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Aus der Neuen Solidarität Nr. 26/2002

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Das strategische Problem der Integration

Von Lyndon LaRouche

Die folgende Rede hielt der US-Präsidentschaftskandidat Lyndon LaRouche auf dem 5. Treffen "Argentinien-Brasilien, Augenblick der Wahrheit" am 14. Juni im brasilianischen Sao Paulo.


Wie entsteht gesellschaftlicher Fortschritt?
Empirismus und Torheit

Der Fall Brasilien

Regulierung der Volkswirtschaft

Das Zusammenwachsen Südamerikas

Ich möchte etwas zur Frage der Integration des südamerikanischen Kontinents sagen. Die Völker verschiedener Kulturen und Nationen zu einem gemeinsamen strategischen Unternehmen zusammenzubringen, ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe der Staatskunst überhaupt.

Man kann sich dazu nicht auf die gewöhnliche Politik verlassen. Ein Beispiel war der Zweite Weltkrieg, in dem die Vereinigten Staaten mit Großbritannien verbündet waren. Kulturell betrachtet sind die britische Monarchie und die Vereinigten Staaten historisch und auch heute noch Feinde. Dennoch waren wir Amerikaner im Krieg verpflichtet, mit unserem Feind England als Verbündetem zusammenzuarbeiten. General Eisenhower, der spätere Präsident, hat diese Zusammenarbeit einmal als "eine höchst schwierige Allianz" bezeichnet.

Die Schwierigkeit in solchen Fällen - so auch heute - liegt darin, daß man dabei nicht die Sprache der Presse und der Formalisten benutzen kann, sondern daß man Ideen vermitteln muß. Ideen lassen sich nicht mit den einfachen deduktiven Methoden der Sprache vermitteln. Echte Ideen von Menschen - im Unterschied zu Tieren - kommuniziert man durch "Ironie", wie sie beispielsweise die große klassische Dichtung auszeichnet. Unsere Sinne sind nicht zuverlässig, im allgemeinen lassen sich Ideen nicht durch Sinneserfahrungen vermitteln. So arbeitet der menschliche Geist nicht.

Ich möchte dieses Problem kurz erläutern, als Vorbereitung auf die Frage, wie man an die Integration herangehen sollte.

Wir wissen aus der Naturwissenschaft, daß das, was uns unsere Sinne anzeigen, nicht die Wirklichkeit ist. Sie zeigen uns nur die Antwort unseres Geistes auf die Wahrnehmungen. Platon hat das in dem außergewöhnlichen und berühmten "Höhlengleichnis" im Staat veranschaulicht.

Wenn wir lernen, sie richtig zu gebrauchen, reagieren die Sinne mehr oder weniger wahrheitsgetreu auf die Reize, die sie erfahren. Aber irgendwann merkt unser Geist, daß das, was wir wahrnehmen, nicht die eigentliche Substanz dessen ist, was diese Wahrnehmung auslöst. Platon sagt, wir sehen die Dinge nur wie Schatten an den Wänden einer schlecht beleuchteten Höhle. Die Funktion von Wissenschaft und großer Dichtung ist, es uns zu ermöglichen, die Wirklichkeit zu entdecken, die diese Schatten wirft. In der Wissenschaft sprechen wir von universellen physikalischen Prinzipien, die experimentell bewiesen werden können. In der klassischen Dichtung nennen wir es Ideen.

Man entdeckt ein wissenschaftliches Prinzip, indem man einen Widerspruch aufdeckt. Nehmen wir dazu ein oder zwei berühmte Beispiele.

Wie entdeckte Johannes Kepler das universelle Prinzip der Gravitation? Er hat es selbst in der Neuen Astronomie 1609 beschrieben.

Wenn jemand behauptet, er könne die Gravitation sehen oder riechen oder anfassen, dann schicken wir ihn in eine Nervenheilanstalt. Was man von den Umlaufbahnen im Sonnensystem sieht, ist nur ein Schatten. Wenn man die Planetenbewegungen etc. nur anhand der Schatten beurteilen will, klappt das nicht.

