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Neue Solidarität
Nr. 31, 29. Juli 2009

Deutschland braucht eine andere Politik:
Warum ich als Kanzlerkandidatin kandidiere!

Von Helga Zepp-LaRouche

Zu Beginn des Bundestagswahlkampfs veröffentlicht die Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin der Bürgerrechtsbewegung Solidarität, Helga Zepp-LaRouche, das folgende Grundsatzpapier.

„Die Mehrheit?

Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,
Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
um Brod und Stiefel seine Stimm verkaufen,
Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen,
Der Staat muß untergehen, früh oder spät,
Wo Mehrheit siegt, und Unverstand entscheidet.“
Friedrich Schiller: „Demetrius“,
Erster Aufzug, Erste Szene, Sapieha.

Wenn Deutschland eine katastrophale Zukunft erspart werden soll, dann brauchen wir dringend eine fundamentale Richtungsänderung in der Politik. Gerade weil die Krise ihre Ursachen in den Spielregeln der Globalisierung hat, einem System, das dabei ist, vollkommen zusammenzubrechen, und heute bankrotter ist, als es die DDR im November 1989 war, verschlimmern wir die Sache nur, wenn wir uns weiter diesen Regeln unterwerfen, so wie es die Bundestagsparteien bisher alle getan haben, nicht zuletzt, indem sie den Rettungspaketen für den Giftmüll der Banken zugestimmt haben.

Ich kandidiere als Kanzlerkandidatin, weil Deutschland unter die Räuber gefallen ist, und die Bürger das Gefühl haben, daß es eigentlich niemanden gibt, an den sie sich wenden können. Und ich kandidiere deshalb, weil es einen Ausweg gibt.

Warum die EU nicht funktioniert

Allerdings ist es notwendig, mit einer realistischen Lagebeurteilung zu beginnen. Wenn wir heute die strategische Machtkonstellation in der Welt betrachten, muß man leider feststellen, daß weder Deutschland, noch Europa, was mögliche Initiativen zur Überwindung der Krise angeht, entscheidende Faktoren sind. Im wesentlichen ist dies der Politik von Margret Thatcher, Francois Mitterrand und George Bush Sr. zu danken, die Deutschland als Preis für ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung zwangen, mit der D-Mark seine Währungssouveränität aufzugeben und sich der europäischen Währungsunion und dem Diktat der Kriterien des Maastrichter Vertrags zu unterwerfen.

Aber auch für die anderen Mitgliedsstaaten der EU haben die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza sowie der Stabilitätspakt vorwiegend negative Konsequenzen. Denn die EU-Kommission folgt mit ihrer uneingeschränkten neoliberalen Freihandelspolitik vollständig den Vorgaben der City of London, und damit dem Paradigma, das für die Krise verantwortlich ist. Daß London zwar die Politik Europas bestimmen will, sich selber aber weigert, sich von Brüssel in die Karten gucken zu lassen, ist gewissermaßen Tradition des Britischen Empire.

Mit den Maastrichter Kriterien und dem Stabilitätspakt hatten sich die Nationen Europas einer Selbstknebelung unterzogen, die sie daran hinderte, staatliche Kredite für produktive Investitionen zu schöpfen, was über einen längeren Zeitraum eine unnötig hohe Arbeitslosigkeit zur Folge hatte. Daß genügend Geld da war, ist nach den dreistelligen Milliardenbeträgen, die für Banken und Spekulanten inzwischen ausgegeben wurden, ja wohl außer Frage; lächerliche zwei bis drei Milliarden für den Bau der Transrapid-Strecke in München waren aber nicht aufzutreiben!

Inzwischen hat die Finanzkrise jedoch die Unausführbarkeit dieser restriktiven Politik demonstriert. Eine ganze Reihe heiliger Kühe der freien Marktwirtschaft wurde inzwischen geschlachtet, ohne daß der freie Fall der Realwirtschaft aufgehalten worden wäre: Banken wurden verstaatlicht, Konjunkturprogramme aufgelegt, Rettungsschirme gespannt, Konjunkturpakete geschnürt, Bad Banks gegründet, und so fort. Alle diese Maßnahmen wurden nicht von Brüssel ergriffen, sondern von nationalen Regierungen.

Aber solange sich die europäischen Nationen in dem Korsett einschnüren lassen, das mit dem Prozeß der EU-Verträge seit Maastricht begonnen hat, haben sie sich selber der Mittel und Wege beraubt, ihr eigenes Schicksal zu gestalten. Rund 85% der Gesetze werden seit geraumer Zeit in Brüssel, und nicht in den Hauptstädten gemacht. Wie sehr sich die Bundestagsabgeordneten als Vasallen eines Empires verstehen, wurde schlagend durch die Abstimmung vom 24. April 2008 bewiesen, als 515 Abgeordnete einem Begleitgesetz „Über die Stärkung und Ausweitung der Rechte des Bundestages und Bundesrates“ zustimmten, das, anstatt diese Rechte zu stärken, dieselben an Brüssel übertrug. Es bedurfte des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe vom 30. Juni 2009, um die Grundgesetzwidrigkeit des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes festzustellen und den Bundestag zu einer Neuformulierung dieses Gesetzes zu verdonnern! Was ist von Abgeordneten zu halten, die so leichtfertig ihre wichtigste Funktion, nämlich ihre in Artikel 38 des Grundgesetzes festgelegte Aufgabe als Volksvertreter, an eine supranationale Bürokratie abzugeben, die keinem einzigen Wähler Rechenschaft schuldig sind?

Wir befinden uns in einer Zusammenbruchskrise, die das unmittelbare Potential hat, zur schwersten Krise in der Geschichte der Menschheit zu werden. Eine von Europa initiierte Lösung ist solange nicht zu erwarten, solange die Regierungen ihre Währungssouveränität an eine unabhängige Europäische Zentralbank abgegeben haben, die sich inzwischen an dem gleichen „quantitative easing“ - sprich „Geld drucken“ - und Aufkaufen von Giftmüll beteiligt, wie die Fed und die Bank of England. Die EZB ist fest dem neoliberalen Paradigma von Brüssel verpflichtet.

