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Aus der Neuen Solidarität Nr. 9/2007
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Studenten protestieren gegen Studiengebühren
Ob das höchste Gericht, das
BVerfG in Karlsruhe, sich ausmalen konnte, welche Proteste, welche Empörung
unter Studierenden, Eltern, Lehrern... ihr Urteil vom 26.01. 2005 gegen ein
bundesweites Studiengebührenverbot auslösen wird? Ein bundesweiter Protest, bis
4.000 Menschen, in Karlsruhe die Hauptkundgebung in Sichtweite des BVerfG:
Trillerpfeifen, Straßenbahnverkehr in der Innenstadt lahmgelegt, Gleise und
Kreuzungen besetzt, Demonstranten eingekesselt, eine Vielzahl von Platzverweisen,
drei Demonstranten festgenommen, Protestmarsch zum BVerfG von der Polizei
gestoppt: die Studenten beschließen, die Abgabe der Studiengebühren zu
boykottieren, sie auf ein Treuhandkonto zu überweisen - Proteste à la Frankreich?
Aber unnachgiebig, knallhart
und technokratisch klingt die Drohung aus unserem Wissenschaftsministerium:
Wer boykottiert, wird rigoros exmatrikuliert! Wer ist dieser Mann? Prof. Dr. Frankenberg, der Wissenschaftsminister. Weil die
Studierenden aber überall Unterstützung bekommen, Solidaritätsbekundungen von
Eltern, von J. Stober (MdL, SPD), der IG-Metall, vor allem von der GEW - sie
wird zum Schutzpatron der Schüler, der Studierenden -, greift Herr Frankenberg
die GEW scharf an und wirft ihr vor: „Beihilfe zum Rechtsbruch“ Ein großes und
fragwürdiges Wort! Wer weiß nicht, Studiengebühren sind sozial ungerecht, ein
Unrecht an jungen Menschen, volkswirtschaftlich kontraproduktiv?
Aber warum hält Prof. Frankenberg
- das ist die entscheidende Frage! - so krampfhaft fest an Studiengebühren?
Nach einigem Suchen im Internet fand ich die überraschende, sofort alles
erklärende Antwort: Unser Wissenschaftsminister Frankenberg ist Beirat im CHE,
dem Centrum für Hochschulentwicklung, einer so genannten Denkfabrik der Bertelsmann-Stiftung:
Herr Frankenberg, CDU, ist also ein Bertelsmann - wohl ein trojanisches Pferd
in der baden-württembergischen Landesregierung? -, ein unermüdlicher
Erfüllungsgehilfe der neoliberalen Ideen von R. Mohn, z.B. der Missgeburt von
Hartz IV, der Agenda 2010, der Elitehochschulen, der Evaluationen, besonders
der Studiengebühren... Von einem solchen Bertelsmann. Herrn Frankenberg, stammt
der verräterische Satz, den er Rainer Dahlem in einem Brief schrieb:
„Befolgung von Gesetzen steht in einem Rechtsstaat nicht zur Disposition
Betroffener." Ist das etwa Gesetzesfetischismus?
In einem demokratischen Land
- Baden-Württemberg hat mit L. Uhland, Carlo Schmid und unserem Friedrich
Schiller eine alte demokratische Tradition - sollen also Hunderttausende
betroffener Bürger/innen ein ungerechtes Gesetz, das der Bertelsmann
Frankenberg maßgeblich gefordert hat, das das Studium ihrer Kinder gefährdet,
stillschweigend ertragen?
Nein, die Studierenden samt
ihren Eltern klagen vor Gericht: Bis zum 11. Jan. 2007 sind beim Freiburger
Verwaltungsgericht 487 Klagen eingegangen, in Stuttgart zwischen 1700 und 1800,
in Karlsruhe bislang 90, beim Verwaltungsgericht Sigmaringen 110 Klagen (Badische
Zeitung). Nicht genug. Der Münsteraner Verwaltungsjurist W. Achelpoehler
führt in seinem Rechtsgutachten aus: Die Einführung von Studiengebühren sei
verfassungswidrig, er sieht den Gleichheitsgrundsatz, den Vertrauensschutz für
bereits Immatrikulierte, auch die Rechte von Ausländern verletzt.
Wer wollte nicht anerkennen,
wenn Rainer Dahlem, der Landesvorsitzende der GEW von Baden-Württemberg,
aufrecht, offen, kritisch, in Karlsruhe „von einer weiteren Verschärfung der
sozialen Schieflage in Deutschland sprach?“ Wenn Herr Frankenberg sich
erdreistet, nach dem Demokratieverständnis der Gewerkschaften zu fragen, so
ist das der Gipfel der Unverschämtheit: Ist es nicht gerade der Bertelsmann
Frankenberg, der sich höchst bemüht, das Hochschulwesen zu privatisieren, es
von dem - angeblichen -Würgegriff des Staates zu befreien, es als fette Beute
der Profitgier der Konzerne vorzuwerfen? Aber in Art.7,1 GG steht: Das gesamte
Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates. Ist das nicht ein Verstoß
gegen Art.7,1 GG? Wir sind gerade Zeugen des Sturmangriffs auf die öffentlichen
Hochschulen. Sie sind keine Dienstleister, die Waren verkaufen, unsere
Studierenden keine Kunden: Bildung ist ein Bürger- und Menschenrecht! Vom Volk
geht alle Staatsgewalt aus: Art. 20,2 GG: Die Bürger fordern Chancengleichheit,
Mitbestimmung, ein demokratisches Bildungswesen, keinen Wirtschaftsbetrieb!
Eugen Ungerer, Stuttgart