Kepler stieß auf einen wundervollen Widerspruch, der es ihm ermöglichte, die Gravitation zu definieren. Kepler machte genauere Messungen als Tycho Brahe vor ihm und demonstrierte anhand der Beobachtung zwei Dinge. Die "Schatten" der Wirklichkeit sagten ihm etwas. Die präzise Messung der Schatten zeigte ihm, daß die Umlaufbahn des Mars nicht kreisförmig war, sondern elliptisch. Er wußte damals noch nicht, wie man eine Ellipse konstruiert, obwohl er verstand, was sie bedeutete. Aber er entdeckte, daß die Position der Sonne einen der Brennpunkte dieser elliptischen Umlaufbahn bildete.

Er beobachtete weiter, daß bei den Umläufen von Erde und Mars um die Sonne ein Prinzip herrschte: die von der Umlaufbahn in einer bestimmten Zeit überstrichene Fläche war immer gleich - gleiche Fläche, gleiche Zeit. Er entdeckte noch mehr. Er verglich die beiden Extreme der Umlaufbahn und stellte fest, daß zwischen beiden eine harmonische Beziehung bestand. Er stellte weiter fest, daß alle Planeten einer charakteristischen harmonischen Bahn folgten und diese Bahnen in etwa den Verhältnissen der Intervalle in der Musik entsprachen.

Davon ausgehend sagte er: Im Universum existiert eine Absicht, die dazu führt, daß diese Verhältnisse so sind. Er nannte das die Absicht Gottes, die man nicht sehen, riechen oder anfassen kann, sondern die nur für eines sehbar ist: für die Erkenntniskraft des menschlichen Geistes.

Wie entsteht gesellschaftlicher Fortschritt?

Und so wissen wir - so wie Kepler schlußfolgerte - , daß der Mensch als Abbild des Schöpfers geschaffen ist, um diese universellen Prinzipien zu entdecken, zu benutzen und dadurch das Universum zu verändern. Wir sind dafür verantwortlich, das Universum zu verändern. Wir sind der Gärtner, der Landwirt, der das Land fruchtbar macht. Wir haben eine Aufgabe.

Wichtig dabei ist nicht nur, daß wir als einzelner solche Entdeckungen machen können, sondern auch der Fortschritt der Kultur als ganzer. Wie macht eine Kultur, eine Gesellschaft Fortschritte?

Betrachten wir das Verhältnis des Menschen zur Erde und zum Universum. Wir kennen recht gut die wandelnden Bedingungen auf der Erde in den letzten zwei Millionen Jahren. Das entspricht der Periode, in der die Kontinente schon annähernd ihre heutige Position hatten und in der relativ regelmäßig immer wieder Eiszeiten auf dem Planeten auftraten.

Da wir die Bedingungen auf diesem Planeten in diesen zwei Millionen Jahren kennen, können wir sagen, daß die Menschheit, wäre der Mensch nicht mehr als ein Menschenaffe, auf der Erde bis zum heutigen Tage niemals über einige Millionen Individuen hinausgekommen wäre.

Jede Tierart hat eine mehr oder weniger fixe relative potentielle Bevölkerungsdichte. Wie konnte nun die Menschheit das Niveau von mehreren Milliarden Menschen auf diesem Planeten heute erreichen? Dadurch, daß sie ihr Verhalten änderte. Andere Spezies können das nur in Form einer Art evolutionärer Entwicklung ihres genetischen Materials. Der Mensch kann es, nach dem Vorbild Gottes, willentlich tun.

Wie entsteht daraus Fortschritt der Menschheit? Indem die Entdeckungen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, so wie es in einer guten Erziehung und Bildung sein sollte. Und das geht nur mit einer bestimmten Art von Erziehung, nämlich der klassisch-humanistischen, die heute sehr selten ist. Wir erziehen heute die Menschen dazu, Tiere zu sein. Wir richten sie an den Schulen ab, wie wir Zirkustiere abrichten. Und dann wundern wir uns, wenn sich Kinder manchmal wirklich wie Bestien verhalten!

