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Aus der Neuen Solidarität Nr. 10/2008

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Wie die lombardischen Banken das Finstere Zeitalter des 14. Jahrhunderts auslösten

Dieser Artikel ist ein Auszug aus einer umfassenderen Abhandlung über dieses Thema, die in der Winterausgabe 1995 im Magazin Fidelio unter dem Titel „Wie Venedig den ersten und schlimmsten allgemeinen Finanzkollaps manipulierte“ erschien. Die vollständige Fassung (in englischer Sprache) finden Sie auf der Internetseite des amerikanischen Schiller-Instituts www.schillerinstitute.org

Die Banken der Familien Bardi, Peruzzi und Acciaiuoli und weitere Banken insbesondere in Florenz und Siena wurden alle um 1250 gegründet. In den neunziger Jahren des 13. Jahrhunderts wuchsen sie dramatisch - sowohl an Größe wie an Habgier - und wurden durch Aufnahme neuer Partner reorganisiert. Das waren Adelsfamilien der „Schwarzen Guelfen“ (Welfen), jener aristokratischen Landbesitzer in Norditalien, die der Regierung des Heiligen Römischen Reichs stets in erbitterter Feindschaft gegenüberstanden.

Karl der Große hatte schon 500 Jahre zuvor erkannt, daß von Venedig eine nicht geringere Gefahr ausging als von den marodierenden Wikingern, und er hatte einen Boykott organisiert, mit dem er Venedig zum Wohlverhalten gegenüber seinem Reich zwingen wollte. Um 1300 war Venedig das Zentrum der Schwarzen Guelfen, die Dante und seine Gesinnungsgenossen aus Florenz vertrieben. Um Dantes De Monarchia entgegenzuwirken, wurden in Norditalien die Werke einer ganzen Reihe von politischen Theoretikern verbreitet, die das „ideale Regierungsmodell Venedigs“ anpriesen und sich alle auf Aristoteles’ Politik beriefen: Bartolomeo von Lucca, Marsiglio von Padua und Enrico Paolino von Venedig.

Der gleiche „Putsch“ ließ die Banken der Bardi, Peruzzi und anderer Familien der Schwarzen Guelfen plötzlich zu „Superunternehmen“ anschwellen, die zwei oder dreimal so groß waren wie zuvor. Machiavelli beschreibt, wie die Schwarzen Guelfen bis 1308 praktisch überall in Norditalien herrschten - außer in Mailand, das weiter zum Heiligen Römischen Reich hielt und der wirtschaftlich am weitesten entwickelte und politisch mächtigste Stadtstaat des damaligen Italien war...

Ein Jahrhundert zuvor, um 1180, hatte der venezianische Doge Ziani Feindseligkeiten zwischen den beiden Führern der Christenheit - dem Papst und dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Friedrich Barbarossa - provoziert. Ziani vermittelte dann ganz nach venezianischer Art persönlich den „Frieden von Konstanz“ zwischen dem Papst und dem Kaiser. Der Doge veranlaßte seinen Feind, Kaiser Friedrich, seine Silbermünzen aus Italien zurückzuziehen und den italienischen Städten das Prägen eigener Münzen zu gestatten. In den hundert Jahren nach 1183 verschaffte sich Venedig dann eine außergewöhnliche, fast vollkommene Kontrolle über den Handel mit Gold- und Silbermünzen und Goldbarren zwischen Europa und Asien... Venedig zerstörte und ersetzte den europäischen Silbermünzstandard der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, die Silbermünzen des Byzantinischen Reichs und schließlich, in den Jahrzehnten vor dem Finanzkrach in den 40er Jahren des 14. Jahrhunderts, sogar den berühmten „Gold-Florentiner“. Dieser Krach ruinierte alle Finanzmächte Europas - außer Venedig.

