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Neue Solidarität
Nr. 29, 20. Juli 2011

Vom ,Big Bang’ zum Schwarzen Loch

Wie aus dem Weltfinanzsystem zuerst ein Parasit und dann ein Vampir wurde,
und wie wir das rückgängig machen können

Eric De Keuleneer ist Ökonom und Professor an der Brüsseler Solvay Business School der Freien Universität Brüssel, und Vorstand einer kleinen Bank (Credibe SA) sowie der Universitätsstiftung. Neben vielen anderen Aufgaben war er bis vor kurzem Mitglied des Aufsichtsrates der Belgischen Banken-, Finanz- und Versicherungs-kommission. Er ist Autor zahlreicher Publikationen über die Kapitalmärkte und „corporate governance“.

Guten Morgen, meine Damen und Herren,

Ich bin sehr froh, heute morgen hier bei Ihnen zu sein. Ich werde versuchen, mit Ihnen über den gegenwärtigen Zustand unseres Finanzsystems zu sprechen, über das, was man aus dem, was geschieht, lernen kann, und darüber, wohin wir hoffentlich, mit einiger Anstrengung, gelangen können.

Die letzte große Finanzkrise, die wir hatten, war in den 1920er und 1930er Jahren, und als Glass-Steagall geschaffen wurde, geschah dies nach einer gründlichen Analyse und Untersuchung, was die Krise der Großen Depression der 1930er Jahre verursacht hatte. Man erkannte, daß der Hauptgrund für diese Depression die finanziellen Exzesse der 1920er Jahre waren. Diese finanziellen Exzesse lagen vor allem in der Schwächung der Geschäftsbanken, die Spareinlagen der Kunden annahmen und mit dem Geld ihrer Kunden zuviele Risiken eingingen, und zweitens in den beträchtlichen Interessenskonflikten der verschiedenen Formen von Finanzunternehmen.

Deshalb sorgte das, was man weltweit als das Glass-Steagall-System kennt, zunächst einmal dafür, daß alle Banken, die Kundengelder annahmen, nur sehr begrenzte Risiken eingehen durften, und zweitens dafür, daß die verschiedenen Funktionen der Banken voneinander getrennt wurden. Die sogenannten Investmentbanken, die die Ausgabe von Wertpapieren beratend begleiteten, mußten nicht nur von den Geschäftsbanken getrennt werden, sondern auch von den Makler-Aktivitäten, da die Makler die Geldanleger beraten, und auch von den Trust-Banken, die Wertpapierdepots verwalten.

Man erkannte auch, daß ein großer Teil der Verantwortung für die Finanzkrise in der Tatsache lag, daß die Aktionäre - genauer gesagt, die Holding-Gesellschaften - viel zu großen Einfluß auf die Unternehmen hatten, weil über die Strukturen dieser Holding-Gesellschaften Leute, die nicht einmal die Legitimität der Eigentümer hatten, einen großen Einfluß auf die Unternehmen ausüben konnten.

Daher wurden in dieser Zeit viele Gesetze beschlossen, um den Finanzsektor auf eine vernünftige Größe zu beschränken und auch die Gewinne unter Kontrolle zu halten. Es gab damals im Grunde nur sehr geringe Anreize für Banken und Finanzunternehmen, ihre Dienstleistungen anzubieten, weil ihre Gewinne sowieso beschränkt waren. Ich persönlich bin der Ansicht, daß Kredit in der richtigen Menge etwas sehr nützliches ist - ganz ähnlich wie bei Arzneimitteln. Arzneien sind etwas, was in begrenzten Mengen sehr nützlich ist, aber es kann sehr gefährlich sein, wenn man zuviel davon konsumiert. Das gleiche gilt für den Kredit: Kredit ist etwas nützliches, wenn man ihn richtig verwendet. Nimmt man zuviel auf, kann das großen Schaden anrichten.

„Big Bang“ beseitigt die Spezialisierung

In den achtziger Jahren beschloß man aus einer Reihe von Gründen - unter anderem auch politischen - die Deregulierung, um Innovationen und inbesondere finanzielle „Innovationen“ zu fördern. Man glaubte, daß die finanziellen Innovationen Fortschritte bringen würden. Was man damals in London den „Big Bang“ nannte, war ein großer Schritt zur Deregulierung des Finanzmarktes und zur „Entspezialisierung“ des Finanzsektors. Anstatt auf bestimmte Finanzaktivitäten beschränkt zu sein, ließ man den Finanzunternehmen die Freiheit, alle möglichen Aktivitäten durchzuführen, und daher kamen die Interessenskonflikte sofort wieder auf.

