/HEAD>
Aktuelle Ausgabe Weltkrise Suchen Abonnieren Leserforum

Aus der Neuen Solidarität Nr. 39/1996:

Die Contras und die Crack-Seuche

Die Straßenbanden "Crips" und "Bloods" dienten in den 80er Jahren den nikaraguanischen Contras als Kokainverteiler, und das Crack zerstörte eine ganze Generation Jugendlicher in den amerikanischen Slums - mit Wissen und Zutun der US-Regierung. Als erste deutschsprachige Zeitung bringen wir eine Zusammenfassung der sensationellen Enthüllungen der kalifornischen Zeitung San Jose Mercury News.

Von Jeffrey Steinberg


Ein verheerendes Bild
Der Beginn der Crack-Epidemie

Kokain erobert das Getto

Meneses' Verbindungen nach Kolumbien

Die Nachwirkungen

Die kalifornische San Jose Mercury News veröffentlichte vom 18. bis zum 20. August eine Artikelserie, die zum ersten Mal dokumentierte, wie die von George Bush unterstützte Fuerza Democrática de Nicaragua (FDN), die "Contras", die Crack-Seuche Mitte der 80er Jahre auslösten. Der explosive Bericht des Mercury beruht auf den Akten mehrerer Ermittlungsverfahren zu Rauschgiftdelikten sowie kürzlich freigegebenen FBI-Unterlagen für den Zeitraum 1981 bis 1986. Sie zeigen, daß die Bush-Contra-Netzwerke das Getto von Los Angeles mit Tonnen von Kokain jährlich überschwemmten und damit Gewinne von vielen hundert Millionen Dollar machten, die den Contra-Rebellen in Mittelamerika zuflossen. Heute sitzen als Folge dieser Machenschaften George Bushs Hunderttausende Afroamerikaner, Hispanoamerikaner und andere an seiner Stelle im Gefängnis, während der Boß frei herumläuft und sich des Ansehens und der finanziellen Vorteile eines ehemaligen Vizepräsidenten und Präsidenten der Vereinigten Staaten erfreut.

Kaum eine amerikanische Stadt ist von der Crack-Seuche verschont geblieben. Die Straßenbanden von Los Angeles, die Crips und die Bloods, an welche die Bush-Contra-Netzwerke die vielen Tonnen billigen, hochgradigen Kokains vorrangig lieferten, entfachten einen regelrechten Drogenkrieg, in den Hunderte größerer und kleinerer Städte in ganz Amerika hineingezogen wurden. Zehntausende Tote und Millionen von Geschädigten sind das Resultat dieses Kokainkriegs.

Gary Webb, der Journalist aus Sacramento, hat in seiner Serie in der San Jose Mercury News die Rolle des damaligen Vizepräsidenten George Bush bzw. seine Funktion als "Oberkommandierender" des geheimen Krieges in Mittelamerika übergangen und statt dessen das Augenmerk auf die CIA als Hauptschuldigen gelenkt. Tatsächlich aber wurde Vizepräsident Bush Ende 1981 durch eine Reihe von Ausführungsbestimmungen und Direktiven für die nationale Sicherheit (von denen nun viele für die Öffentlichkeit freigegeben sind), mit allen Geheimdienstoperationen der Regierung Reagan betraut, und damit unterstanden ihm sämtliche verdeckten Operationen von CIA-Beamten, dem Pentagon und anderen Bundesstellen sowie ein "privates" Heer von Ex-Geheimdienstleuten und Auslandsagenten. In einem Interview mit dem Autor erklärte Webb, er habe einige Hinweise darauf gefunden, daß es bei der Operation nicht allein um die CIA ging, die Kommandostruktur über die Contras ins Weiße Haus aber nicht weiter verfolgt.

Ein verheerendes Bild

Dennoch malen Webbs Untersuchungsergebnisse ein verheerendes Bild. Schon gleich vom Amtsantritt der Regierung Reagan an führten die Vereinigten Staaten einen Stellvertreterkrieg gegen das sandinistische Regime in Nikaragua, das 1979 an die Macht gekommen war, indem es - ironischerweise mit Hilfe der Vorgängerregierung unter Präsident Carter - das Regime Anastasio Somozas stürzte. Und die "Stellvertreterarmee", die Contras, wurden ebenfalls von Anfang in erheblichem Maß durch Kokainhandel in Kalifornien und anderen Teilen Amerikas finanziert.

