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Aus der Neuen Solidarität Nr. 38/1999:

Besessen vom "Kampf der Kulturen"

Die Doktrin des "Mächtegleichgewichts" und der Kampf um das "eurasische Kernland" sind für viele Geopolitker zu einer Zwangsvorstellung geworden, für die sie sogar einen Dritten Weltkrieg riskieren.

Die führenden Geopolitiker in London, Washington und anderen westlichen Hauptstädten sind geradezu besessen davon, daß es nichts Wichtigeres gebe, als die "westliche Welt" in einen Konflikt mit den Ländern zu drängen, die für die Entwicklung der Eurasischen Landbrücke eine zentrale Rolle spielen. Dabei handelt es sich um die Region, für die der britische geopolitische Cheftheoretiker Sir Halford Mackinder die Bezeichnung "eurasisches Kernland" prägte. In der Auseinandersetzung um dieses Gebiet, so sagte er, werde sich einst entscheiden, wer die Welt beherrschen werde. Jetzt, Ende der 90er Jahre, befindet sich Rußland in einer verzweifelten Lage. Nach der Einschätzung der heutigen Nachfolger Mackinders ist es als potentielle Bedrohung zumindest gegenwärtig "neutralisiert". Daher richten diese Leute jetzt ihr Hauptaugenmerk darauf, gegen China, den Iran, Indien und andere Länder in Eurasien vorzugehen - ein Gebiet, dessen Einwohner zusammengenommen drei Viertel der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Und wenn es sich nur irgendwie bewerkstelligen ließe, so würden diese geopolitischen Schachspieler liebend gerne alle diese Länder gegen Rußland aufbringen, um Rußland so den Gnadenstoß zu versetzen und es dabei in noch mehr Teile zu zerstückeln.

Nachdem 1993 Havardprofessor Samuel Huntingtons Konstrukt vom "Kampf der Kulturen" zum ersten Mal in der Zeitschrift des Councils on Foreign Relations Foreign Affairs publik gemacht worden war, wurde es zur meist diskutierten Variante dieser Art fixer Idee. Mit der fehlerhaften Argumentation, dem beschränkten akademischen Stil und halluzinatorischen Beschwörungen nichtexistenter Dinge wie "konfuzianisch-islamische Staaten", hatte man hoffen können, Huntingtons Veröffentlichung werde mit der Geringschätzung behandelt, die sie verdiente, und werde schnell auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Statt dessen löste sein Artikel eine Riesenkontroverse aus. Die ausführliche Buchversion des Artikels hieß dann "Der Kampf der Kulturen und die Neuordnung der Welt". Mit einer akademischen Sprache und einer Vielzahl von Fußnoten wird hier der Anschein der Gelehrsamkeit erweckt. Dahinter verbirgt sich eine methodische Vorgehensweise, die so alt ist wie das Orakel von Delphi. Es handelt sich, einfach ausgedrückt, um das Spiel der sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Man wiederholt so oft wie möglich, der und der ist unser Feind und setzt damit einen Prozeß in Gang, der früher oder später unvermeidlich zum Konflikt führt.

Der "Kampf der Kulturen" ist kein Artikel und auch kein Buch, sondern ein Projekt, das weit über die Person Huntingtons hinaus geht. Es handelt sich hier um den "geopolitischen Kriegsplan" einer einflußreichen britisch geführten Fraktion des transatlantischen politischen Establishments. Auf dem rückseitigen Teil des Buchumschlages sind Beiträge von Sir Henry Kissinger und von Zbigniew Brzezinski abgedruckt, die Huntingtons Machwerk begeistert unterstützen. Kissinger hat während seiner gesamten Laufbahn die britische Doktrin vom "Gleichgewicht der Kräfte" sowie andere britische geopolitische Doktrinen stets unterstützt (Wir berichteten darüber wiederholt in der Neuen Solidarität). Er spielte auch bei der Einrichtung einer Abteilung in der Universität Harvard, die speziell Leute für Regierungspositionen ausbildet, eine maßgebliche Rolle, und Huntington hat dort eine Schlüsselposition inne.