Das Zentrum der finanziellen Deregulierung und der neuen finanziellen Dynamik war damals das, was man den Euro-Dollar-Markt nannte, der seinen Knotenpunkt in London hatte. Der Euro-Anlage-Markt und der Euro-Bond-Markt hatte natürlich nichts mit dem Euro zu den, denn den Euro als Währung gab es damals noch gar nicht. Man bezeichnete einfach jede Währung, die sich außerhalb des sie emittierenden Landes befand, als eine Euro-Währung. In den siebziger Jahren glaubte man, daß dieser Euro-Anlagemarkt die sog. „Petro-Dollars“ - die riesigen Reserven, die die ölproduzierenden Länder angesammelt hatten - wieder [in die Wirtschaft] zurückführen würde. Aber es zeigte sich sehr schnell, daß dieses Recycling eine Katastrophe war, und in den neunziger Jahren hatten wir eine Serie von Finanzkrisen, u.a. in vielen Entwicklungsländern, die - genauso wie Griechenland - dazu verleitet worden waren, mehr Geld zu leihen als für sie gut war, und auch diese Länder erlitten aufgrund dieses finanziellen Fehlverhaltens schwere Krisen.

Damals wurden auch Firmenübernahmen etwas ganz normales, und die „feindlichen Übernahmen“ wurden zu einer Mode an der Wallstreet. Unternehmen sollten „so groß wie möglich“ sein. Dies hat aber nie jemand überprüft oder verstanden und man glaubte, diese Größe bringe eine größere Wirtschaftlichkeit mit sich - die umso besser sei, je größer das Unternehmen ist.

Seinen Höhepunkt erreichte dies in den neunziger Jahren, als das Finanzsystem sich immer mehr zu einem Parasiten in der Wirtschaft entwickelte. Normalerweise war das Finanzwesen  etwas sehr respektables. Ich selbst war mein ganzes Leben lang Bankier. Ich denke, der Finanzsektor kann etwas sehr respektables sein, aber er ist nur dazu da, die Realwirtschaft beim Transfer der Ersparnisse an Leute zu unterstützen, die Geld borgen müssen, um zu investieren. Der Finanzsektor ist da als ein Vermittler. Das Finanzwesen kann und sollte mit  geringstmöglichen Kosten verbunden sein.

Die Leistung sinkt, die Größe wächst

Vor 1975 hatten die Finanzunternehmen ein Gewicht von etwa 3% unserer Volkswirtschaften. Vom Beginn der Deregulierungen 1975 bis 1990 sanken die Transaktionskosten auf den Finanzmärkten deutlich. Die Gebühren, die gezahlt wurden, um bestimmte Finanztransaktionen durchzuführen, sanken deutlich. Man kann also sagen, daß die Deregulierung auf der Mikro-Ebene ein großer Erfolg war! Die Transaktionskosten sind viel geringer!

Aber wenn man die Makro-Ebene betrachtet, die Erträge, dann wuchsen die Einnahmen der Finanzunternehmen von 3% der Wirtschaft auf 9% der Wirtschaft. Und man konnte eigentlich nicht sagen, daß die besser geworden wären - im Gegenteil: Die Schwankungsanfälligkeit wurde größer, viele Banken wählten ihre Kreditkunden gar nicht mehr selbst aus, sondern überließen dies den Rating-Agenturen, anstatt ihr eigenes Urteilsvermögen anzuwenden. Der tatsächliche Beitrag, den der Finanzsektor leistetet, war also mit Sicherheit nicht besser geworden, aber sein Anteil am BIP hatte sich verdreifacht.

Es zahlt sich aus, unethisch zu handeln

In den neunziger Jahren mußten wir auch die Theorie der „Markteffizienz“ schlucken, die Theorie, die behauptet, die Finanzmärkte seien effizient und man könne deshalb die Vergabe von Mitteln aller Art den Märkten überlassen, weil sie das effizient tun würden.

Übrigens war sogar der Vater der liberalen Wirtschaft, Adam Smith, der Meinung, daß die Märkte, um funktionieren zu können, Transparenz brauchen, Wettbewerb und auch eine Ethik.

