B. der Maschinenbausektor in Baden-Württemberg eine Einbuße von 50% beim Export nach Rußland zu verzeichnen hat, wie der ehemalige Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Industrie, Klaus Mangold, gegenüber der Schwäbischen Zeitung unterstrich. Wenn man die enormen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen dieser Sanktionen bedenkt, ist es allerdings beschämend, wie leicht sich die deutsche Industrie die Butter vom Brot nehmen läßt, statt ihren Einfluß gegenüber der Regierung auszuüben.

Gabriel tat vor und während seiner China-Reise sein Bestes, um auf der Linie des antichinesischen Kurses der EU zu bleiben. So forderte er neue EU-Gesetze und -Regeln, um unliebsame chinesische Direktinvestoren in Deutschland blockieren zu können. Daimler- Chef Dieter Zetsche widersprach ihm energisch und konfrontierte ihn mit der offensichtlichen Frage, wer denn die Kriterien für einen unliebsamen Investor bestimmen solle – der Staat, und damit der Rückfall in den Protektionismus? China bilde inzwischen wesentlich mehr Ingenieure aus als Deutschland. Die Vorstellung, China müsse unsere Technologien kopieren, sei Unsinn.

Die EU-Doktrin, die Beziehungen zu den ASEAN-Staaten als Gegengewicht zu China ausbauen zu wollen – eine Politik, die die Außenbeauftragte der EU, Frederica Mogherini vertritt –, leitete Gabriel auch während seines weiteren Auftritts in Hongkong bei der Konferenz des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Industrie.

Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Der gemeinsame Auftritt Gabriels mit dem chinesischen Handelsminister Gao Hucheng wurde abgesagt, ebenso wie ein Treffen mit dem Chef der Reform-Kommission Liu He, sowie die gemeinsame Pressekonferenz mit Premierminister Li Keqiang.

Das die Reise insgesamt dennoch einige nützliche Resultate generierte, lag und liegt an der Tatsache, daß die 60köpfige Wirtschaftsdelegation natürlich die fundamentalen Vorzüge der Kooperation mit China ebenso kennt wie die unbestreitbare Tatsache, daß die Musik in wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht längst in Asien und nicht mehr im transatlantischen Sektor spielt.

Gabriels Verhalten vor und während der Reise ist geradezu ein Lehrstück, warum man die Welt mit einer von Geopolitik geprägten Brille des alten Paradigmas im besten Falle verzerrt und ungenau wahrnimmt. Man übersieht dann leider, daß in der von China angebotenen „Win-Win-Kooperation“ beim Ausbau der Neuen Seidenstraße eine einzigartige Chance liegt, die Art der Geopolitik zu überwinden, die der Welt im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege gebracht hat und die heute im Zeitalter von thermonuklearen Waffen die mögliche Auslöschung der Menschheit bedeuten kann. All jene, die eine geopolitische Brille auf der Nase tragen, können nur ihre eigene geopolitische Sichtweise auf die anderen projizieren und sich gar nicht vorstellen, daß es der Menschheit möglich sein sollte, eine höhere Ebene der Vernunft zu definieren, auf der tatsächlich eine Kooperation zum gegenteiligen Vorteil möglich ist.

Ganz offensichtlich ist es der Informationsabteilung des Wirtschaftsministeriums bei der Vorbereitung der Reise entgangen, daß sich in Asien seit gut drei Jahren und besonders in den letzten Monaten genau dieses Prinzip der „Win-Win-Kooperation“ mit Riesenschritten durchsetzt und eine völlige Neuausrichtung der asiatischen Staaten bewirkt hat. Aber das kommt dabei heraus, wenn man seine Bewertungen von solch China-unfreundlichen Denkfabriken wie der Meriks-Abteilung der Mercator-Stiftung bezieht, die sogar vorschlägt, militärisches Gerät an die ASEAN-Staaten zu verkaufen, um diese gegen China zu beschützen!

In Wirklichkeit haben nicht nur Staaten wie Malaysia, Vietnam, Myanmar, Indonesien und die Philippinen längst die Vorteile der wirtschaftlichen Kooperation mit China den Nachteilen der militärischen Konfrontation gegen China im Südchinesischen Meer vorgezogen. Auch Indien hat längst durchschaut, daß die Avancen, die die USA und die EU gegenüber der „bevölkerungsreichsten Demokratie“ machen, für Indien weit weniger Vorteile bringen als die enge Zusammenarbeit mit Rußland und China, einer Allianz, der sich in jüngster Zeit auch Japan mehr und mehr anschließt.

Ebenso haben die sogenannten 16+1-Staaten in Zentral- und Osteuropas längst die Chancen erkannt, die für sie in der direkten Kooperation mit der Seidenstraßen-Initiative Chinas liegt. So unterzeichnete Lettland beim jüngsten Gipfel in Riga eine gemeinsame Absichtserklärung mit dem chinesischen Premierminister Li Keqiang für die Kooperation mit der Neuen Seidenstrasse.

Der russische Premierminister Medwedjew unterstrich soeben in einem Interview mit dem chinesischen Staatsfernsehen CCTV, daß die Bestrebungen, die Seidenstraßen-Initiative mit der Eurasischen Wirtschaftsunion vollkommen zu integrieren, weiter voranschreiten und sich damit völlig neue Perspektiven der Kooperation ergeben – beim Ausbau nationaler Märkte, bei der gemeinsamen Entwicklung von Hightech-Produktion und neuen Wellen der Industrialisierung in Bereichen, in denen Rußland in der Vergangenheit noch nicht tätig war, die es aber aufgrund der Sanktionen neu aufzubauen gezwungen ist.

Jeder, der die Welt so betrachtet, wie sie ist, und dessen Blickwinkel nicht durch die besagte Brille verschoben ist, kann sehen, daß mehr und mehr Teile Eurasiens zusammenwachsen und damit die Vision eines gemeinsamen eurasischen Wirtschaftsraum vom Atlantik bis zum Pazifik eine unmittelbare Chance zur Überwindung der Kriegsgefahr durch gemeinsame Entwicklung bietet. Die „Win-Win-Kooperation“, die China vorschlägt, ist keineswegs antiamerikanisch, sondern seit dem APAC-Gipfel im Oktober 2014 in Beijing auch explizit ein Angebot an die USA. Der beste Gefallen, den wir den USA in Europa tun können, ist, auf die Annahme dieses neuen Paradigmas der Zusammenarbeit zu dringen.