Anfang 1991, zur Zeit des Golfkrieges, verfaßte Huntington einen Artikel für die Januar/Februar-Ausgabe von Survival, einer Publikation des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS). Dort erklärte er, die amerikanische Politik gegenüber Eurasien müsse sich auf die britischen geopolitischen Theorien eines Mackinder und die Doktrin vom Gleichgewicht der Kräfte gründen, nach der Sir Henrys großer Held, Lord Castlereagh, bereits auf dem Wiener Kongreß 1815 seine Politik ausgerichtet hatte.

Und was Brzezinski angeht, so entwickelte dieser Ende der 70er Jahre in seiner Eigenschaft als Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter die Theorie vom Krisenbogen, den er jetzt als "Zone der Instabilität" bezeichnet. Nach dieser Theorie ist die Region südlich der ehemaligen Sowjetunion ein Riesengebiet der Instabilitäten (islamischer Fundamentalismus etc.), die als geostrategische Waffe gegen die Sowjetunion genutzt werden können. Zu Brzezinskis Stab als Sicherheitsberater in der Regierung Carter gehörte damals auch Samuel Huntington. Er war Direktor für Sicherheitsplanung. Brzezinski und Huntington kamen beide über die Trilaterale Kommission in die Regierung Carter. Gründer und Finanzier der Trilateralen Kommission war 1974 David Rockefeller. 1975 gehörte Huntington zu den Autoren des berüchtigten Berichtes "Die Krise der Demokratie", den die Trilaterale Kommission herausbrachte. In dem Bericht heißt es, es sei fraglich, ob es noch möglich sein werde, die repräsentative Demokratie sowie verfassungsgemäße Institutionen und Bewegungen in Zeiten aufrechtzuerhalten, wo die Durchsetzung von Austeritätsmaßnahmen postdemokratische und nichtdemokratische Regime erfordere.

Huntingtons Argumente in "Der Kampf der Kulturen" basieren auf ein paar simplen oder besser simplistischen Behauptungen, die als selbstevidente Wahrheiten präsentiert werden. Er schreibt: "Die Kalte-Kriegs-Ordnung ist vorbei. Die fundamentalere Einteilung der Menschheit nach ethnischer Zugehörigkeit, Religion und Zivilisationen bleibt und daran entzünden sich neue Konflikte." An anderer Stelle bringt er den gleichen Punkt etwas primitiver: "Zivilisationen sind letztendlich Stämme, und der Zusammenstoß der Zivilisationen ist ein Stammeskonflikt auf weltweiter Ebene... Beziehungen zwischen Gruppen unterschiedlicher Zivilisationen... werden so gut wie nie enge Beziehungen sein, sondern gewöhnlich kühl und oft feindselig."

An anderer Stelle erklärt Huntington stolz, er stütze sich auf die "Britische Theorie über internationale Beziehungen". Und was seine allgemeinen Vorstellung der "Geschichte der Zivilisationen" angeht, so bezieht er sich dabei häufig auf die späten Werke des einflußreichen Kulturkriegers im britischen Geheimdienst in diesem Jahrhundert: Arnold Toynbee. Huntingtons übergeordnete Einteilung ist die zwischen "dem Westen und dem Rest", die intensivsten Konflikte sieht er hier zwischen den moslemischen und asiatischen Gesellschaften auf der einen Seite und dem Westen auf der anderen. D.h. wir im "Westen" befinden uns in einem unausweichlichen Konflikt mit intoleranten Moslems und Chinesen. Warum das so ist? Nun die Begründung, die Huntington liefert wäre zum Lachen, wäre er nicht distinguiertes Mitglied eines Clubs geopolitischer Pyromanen. Seine Begründung lautet: Die Asiaten bedrohten uns mit ihrem "Wirtschaftswachstum" und die Moslems mit "ihrer extrem hohen Bevölkerungswachstumsrate".

Mark Burdman und Scott Thompson

 

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