Es ist wahrscheinlich eines der größten Probleme der liberalisierten Finanzmärkte, daß sich diese sehr wichtige Position von Adam Smith, nämlich, daß die Menschen ein eigenes Interesse daran hätten, sich ethisch zu verhalten, und daß dies eine der Grundlagen ihres Urteils sei, sich mit jedem Tag erneut als falsch erweist. Jedenfalls auf den Finanzmärkten: Es zahlt sich nicht aus, sich ethisch zu verhalten. Und es ist sehr profitabel, sich unethisch zu verhalten.

Viele Leute sagen immer noch, daß man nicht zu stark regulieren dürfe - „Oh, sie brauchen sich nicht so viele Sorgen zu machen, weil die Leute, die sich unethisch oder unehrlich verhalten, aus dem System hinausgeworfen werden, weil ihnen niemand mehr vertrauen wird“. Das mag wohl auf der persönlichen Ebene so sein; wenn man von jemandem betrogen wird, macht man keine Geschäfte mehr mit ihm. Aber für Unternehmen gilt das offensichtlich nicht. Unternehmen können es sich leisten, unehrlich zu sein. Sie können lügen, aber die Menschen werden immer weiter Geschäfte mit ihnen machen.

Warum? Weil sie so mächtig sind, daß sie Propaganda und Werbung machen können, und sie versuchen uns einzureden - teilweise sogar mit Erfolg -, daß sie zwar jemand anderen betrogen haben, aber uns nicht betrügen werden. Sie setzen auf Propaganda. Es ist bekannt, daß die Banken-Lobby in Europa mehr als 500 Mio. Dollar pro Jahr allein für „Information“, wie sie es nennen, d.h. für Propaganda ausgeben. Die Unternehmen können also Propaganda machen, um ein gutes Image zu behalten, auch wenn sie unethisch oder unehrlich sind. Und wenn sie wirklich zu unehrlich waren, dann tauschen sie einige Leute aus und sagen: „Oh, jetzt haben wir die Schuldigen hinausgeworfen und wir sind wieder ganz sauber und anständig.“

Jedenfalls sollten wir erkennen, wenn wir mit Märkten arbeiten wollen, daß diese Märkte durch „Marktmacht“, durch Undurchsichtigkeit und Manipulationen fundamental geschädigt werden. Seit dem 15. Jahrhundert sehen wir mit großer Regelmäßigkeit, daß die Märkte und insbesondere die Finanzmärkte von einer Euphorie getrieben werden, die ein anderer Ökonom als „Massenwahn“ bezeichnet hat. Und die Finanzmärkte haben leider die Tendenz dies zu fördern.

In den 1990er Jahren verstärkte sich all dies sehr und die finanziellen Anreize - nicht zuletzt die riesigen Boni, die im Finanzsektor gezahlt werden - haben all das noch gesteigert. Bei dem Kampf gegen die Boni, die im Finanzsektor gezahlt werden, geht es sicher nicht darum Leute zu kritisieren, weil sie zuviel Geld verdienen, oder darum, auf  diejenigen neidisch zu sein, die mehr Geld verdienen. Das Problem der Leute, die diese Boni oder Vergütungen erhalten, ist, daß sie jedes ethische Gefühl ersticken, die die Menschen persönlich durchaus haben. Viele Menschen, die im Finanzsektor arbeiten, sind im Grunde keine unehrlichen Leute. Aber man zahlt ihnen Boni in einer Höhe, von der sie vielleicht gelesen oder gehört haben, um sie dazu zu verleiten, Dinge zu tun, ohne sich zu fragen, ob das noch ethisch ist. Das ist also eine Art Schmiergeld, das man ihnen zahlt, damit sie sich an die Regeln halten, nach denen das System arbeitet.

Seit 2007/2008 hat sich das System aus einem Parasiten in einen Vampir verwandelt, und der Finanzsektor saugt jetzt der Wirtschaft das Blut aus. Bis 2005 wuchs der Anteil des Finanzsektors am BIP auf 15% - jedenfalls in den Vereinigten Staaten. In England ist es mehr oder weniger das gleiche, in Kontinentaleuropa ist er ein bißchen kleiner. Inzwischen ist er wahrscheinlich sogar noch größer. Und der Anteil des Finanzsektors an den Unternehmensgewinnen schoß auf 25% hinauf.