Abtretung der königlichen Einnahmen

Die Bankiers der Schwarzen Guelfen in Florenz haben den Monarchen nicht einfach Geld geliehen und dann eine Rückzahlung mit Zinsen erwartet. Tatsächlich wurden „offiziell“ meist gar keine Zinsen verlangt, da Wucher unter Christen als Sünde und als Verbrechen galt. Vielmehr banden die Banken ihre Kredite, wie heute der Weltwährungsfonds, an „Konditionen“. Die wichtigste Bedingung war die Abtretung der königlichen Einnahmen direkt an die Banken - der deutlichste Hinweis, daß den Monarchen die Souveränität gegenüber den „Piraten“ der Schwarzen Guelfen fehlte. Da im Europa des 14. Jahrhunderts wichtige Güter wie Nahrungsmittel, Wolle, Kleidung, Salz, Eisen etc. nur mit königlicher Lizenz und Besteuerung produziert wurden, führte die Kontrolle der Banken über die königlichen Einnahmen zunächst zur Bildung privater Monopole zur Produktion dieser Güter und dann zur „Privatisierung“ und Kontrolle der Regierungsfunktionen durch die Banken.

Bis 1325 beispielsweise besaß die Peruzzi-Bank die gesamten Einnahmen des Königreichs Neapel (der Südhälfte Italiens mit den damals produktivsten Getreideanbaugebieten des gesamten Mittelmeerraums). Sie rekrutierten und betrieben die Armee des Königs Robert von Neapel, sie erhoben dessen Zölle und Steuern, sie ernannten die Beamten seiner Regierung, und vor allem verkauften sie das gesamte Getreide seines Königreichs. Sie verleiteten Robert zu ständigen Kriegen, um Sizilien zu erobern, da die Insel über Spanien mit dem Heiligen Römischen Reich verbündet war. So wurde Siziliens Getreideanbau, der von den Peruzzi nicht kontrolliert wurde, durch den Krieg dezimiert.

König Roberts Verwandtschaft in Ungarn, Könige aus dem Haus Anjou, hatten ihr Reich in der gleichen Zeit in ähnlicher Weise an die Florentiner Banken „privatisiert“. In Frankreich waren die Peruzzi Partner (Gläubiger) der Hausbankiers von König Philipp IV., der berüchtigten „Biche“ und „Mouche“ (Albizzo und Mosciatto Guidi).

Die Bardi und Peruzzi, bei denen Investitionen und Erträge stets im Verhältnis 3:2 standen, „privatisierten“ auch die Einnahmen von Edward II. und Edward III. von England, finanzierten den Haushalt des Königs und monopolisierten den Verkauf englischer Wolle. Anstatt Zinsen auf diese Kredite zu zahlen, gab Edward III. den Bardi und Peruzzi zusätzlich zur Überschreibung seiner Einkünfte große „Geschenke", die als „Kompensationen“ für die Mühen bezeichnet wurden, die ihnen die Finanzierung seines Haushaltes angeblich bereitete. Als Edward versuchte, italienischen Händlern und Bankiers die Ausfuhr ihrer Gewinne aus England zu untersagen, investierten sie ihre Gewinne in Wolle und stapelten riesige Mengen davon in den „Klöstern“ des Ritterordens der Hospitaler (Johanniter), die ihre Schuldner, politischen Verbündeten und Partner bei der Monopolisierung des Wollhandels waren.

Es waren die Vertreter der Bardi, die Edward III. den Wollboykott vorschlugen, der die flandrische Textilindustrie ruinierte - denn um 1340 war dies die einzige Möglichkeit, den Wollpreis weiter zu steigern, in dem verzweifelten Versuch, Edwards Einkünfte, die den Bardi und Peruzzi vollständig überschrieben waren, zu erhöhen. Schon 1325 kontrollierten die Genueser Banken den größten Teil der königlichen Einnahmen des Königreichs Kastilien (im heutigen Spanien), dem zweiten Wollproduzenten Europas.

In den ersten Jahren des Hundertjährigen Krieges, der 1339 begann, zwangen die Florentiner Banken England einen Wechselkurs auf, der ihre Währung, den Gold-Florentiner, gegenüber der englischen Münze um 15% überbewertete. Edward bekam also nun 15% weniger für seine monopolisierte Wolle. Edward versuchte, sich dagegen zu wehren, indem er einen englischen Florentiner prägen ließ. Aber die von den Florentinern organisierten Händler wiesen diese Münze zurück, und er mußte nachgeben. Dadurch provozierten die Bardi und Peruzzi faktisch selbst den berühmten Bankrott Edwards III. und demonstrierten seinen völligen Mangel an Souveränität...