Als Bundeskanzlerin würde ich mich für ein starkes Europa der souveränen Republiken einsetzen, die gemeinsam für die gemeinsamen Ziele der Menschheit eintreten.

Wer könnte eine neue Finanzstruktur durchsetzen?

Woher also könnte eine wirksame Initiative für die Überwindung der Krise kommen? Die jüngsten Konferenzen der G8, G20 und der BRIC haben demonstriert, daß es in diesen Kombinationen von Staaten ebenfalls nicht möglich war, eine Lösung für die Krise zu verwirklichen.

Deshalb bleibt trotz aller offensichtlichen Schwierigkeiten der Vorschlag von Lyndon LaRouche die einzige Lösung: daß nur die vier größten Nationen der Welt, nämlich die USA, Rußland, China und Indien gemeinsam in der Lage sind, die Verwirklichung einer neuen Finanzarchitektur, eines neuen Bretton-Woods-Systems, auf die Tagesordnung zu setzen, zu denen sich dann andere souveräne Nationen gruppieren können. Keine andere Kombination von Staaten hat genügend Macht oder den politischen Willen, sich der internationalen Finanzoligarchie entgegenzusetzen. Für diese These gibt es einen sehr einfachen Beweis: Trotz der verschiedenen Konferenzen von G8, G20 und BRIC geht die Kasino-Wirtschaft weiter, obwohl seit Ende Juli 2007 die Zusammenbruchskrise ununterbrochen eskaliert. Trotz der enormen Einbrüche bei der Realwirtschaft weltweit hat sich nichts geändert; Verbriefungsmarkt, Hedgefonds, innovative Finanzinstrumente, Steueroasen, Hochrisiko-Geschäfte - alles geht weiter wie zuvor. Offensichtlich hatten die Regierungen entweder nicht die Macht oder nicht den Willen, sich diesen Finanzinteressen entgegenzustellen.

Ob es zu dieser Zusammenarbeit der vier genannten Staaten kommen wird, hängt primär vom Ausgang der Auseinandersetzung in den USA ab. Wenn es Lyndon LaRouche gelingt, in dieser Krise, in der 48 von 50 Staaten in den USA praktisch insolvent sind und die unmittelbare Gefahr besteht, daß die Landesregierungen wegen Geldmangels funktionsunfähig werden, patriotische Kräfte zur Zusammenarbeit zu mobilisieren, um die Tradition der Politik Franklin D. Roosevelts zu aktivieren, dann ist eine solche Perspektive realistisch. Im Augenblick wächst der Widerstand in den USA gegen den Versuch der Obama-Administration, eine brutale Kürzung der Gesundheitsversorgung nach den britischen Vorbildern von NICE und QALY („qualitätsgewichtete Lebensjahre“) durchzusetzen, die ihrerseits am Vorbild der Euthanasie-Praxis Hitlers („Tiergarten 4“) orientiert sind.

In Rußland ist die Erinnerung an eine Zusammenarbeit zwischen den USA und Rußland im Zweiten Weltkrieg sehr positiv besetzt. Der frühere Präsident Putin sprach wiederholt von der Notwendigkeit eines New Deal für Rußland, und in keinem Land wurde des 125. Geburtstages von Franklin Roosevelt so ausführlich in Feierlichkeiten gedacht, wie eben in Rußland. Wenn die amerikanische Regierung Rußland das Angebot machte, in der Tradition Roosevelts bei der Überwindung der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise zusammenzuarbeiten, wäre eine Zustimmung gewiß.

Wenn es zu einer solchen Kooperation zwischen den USA und Rußland käme, wäre kein Land erleichterter, als China. Der wirtschaftliche Kollaps der USA hat für China wegen seiner Abhängigkeit vom amerikanischen Exportmarkt dramatische Folgen, die nur beendet werden können, wenn die USA und Rußland gemeinsam die Wirtschaftskrise mit der gleichen Politik des New Deal überwinden, mit der Roosevelt die USA in den dreißiger Jahren aus der Depression hinausgeführt hat. Wie ich bei einem Besuch in New Delhi im Dezember 2008 in zahlreichen Gesprächen mit hochrangigen Politikern und Institutionen feststellen konnte, würde sich Indien einer Kombination von USA, Rußland und China sofort anschließen.

Lyndon LaRouche hat in seinem Internetforum vom 27. Juni hervorgehoben, daß die jüngsten Vorschläge von einigen Politikern bzw. Instituten in Rußland und China, den Dollar durch andere Währungen als Reservewährung zu ersetzen, weniger einer grundsätzlichen Haltung entspringt, als vielmehr einer Verzweiflung über die bisherige Politik der Obama-Administration, die sich seit dem G20-Gipfel Anfang April in London durch nichts von der Politik des Britischen Empire unterscheidet. Daß viele Staaten unter diesen Bedingungen verzweifelt nach Möglichkeiten des Überlebens suchen und dabei anfällig für inkompetente Berater werden, liegt in der Natur der Sache.

In dem Augenblick, in dem ein ernsthaftes Signal aus den USA kommt, zu den antikolonialistischen Absichten Roosevelts zurückzukehren, wäre der Weg für eine Lösung beschritten.

Die zuweilen ausgedrückte Furcht in Europa, man wolle nicht schon wieder eine Situation, in der die USA unilateralistisch alles bestimmen wollen, reflektiert eine weit verbreitete Unkenntnis über die Geschichte, und zwar sowohl der Geschichte des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gegen das Britische Empire als auch die Tradition der Unabhängigkeitserklärung von 1776 als rotem Faden in der amerikanischen Geschichte von den Gründervätern über John Quincy Adams, Abraham Lincoln, Franklin D. Roosevelt, Martin Luther King bis zur LaRouche-Bewegung heute. Grundlage dieser Politik ist die Idee einer Allianz vollkommen souveräner Nationalstaaten, die durch die gemeinsamen Ziele der Menschheit miteinander verbunden sind. Sie besteht in einer völligen Zurückweisung jeglicher Formen von Imperialismus und Kolonialismus. Wenn die USA ein solches Kooperationsangebot an Rußland, China und Indien in der Tradition Roosevelts machen, wären sie eben nicht mehr das Amerika der Regierungen Bush und Obama auf dem jetzigen Irrweg, sondern das Amerika der amerikanischen Verfassung.

