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Neue Solidarität
Nr. 26, 24. Juni 2009

Leserbrief zu „60 Jahre Grundgesetz“

In seinem Artikel „60 Jahre Grundgesetz“ zeigt der Autor Hans Peter Müller seinen leidenschaftlichen Einsatz für die Volkssouveränität und die republikanische Staatsform. Allerdings möchte ich die Darstellung, daß Bismarck in der Verfassung des Norddeutschen Bundes und dann des Reiches, keine Volkssouveränität wünschte, nicht kommentarlos stehen lassen.

Richtig ist, daß Bismarck immer am monarchistischen Prinzip festhielt. Ob dies allerdings aus Überzeugung oder aus Einsicht in politische Notwendigkeit geschah, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings sehe ich keine Möglichkeit, wie damals alle Fürstenhäuser, zumal das preußische, hätten abgeschafft werden können. Leider kommt in dem Artikel zu kurz, wie zutiefst oligarchisch die deutsche Nation, so wie jede Nation Europas war und ist. Die Art wie die Regenbogenpresse über die diversen europäischen Adelshäuser berichtet und damit Millionenauflagen erzielt, spricht für sich.

Die politische Realität der Zeit Bismarcks war, daß er sich, um Deutschlands Einheit zu erreichen, mit den diversen Fürstenhäusern arrangieren mußte. Nichts wäre mir lieber, als die Abschaffung der Oligarchie in Europa, allerdings wird dazu mehr nötig sein, als eine geschriebene Verfassung, denn Papier ist bekanntlich geduldig. Das eigentliche Problem ist doch kultureller Art. Heinrich Manns Der Untertan aus dem schicksalhaften Jahr 1914, mit dem mich mein Deutschlehrer vor Jahren quälte, trifft leider auch auf die heutige Zeit noch zu. Es gibt in Deutschland kein republikanisches Bürgerwesen. Wir können auch nicht erwarten, daß wir es von irgendwelchen Oligarchen geschenkt kriegen.

Auch wurde in dem Artikel das Hambacher Fest von 1832 erwähnt, welches auch in der offiziellen Geschichtsschreibung der gesamten Nachkriegszeit eine prominente Stellung inne hat. Jedoch möchte ich an Heinrich Heines Ludwig Börne erinnern, in welchem Heine als Zeitzeuge über das Hambacher Fest schreibt. Als es zur „Kompetenzfrage“ kam, ob nämlich die Versammlung zu Hambach tatsächlich kompetent sei, für ganz Deutschland die Volkssouveränität auszurufen, wurde dies durch die Versammlung selbst verneint. Heine wünschte den Fürstenkindern weiter einen gesunden Schlaf, da sie von diesen Deutschen nichts zu befürchten hatten.

Ich kann mir genau so, wie der Autor des Artikels, eine echte Volkssouveränität vorstellen, allerdings bedarf diese eine völlige Abkehr von der populären Vorstellung, „die da oben machen eh, was sie wollen“, hin zu echter Verantwortlichkeit jedes einzelnen Bürgers. Dazu gehört eine gesunde Abscheu gegen alles, was Oligarchie ist. So lange das nicht gegeben ist, kann ich einem Realpolitiker, wie Bismarck, den ich für den größten Kanzler halte, den Deutschland je hatte, keinen Vorwurf machen.

Daniel Buchmann, Berlin

Der Autor antwortet

Vielen Dank für die Zuschrift. Um mit dem letzten Satz Daniel Buchmanns zu beginnen: ich schon, d.h. ich muß Bismarck diesen Vorwurf machen. Denn Bismarck war aktiv daran beteiligt gewesen, den Souverän, das Volk, in der Revolution von 1848 niederzuhalten, ihm sozusagen eine eigenständige Politik auszutreiben. Zwar nur als kleiner Landjunker, aber doch entschlossen für seinen Souverän, den preußischen König, mit Waffengewalt einzugreifen, womit er „seinem“ späteren Kaiser Wilhelm I., der damals den Spitznamen „Kartätschenprinz“ bekam, in nichts nachstand.

Bei seiner nachfolgenden Tätigkeit als gewählter Vertreter im preuß. Landtag wurde Bismarck einer breiteren Öffentlichkeit als ausgesprochen reaktionärer Vertreter der preußischen Monarchie und des Junkertums bekannt.

So kann man es nur als eine ausgesprochene Selbsttäuschung bezeichnen, anzunehmen, Bismarck habe nur aus taktischen Gründen auf die deutschen Fürstenhäuser Rücksicht genommen, „eigentlich“ sei er für die Volkssouveränität gewesen. Sein Souverän blieb bis zu seinem Tod der preußische, bzw. deutsche Monarch.

Mit seiner Karriere nach 1848 erweiterte sich zwar sein Gesichtskreis und er wurde entsprechend flexibler, seine grundsätzliche Einstellung aber blieb die alte. Seine Frankfurter Tätigkeit zeigte ihm, daß, wollte Preußen in Deutschland gegenüber Österreich die Oberhand gewinnen, es die anderen deutschen Staaten und die öffentliche Meinung auf seine Seite bringen mußte. Ersteres erklärt die Präambel der Verfassung von 1867 bzw. 1871 („Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen...“, woran sich die Aufzählung der  Fürsten als gleichberechtigte Stifter der Verfassung anschließt.). Bei letzterem, der geschickten Benutzung der öffentlichen Meinung, war sicherlich das Beispiel der französischen Napoleone (I. und III.) für Bismarck ein Faszinosum wichtigster Art. Eine Karikatur von 1862 im Kladderadatsch brachte das vorausschauend auf den Punkt: In dieser Karikatur mit der Überschrift „Lehrer und  Schüler“ macht Bismarck als Botschafter seinen Abschiedsbesuch bei Napoleon III., der ihn mit den ermunternden Worten entläßt: „Zeigen Sie, daß man bei mir etwas lernen kann.“

In seinen Lebenserinnerungen teilte Carl Schurz 1907 der Öffentlichkeit mit, daß ihm Bismarck bei ihrer Unterredung 1868 anvertraute, er sei eigentlich instinktiv „für die Sklavenhalter als die aristokratische Partei“ gewesen, was jedoch angesichts von „Überlieferung und... wohlverstandenem eigenen Interesse“ seine Politik gegenüber den Vereinigten Staaten in keiner Weise beeinflußt habe.

Das hört sich realistischer an als manch anderes, was damals auch verbreitet wurde. So ließ sich der US-Botschafter in Berlin (1867-1874), George Bancroft, 1867 zu dem schwadronierenden Unsinn hinreißen, allen Ernstes vom preußischen König als dem „Präsidenten der Vereinigten Staaten von Norddeutschland“ zu sprechen. Wer diese Aussage als bare Münze für die Beurteilung der damaligen Zeitläufte nimmt, darf sich nicht wundern, wenn sein historisches Urteil getrübt bleibt.

Ein letztes Wort, und zwar zu Bismarcks Sozialpolitik  Die in den 1880er Jahren „bewilligten“ Sozialgesetze hatten, ganz abgesehen von ihrem taktischen Kalkül, letzten Endes zwar die Form von Gesetzen, bedurften zu ihrer Initiierung aber der Zustimmung des Monarchen, d.h. seiner „Gnade“. Für uns Heutige aber sind die Leistungen von Sozialgesetzen nicht Ausdruck irgendeiner „Gnade“, sondern Rechte, auf die die arbeitende Bevölkerung einen wohlverdienten Anspruch hat.

Hans Peter Müller