Das ist entscheidend für die Frage der Integration - für das strategische Problem, wie man Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen in verschiedenen Nationen für ein gemeinsames Ziel zusammenbringt, so als handele es sich um die einheitlichen Streitkräfte einer einzelnen Nation.

Wie kann man eine so vielschichtige Kraft kommandieren? Indem man Worte interpretiert? Nein. Man muß in den Geist der anderen Menschen hineinreichen. Wie tut man das? Nicht mit Grammatik und Wörterbüchern. Nicht an der Tafel. Man muß die Seele erreichen! Man muß dazu die klassische Dichtung zu Hilfe nehmen oder die klassische Wissenschaft, für die Keplers Entdeckung typisch ist.

Empirismus und Torheit

Betrachten wir noch einen weiteren Fall, der sehr wichtig ist, weil dies ein andersartiges Problem berührt: das Versagen der Astronomen des 16. Jahrhunderts, etwa der Anhänger von Claudius Ptolemäus, Kopernikus, Tycho Brahe. Obwohl sie völlig unterschiedliche Modelle des Sonnensystems vertraten, unterlief ihnen allen der gleiche Fehler, weil sie alle der Denkschule des Aristoteles anhingen.

Tatsächlich hatte man schon lange vor der Römerzeit das Sonnensystem richtig verstanden. Die Griechen der klassischen Zeit, die mit Platon verbunden waren, besaßen das richtige Verständnis. Der griechische Astronom Aristarch von Samos (geb. 310 v.Chr. - gest. 230 v.Chr.) ist dafür ein Beispiel.

Kepler deckte den Betrug der aristotelischen Methode auf; er tat das z.B. sehr ausführlich in der Neuen Astronomie, einem seiner Hauptwerke. Aber es gab da einen sehr seltsamen Herren aus Venedig namens Paolo Sarpi, der eine Art "kastrierten Aristoteles" als Philosophie einführte, indem er einige von dessen Prädikaten wegließ. Das wurde bekannt als "Empirismus" oder "Liberalismus". Diese Philosophie behauptet, es gebe im Universum gar keine Prinzipien. Sie beruht auf Sinnesgewißheit, der Interpretation von Sinneswahrnehmungen. Und dies hat große Teile des quasi-wissenschaftlichen Denkens in Europa beherrscht.

So ist beispielsweise die Wirtschaftswissenschaft, die heute an den Universitäten gelehrt wird, ziemlich idiotisch. Denn was behaupten diese Universitätsökonomen? Der Wirtschaftsprofessor spielt das Spiel "Punkte verbinden", im Namen der Statistik. Er markiert verschiedene Punkte anhand seiner statistischen Zahlenreihen, vor allem finanzieller Daten, und zieht Verbindungsstriche. Und dann sagt er: "Dies zeigt Ihnen, wie in der Wirtschaft eine Sache etwas anderes verursacht." Und er versteht nie, warum ein Crash kommt.

Das ist das gleiche Problem, denn echtes Wachstum in der Wirtschaft rührt von unserer geistigen Aktivität her, indem man, angeleitet durch von Menschen entdeckte Prinzipien, in der physischen Welt handelt und so das Universum verändert.

Der Fall Brasilien

Typisch dafür ist die Technik. Oder nehmen wir den Fall Brasilien. Brasilien ist ein sehr großes Land mit enormen, weitgehend unerschlossenen Ressourcen. Diese Stadt ist die drittgrößte der Welt. Vergleichen wir die Bevölkerung von Sao Paulo mit der Gesamtbevölkerung von Brasilien und das Gebiet um Sao Paulo mit ganz Mexiko, so sieht man einen gewaltigen Unterschied der Entwicklung.

