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Aus der Neuen Solidarität Nr. 6/2007
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Modell Bad Schmiedeberg
Wer weiß es nicht: Arbeitslosigkeit ist die Ursache zahlloser Probleme. Sie treibt
Menschen in eine Sinnkrise, in Krankheit, nicht selten in den Tod, sie schafft
Streit, sie gefährdet das Wohl der Kinder, zerstört Ehen, sie führt zu mehr
Kriminalität. Der soziale Frieden ist in Gefahr! Aber Arbeitslosigkeit ist auch
ein gewaltiger Kostenfaktor: Nach Berechnungen des IAB verursachte sie 2004
gesamtfiskalisch Kosten von 85 Mrd. Euro, die volkswirtschaftlichen Kosten
betrugen für 2004 pro Arbeitslosen 15.600 Euro. Vielleicht ist hier auch
anzufügen, daß der Etat der BA in Nürnberg, eine Institution mit 90.000
Mitarbeitern, 50 Mrd. Euro pro Jahr verschlingt. Und der Erfolg der insgesamt
gescheiterten Hartz-Gesetze ist verschwindend gering!
Kein Wunder, der DGB, die AWO, das Diakonische Werk und die BA selbst suchen neue
Konzepte, denn die Arbeitsagentur gibt riesige Summen aus für Ein-Euro-Jobs,
für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, für Weiterbildung, für Arbeitslosengeld I und
II, für Mietkostenzuschüsse.
Dies ist die Geburtsstunde des Pilotprojektes Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt.
Sein Ziel: Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren! Die Geburtshelfer
dieser Idee - bis jetzt ein Erfolgsmodell für die 4200-Seelen-Gemeinde: die
Arbeitslosenquote von 16% seit September wurde auf 6,8% gesenkt, Ziel quasi
Vollbeschäftigung - sind Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister R. Haselhoff und
der Chef der Regionaldirektion der BA, R. Bomba. Sie wagten es - alle Töpfe
zusammenzuführen war bisher gesetzlich nicht möglich -, das Pilotprojekt, bis
jetzt eine einjährige Laufzeit mit wissenschaftlicher Begleitung, zu starten,
und sie hoffen bei einem Erfolg auf eine bundesweite Ausdehnung. Sie bieten
nicht vermittelbare Tätigkeiten in sozialen Bereichen von Kirchen,
Krankenhäusern oder Vereinen an, unter der Bedingung: Es dürfen keine
sozialversicherungspflichtige Stellen verdrängt werden. Sie nennen dies
Bürgerarbeit, eine notwendige, bisher nicht bezahlbare Arbeit, der Lohn beträgt
monatlich rd. 835 Euro.
Die sozialen Auswirkungen sind wie Balsam für Menschen, die arbeiten wollen: Sie
fassen wieder Mut, sie werden wieder gebraucht, sie lernen, geregelter Arbeit
nachzugehen, sie haben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit
Arbeitnehmerrechten, das auf ihre Rente angerechnet wird. Zufrieden Annett
Raupacht: „Man ist kein Almosenempfänger mehr. Ich verdiene mein eigenes Geld.“
Aber zu prüfen ist der Einwand einer gelernten Näherin, die als
Ein-Euro-Jobberin Zigarettenkippen aufliest: Sie kommt monatlich „zwar nur auf
465 Euro, dazu gibt aber das Sozialamt noch 300 Euro für die Miete, das macht
zusammen 765 Euro. Vom Bürgerlohn blieben mir nur 600 Euro netto übrig, dazu
müßte ich auch noch die Miete zahlen."
Was ist das Besondere an dem Modell Bad Schmiedeberg? Von zwei ausgezeichneten
Fachleuten, dem amtierenden Arbeitsminister eines Bundeslandes und einem
Regionaldirektor der BA, wird das Schandgesetz Hartz IV bundesweit in Frage
gestellt, wird das Modell Bad Schmiedeberg in das öffentliche Bewußtsein
gerückt, die Suche nach bürgerfreundlichen Lösungen für das Arbeitslosenproblem
lebhaft verstärkt. Die elende Mißgeburt von Hartz IV und aller anderen, längst
völlig gescheiterten Hartz-Gesetze - ein Riesenfehlschlag, ausgeklügelt von den
neoliberalen Reformern, der Bertelsmann-Stiftung, Roland Berger, Mckinsey, die
dafür viele Millionen aus der Staatskasse eingesackt haben - hat allzu lange
den politischen Raum erfüllt mit dem Geruch der Verwesung. Wann endlich haften
diese katastrophalen Ratgeber für die unerträglichen Folgen ihrer
verhängnisvollen Ratschläge? Wann werden sie vor Gericht gestellt und büßen für
ihre Untaten? Sie und die Politiker - Schröder, Clement, Müntefering, die
rot-grüne Koalition, aber auch die CDU und die FDP, die den neoliberalen
Reformern auf den Leim gekrochen sind - tragen die Schuld, daß Millionen
Bürger, Frauen und Kinder in das Elend der Armut gestürzt wurden. Wie Prof. Dr.
Zuck, ein maßgeblicher Stuttgarter Jurist, formuliert hat: „Hartz IV ist ein
menschenverachtendes Projekt!" Wir von der Montagsdemo Stuttgart fordern:
Hartz IV, das Schandgesetz, muß weg, endlich und schnell! Warum? Hartz IV ist
ein Schandfleck unserer Demokratie!
Eugen E. Ungerer