Die genannte Furcht reflektiert aber auch eine Unkenntnis über die deutsche Geschichte, vor allem die Beziehung Bismarcks zu der Wirtschaftspolitik Lincolns, die die Transformation Deutschlands von einem Feudalstaat zu einer der modernsten Industrienationen bedeutete. Deutschland schaffte diesen Sprung, dem wir seitdem unseren Wohlstand verdanken, weil seit Bismarcks Reformen das angewandt wurde, was zuvor Friedrich List als das „amerikanische System“ im Unterschied zum „britischen System“ der Ökonomie bezeichnet hat.

Wenn die BüSo im Bundestag wäre, würden wir uns für eine produktive Kreditschöpfung einsetzen, wo z.B. die KfW, die in der Wiederaufbauperiode nach dem Vorbild von Roosevelts Reconstruction Finance Corporation aufgebaut worden war, staatliche Kredite für produktive Investitionen ausgeben würde, um produktive Vollbeschäftigung zu verwirklichen.

Die Zusammenbruchskrise eskaliert

Fallen Sie nicht auf Märchen herein: Wenn jetzt dieselben Politiker und Ökonomen, die auch bisher verläßlich in ihren Prognosen daneben lagen, versprechen, daß „die Talsohle erreicht“ oder gar „grüne Sprößlinge“ eines kommenden Aufschwungs sichtbar seien, dann ist dies reine Zweck-Propaganda. Entweder kommen solche Aussagen von Leuten, die einfach mit der Kasino-Wirtschaft so weiter machen wollen wie bisher, oder sie stammen von Politikern, die einfach nur irgendwie ohne größere Beunruhigung der Wähler bis zum Bundestagswahltermin am 27. September kommen wollen. Ob sich die Realität aber an Wahltermine und Politikerwünsche in Deutschland halten wird, ist mehr als fraglich.

Wenn es bei den jetzt im Bundestag vertretenen Parteien bleiben sollte, droht nach der Wahl auf jeden Fall brutalste Sparpolitik, die den Lebensstandard von jedem einzelnen empfindlich treffen werden. Die Lage auf den internationalen Finanzmärkten ist so angespannt, daß schon der kleinste Fehler zu einer neuen Phase von Einbrüchen führen kann. Die Chance, daß es bis Ende Oktober nicht zu einem noch viel größeren Crash kommen wird, ist äußerst gering. Sehr bald werden auf jeden Fall alle die Flickwerk-Lösungen an ihr Ende kommen, von der Abwrackprämie bis zur Kurzarbeit. Mit einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit weit über die offiziell für das nächste Jahr prognostizierten 5,1 Millionen ist zu rechnen. Da die Aufträge bei den deutschen Autobauern, beim Maschinenbau und der Exportwirtschaft in den letzten Monaten um 30 bis 50% eingebrochen sind, werden die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden erhebliche Verluste erleiden, und viele öffentliche Aufgaben nur vermindert oder gar nicht mehr wahrgenommen werden können.

Genau in dieser Erwartung brüstet sich der Vorstand der privaten Rhön-Kliniken damit, daß dieser Konzern bereits eine Kriegskasse von 1 Milliarde (!) Euro angesammelt habe, um gegen Jahresende, wenn viele Gemeinden wegen gesunkener Steuereinnahmen das Geld für die Betreibung ihrer öffentlichen Krankenhäuser nicht mehr hätten, diese zu übernehmen.

Es wird unter den gegebenen Umständen keine Erholung geben, sondern einen dramatischen weiteren Absturz, weil die verantwortlichen Regierungen in den inzwischen zwei Jahren (!) seit dem Ausbruch der Krise Ende Juli 2007 zwar enorme Mengen von Liquidität - schätzungsweise um die 20 Billionen Dollar - in das Finanzsystem gepumpt haben, um den Giftmüll, die unverkäuflichen Wertpapiere zu honorieren, aber im wesentlichen nichts getan haben, um die Ursachen für die Krise zu beseitigen.

Wenn ein Flugzeug abstürzt oder ein Zug entgleist, folgen immer ausführliche, manchmal jahrelang dauernde Analysen der Unfallursachen, in denen akribisch untersucht wird, welche Faktoren eine Rolle gespielt haben und wo Schwachstellen lagen, die ausgebessert werden müssen, damit ähnliche Unfälle in der Zukunft vermieden werden können. Erstaunlicherweise ist aber im Fall dieser Zusammenbruchskrise, die weit über die große Depression hinausgeht und schon enorme Kapazitäten in der Realwirtschaft weltweit zerstört hat, bisher von offizieller Seite keine Ursachenanalyse erfolgt, die auch nur annähernd diesen Namen verdienen würde.

Der Grund liegt offensichtlich darin, daß sich einige Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordnete selber untersuchen müßten, inwieweit sie die Interessen der Finanzmärkte in Deutschland - und dies gewiß nicht zu ihrem persönlichen Nachteil - durchgesetzt haben. Inzwischen haben selbst die TV-Programme „Report“ und „Monitor“ einen identischen Bericht über eine Person gebracht, dessen Karriere zum Synonym für die Deregulierung und Öffnung des deutschen Finanzsektors für Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften geworden ist.

Der erst 43 Jahre alte Jörg Asmussen blickt immerhin schon auf eine dreizehnjährige kontinuierliche Laufbahn im Finanzministerium zurück, die ihn vom Referenten bis zum Staatsekretär führte, ganz gleich, ob der Minister Waigel, Lafontaine, Eichel, oder Steinbrück hieß. Zu seinen Leistungen gehört u. a. die Mitarbeit am Zustandekommen der Lobbyorganisation „True Sale International“(TSI), mit der der Ausbau des Verbriefungsmarktes in Deutschland begann, als auch die Aufnahme der Forderung nach Abschaffung von „überflüssigen Regulierungen“ in den Koalitionsvertrag von 2005. Asmussen saß sowohl im Gesellschafterbeirat von TSI, als auch im Aufsichtsrat der IKB, die im amerikanischen Immobiliengeschäft über 6 Milliarden Euro Verluste machte und dann nach einer erheblichen Kapitalaufstockung durch Steuergelder für eine Spottsumme an die amerikanische Heuschrecke Lone Star verkauft wurde.