Wie kann Brasiliens Potential verwirklicht werden? Es muß im ganzen Land Kraftwerke, Kommunikation und Verkehr geben. Die Produktivität eines Unternehmens irgendwo in Brasilien beruht in der Regel nicht auf der internen oder finanziellen Produktivität dieser Firma als solcher. Sie hängt ab von der "künstlichen Umwelt", die von der Nation in Form von Infrastruktur, Bildungsprogrammen usw. geschaffen wird. Dies ermöglicht den Brasilianern, die verschiedene Teile des Kontinents zu entwickeln, neue Städte und neue Industrie aufzubauen, das Amazonasgebiet zu transformieren, das Hochplateau mit seinem großen Potential zu erschließen - kurz, willentlich und durch Entdeckungen die Natur zu verändern.

Die typischen Ökonomen wissen nicht, daß so etwas existiert, und sie werden vermutlich lange Berichte schreiben, um zu beweisen, daß es nicht wahr ist. Das Problem von Empirismus, Liberalismus usw. besteht darin, daß sie die Existenz eines Universums leugnen, wie es Kepler identifizierte - ein Universum, dem Absichten in Form physischer Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, die den physischen Bereich bestimmen.

Man muß eine Volkswirtschaft und jeden anderen Prozeß aus der Sicht der Absichten des Schöpfers begreifen, wie dies in der Entdeckung universeller physikalischer Prinzipien, durch die die Umwelt verändert werden kann, zum Ausdruck kommt. Indem man die Umwelt verändert, schafft man mehr Möglichkeiten für die Menschen, andere Prinzipien auf die veränderte Umgebung anzuwenden.

Sagen wir beispielsweise, ein Landwirt in Brasilien baut eine Gemüsesorte an. Einige Experten dafür sitzen hier im Publikum. Was tut der Landwirt? Man muß erst den Boden veredeln. Man muß die Bedingungen für ein fruchtbares Wachstum schaffen. Dann muß man das ganze Land Feld für Feld bearbeiten: Bewässerung, Dünger usw. Dann kann man das Gemüse anpflanzen und ernten. Es kann Jahre dauern, bis man das Ackerland so weit verändert hat, daß es eine bestimmte Gemüsesorte in großer Menge hervorbringt. Eine Rinderherde zu züchten, kann ein Dutzend Jahre, ja bis zu einem Vierteljahrhundert dauern, je nachdem, was für eine Herde man haben möchte.

Es gibt also in diesem Prozeß lange Zyklen. Man nennt sie in der Wirtschaftswissenschaft "Kapitalzyklen". Der Bau großer Wasserkraftanlagen etwa ist eine sehr teure Angelegenheit, und eine Nation kann sich das nur leisten, wenn sie den Zeitraum für die Bezahlung des Projekts über mehrere Jahrzehnte streckt. Aber Vorhaben dieser Art können das Land sehr viel reicher machen.

Regulierung der Volkswirtschaft

Solche gezielten, willentlichen Veränderungen der Umwelt über mittel- und langfristige Zyklen bilden die Grundlage der Wirtschaft. Aber die typischen Wirtschaftsprofessoren geben das nicht zu. Sie sind Anhänger von Liberalismus oder Neoliberalismus. Sie ignorieren die Wirklichkeit. Wirtschaftswissenschaft ist eine physikalische Wissenschaft und keine Statistik! Wir schaffen uns heutzutage Finanzsysteme, die keinerlei Gesetzen folgen - diese Leute sind verrückt!

Man muß die Wirtschaft regulieren. Es ist wie bei einem wilden Tier: Man darf es nicht aus dem Käfig lassen. Man reguliert ein Finanzsystem, man überwacht es genau, weil darin sonst höchstwahrscheinlich kriminell gehandelt wird.

