Nr. 16, 15. April 2009
Alle staatliche Gewalt geht vom Volke aus
Unser Leser Karl-Hermann Dittmar aus Bad Arolsen verfaßte
den folgenden Offenen Brief an den Bundesverfassungsrichter Prof. Udo di Fabio.
Frankfurt 1848 und Weimar 1919 sahen das Volk
selbstverständlich als Verfassungsgeber. Lissabon beschreitet gefährliche Wege
fort vom Volk. Gerade dafür schuf der Parlamentarische Rat das
Bundesverfassungsgericht.
Sehr geehrter Herr Verfassungsrichter Prof. Udo di Fabio,
Sorgen um Demokratie in unserm Land treiben den Bürger
Karl-Hermann Dittmar, Historiker, 81, zu diesem Brief. Ich vertraue Ihrer
Weitsicht und führe Folgendes in aller Kürze aus.
- Der „Reformvertrag von Lissabon“ ist eine Verfassung.
Kein geringerer als der Präsident des vormaligen EU-Verfassungskonvents,
Giscard d'Estaing, sagte 2007, beide Texte seien zu 95 % inhaltlich identisch.
- Aber nur das Volk selbst besitzt seit 1789 und
gemäß Montesquieu (Vom Geist der Gesetze, 1748) das Recht der
Verfassungsgebung - pouvoir constituant -, nicht aber die
Volks-Vertretung. Das sagt das Grundgesetz mit dem Satz „Alle staatliche Gewalt
geht vom Volk aus“ (Art. 20 GG, geschützt durch Art. 79, 3 GG).
- Exekutive Gesetzgebung durch Kommissare ist lt. Art. 20 GG
ebenfalls illegal.
Ohne Gewaltenteilung sind wir wieder beim ancien régime,
mit allen daraus fließenden Reaktionen im Volk. Zur Sicherung des Rechtsstaates
auch in der Notstandsgesetzgebung wurde deshalb mit Absatz 4 zum Art. 20 GG das
Widerstandsrecht formuliert.
EU-Europa ist kein Staat
- Es kann also keine Verfassung und keine Quasi-Verfassung
haben. Es gibt kein europäisches Volk und es gibt kein europäisches
Staatsgebiet. Der Hilfsbegriff „Euroland“ kennzeichnet das deutlich. Die
Grenzen der EU sind variabel. Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik bleiben
als fundamentale Säulen bei den Staaten. Trotz Quasi-Verfassung von Lissabon
fehlt der EU also auch die Potestas der Staatsgewalt.
- Man nannte die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie
„Völkergefängnis“ angesichts der vielen Ausbruchsversuche, die letztlich zu „Sarajewo“
und Weltkrieg führten. Konstruieren wir mit „Lissabon“ Ähnliches?
Kompetenz-Kompetenz hat unabsehbare Folgen.
- Die gegenwärtige finanz-ökonomische Großkrise zeigt, daß
die Brüssel-EU keine Krisenbewältigungsmittel vorzuweisen hat. Diese bekommt die
EU auch nicht mit „Lissabon“. Schlimmer noch: die Mitgliedstaaten als
Krisenbewältiger werden durch Rechtsentzüge weniger effektiv und handlungsfähig.
Aus alledem ergibt sich: Der Lissabonvertrag ist nicht legal
und ohne Nutzen. Sie wägen mit das Schicksal der Europäer in Ihrer Hand. Ich
bitte, das Obige zu bedenken. Aus Verantwortung vor der Geschichte schreibt
Ihnen dieses der citoyen
Karl-Hermann Dittmar
OStR i.R., Bad Arolsen
P.S.: Die o. a. Verfassungswerte als Lehren aus der
Geschichte vermittelte ich ein Berufsleben lang meinen Schülern.