Trotz alledem hat sich die Dienstleistung des Finanzsektors für die übrige Wirtschaft nicht verbessert, im Gegenteil: Die Unbeständigkeit wächst, die Preise sind völlig undurchsichtig, sie sind manipuliert, überall gibt es Insidergeschäfte, und das Vertrauen, das die Menschen in das System haben können, sinkt, anstatt zu steigen.

„Marktdisziplin“ funktiniert nicht

Eine sehr wichtige Lehre der letzten Jahre ist, daß die „Marktdisziplin“ nicht funktioniert. Man glaubte, die sogenannte „Marktdisziplin“ werde sicherstellen, daß die Leute nicht zuviel Geld ausleihen - zu ihrem eigenen Wohl; die Banken würden gut geleitet werden, weil Banken, die schlecht geleitet werden, schnell verschwinden würden. Nun, es ist ziemlich offensichtlich, daß die Marktdisziplin, jedenfalls für die öffentlichen Finanzen und die Banken, nicht funktioniert.

Die Tatsache, daß Griechenland in der Lage war, soviel Geld zu leihen, wie es getan hat, ist ein gutes Beispiel. Für diejenigen von Ihnen, die die Rating-Agenturen kennen, an die viele Leute glauben: noch vor 18 Monaten - als die Lage in Griechenland makro-ökonomisch gesehen, - nicht viel anders war als heute, erfreute sich Griechenland noch eines A-Ratings. Ein A-Rating ist ganz knapp unter der besten Bewertung, die man überhaupt bekommen kann. Noch vor 18 Monaten hielten die Rating-Agenturen Griechenland also für einen exzellenten Schuldner. Sie konnten also Geld leihen, und sie konnten zuviel leihen.

Die Marktdisziplin funktioniert nicht, jedenfalls nicht, wenn sie mit solchen Dingen wie den Rating-Agenturen garniert ist. Das aus diesem System stammende Risiko hat sich stark vergrößert und auch die sogenannten „moralischen Gefährdungen“ - womit gemeint ist, daß man sich keine Sorgen machen braucht, wenn man etwas falsches tut; wenn du in einem Finanzunternehmen bist, dann wird der Staat kommen und dich retten. Es ist ziemlich offensichtlich, daß die Boni jede ethische Zurückhaltung beseitigt haben.

Die Marktmacht der Investmentbanken

Größe selbst ist zu einem Ziel geworden und es ist keine Überraschung zu sehen, wie viele davon überzeugt sind, daß für die Banken gilt, je größer desto besser - obwohl es keinen Beweis für eine Ökonomie der Größe gibt. Auch in vielen anderen Unternehmen gibt es keine Beweise dafür, daß größere Unternehmen besser wären. Aber es gibt einen Bereich, in dem Größe einen Gewinn zu bringen scheint: im Bereich der Investmentbanken. In allen Aktivitäten, die mit den Finanzmärkten zusammenhängen, ist Größe ein Vorteil.

Wenn man das genauer betrachtet, erkennt man aber, daß diese Profitabilität nicht von der „Effizienz“ kommt, wie uns die Wirtschaftstheorie lehrt, sondern vom Mißbrauch der Marktmacht. Offenbar ist es bei den Geschäften der Investmentbanken und den mit den Märkten verbundenen Aktivitäten recht leicht, den Markt zu mißbrauchen. Auf den sogenannten Schalter-Märkten (OTC), d.h. die inoffiziellen Märkte, auf denen die Derivate gehandelt werden, herrscht ein völliger Mangel an klaren Preisen. Die berühmte Transparenz, die Adam Smith als notwendig für die Märkte gefordert hat, fehlt also völlig. Auf den Wertpapier-Märkten gibt es eine enorme Konzentration der Macht. Einige wenige Firmen beherrschen den gesamten Markt. Und das tun sie über die Ratingagenturen und die Finanzanalysten, die die Investoren beraten. Anstatt also einen Markt mit vielen Entscheidungsträgern zu haben, was nach der Theorie der Markteffizienz zu guten Entscheidungen führt, sind die Märkte also so konzentriert, daß sie wirklich nur ein Karikatur ihrer selbst sind.