In Italien selbst gaben die Bankiers große Kredite an Landwirte, Händler und andere Landbesitzer, oft in der Absicht, in den Besitz ihres Landes zu gelangen. Das führte in den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts zur weiten Verbreitung der berüchtigten Praxis der „ewigen Pacht“, bei der die Landwirte den Pachtwert ihres Landes für die Dauer ihres Lebens errechneten und diesen Pachtwert an die Bank verkauften, um ihre Ausgaben zu finanzieren, womit praktisch garantiert wurde, daß sie das Land an die Bank verlieren würden. Wie der Historiker Raymond de Roover gezeigt hat, waren die Praktiken der Banken des 14. Jahrhunderts, auch wenn sie darin das offene Verbrechen des Wuchers vermieden, weit schlimmer als Wucher.

Ruin der ländlichen Gebiete

In den italienischen Stadtstaaten selbst wurde im frühen 14. Jahrhundert ein immer größerer Anteil der Einnahmen aus den Primärsteuern (die Gabelle oder Verkaufs- und Verbrauchssteuer) an die Banken und andere Investoren der Schwarzen Guelfen abgetreten. Ab etwa 1315 schafften die Guelfen die Einkommenssteuer (Estimi) in der Stadt ab, erhöhten sie jedoch für die ländlichen Regionen, in denen sie ihre Autorität durchgesetzt hatten. So bezahlten die Bankiers, Händler und wohlhabenden Aristokraten der Guelfen keine Steuern, sondern vergaben vielmehr ihrerseits Kredite (Prestanze) an die Regierungen der Städte und Gemeinden. In Florenz beispielsweise wuchs der effektive Zins auf diesen Monte (den „Berg“ von Geld) bis 1342 auf 15%; die Schulden der Stadt betrugen 1,8 Millionen Goldflorentiner. Gegen diesen Wucher gab es keine Beschwerden des Klerus. Die Gabelle waren auf sechs Jahre im voraus an die Gläubiger vergeben. An diesem Punkt kündigte Herzog Walter von Brienne, der damals für kurze Zeit Diktator von Florenz war, sämtliche Einkommensüberschreibungen an die Banken (d.h. er machte, wie vor ihm Edward III., bankrott).

Auf diese Weise wurden die ländlichen Anbaugebiete Italiens in der ersten Hälfte des Jahrhunderts entvölkert und ruiniert. In der fruchtbaren Agrarregion Pistoia um Florenz, wo die Bevölkerungsdichte bis 1250 auf etwa 60-65 Personen pro Quadratkilometer angestiegen war, war sie bis 1340 auf etwa 50 Menschen pro km2 gesunken. Um 1400, 50 Jahre nach der großen Pest, lag sie bei 25 Menschen pro km2. Die Hungerkatastrophen von 1314-17, 1328-29 und 1338-39 waren also keine „Naturkatastrophen“.

Einige der berühmten Banken der Toskana waren schon in den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts gescheitert: die Asti in Siena, die Franzezi und die Gesellschaft der Scali in Florenz. In den dreißiger Jahren machten die größten Banken (außer den Bardi) - die Peruzzi, Acciaiuoli und Buoncorsi - Verluste, und sie bewegten sich aufgrund des Rückgangs der Produktion von lebensnotwendigen Gütern, die sie monopolisiert hatten, auf den Bankrott zu. Sie wurden von der Krebsgeschwulst ihrer eigenen Spekulationen aufgefressen. Die Acciaiuoli und Buoncorsi, die die Bankiers der Päpste gewesen waren, bevor sie Rom verließen, machten 1342 bankrott, als die Stadt Florenz und Edward III. ihre Zahlungen einstellten. Die Peruzzi und Bardi, damals die größten Banken der Welt, gingen 1345 zugrunde. Der gesamte Finanzmarkt Europas und des Mittelmeerraums war erschüttert - mit Ausnahme der viel kleineren Bankiers der Hanse in Norddeutschland, die niemals zugelassen hatten, daß die italienischen Banken und Handelsgesellschaften in ihren Städten aktiv wurden.

Schon 1340 hatte eine unbekannte tödliche Seuche (nicht die Pest) bis zu 10% der städtischen Bevölkerung in Nordfrankreich dahingerafft; auch in Florenz starben 15.000 der damals knapp 100.000 Einwohner. 1347 begann dann die Beulen- und Lungenpest, die schon in China zehn Millionen Menschen getötet hatten, ihren Siegeszug durch Europa.

Paul Gallagher

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