Außerdem saß er als Vertreter des BMF im Verwaltungsrat der BaFin und sitzt jetzt im Lenkungsausschuß des Bankenrettungsfond SoFFin, der über die Vergabe von Steuergeldern an marode Banken entscheidet, und im „Wirtschaftsfond Deutschland“, der ohne parlamentarische Kontrolle darüber entscheidet, welche Unternehmen Staatsbürgschaften erhalten. Asmussen war auch mit der Vorbereitung des G20-Gipfels in London beauftragt und sitzt jetzt in einer Expertengruppe von sechs Mitgliedern, die Vorschläge für neue Finanzmarktregeln machen soll.

In einem Beitrag, den Asmussen für die Juli-Ausgabe für die Zeitung der Washingtoner Denkfabrik CSIS, The Quarterly Review, schrieb, läßt er keinen Zweifel, daß er alles beim Alten lassen will: „Das zukünftige Finanzsystem muß auch weiterhin global und vernetzt sein und auf offenem globalem Handel und freien Kapitalströmen über die Grenzen hinweg beruhen. Große, komplexe Finanzinstitute werden weiterhin in mehreren Rechtssystemen operieren, um den Bedürfnissen ihrer großen globalen Kunden gerecht zu werden...“

Auch wenn Asmussen dann „robust regulations“ fordert, gehört er definitiv zu der Gruppierung von Personen, die zwar ein paar Korrekturen propagieren, aber nur, damit das System wesentlich erhalten bleibt.

Könnte es wohl sein, daß Asmussen ein Agent der Finanzoligarchie ist? Wenn etwas geht wie ein Bär, aussieht wie ein Bär, frißt wie ein Bär und riecht wie ein Bär, ja vielleicht ist es dann ein Bär?

Und so ist es kein Wunder, daß die Kasino-Wirtschaft schon wieder in vollem Gange ist, wenn im Berliner Finanzministerium „innovative Finanzinstrumente“ nach wie vor positiv gesehen werden. Statt Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften zu verbieten, fordert Frau Merkel nur „mehr Transparenz“, der Verbriefungsmarkt ist wieder voll im Schwung, Herr Ackermann verspricht schon wieder Renditeraten von 25%, die nur im Hochrisikobereich zu erreichen sind. Der amerikanische Versicherungskonzern AIG, der insgesamt 180 Milliarden Dollar an Steuergeldern geschluckt hat, zahlt schon wieder Boni in mehrstelligen Millionenbeträgen aus, und in London heißt es „BAB“ (Boni are back). Der nächste, noch dramatischere Crash ist für sehr, sehr bald vorprogrammiert.

Wenn sich das alles nur im Bereich von Monopoly abspielen würde, könnte man ja sagen, „laß´ die einen zocken, und die anderen arbeiten und haben ein menschliches Leben“. Aber leider haben die Zockermentalität und die Haltung ihrer Sympathisanten unter den Politikern Konsequenzen im realen Leben: sie vernichten Existenzen und verkürzen Menschenleben.

Eine Untersuchungskommission ist notwendig

In dem Augenblick, in dem die BüSo in den Bundestag gewählt ist, wird sie eine Untersuchungskommission in der Tradition der Pecora-Kommission einrichten, die nach dem Crash von 1929 untersuchte, welche kriminellen Elemente wie Insider-Trading, Korruption, und Marktmanipulationen eine Rolle spielten. Pecora hatte die Macht, die Topbanker unter Strafandrohung vorzuladen und zu befragen. Den Bericht über diese Verhöre veröffentlichte er in dem Buch Wall Street unter Eid. Auf Grundlage dieser Untersuchung war es Franklin D. Roosevelt dann möglich, Gesetze wie das Glass-Steagall-Gesetz zu verabschieden, die es öffentlichen und Geschäftsbanken bei Strafe verboten, sich in Spekulationen zu engagieren.

Die neue Pecora-Kommission muß u. a. untersuchen, wer für die diversen Deregulierungen verantwortlich war, ob bei Geschäften wie dem sogenannten „cross-border leasing“, also dem Verkauf von kommunaler Infrastruktur an internationale Investoren, nur Inkompetenz vorlag, oder betrügerische Absicht, ob es in der deutschen Politik auch das „Drehtür-Problem“ gibt, wie z. B. zwischen Washington und New York, wo Politiker in den Finanzsektor wechseln und umgekehrt. Eine Fragestellung wäre, ob bei der Verwendung dreistelliger Milliardenbeträge von Steuerzahlergeldern zur Rettung von Banken, die angeblich „systemrelevant“ sind, diese Systemrelevanz darin bestehe, daß der Giftmüll dieser Banken gewissen Ansprüchen bestimmter Kategorien von Privatanlegern entspricht, oder darin, daß das „System“ der Kasino-Wirtschaft weiter gehen soll? Endresultat der Untersuchung müssen Gesetze sein, die all dem einen Riegel vorschieben.

Der Zickzack-Kurs von Peer Steinbrück, der einerseits Gordon Brown „groben Keynesianismus“ vorwarf, dann maroden Banken die Steuermilliarden hinterherwarf, nur um dann „Bad Banks“ zu erlauben, und als dies immer noch nichts half, vorschlug, der Staat solle selber Kredite an die Industrie vergeben, um dann, von Inflationsangst geplagt, der Verankerung einer Schuldenbremse im Grundgesetz zuzujubeln, zeigt entweder grobe Inkompetenz oder sogar bösen Willen. Danach sollen die Länder ab 2020 so gut wie überhaupt keine Schulden mehr machen dürfen, die Verschuldung des Bundes soll auf 0,35% des Bruttoinlandproduktes (BIP) begrenzt werden. Daß der Bund dann so gut wie keinen Spielraum mehr für Kredite für öffentliche Aufgaben, für Infrastruktur, für Bildungsinvestitionen etc. hätte, scheint ihn, der mit den Bankenrettungspakten die größte Neuverschuldung Deutschlands zu verantworten hat, und die anderen Abgeordneten, die für die Schuldenbremse gestimmt haben, nicht zu beunruhigen. Völlig kontraproduktiv ist auch die gerade rechtzeitig zum Wahlkampf losgetretene Debatte um die Rentengarantie versus Gerechtigkeit für die Jungen: So wie jetzt die Politik im Interesse der Finanzmärkte ausgerichtet ist, werden weder die Alten noch die Jungen etwas haben. Von Realwirtschaft haben diese Leute keinen blauen Dunst.

