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Neue Solidarität
Nr. 47, 23. November 2011

Wer ist Mario Draghi?

Der Wechsel an der Spitze der Europäischen Zentralbank

Die Bürgerrechtsbewegung Solidarität veröffentlichte am 7. Oktober ein Interview mit dem Chefredakteur des EIR Strategic Alert, Claudio Celani, das wir hier in einer für den Abdruck leicht bearbeiteten Fassung abdrucken.

Frage: Herr Celani, die EZB bekommt einen neuen Chef. Was sind die Aussichten - wird sich etwas ändern?

Celani: Na ja, es wird sich bestimmt etwas ändern, denn es sind zwei verschiedene Persönlichkeiten. Aber es wird sich nur etwas in einem sehr begrenzten Rahmen ändern, das heißt, es wird sich nur die Menge des Geldes ändern, das gedruckt wird. Denn die EZB hat keine Alternative in dieser Lage, außer Geld zu drucken.

Mit Trichet haben wir einen Mann erlebt, der wirklich Gefangener seiner Rolle war, als Hüter der sogenannten Preisstabilität, der aber ständig diese Gesetze gebrochen hat, gegen die Statuten der EZB ständig verstoßen hat. Und die EZB hat Geld gedruckt, ständig Geld gedruckt, und die letzte Tat von Trichet war in der Tat noch eine Welle von Gelddrucken, und er verläßt die EZB mit der Ankündigung, daß die EZB wieder die Bonds von den Banken kaufen wird, die sogenannten „covered bonds“ oder Pfandbriefe, was schon einmal gemacht wurde, in einer wirklichen Notsituation, und jetzt machen sie das nochmals, für 40 Milliarden.

Dazu werden die sogenannten „non-standard measures“, die „unüblichen Maßnahmen“, zusätzlich ausgeweitet, d.h., das Geld, das kurzfristig für die Banken zur Verfügung stand, z.B. bis sechs Monate, das geht jetzt bis 12 oder 13 Monate - er hat zwei Programme in der Richtung angekündigt, und ein Finanzanalyst, den unsere Videokamera-Truppe außerhalb des Gebäudes der Bundesbank getroffen hat, hat diese Ankündigung korrekt als „Kalter Coup“ beschrieben.

Trichet verläßt also die EZB und geht in die Geschichte ein als einer der Zentralbankiers, die in der größten Finanzkrise der Geschichte dabei geholfen haben, diese Krise schlimmer zu machen und die EZB in eine „bad bank“ zu verwandeln.

Frage: Wird sich mit Mario Draghi, Trichets Nachfoger, etwas ändern?i

Celani: Er kann es nur schlimmer machen, noch schlimmer. Denn wie gesagt, die haben keine Alternative.

Ich glaube Trichet, daß er es ernst meint, wenn er sagt, daß er keine Inflation verursachen wird; als er z.B. in Jackson Hole Bernanke kritisiert hat, indem er die sogenannte „geplante Inflation“ attackiert hat; als er die Bilanz der EZB mit der Bilanz der Federal Reserve verglichen hat und sagte, wir haben unsere Bilanz nur um 27% expandiert, und die Federal Reserve um 226% oder so etwas. Die Absichten mögen „ehrlich“ sein, aber trotzdem ist er, weil er Gefangener dieses Systems ist, trotzdem gezwungen oder gezwungen worden, eine Politik zu machen, die uns Inflation bringen wird.

Das ist so, weil das System keine Alternative hat. Wenn ein Bankenkollaps kommt, wie 2008 mit Lehman Brothers, oder die Gefahr eines Bankenkollapses, dann hat die EZB nur eine Politik: Geld drucken. Das werden sie tun, und auch Draghi wird das tun.

Mit Draghi haben wir eine Komplikation, und diese Komplikation ist, daß Draghi, im Unterschied zu Trichet, „eine Nummer kleiner“ ist. Trichet ist jemand, der versteht sich als Mitglied einer Eliteklasse, einer Oligarchie, als vollständiges Mitglied; er hat, glaube ich, auch eine Tradition hinter sich, die er als imperiale Tradition sieht, bewußt oder unbewußt; Das gilt auch für Draghi, aber der sieht sich nicht als Mitglied dieser Klasse, sondern als Knecht dieser Klasse - und das ist schlimmer.

Dazu kommt die Tatsache, daß Draghi einen italienischen Ausweis hat, und das zwingt ihn, noch strenger zu sein, als das normalerweise der Fall wäre, denn er muß jetzt beweisen, daß er kein Agent der italienischen Regierung ist, daß er Italien nicht begünstigen wird. Aber Draghi hat Italien noch nie begünstigt, im Gegenteil. Und wir wissen: Wenn die Leute in einer solchen Situation sind, dann übertreiben sie, d.h. Draghi könnte noch schlimmer sein als Trichet. Er wird noch strenger für unpopuläre, undemokratische wirtschaftspolitische Maßnahmen eintreten.

Frage: Sie sagten, Trichet ist ein Gefangener, er sei sogar gezwungen. An die Statuten der EZB hält er sich ja nicht - wer zwingt ihn denn?

Celani: Wer sind seine Bosse? Nun, wir reden jetzt von einem System der Zentralbanken, dem „unabhängigen“ Zentralbankensystem - das ist der Begriff, die „unabhängige“ Zentralbank. Dieses unabhängige Zentralbankensystem - wovon ist es unabhängig? Von der Regierung.

Aber das System der Zentralbanken ist nicht völlig unabhängig. Die EZB ist der Zusammenschluß der nationalen Zentralbanken der Euro-Mitgliedstaaten, und jede dieser Zentralbanken wird, mehr oder weniger, von Privatbanken als „Shareholders“ kontrolliert - direkt oder indirekt.

Ich kann den Fall der Zentralbank Italiens schildern: Die Shareholder, die Aktienanteilhalter der Zentralbank sind die Privatbanken Italiens. Und das sind die Bosse. Und das ist ein enormer, ein riesiger Interessenkonflikt. Aber das ist Tatsache.

Man kann das auch als die Märkte bezeichnen; Trichet hat immer über die Märkte geredet und hat immer gesagt, die „Märkte“ haben immer recht. Das sind seine Bosse, und er kriegt Befehle von den „Märkten“. Und manchmal schreit er gegen die Rating-Agenturen, aber er hat nie etwas dagegen unternommen. Manchmal hat er auch gegen die Rohstoffspekulation geschimpft, aber nie etwas dagegen unternommen. Warum? