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Aus der Neuen Solidarität Nr. 23/2002

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Jetzt hilft nur noch massive Gegenwehr

Kostensenkung. Die Sparmaßnahmen bei der Dialyse scheinen beschlossene Sache zu sein. Angesichts der rücksichtslosen Kostensenkungspolitik im Gesundheitswesen insgesamt wäre es blauäugig, weiter auf eine "Politik der leisen Töne" zu setzen.

In dem Beitrag "Sparen bei der Dialyse: Sind Nierenkranke zu teuer?" (Neue Solidarität Nr. 36/2001) berichtete Dr. Wolfgang Lillge von den Plänen, daß es künftig für die ambulanten Dialysepatienten keine individuelle, auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Kostenerstattung mehr geben solle, sondern eine ständig absinkende Kostenpauschale. Der Fachverband "Dialysepatienten Deutschlands e.V." (DD) reagierte darauf bereits im vergangenen Jahr mit einer bundesweiten Unterschriften-Protestaktion, an der sich auch viele unserer Leser beteiligten.

Die in kürzester Zeit gesammelten 139000 Unterschriften (bei "nur" unmittelbar 59000 Betroffenen dialysepflichtigen Patienten) hatten zum Ziel, die Bedenken von Betroffenen und großen Teilen des medizinischen Personals über die düsteren Perspektiven bei der Dialysebehandlung zum Ausdruck zu bringen. Diese deutliche Willensbekundung hinterließ zwar bei den zuständigen Entscheidungsträgern von Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung einen gewissen Eindruck, doch letztlich war man nur zu dem schwammigen Zugeständnis bereit, daß die Pauschale für multimorbide Patienten sowie für Kinder (angeblich und vorerst) nicht gelten solle. Dabei stellte sich vor allem die Frage, wer eigentlich bestimmt, ab wann jemand ein "multimorbider Patient" sei.

Außerdem ist von den Entscheidungsträgern noch immer nicht das versprochene Konzept zur Erhaltung oder Steigerung der Behandlungsqualität von Dialysepatienten vorgestellt worden, und das, obwohl immer behauptet wurde, daß die fragliche Umstellung genau diese Verbesserungen mit sich brächte. Das vielbeschworene "Mehr an Qualität" taucht immer auf, wenn Einsparungen ins Haus stehen - doch wer glaubt eigentlich noch daran?

Nach Auskunft von DD-Geschäftsführer Hollstein soll der Sparbeschluß zum 1. Juli 2002 in Kraft treten, wobei die Pauschale dann bis Ende Juni 2003 580 Euro beträgt. Danach sinkt die Pauschale sechs Monate lang auf 550 Euro, und ab 1. Januar 2004 gilt nur noch ein Betrag in Höhe von 520 Euro. Der DD bemüht sich insbesondere zusammen mit dem AOK-Bundesverband, der sich bislang scheinbar am kooperativsten zeigte, weiter darum, stellvertretend für alle Betroffenen Qualitätseckpunkte "als Anspruch aus Patientensicht zu definieren", und bereitet u.a. eine Patientenbefragung vor. Doch was nützen die besten Eckpunkte, wenn das Geld nicht reicht?

Angesichts ähnlicher Entwicklungen im Gesundheitswesen ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß hier wieder einmal das bewährte Hinhalten eines kämpferischen Patientenverbandes betrieben wird. Man hört scheinbar interessiert zu, aber man setzt darauf, daß das Widerstandspotential langsam, aber sicher verpufft. Dabei scheint das Argument besonders gut zu "ziehen", daß Deutschland bisher eines der wenigen Länder weltweit war, wo alle chronisch Nierenkranken ohne Einschränkung versorgt wurden. Viele Patientenorganisationen wiegten sich in Sicherheit, man beobachtete zwar mit einem gewissen Unbehagen die Kürzungsmechanismen bei anderen "teuren" Patientengruppen, aber die Dreistigkeit, mit der jetzt die Kostenerstattung verringert werden soll, hat in dieser Form niemand wirklich für möglich gehalten, da dadurch die notwendige Qualität eines großen Teiles der ambulanten Dialysebehandlungen unmöglich wird. Bei der Dialyse geht es schließlich nicht um eine Maßnahme, über deren Sinnhaftigkeit man diskutieren könnte: Sie ist eine lebensnotwendige Behandlung für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und muß im Regelfall dreimal wöchentlich durchgeführt werden, um das Überleben zu sichern. Eine deutlich höhere Sterberate dieser chronisch Kranken wird die zwangsläufige Folge sein.