Die FDN-Leute in und um San Francisco, die die "Kokainpipeline" nach Los Angeles beherrschten, waren der von George Bush geleiteten Contra-Hierarchie wohlbekannt und wurden von ihr streng kontrolliert. Der sorgfältig ausgewählte Chef der FDN-"Exilregierung", Adolfo Calero, ein ehemaliger Coca-Cola-Manager in Managua, stand die ganzen 80er Jahre hindurch auf der Gehaltsliste von Bush und North. Den Gerichtsdokumenten zufolge reiste dieser "Regierungschef" zu Beginn der 80er Jahre oft zur Bucht von San Francisco. Mindestens einmal wurde er dort bei einer Spendenaktion zusammen mit dem Chef des Kokainrings, Juan Norwin Meneses Cantarero, fotografiert.

J.N. Meneses war der offizielle Leiter des "Geheim- und Sicherheitsdienstes" der FDN für Kalifornien und in dieser Funktion bei allen öffentlichen und privaten Auftritten Caleros anwesend. Darunter war auch mindestens eine Zusammenkunft mit Rob Owen, dem Assistenten von Oliver North im Weißen Haus. In seinen Berichten an North, die man später während der Ermittlungen von Iran-Contra-Sonderankläger Lawrence Walsh ausgrub, gab Owen offen zu, er habe gewußt, daß die Contras von Drogenbossen finanziert wurden.

Gleichzeitig war die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA hinter Meneses her; schon seit 1974 war er ihr als El Rey de Drogas (Der König der Drogen) in Managua bekannt. 1984 erwirkte die DEA eine Anklage gegen Meneses wegen Kokainschmuggels, aber die Anklage und die beigefügte Ermächtigung zur Festnahme ohne Haftverschonung wurden nie entsiegelt. Bis Ende der 80er Jahre ermittelte die DEA gegen Meneses im Zusammenhang mit 45 verschiedenen Rauschgiftdelikten.

Der Beginn der Crack-Epidemie

Interessante Fakten kamen in einem Prozeß im März 1996 in San Diego gegen den Crack-Händler Ricky Donnell Ross aus Los Angeles ans Licht. Nach Zeugenaussagen in dem Prozeß wurde die Kokainpipeline der Contras 1981 eröffnet - noch bevor die ersten Contra-"Soldaten" in Nikaragua aktiv wurden. Oscar Danilo Blandón Reyes, einer der Hauptbelastungszeugen gegen Ross, hatte im Kokainring der Contras an maßgebender Stelle mitgemischt. Er sagte vor Gericht aus, im Frühjahr 1981 habe ihn ein anderer nikaraguanischer Exilant, Donald Barrios, in Miami angerufen und um Hilfe bei der Gründung einer militärischen Widerstandsorganisation gegen die Sandinista-Regierung gebeten. Blandón war am 19. Juni 1979, unmittelbar bevor die Sandinisten die Macht übernahmen, aus seinem Heimatland geflohen. Er hatte ein 27-Mio.-Dollar-Agrarexportprogramm der Regierung Somoza geleitet. Er sagte seine Hilfe zu.

Blandón sollte am internationalen Flughafen von Los Angeles mit einem anderen Exilnikaraguaner namens Meneses Kontakt aufnehmen, der mit Einzelheiten aus San Francisco käme. Einige Tage später flogen die Männer, beide aus bekannten Familien der Somoza-Ära, nach Honduras zu einem Vorbereitungstreffen mit Oberst Enrique Bermudez. Bermudez, früherer nikaraguanischer Militärattaché in Washington, sollte eine antisandinistische Widerstandstruppe aufbauen, vor allem aus Mitgliedern von Somozas früherer Nationalgarde, und dazu hatte die CIA ihn schon auf ihre Gehaltsliste gesetzt.

Wie Blandón später zugab, wurden bei dem Treffen in Honduras Pläne besprochen, die Contra-Truppe mit Geldmitteln aus dem Kokainhandel auszustatten. (Am 1. Dezember 1981 ermächtigte Präsident Reagan die CIA mit einer Geheimorder, an die gerade gegründeten Contras 19,9 Mio. Dollar verdeckte Militärhilfe zu zahlen - viel zu wenig für eine Militäroperation, die das von Kuba und der Sowjetunion unterstützte sandinistische Regime ernsthaft gefährden könnte.)

Nach der Rückkehr nach Kalifornien absolvierte Blandón in San Francisco eine "Schulung" in den Methoden des Rauschgifthandels unter der Leitung des alten Fachmanns Meneses. Dann erhielt er den Auftrag, eine Kokainpipeline nach Los Angeles zu eröffnen.

Blandóns Kokaingeschäft kam in Fahrt, als er sich mit Ricky Donnell Ross, einem Drogenhändler aus South Central Los Angeles, zusammentat. Vorher hatte Ross einen anderen nikaraguanischen Rauschgifthändler kennengelernt, Henry Corrales, der ihn und seinen Partner Ollie Newell mit "außergewöhnlich billigem Kokain" (Ross) belieferte. Corrales' Lieferant war Blandón. Dieser übernahm bald darauf persönlich die Geschäfte mit Ross.

Kokain erobert das Getto

Bevor Blandón und Ross auf den Plan traten, war Kokain zwar schon die "Lieblingsdroge" des Hollywood-Jetset, auf den Straßen des Gettos von Los Angeles aber wenig bekannt. Als die Droge Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre erstmals massenhaft in die USA kam, war sie für Konsumenten aus den Slums einfach zu teuer. Das änderte sich mit Ross, Blandón und Meneses. Blandón verkaufte Ross Kokain zu Schleuderpreisen. Nach Ross' Darstellung unterbot er die Konkurrenz um mindestens 10000 Dollar pro Kilogramm. "Manchmal verschenkte er es sogar", sagte Chico Brown, ein Partner von Ross.

Bald brachte Ross Kokain im Wert von Millionen in die Hände der "Crips," einer Bande in Los Angeles, die sich aus früheren Mitgliedern von Banden in kalifornischen Hochsicherheitsgefängnissen zusammensetzte. Zu den Anführern der in den Gefängnissen gegründeten Banden wie der "Schwarzen Guerillafamilie", aus der die Crips und die Bloods hervorgingen, gehörten Mitglieder der Symbionesischen Befreiungsarmee und der Schwarzen Befreiungsarmee, beides terroristische Vereinigungen der 70er Jahre. Ross wurde zum Hauptlieferanten für die Crips und die mit ihnen rivalisierenden Bloods.

Mitte der 80er Jahre kaufte Ross wöchentlich über 100 Kilogramm Kokain von Blandón; der Umsatz aus dieser Menge auf den Straßen belief sich auf 2-3 Mio. Dollar täglich. 1983 wurde Ross der erste größere Lieferant von Crack in den USA - dank seiner Contra-Kokainpipeline. Als Crack in die Straßen von Los Angeles kam, hatte Ross über die Crips und Bloods im South-Central-Getto und dem benachbarten Compton schon ein monopolartiges Verteilernetz aufgebaut. Ross sagte dem Mercury-Reporter Webb: "Es war schon unwirklich"; mit der hochwirksamen und billigen Variante von Kokain "schlugen wir alle anderen aus dem Rennen".

Im November und Dezember 1985 überschwemmte Crack nach den DEA-Berichten ein Dutzend weitere amerikanische Städte. Für 5 Dollar pro Dosis wurden schon Neun- und Zehnjährige zu Rauschgiftkunden. Im Unterschied zu anderen Verabreichungsformen von Kokain macht Crack sofort süchtig, weil das Kokain von der Lunge zum Herzen und ins Gehirn geht und einen unmittelbaren starken Rausch (und ebenso starke Nachdepressionen) erzeugt. Crackkonsumenten neigen zu Gewalt und Paranoia.

Dank der ständigen Lieferungen von Ross breitete sich das Kokain über die Crips und die Bloods auch nach Osten aus. Auf den gleichen Wegen wurden aber auch Waffen illegal befördert, und wieder benutzte man dazu Blandóns und George Bushs Infrastruktur. Blandón wurde bald zum Hauptlieferanten von Gewehren und anderen Waffen. "Einmal wollte er meinem Partner sogar einen Granatwerfer andrehen", sagte Ross zu Gary Webb. Mindestens einer von Blandóns Waffenlieferanten, Ronald J. Lister, ein ehemaliger Polizist aus Laguna Beach/Kalifornien, arbeitete für mehrere Bundesbehörden, z.B. die CIA, die DEA und das FBI. Lister trat an der Westküste als Waffenlieferant und Geldbeschaffer für die Contras in Erscheinung.

Meneses' Verbindungen nach Kolumbien

Blandóns Partnerschaft mit Ross im Los-Angeles-Geschäft basierte auf Meneses' schier unversiegbarer Quelle hochwertigen, billigen Kokains aus Kolumbien. Und hier kommen George Bush, Oliver North, der "Ex"-CIA-Mitarbeiter Felix Rodriguez u.a. wieder ins Bild.

Im Juni 1979 war Meneses in Kalifornien politisches Asyl gewährt worden - obwohl er in allen Computern der DEA als Nikaraguas oberster Drogenboß gespeichert war. Tatsächlich sollte er niemals ein US-Gefängnis oder auch nur einen amerikanischen Gerichtssaal von innen sehen. Die Drogenfahnder beklagten sich bitter, daß ihnen der "nationale Sicherheitsapparat" und das Justizministerium jedesmal Knüppel zwischen die Beine warfen, wenn sie gegen Meneses vorzugehen versuchten. 1992 wurde er dann doch noch inhaftiert - aber zu Hause in Managua durch die nikaraguanische Drogenpolizei.

