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Aus der Neuen Solidarität Nr. 38/2008

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Die SPD muß sich der Realität stellen

Deutschland. Das Problem der SPD sind nicht die Intrigen innerhalb der Parteiführung, sondern die programmatische Ausrichtung der letzten Jahrzehnte, mit der die Partei den Bedürfnissen der großen Mehrheit der Bevölkerung den Rücken gekehrt hat.

Nun gut, es hat Intrigen gegen Kurt Beck gegeben, und deshalb ist er vorzeitig vom Parteivorsitz der SPD zurückgetreten. Aber Intrigen hat es mindestens seit Herbst 2005 gegeben, die erste große lief direkt nach der vorgezogenen Bundestagswahl, kostete Franz Müntefering den Vorsitz und brachte der grün-linken Strömung eine ganze Reihe von Führungsposten in der Partei. Matthias Platzeck kam dann als Kompromißkandidat in den Vorsitz, wurde aber zwischen den verschiedenen Strömungen, die sich weiterhin erbittert bekämpften, zerrieben und mußte seinen Posten schon nach wenigen Wochen wieder räumen - eben für Kurt Beck, einen weiteren Kandidaten, der von vielen in der Partei auch nur als Übergangslösung gedacht war. Jetzt ist Müntefering auf den Vorsitz zurückgekehrt, ohne daß er alle Parteiströmungen hinter sich hätte. Während dieser seit nun schon fast drei Jahren anhaltenden Personaldebatte ist die Partei in der Wählergunst weiter abgesackt, liegt  laut Umfragen im Saarland sogar hinter der Linkspartei und verliert nach wie vor Mitglieder.

Der Verfall der SPD zu einer 20-Prozent-Partei hat natürlich auch mit den Persönlichkeiten in der Führungsetage zu tun, aber die eigentliche Ursache ist die Abkehr der Partei von ihrer früheren Rolle als Vertretung und Stimme eines großen Teils derjenigen 80 Prozent der Bevölkerung, deren Einkommen durchschnittlich, also niedrig ist.

Die erste Phase dieser Abkehr war die Vergrünung der SPD in den späten siebziger und in den achtziger Jahren, verstärkt durch rot-grüne Regierungsbildungen, deren Grundlage stets die Opferung weiterer klassischer Interessen der industriellen Arbeitnehmer gewesen ist. Die Tragik der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 war, daß deren Kanzler Gerhard Schröder 1997, ehe er Kanzlerkandidat der SPD wurde, noch öffentlich sagte, mit den Grünen könne man ein großes Industrieland wie  Deutschland nicht regieren. Nach sieben verlorenen Jahren, in denen er es eigentlich hätte besser wissen sollen, kehrte Schröder zu dieser Ansicht zurück und beschloß vorgezogene Neuwahlen und damit ein Ende des rot-grünen Experiments.

Die zweite Tragik der Ära Schröder war die Entscheidung für die Agenda 2010 und vor allem für Hartz IV. Dies trieb der neuen Linkspartei massenhaft Mitglieder und Wähler zu - allerdings erst nach der Bundestagswahl von 2005. Bei dieser Wahl zeigte sich nämlich, daß die SPD noch Potential besitzt, wenn sie es nur nutzt. Im April, vier Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, gab der damalige SPD-Parteivorsitzende Müntefering den Anstoß zur Debatte um die „Heuschrecken,“ also um die notwendige Regulierung der Hedgefonds, die unter der großen Mehrheit der Bevölkerung populär war - wie die BüSo in ihren tagtäglichen Straßeneinsätzen mit vielen Gesprächen mit den Bürgern schon Wochen vor Münteferings Attacke gegen die „Heuschrecken“ feststellen konnte.

Schröder machte sich das Thema zueigen für den Bundestagswahlkampf, und er setzte sich auch in der offiziellen Regierungspolitik dafür ein, gewisse Regulierungen und Kontrollen im globalen Finanzsystem einzuführen. Das wurde zwar von Bush und Blair blockiert, aber der Kanzler und die SPD machten in der bundesdeutschen Öffentlichkeit Boden gut, und die Sozialdemokraten konnten im September zwar nicht gewinnen, aber einen deutlichen Wahlsieg der Merkel-CDU, die einen Wahlkampf mit neokonservativen Forderungen führte, verhindern, und zwangen so den Christdemokraten die große Koalition auf.