Vor diesem Hintergrund gibt es nichts Grundsätzliches mehr zu verhandeln. Wenn eine Dialysebehandlung soundsoviel kostet, muß sie bezahlt werden, punktum. Angesichts des Wirtschaftskrachs und der brutalen Kostensenkungspolitik im Gesundheitswesen war und ist es ein Irrtum, mit "Wohlverhalten" oder einer Politik der leisen Töne den vermeintlichen "Zwang zum Sparen" auch nur ansatzweise aufhalten zu können. Da außerdem die Absenkung der Kostenpauschale bereits beschlossene Sache ist, bleibt unverständlich, warum DD-Geschäftsführer Hollstein in Der Dialysepatient (3/2002) vor lauter Vorsicht in seiner Wortwahl quasi über seine eigene Füße stolpert.

Zitat: "Aus unserer Sicht wird nun bedeutend sein, inwieweit die Kostenträger und die KBV tatsächlich auf unsere Definition der Behandlungsqualität eingehen und diese auch in Zukunft berücksichtigen werden. Mit der Bereitschaft zum konstruktiven Gespräch ist jedenfalls schon ein richtiger Schritt in die richtige Richtung getan."

Wie lange will man sich noch hinhalten lassen? Der Vorsitzende der Deutschen Dialysegesellschaft, Dr. Heinrich Kütemeyer, empörte sich jedenfalls weit deutlicher über den leichtfertigen Umgang der Gesetzlichen Krankenkassen mit dem Schicksal ihrer Versicherten und über die Haltung der Kassenärztlichen Vereinigung. "Steigende Sterblichkeit und verminderte Lebensqualität der Patienten werden hier offenbar bewußt in Kauf genommen." Und auch die Betroffenen selber wissen sehr gut, warum sie die Unterschriftenaktion unterstützt haben.

Es muß über andere kreative Maßnahmen nachgedacht werden. Dialysepatienten sind in der Regel nicht bettlägerig, und auch Angehörige und die Beschäftigten des Gesundheitswesens können über Mittel und Wege nachdenken, den Verantwortlichen und den Bundestagsabgeordneten persönlich solange "auf den Pelz zu rücken", bis die Absenkung der Pauschale zurückgenommen wird.

Es sei hier nur an den jahrelangen Kampf gegen den Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen erinnert, der bestimmte Sondennahrungen für Schwerstkranke aus dem Erstattungskatalog herausnehmen wollte. Es waren mit Sicherheit nicht nur die oft übervorsichtigen "fachlichen" Einlassungen der Interessenverbände, die in dieser Frage einen Durchbruch bewirkten. Nur der Club of Life hat sich von Anfang an nicht davor gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen und vor einer neuen Form der "Nazi-Medizin" zu warnen. Es ginge um das "absichtliche Verhungernlassen", die Verantwortlichen wurden beim Namen genannt und für die Folgen ihres Handelns haftbar gemacht. Für einen solchen Kampf braucht es zwar einen langen Atem, aber wir sind sicher, daß andere dieses Durchhaltevermögen mit ihren viel größeren materiellen Möglichkeiten auch aufbringen können.

Eines nur ist wichtig: Es muß ein grundsätzliches Verständnis darüber herrschen, daß Sonden- oder Dialysepatienten nicht die einzigen Betroffenen sein werden, die unter der Kostendämpfungspolitik im Gesundheitswesen zu leiden haben. Angesichts des Zusammenbruchs der Realwirtschaft weltweit und des sich daraus ergebenden kulturellen Paradigmawandels wird der angebliche Zwang zum Sparen aus wirtschaftlichen Gründen vor Menschenleben nicht haltmachen. Sobald man diesen "Zwang" akzeptiert - nach dem Motto, wenn es sein muß, bei anderen, nur nicht bei uns - hat man bereits verloren. Fordert man statt dessen eine grundsätzliche Umorientierung in der Wirtschaftspolitik, um die leeren Kassen der GKV wieder zu füllen, und erteilt dem inhumanen Kosten-Nutzen-Denken im Gesundheitswesen eine klare Absage, verläßt man die einengende "Logik" des vermeintlichen Sparzwangs. Auf diesem erweiterten Feld, und nur auf diesem, läßt sich dann überhaupt mit Aussicht auf Erfolg streiten.

Jutta Dinkermann

 

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