Auch die Firmenfusionen und -übernahmen wurden zu einem Selbstzweck, weil dies für die Investmentbanken sehr profitable Aktivitäten sind. Vielleicht verfolgen Sie von Zeit zu Zeit, welche Unternehmen an die Börse gehen - ein sogenanntes „Initial Public Offering“ (IPO), wenn ein Unternehmen, wie z.B. Google oder Facebook, das bisher in Privatbesitz war, an die Börse geht. Nun, in diesem Fall begleiten Banken den Prozeß der Verteilung der Aktien auf dem Markt - und die Art, wie diese Aktien verteilt werden, ist praktisch offene Korruption. Das ist wohldokumentiert, man hat das schon 2001-2002 bewiesen, als die Internet-Blase geplatzt war. Aber diese korrupten Praktiken gibt es immer noch, obwohl sie ihrer Natur nach allen bekannt sind.

Diese korrupten Praktiken dienen natürlich den großen Investmentbanken, den Goldman Sachs’ und Morgan Stanleys dieser Welt, ein enggeknüpftes Netz zu erhalten, was wir als die Oligarchie bezeichnen würden. Sie werden durch diese Investmentbanken zusammengehalten, die sie schmieren, unter anderem durch verborgene Kommissionen und Zuteilungen bei IPOs. Sie bestechen sie, um im Geschäft zu bleiben.

Das Versagen wurde belohnt

Die Finanzkrise hat all das noch schlimmer gemacht. Offensichtlich sahen die Regierungen es als notwendig an, zu intervenieren, um zu verhindern, daß die Banken bankrott gingen und Sparer wie Sie oder ich all das Geld verlieren, das wir den Banken anvertraut haben. Aber die Banken sind in einem Maße gerettet worden, ohne daß irgendwelche Sanktionen ergriffen wurden, sodaß sich tatsächlich auch die Straflosigkeit vergrößert hat.

Das Versagen wurde in vielen Fällen sogar noch belohnt. Bankbosse, die ihre Banken offensichtlich schlecht verwaltet hatten, wurden zwar gefeuert und verloren ihre Posten, aber sie erhielten oft zig Millionen Dollar an Boni, einen sogenannten „goldenen Fallschirm“, für ihre guten Dienste. Einige Banken verschwanden, einige andere wurden verschmolzen, sodaß nun am Ende sogar noch mehr Konzentration herrscht. Die Bankvorschriften wurden nicht verbessert, und in mancher Hinsicht sogar abgeschwächt.

Auch die öffentlichen Haushalte wurden geschwächt. Die Regierungen haben sich stärker verschuldet, um die Banken zu retten, und tatsächlich wurden die Banken wieder sehr profitabel. Man hat ihnen erlaubt, ihren „toxischen Besitz“ zu verbergen. Viele Banken melden die Verluste nicht, die sie mit ihren toxischen Papiere haben, und melden große Profite, um große Boni und große Dividenden zu bezahlen. Außerdem erwecken sie so den Anschein, als seien sie professioneller geleitet als es die Politiker tun, deren Staaten jetzt finanziell geschwächt sind.

Außerdem werden wir ständig daran erinnert, daß wir dem Modell des Wachstums durch Konsum folgen müßten. Alles, was die Regierungen tun können, was den Konsum reduzieren würde, wird sofort kritisiert, weil es das Wachstum reduzieren würde, als wäre der Konsum das einzige Mittel, um für eine wachsende Wirtschaft zu sorgen. Und wenn man meint, daß Konsum notwendig ist, um eine wachsende Wirtschaft zu erhalten, dann scheinen die Banken notwendig zu sein, weil sie den Konsum finanzieren.

Das große Risiko ist im Moment, daß, wenn das System nicht kollabiert - und es besteht eine Chance, daß es nicht kollabiert -, daß dann die großen Unternehmen die Herrschaft an sich reißen. Insbesondere die großen Banken. Politiker sind leider nicht sehr glaubwürdig und scheinen keine besondere Legitimität mehr zu haben und die Banken mit ihren enormen finanziellen Mitteln, über die sie verfügen, können ihre Propaganda so benutzen, daß sie als die natürlichen Führer der Wirtschaft erscheinen. Ich meine die Bankiers und die übrigen Mitglieder dieser Oligarchie.

Rückkehr zu Glass-Steagall notwendig

Ist es möglich, diesen finanziellen Wahnsinn zu stoppen? Ich denke, es geht. Aber ich würde sehr für eine vollständige und gründliche Rückkehr zu einem Glass-Steagall-System plädieren, das nicht nur die Geschäftsbanken von den Investmentbanken trennt. Erinnern wir uns daran, daß das Glass-Steagall-Gesetz erst 1999 aufgehoben wurde. Davor existierte es noch, aber der finanzielle Wahnsinn begann zum großen Teil schon viel früher. Nicht zuletzt deshalb, weil das Glass-Steagall-Gesetz schon in den sechziger und siebziger Jahren deutlich abgeschwächt wurde.

Wir müssen also wirklich zu einem Finanzsystem zurückkehren, wie es in vielen Ländern vor den achtziger Jahren existierte, und auch in den Vereinigten Staaten seit den dreißiger Jahren existierte. Es war ein System, in dem die finanziellen Zwischenträger auf eine bestimmte Funktion festgelegt waren. Geschäftsbanken sind Geschäftsbanken - sie nehmen Spareinlagen an und vergeben Kredite und müssen die Risiken beschränken. Sie sollten in keiner Weise spekulieren. Investmentbanken müssen nicht nur von den Geschäftsbanken getrennt werden, sondern auch von den Broker-Aktivitäten. Wenn man bei der Ausgabe von Wertpapieren berät, dann sollte man nicht bei der Geldanlage in Wertpapieren beraten. Die Transaktionen sollten auch in zentrale Clearingsysteme gehen und mit Sicherheit sollten die Derivate und die Preise völlig transparent sein.

Die Rolle der Rating-Agenturen sollte völlig beschränkt werden. Es ist nicht normal, wenn Zentralbanken auf der Grundlage der Bewertungen von drei privaten Unternehmen darüber entscheiden, ob sie bestimmte Werte oder Wertpapiere als Sicherheit annehmen. Das ist völlig verrückt. Die Zentralbanken sollten ihr eigenes Urteil fällen. Die Aufsichtsbehörden müssen ihr eigenes Urteil fällen. Boni sollten besteuert und beschränkt werden.

Ein wesentliches Element, um all das zu tun, ist meiner Meinung nach, daß wir strengere Vorschriften brauchen. Aber wir brauchen auch einen stärkeren öffentlichen Sektor. Eines der großen Probleme, das in dieser Krise offensichtlich wurde, ist, daß der öffentliche Sektor keine ausreichende Alternative bot. In Deutschland waren die öffentlichen Banken zum Teil die schlechtesten Verwalter und die größten Spekulanten in einigen dieser toxischen Papiere. Es reicht nicht aus, staatliche Banken zu haben. Wir brauchen gut geführte staatliche Banken. Ich denke, daß wir einen gut geführten staatlichen Sektor brauchen. Wenn so viele Firmen privatisiert wurden, dann oft deshalb, weil der staatliche Sektor oft nicht gut geführt wurde. Sie hatten kein Ziel und keine Mission. Wir brauchen also eine grundlegende Reflektion und Analyse, wie der staatliche Sektor geführt werden sollte. Wir brauchen auch gute Aufsichtsbehörden.

Wenn wir gute Aufsichtsbehörden haben wollen, brauchen wir hochkarätige Staatsdiener. Wir müssen also wirklich in eine gute Führung und Verwaltung des öffentlichen Sektors und in die Aufsichtsbehörden investieren, dann werden wir nicht nur in der Lage sein, die Märkte besser zu regulieren, sondern auch eine Alternative zu den Unternehmen des privaten Sektors haben, die keine so guten Ergebnisse haben. Wir wollen eine „staatliche Option“ wie im Gesundheitssektor in den Vereinigten Staaten, aber sie muß legitim und glaubwürdig sein.

Das waren einige meiner Bemerkungen und Empfehlungen. Sie finden sie auch in diesem Papier, „Does Size in Banking Bring Economic Efficiency, or Merely Market Abuse“, das ich mit Nastassia Leszynska verfaßt habe und das sie auf meiner Internetseite www.dekeuleneer.com leicht finden können.

Vielen Dank.


Den ersten Teil der schriftlichen Dokumentation der Konferenz des Schiller-Instituts finden Sie in der letzten Ausgabe, die Video-Mitschnitte der Konferenzbeiträge fünden Sie auf der Internet-Seite des Schiller-Instituts.