Ein Beispiel: Der Familienbetrieb, der individuelle Landwirt, hat eine wichtige intellektuelle Rolle, und der individuelle Unternehmer als Betriebsleiter hat eine unverzichtbare Funktion in der Gesamtwirtschaft. Aber der einzelne Unternehmer und Landwirt kann nicht das Territorium der Nation kontrollieren, in der er arbeitet. Deshalb führen intelligente Regierungen Regeln und Mechanismen ein, um sicherzustellen, daß der Landwirt und Unternehmer geschützt wird und seine nützliche Rolle für die Gesellschaft erfüllen kann. Wir müssen dem Landwirt Kredit zur Verfügung stellen. Wir müssen ihm die Infrastruktur bieten. Ebenso dem Unternehmer.

Aber dabei geht es immer um physikalische Prinzipien. Die Entwicklung des Empirismus oder Liberalismus im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts in Europa war ein Versuch, die wahre Wissenschaft, wie sie Kepler verkörpert, zu zerstören.

1799 hat dann ein brillanter junger Mathematiker namens Carl Gauß seine Dissertation zum Fundamentalsatz der Algebra veröffentlicht, worin alle Grundannahmen des Empirismus oder Liberalismus widerlegt werden. Er untersuchte die Zahlen und bewies, daß die Zahlen nicht auf den "abzählbaren" Zahlen gründen, sondern daß das Zahlenfeld bestimmte modulare Eigenschaften hat, die geometrische Prinzipien enthüllen. Er bewies also mit dieser Methode vor allem - ähnlich wie in den Disquisitiones Arithmeticae - , daß Arithmetik an sich nicht existiert, sondern nur eine Mathematik, die Arithmetik und Geometrie einschließt.

Aber er fand noch mehr heraus. Er definierte den sog. komplexen Bereich. Er wies nach, daß es sich bei den der Mathematik zugrundeliegenden Prinzipien um universelle physikalische Prinzipien im gleichen Sinne wie der von Kepler entdeckten Gravitation handelt.

Mathematische Beweise an der Tafel sind also wertlos. Was zählt, ist, daß man die physikalischen Prinzipien kennt. Die Methode zur Vermittlung physikalischer Prinzipien, mit der wir physikalische Prinzipien entdecken, erzeugen und beweisen, ist die entscheidende Methode, um die Seele der Menschen anzusprechen.

Dies betrifft nun meinen eigenen Beitrag zur Wissenschaft. Was Gauß und andere wie Riemann nach ihm bewiesen, gilt nicht nur für die Physik, sondern - das ist meine These - auch für den Bereich der Ideen im Sinne der klassischen künstlerischen Komposition. Es ist entscheidend dafür, wie uns die klassische Dichtung lehrt, miteinander zu kommunizieren.

Das Zusammenwachsen Südamerikas

Damit ich komme zu dem entscheidenden Punkt, den ich im Zusammenhang mit der Integration des südamerikanischen Kontinents erklären möchte.

Jeder, der sich von Johann Sebastian Bachs Vertonung der Texte des Neuen Testaments über das Leiden und die Kreuzigung Jesus Christi inspirieren läßt, fühlt sich als ein geistiges Wesen - nicht als "Gespenst", sondern als geistiges Wesen im Universum. Man denkt daran oft im Bezug auf die Familie. Man denkt daran im Bezug auf unsere Sterblichkeit. Die Frage der Sterblichkeit und Unsterblichkeit ist auch ein wichtiges Thema der Militärwissenschaft.

Wofür würde man sein Leben opfern? Würde man damit den Sinn des Lebens erfüllen oder diese Erfüllung verhindern? Wir alle müssen sterben. Was bedeutet also das ganze Leben und Sterben? Um nichts anderes geht es im Christentum. Ein Christ ist ein Mensch, der mit der Idee der Passion und Kreuzigung Christi lebt - so wie Bach es in seinen Passionen vorstellt. Wofür würde Christus sein Leben geben? Um den Sinn des Lebens zu erfüllen, seine Mission.