Der springende Punkt bleibt, ob es gelingen wird, die jetzige Krise zu überwinden. Dies wird von der Bereitschaft der oben genannten und weiterer Staaten abhängen, aus der Insolvenz des Systems der Globalisierung den einzig möglichen Schluß zu ziehen, nämlich dieses System einem Insolvenzverfahren zu unterziehen, den Giftmüll der Banken aus den Büchern zu streichen und das bankrotte monetäre System durch ein Kreditsystem zu ersetzen, bei dem es ausschließlich um den Aufbau der physischen Wirtschaft geht.

Interessanterweise hat nun auch der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere, die internationale Wirtschaftskrise mit dem Ende der DDR verglichen. Für viele Westdeutsche handele es sich um eine Krise im System, viele Ostdeutsche empfänden die Finanzkrise dagegen als Krise des Systems. „Wir haben das Gefühl, das fühlt sich ganz ähnlich an, wie das, was wir schon einmal erlebt haben“, stellte er fest. So ist es.

Genau dies habe ich schon 1989/ 90 prognostiziert, als ich davor warnte, auf die damals bankrotte kommunistische Wirtschaft einfach die im Prinzip ebenfalls bankrotte freie Markwirtschaft überzustülpen. Damals warnte ich, es würde dann sicher möglich sein, einige Jahre durch primitive Akkumulation Reichtum aus den früheren Comecon-Staaten und der sogenannten Dritten Welt als Stätten der Billigproduktion abzuziehen, aber dann würde es zu einem nur um so dramatischeren Kollaps kommen. Genau an diesem Punkt befinden wir uns heute.

Die Gefahr eines neuen Faschismus

Inzwischen wird von diversen Individuen und Publikationen zugegeben, daß die heutige Krise in ihrer Schwere und Tragweite weit über die große Depression der dreißiger Jahre hinausgeht. Deshalb ist nichts irreführender als die Formulierung „nach der Krise“ müsse dies und jenes geschehen. Denn die Frage ist, mit welcher Politik wir auf die Krise reagieren, und da stellen sich im Prinzip die gleichen Alternativen wie in den dreißiger Jahren, wenn auch mit Unterschieden: Entweder die Folgen der Krise werden durch eine massive Kürzung des Lebensstandards auf die Bevölkerung abgewälzt, in der Tradition des Prozesses, der von der Müller-Regierung über Brüning bis hin zu Schacht und Hitler führte, oder wir wählen die Politik von Roosevelt, der die USA in den dreißiger Jahren mit Hilfe des New Deals aus der Depression herausgeführt hat.

Wenn die Politik nicht geändert wird, droht die Krise in dramatischer Weise viel schlimmer zu werden als in den dreißiger Jahren, weil wegen der Globalisierung alle Marktsegmente der Weltwirtschaft eng miteinander verflochten sind. Seit Ende Juli 2007 sehen wir, wie sich das „Klumpenrisiko“ der Kasino-Wirtschaft voll niederschlägt: Was durch den Kollaps des sogenannten zweitrangigen Immobilienmarktes in den USA ausgelöst wurde, führte nicht nur zu einer weltweiten Bankenkrise, es hatte auch enorme Einbrüche der Realwirtschaft und beim Welthandel zur Folge, von dem kein einziges Land auf der Welt verschont blieb.

Dank Allan Greenspans Geschenk der „innovativen Finanzinstrumente“ sitzen die Banken weltweit auf schätzungsweise 1,5 Billiarden (1.500.000.000.000.000) Dollar Giftmüll. Dies ist jedenfalls die von Jacques Attali, dem ehemaligen Berater von Francois Mitterand, genannte Zahl, der auch vor einem planetarischen Weimar 1923 warnte. Die Kombination von zunächst Deflation und dann weltweiter Hyperinflation mit kaum vorstellbaren Konsequenzen für Welthunger und Pandemien, von denen die Schweinegrippe nur die momentan offensichtliche ist, würde zur Unregierbarkeit führen. Schon heute ist die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, Kalifornien, nicht mehr weit davon entfernt, wenn die meisten Banken nicht mehr die von der Regierung ausgestellten Schuldscheine (IOUs) akzeptieren und unverzichtbare Sozialprogramme gestrichen werden. Weit über die Konsequenzen der großen Depression der dreißiger Jahre droht ein Absturz ins Chaos, in dem die Weltbevölkerung sehr schnell um einige Milliarden schrumpfen könnte.

Eine Parallele zu den dreißiger Jahren besteht allerdings auch darin, daß damals wie heute die internationalen Kartelle und Finanzkonglomerate, die Hausmacht der Finanzoligarchie, faschistische Lösungen für die Krise unterstützen. Damals waren es der Korporatismus Mussolinis und die Schachtsche Sparpolitik Hitlers. Schon 1971 sagte der Ökonom Aba Lerner 1971 in einer Debatte am Queens College in New York mit Lyndon LaRouche: „Hätten die Parteien in den dreißiger Jahren Hjalmar Schachts Politik akzeptiert, dann wäre Hitler gar nicht nötig gewesen.“ Heute ist Schacht offensichtlich weitgehend akzeptiert. Denn nichts anderes bedeutet es, wenn die Interessen der Banken und Spekulanten auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung durchgesetzt werden.

Es gibt kein unwertes Leben!