Hierauf nun hätte die SPD aufbauen sollen, aber einer Reihe von links-grünen Sozialdemokraten der jüngeren Generation schien es wichtiger zu sein, ihre eigenen Karrierepläne durchzuboxen und mit Müntefering auch die Heuschreckendebatte zu opfern. Die „Netzwerker“, die jetzt zahlreiche Parteiposten besetzten, sind Anhänger des englischen Fabianismus, also Leute, die an den großen Problemen nichts ändern, sondern nur an einigen der offensichtlichsten Auswüchse des Systems etwas ausbessern wollen. Die Forderung nach einer neuen und gerechten Weltwirtschaftsordnung ist für diese Leute so weit weg wie der Mond, da ist ihnen die Windmühle oder das Sonnenzellendach im eigenen Dorf wichtiger.

Andrea Ypsilanti, die übrigens in Frankfurt ihren Wohnsitz und damit die Krise im Bankenzentrum direkt vor der Haustür hat, aber sich dazu gar nicht äußert, ist ein Musterbeispiel für diesen provinzsozialistischen Irrweg, und solange sich hier nichts ändert, ist es auch ziemlich unwichtig, wer an der Spitze der Partei steht. Es gibt keine Alternative zwischen der Position Steinmeiers, der unbedingt an der Agenda 2010 festhalten will, und der Position der vergrünten  Parteilinken, die lediglich eine Umverteilung der Haushaltsmittel hin zur Ökologie wollen. All das ist eine Weigerung, die große und beherrschende Realität des Weltfinanzkollapses zur Kenntnis zu nehmen, und es geht auch an den Interessen der Wähler vorbei.

Eine wachsende Zahl von Wählern will nämlich endlich überzeugende Antworten auf die Frage, wie man aus dem Kollaps wieder herauskommt, und gegen die Kette von Bankzusammenbrüchen seit Juli 2007 helfen weder Windmühlen noch Agenda 2010. Eine wachsende Zahl von Wählern will auch erfahren, wann in Deutschland endlich wieder Kernkraftwerke gebaut werden können, aber die SPD weigert sich hysterisch, das Atom zu akzeptieren, und deshalb ist schon fast abwegig, von der Partei zu erwarten, daß sie sich in diesen Wochen an ihr atomfreundliches Parteiprogramm von 1958 erinnert. Zwei Buchstaben fehlen im Parteialphabet der SPD völlig: A für Atom und Z für Zukunft. Zwischen der SPD und den französischen Sozialisten liegen Welten nicht nur in der Atomfrage, sondern auch in der Frage der längst überfälligen Grundreform des Weltfinanzsystems - worüber ja auf der jüngsten Sommerakademie der Sozialisten in La Rochelle diskutiert wurde (siehe Bericht in der Neuen Solidarität der vorigen Woche).

Die außenpolitischen Pluspunkte, die der „Schröderianer“ Steinmeier in die Kanzlerkandidatur mitbringt, werden in den kommenden kritischen Wochen und Monaten nicht aufwiegen können, was an politischen und wirtschaftlichen Destabilisierungen in Europa und weltweit droht, solange die wesentlichen Fehlentscheidungen weiterhin im Finanzzentrum London getroffen werden.

Dieses Problem muß dringend gelöst werden, und an diese Debatte muß die SPD heran. Statt mit Grünen und Linken über Bündnisse und Koalitionen zu verhandeln, sollte die SPD lieber den Dialog mit der BüSo beginnen, denn da gibt es ein ganzes Bündel kreativer Konzepte zur wirklichen Lösung der großen Probleme, und die Sozialdemokraten kämen so zu einer realistischen Tagesordnung, die sie im Augenblick nicht haben.

                Rainer Apel

 

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