Das ist es, was den Christen inspiriert: Die Überzeugung, daß unser sterbliches Leben eine Bedeutung, einen Sinn, eine Kontinuität über unseres sterbliches Leben hinaus hat. Deshalb ist die Erziehung für uns so wichtig. Wie vermitteln wir die Ideen, die wir aus der Vergangenheit erhalten haben, weiter an die, die nach uns kommen? Wie vermitteln wir die Entwicklung von Ideen, die die Kultur braucht, von einer Generation zur nächsten? Wie ehren wir das, was wir von denen erhielten, die vor uns lebten? Wie erfüllen wir unsere Verpflichtung an die, die nach uns kommen?

Das ist für uns nur in einer Weise realistisch: Nur über die Kommunikation, die sich auf die Form der Entdeckungen universeller physikalischer Prinzipien bezieht. Ein Menschenaffe kann etwas "lernen". Viele davon wären als Politiker geeignet! Aber ein Mensch kann Ideen vermitteln. Und Ideen sind keine Sinneseindrücke, keine Schatten. Es sind Prinzipien. Deshalb ist die klassische Kunst für uns so wichtig. Denn damit tauschen wir - statt bloßer, dummer Worte - Ideen untereinander aus. Deshalb ehren wir den Künstler, der so etwas vermag, den Komponisten oder ausführenden Künstler, als etwas besonders Wertvolles. Eine angemessene Aufführung von Bachs Matthäuspassion oder Johannespassion ist ein Beispiel dafür.

Das ist hier das Entscheidende. Wir müssen in diesem Bezugsrahmen, den ich beschrieben habe, miteinander sprechen. Wir müssen unsere Identität erkennen, wir müssen unsere Sterblichkeit und Unsterblichkeit in diesen Begriffen verstehen. Wir müssen uns daran erfreuen, was wir für die Zeit nach unserem Leben erschaffen. In diesen Begriffen müssen sich Menschen und Nationen gegenseitig sehen.

Wir denken daran, daß der Mensch so oft zu einem Tierdasein verurteilt wurde. Wir müssen entschlossen sein, die Zeiten zu beenden, wo nur einige wenige Menschen dazu qualifiziert waren, Nationen vor der Selbstzerstörung zu retten. Wir müssen unsere Nation und unser Volk so entwickeln, daß es keine Nation aus Anführern und Mitläufern mehr ist, sondern eine Nation, die ganz aus gegenwärtigen und zukünftigen Führungspersönlichkeiten besteht.

In diesem Zusammenhang müssen wir an die Integration denken. Und wir müssen auch anderen die Hand reichen. Es ist gewisser Hinsicht relativ leicht, sich dem wahren Judentum und dem wahren Islam anzunähern, weil sie sich alle nach dem gleichen "Drehbuch" richten: Sie alle akzeptieren die Vorstellung, daß der Mensch als Abbild des Schöpfers geschaffen ist.

Gegenwärtig droht ein großer Krieg, bei dem Asien beteiligt wäre. Im allgemeinen akzeptieren die Menschen in Asien nicht das jüdisch-christlich-moslemische Menschenbild. Sie bilden den bevölkerungsreichsten Teil der Welt. Wie können wir, die wir einerseits für eine Integration der Nationen, die sich christlich nennen, große Bemühungen unternehmen, auf der anderen Seite dem Rest der Welt die Hand reichen? Ich meine, es ist möglich. Wir dürfen nur keine Doktrinäre sein. Wir dürfen nicht versuchen, sie zum Katechismus zu bekehren. Wir müssen ihnen helfen, selbst anhand der eigenen Erfahrung zu erkennen, was die menschliche Natur ist. Und wir müssen uns strategisch darauf einigen, eine Gemeinschaft der Nationen auf diesem Planeten zu schaffen, in der die Menschen sinnvoll leben können.

Ich danke Ihnen dafür, daß Sie die Mühe eines solchen Dialoges in dieser Weise auf sich nehmen.

 

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