Unter der Schockwirkung der Greueltaten der Nationalsozialisten war es in den ersten Nachkriegsjahrzehnten ein internationaler Konsens, daß es nie wieder Euthanasie geben dürfe. „Never again“ und „Wehret den Anfängen“ waren für lange Zeit die Formeln, die für diese Verpflichtung standen. In der Phase des Wiederaufbaus aus den Trümmerfeldern war trotz anfänglichen Mangels der Vektor der Entwicklung optimistisch. Ein enormer Aufbauwille der deutschen Bevölkerung und eine auf richtigen Prinzipien basierende Wirtschaftspolitik führten in wenigen Jahren zum weltweit bewunderten deutschen Wirtschaftswunder. In dieser Zeit entwickelte sich das deutsche Gesundheitssystem zu einem der besten weltweit. Gleichzeitig wurden in der UNO die sogenannten Entwicklungsdekaden diskutiert, die mit der Idee verbunden waren, daß die Unterentwicklung der Entwicklungsländer durch die Entwicklung von Landwirtschaft und Industrie einmal überwunden werden könnte.

Aber schon in den sechziger Jahren begann der politische, kulturelle und ökonomische Wertewandel, in dem letztlich die Ursachen für die heutige weltweite Systemkrise zu finden sind. 1968 kam es nicht nur zu der nach dieser Jahreszahl benannten Bewegung, 1968 wurde auch eine der wichtigsten Organisationen, die diese Verschiebung der Werte - gewissermaßen als PR-Firma der internationalen Oligarchie - in Gang setzte, gegründet, der Club of Rome. Mit enormen Mitteln wurden weltweit Bücher in Umlauf gebracht, die die bisherige Überzeugung, daß das Problem der sogenannten Dritten Welt in der Unterentwicklung liegt, durch die Idee ersetzte, die Überbevölkerung sei das eigentliche Problem. Die These von den „Grenzen des Wachstums“ und der angeblichen Begrenztheit der Ressourcen und des Wachstums wurde verbreitet.

Obwohl die MIT-Professoren Meadows und Forrester, die Autoren dieses Buches, später zugaben, daß sie ihre Computermodelle so geschrieben hatten, daß das gewünschte Ergebnis von vornherein feststand, und daß sie bewußt den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt als das Element, das bestimmt, was ein natürlicher Rohstoff ist, aus dem Modell herausgelassen hatten, war der Boden für die Entstehung der Ökologie-Bewegung bereitet. Innerhalb weniger Jahre war der Mensch nicht mehr das schöpferische Individuum, das mit Hilfe wissenschaftlicher Entdeckungen und ihrer Anwendung im Produktionsprozeß die Lebenserwartung und -qualität stetig erhöhen kann. Schritt für Schritt verschob sich das Menschenbild zu einem die Umwelt belastenden, ressourcenverbrauchenden Faktor, dessen Zahl besser reduziert werden solle.

Auf der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Bukarest, an der ich 1974 teilnahm, wurde die dort von John D. Rockefeller III. vertretene These von der angeblichen Überbevölkerung noch von allen NGOs als „Rockefeller-Baby“ verlacht. Aber die Wirkung des im gleichen Jahr von Henry Kissinger, dem damaligen Nationalen Sicherheitsberater Richard Nixons, verfaßten Memorandums „NSSM 200“ tat ein übriges, um die internationale Meinung zu diesem Thema zu manipulieren. In diesem Memorandum wurde schlicht und einfach der Anspruch erhoben, die natürlichen Ressourcen auf der Welt gehörten zu den strategischen Sicherheitsinteressen der USA, und diese hätten das Recht, die Regierungen in den relevanten Ländern zu beeinflussen, ihre Bevölkerung notfalls auch durch den Einsatz der Nahrungsmittelwaffe zu reduzieren.

Anfang der achtziger Jahre hatten die weltweiten Propagandafeldzüge von Organisationen wie dem Club of Rome, dem World Wildlife Fund, der Trilateralen Kommission, den Bilderbergern und einer Unzahl anderer oligarchischer Denkfabriken bereits eine solche Wirkung auf das öffentliche Bewußtsein, daß das Prinzip der Unantastbarkeit des Lebens und der Menschenwürde für alle Menschen auf diesem Planeten schon weitgehend einem Kosten-Nutzen-Denken Platz gemacht hatte. Die These von der Überbevölkerung und der Ressourcenknappheit hatten ein darwinistisches, latent rassistisches Umdenken in weiten Bevölkerungsteilen bewirkt.

Das Recht auf Leben

Dagegen gründete ich 1982 als explizite Gegenorganisation den Club of Life, der das Ziel hatte und hat, das christlich-humanistische Menschenbild zu verteidigen, das den Menschen durch seine schöpferische Vernunftbegabtheit von allen anderen Lebewesen unterschieden sieht. Der von mir hochgeschätzte Nikolaus von Kues, Begründer der modernen Naturwissenschaften und des modernen souveränen Nationalstaates, definiert den Menschen in seinen Schriften als „imago viva dei“, als lebendiges Abbild Gottes, der die vornehmste Fähigkeit des Schöpfergottes nachahmt und die Schöpfung dadurch fortsetzt.

Die unantastbare Menschenwürde resultiert aus dieser einzigartigen Eigenschaft des Menschen, die Nikolaus von Kues „vis creativa“ nennt, und die den Menschen zur „capax dei“ befähigt, zu der Fähigkeit, durch seine kreative Tätigkeit an Gott teilzuhaben. Aus diesem Grund ist der Mensch wirklich die „Krone der Schöpfung“, wie es im Buch 1:26 der Genesis ausgedrückt ist, und nicht nur der Verwalter der Natur oder ein höherentwickelter Affe. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das durch seine kreativen Erkenntnisse über die Gesetze des physischen Universums immer wieder wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt bewirken kann. Wenn dieser Fortschritt im Produktionsprozeß angewendet wird, steigt die Produktivität von Arbeitskraft und Produktionskapazitäten, und das Bevölkerungspotential sowie die Lebensqualität und -dauer steigen.

Aus diesem Menschenbild, zu dem noch die Fähigkeit des Menschen zur uneigennützigen Nächstenliebe - „agape“ - und der freie Wille hinzukommen, ergibt sich das unveräußerliche Recht auf Leben des Menschen in allen Stadien seiner Existenz. Die einzige Institution, die dieses Menschenrecht schützen kann, ist der souveräne Nationalstaat, der dem Gemeinwohl verpflichtet sein, d. h., alle seine Bürger in ihrer existentiellen Menschlichkeit schützen muß. Genau dieser Rechtsgrundsatz der „unverletzlichen und unveräußerlichen Menscherechte“ wird im Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert, und glücklicherweise hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diesen Rechtsgrundsatz im Urteil zu der Verfassungsklage gegen den Lissaboner Vertrag als eines der Ewigkeitsrechte bezeichnet, ebenso wie Artikel 20, der die Identität Deutschlands als sozialen Staat bestimmt.

Der Club of Life hat in zahlreichen Veröffentlichungen und Seminaren seit 27 Jahren dieses unantastbare Recht auf Leben an allen wichtigen Schnittstellen, an denen versucht wurde, es einzuschränken oder in subtiler Weise abzubauen, verteidigt. Ob es um die gefährlich sophistische Argumentation von Bioethikern wie Peter Singer ging, um Euthanasie in Holland, um Präimplantationsdiagnostik, die Ernährung von Koma-Patienten, arztunterstütztem Suizid, Fallpauschalen oder Patientenverfügung ging, der Club of Life hat immer versucht, das Prinzip Leben zu verteidigen und die Gefahren aufzuzeigen, wenn „die schiefe Ebene“ betreten wurde.

Eine dramatische Verschlechterung gab es im deutschen Gesundheitssystem ab 1992, als es zu einem Pakt zwischen dem damaligen Gesundheitsminister Seehofer und dem SPD-Sozialexperten Dressler kam, als dessen Folge die ersten Stufen der Budgetierung sowie der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen eingeführt wurde. Sie haben die Barrieren eingerissen, das Kosten- Nutzen-Denken eingeführt. Seitdem hat sich eine skandalöse, inzwischen lebensbedrohliche Unterfinanzierung und Unterversorgung entwickelt, so daß es längst verdeckte Euthanasie, Rationierung und Priorisierung gibt. Es gibt für bestimmte Teile der Bevölkerung in Bezug auf die Gesundheitsversorgung bereits eine Situation wie in der Dritten Welt. Dies ist die Feststellung einer katholischen Nonne.

Schon seit längerem geht der Trend mit der Einführung der Fallpauschalen dahin, daß „teure Patientengruppen“ halt einfach Pech haben; nicht mehr der Patient wird als Mensch behandelt, sondern profitable Krankheitsbilder. Alles das entwickelte sich unter der CDU/CSU/FDP-Regierung, weiter unter der rot-grünen und nun unter der Großen Koalition.

Wenn der gegenwärtige Angriff der Heuschrecken auf den Gesundheitssektor Erfolg haben sollte und sich private Klinikkonzerne und medizinische Versorgungszentren die öffentlichen Krankenhäuser und niedergelassenen Arztpraxen unter den Nagel reißen, dann wird die wohnortnahe Versorgung vieler Patienten einfach nicht mehr gewährleistet sein, und für viele, zunächst ein Viertel, dann ein Drittel und immer mehr Patienten bedeutet dies eine deutliche Lebenszeitverkürzung. Wenn der Finanzkollaps in die nächste, wahrscheinlich finale Runde geht, dann werden wir auch in ganz Deutschland bald eine gesundheitliche Versorgungslage haben wie in Kalkutta.

Als der Präsident der Bundesärztekammer Professor Hoppe auf dem diesjährigen Ärztetag in Mainz in seiner Eröffnungsrede darauf hinwies, daß es in Deutschland bereits eine heimliche Rationierung im Gesundheitswesen gebe und diese öffentlich diskutiert werden müsse, damit eine öffentliche Debatte darüber geführt werden könne, ob für die medizinische Versorgung mehr Geld zur Verfügung gestellt werden müsse, oder ob man sich auf eine fachmännische Beratung über eine Priorisierung einigen wolle, blies Ulla Schmidt empört die Backen auf und nannte diesen Vorschlag „ziemlich menschenverachtend“.

Die Realität ist jedoch, daß es unter der Ägide dieser Frau Schmidt und ihrer Gesundheitsreform in Deutschland bereits eine eklatante Unterfinanzierung des Gesundheitssektors gibt, die menschenverachtend ist. Denn die sogenannte „Deckelung“ der Kosten bedeutet, daß viele Patienten nicht mehr ausreichend versorgt oder durch hohe Eigenbeteiligung belastet werden, obwohl sie ihr ganzes Leben lang in die Krankenkassen einbezahlt haben. Niedergelassene Ärzte werden angewiesen, ein kleineres Kontingent von profitablen Patienten zu behalten und teure, chronisch Kranke nicht weiter zu behandeln, obwohl es manchmal in ländlichen Gebieten keine Alternative gibt. Die Lage in den meisten Krankenhäusern entwickelt sich in eine ähnliche Richtung: Betten werden nicht belegt, weil das Pflegepersonal fehlt, u.s.w., die Beispiele ließen sich lange fortsetzen.

Auch wenn die Situation in Deutschland natürlich noch nicht so krass ist wie in England, wo das „National Institute for Health and Clinical Excellence“ (NICE) und Programme wie „Quality Adjusted Life Years“ (QALY) ganz brutal Therapien für bestimmte Altergruppen und Kategorien von Patienten verweigern, und den USA, wo die Regierung Obama versucht, eine  Gesundheitsreform durchzusetzen, bei der 30% der Kosten (!) eingespart werden sollen, sollten wir uns nicht darüber täuschen: Wir sind in Deutschland nur ein paar kleine Schritte hinterher!

Das Argument, das in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und wachsender Staatsausgaben eben nur bestimmte Finanzmittel vorhanden seien und deshalb Kürzungen in Kauf genommen werden müßten, darf auf keinen Fall hingenommen werden. Denn die Hunderte von Milliarden, die für marode Banken ausgegeben wurden, dürfen auf keinen Fall zu Lasten der Patienten beim Gesundheitssystem gekürzt werden, wie das OMB-Chef Peter Orszag in den USA ganz unverhohlen fordert. In Deutschland sollten wir ganz besonders sensitiv sein, wenn es um das Kosten-Nutzen-Denken geht, was die medizinische Versorgung angeht.