Enrique Miranda, Meneses' Verbindungsmann zu den kolumbianischen Kokainkartellen, sagte aus, Meneses habe in der ersten Hälfte der 80er Jahre sein Kokain aus Kolumbien über den nikaraguanischen Piloten Marcos Aguado erhalten. Aguado war zu jener Zeit ein hochrangiger Offizier der Luftwaffe El Salvadors und flog "humanitäre Hilfsgüter" und Waffen vom Luftstützpunkt Ilopango nahe San Salvador aus zu den Contras. Der DEA-Chef für El Salvador, Celerino Castillo, hat ihn als einen von mehreren Contra-Piloten identifiziert, die als Kokainschmuggler bekannt waren. Aguado flog Maschinen der salvadorianischen Luftwaffe nach Kolumbien, belud sie mit Kokain und flog sie dann in die Vereinigten Staaten, wo er nach Mirandas Aussagen auf US-Militärstützpunkten landete.

Gesteuert wurde die Ilopango-Nachschuboperation der Contras von George Bushs Spezialisten für nationale Sicherheit, dem ehem. CIA-Beamten Donald Gregg, von Bushs Büro im Weißen Haus aus und in Ilopango vor Ort vom "Ex"-CIA-Beamten Felix Rodriguez. Aus den Unterlagen der Kongreßanhörungen von 1987 über die Iran-Contra-Affäre geht hervor, daß Gregg und Bush durch Rodriguez über dessen Aktivitäten in El Salvador voll informiert waren.

Aber ohne die Mitwirkung höherer Beamter des Pentagon hätten die Kokainflüge nicht auf den Militärbasen landen können. Und diese unterstanden aufgrund der Sicherheitsdirektiven 2 und 3, mit denen die Aufsicht über das geheime Contra-Hilfsprogramm geschaffen wurde, Vizepräsident Bush. Dieser "Brennpunkt" der Contra-Operationen war die Gruppe für besondere Situationen (Special Situations Group) und die ihr untergeordnete Gruppe für Krisenplanung (Crisis Pre-Planning Group).

Mitte der 80er Jahre ernannte Präsident Reagan den Vizepräsidenten auch zum Leiter des Anti-Drogenprogramms des Weißen Hauses. Bush hatte alle Anti-Drogen-Aktivitäten des Bundes, der Staaten und der Gemeinden zu koordinieren, besonders entlang der Südküste Floridas, wo in der Contra-Ära viel Kokain ins Land kam. Meneses profitierte voll von dieser Regelung. Er besaß eine Ranch in Costa Rica, die den Contras als Basis und zum Auftanken zwischen Kolumbien und den USA diente.

Die Nachwirkungen

Durch den Abschuß eines Nachschubflugzeugs über Nikaragua im Oktober 1986 wurde erstmals der Umfang der Unterstützungsaktion des Weißen Hauses für die Contras bekannt und daraufhin ein Senats-Untersuchungsausschuß einberufen.

Am 27. Oktober wurden an mehreren Stellen in Südkalifornien Razzien durchgeführt. Diese waren jedoch ein Riesenfehlschlag. Blandón war vorher gewarnt worden, und man fand daher keine Beweise. Er setzte sich mit 1,6 Mio. Dollar Startkapital nach Florida ab, aber mehrere Jahre später war er wieder in Kalifornien und handelte wieder mit Kokain. Diesmal wurde er aufgespürt und verurteilt, aber der US-Staatsanwalt L.J. O'Neale, der schon früher den Kokainring Blandón-Meneses-Contra gedeckt hatte, sorgte dafür, daß die Strafe für Blandón auf 28 Monate begrenzt wurde. Im September 1994 wurde er aus dem Gefängnis entlassen und auf die Gehaltsliste der DEA gesetzt. Seither hat er vom Justizministerium steuerfreie Zahlungen in Höhe von 166000 Dollar bekommen.

Meneses verließ die Vereinigten Staaten, bevor man gegen ihn vorgehen konnte. Nach einigen Jahren Aufenthalt in Costa Rica versuchte er - ohne Erfolg - in Nikaragua wieder ins Kokaingeschäft zu kommen.

1987 gründete das Büro des Sheriffs in Los Angeles eine Sondereinsatzgruppe, um Ross, den berüchtigsten Kokaindealer der ganzen Gegend, zu fangen. Ross verließ die Stadt und ließ sich in Cincinnati nieder, wo er endlich verhaftet wurde. Er verbrachte fünf Jahre im Gefängnis und kehrte letztes Jahr nach Los Angeles zurück. Wie das Schicksal so spielte, war Ross bald wieder im Geschäft mit seinem alten Partner Blandón. Am 2. März 1995 wurde er mit der Hilfe seines Contra-Lieferanten (nun DEA-Informant) verhaftet. Im August wurde Ross verurteilt. Die Regierung fordert für ihn lebenslange Haft ohne Bewährung.

 

Aktuelle Ausgabe Weltkrise Suchen Abonnieren Leserforum