Der medizinische Berater bei den Nürnberger Ärzte-Prozessen, Dr. Leo Alexander, schrieb in seinen Aufzeichnungen, daß es letztlich ein Hegelianisch-utilitaristisches Denken gewesen sei, was in Deutschland während des Nationalsozialismus zur Euthanasie geführt habe. Er schrieb: „Welche Ausmaße die Verbrechen schließlich auch immer angenommen haben, es wurde allen, die sie untersucht haben, deutlich, daß sie aus kleinen Anfängen erwuchsen. Am Anfang standen nur kleine Akzentverschiebungen in der Grundhaltung der Ärzte. Es begann mit der Grundhaltung - die in der Euthanasiebewegung grundlegend ist -, daß es so etwas wie Leben gebe, das nicht lebenswert sei. Im Frühstadium traf es nur die schwer und chronisch Kranken. Nach und nach wurden zu dieser Kategorie auch die sozial unproduktiven, die ideologisch unerwünschten, die rassisch Unerwünschten und schließlich alle Nicht-Deutschen gerechnet. Entscheidend ist freilich, daß die Haltung gegenüber den unheilbar Kranken der unendlich kleine Auslöser für einen totalen Gesinnungswandel war. Diese subtile Änderung in der Haltung der Ärzte ist es also, die man am gründlichsten untersuchen muß.“

Dies „kleine Akzentverschiebung“ ist auch in Deutschland seit einiger Zeit bereits im Gang, nicht initiiert von den Ärzten, sondern von den „Gesundheitsökonomen“, die das Kosten-Nutzen-Denken in das Gesundheitswesen eingeführt haben, und von den skrupellosen Investoren, die im Gesundheitssektor das nächste profitable Spekulationsobjekt sehen. In dem Moment, in dem nicht mehr der Hippokratische Eid und das unveräußerliche Recht auf Leben das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten bestimmen, ist die schiefe Ebene bereits betreten, auf der es vor allem in Zeiten eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs kein Halten mehr gibt.

Eine Kostprobe für diese Gefahr geben die Entwicklungen in Kalifornien. Nachdem „Terminator“ Schwarzenegger die diversen Sozialprogramme brutal zusammengestrichen hat, wandten sich einige chronisch Kranke vor laufenden Kameras verzweifelt an die Bevölkerung und warnten, daß sie ohne ihre dringend benötigte Medizin in wenigen Tagen sterben würden. In Frankreich hat soeben die Vereinigung der Notärzte unter Berufung auf die Widerstandsbewegung gegen die Nazis, die CNR, eine Unterschriftenmobilisierung und Widerstandaktion gegen das jüngste Gesundheitsgesetz von Präsident Sarkozy begonnen. Im Namen des Nationalen Rates der Resistance verpflichten sich die Ärzte, alle in die öffentlichen Krankenhäusern aufzunehmen, die medizinische Versorgung brauchen. „Kein Patient ist ein Stück Handelsware, unsere Krankenhäuser sind keine Geschäftsunternehmen, in denen ein angeblicher Vorstandsvorsitzender ab morgen entscheiden kann, welche Behandlung gut und welche schlecht ist, oder welches medizinische Projekt die Ärzte „unter seiner Fuchtel“ ausführen müssen.“, heißt es in ihrem Aufruf.

Das soeben vom Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz zur Patientenverfügung ist ebenfalls Ausdruck der allerdings gar nicht mehr so „kleinen Akzentverschiebung“. Das angeblich so liberale Gesetz, daß die Ärzte anweist, den Willen der Personen auszuführen, wie sie in einer Situation behandelt werden wollen, in der sie nicht mehr einwilligungsfähig sind, ist in Wirklichkeit Ausdruck der verschobenen Werteskala innerhalb des Paradigmawandels (wie in der analysis situs). In einer gesellschaftlichen Situation, in denen älteren Menschen das Gefühl vermittelt wird, sie seien der demographische Ballast, der den jüngeren Zukunft und Lebensstandard vermiese, wächst natürlich der Druck auf die ältere Generation, den nachfolgenden nicht zur Last zu fallen.

Natürlich ist die Selbstbestimmung ein kostbares Gut, und die Möglichkeit, im Alter die Autonomie verlieren zu können, ist etwas, mit dem man sich auseinandersetzen muß. Aber die Krankheit ist nun einmal der Feind der Selbstbestimmung. Es gibt Studien, die belegen, daß lebensbedrohlich erkrankte Menschen ihre Einstellung völlig ändern können und sich in ihrer Not der medizinischen Autorität anvertrauen. Es ist auch belegt, daß ein Großteil der Personen, die eine Patientenverfügung unterschreiben, dies tun, weil sie kein soziales Netz haben. Wäre es nicht der Menschenwürde angemessener, die Gesellschaft so umzubauen, daß in einem vom Geist des Gemeinwohls geprägten Umfeld ein soziales Netz für alle entstehen kann?

In einer seiner ersten Predigten äußerte sich Papst Benedikt XVI besorgt über die „Kultur des Todes“ und eine wachsende Akzeptanz der Euthanasie. Auch wenn die Patientenverfügung nicht so weit geht wie die legalisierte aktive Sterbehilfe gegen den Willen des Patienten in Holland oder der „Sterbe-Tourismus“ in der Schweiz, es bleibt doch die Frage, warum Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat nun angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Wirtschaftskrise plötzlich eine solche Eile hatten, einem Gesetz zuzustimmen, bei dem es neben anderen Faktoren eben auch einen Kostenfaktor gibt. Die schiefe Ebene ist betreten.

Mit der BüSo im Bundestag gibt es eine Chance, die Privatisierung des Gesundheitssektors rückgängig zu machen und ihn unter den Schutz des Gemeinwohls zu stellen, zu dem der Staat verpflichtet ist. Wenn wir wieder produktive Vollbeschäftigung haben, können wir uns auch wieder das Gesundheitssystem leisten, so wie es bis 1992 war.

Fortsetzung folgt

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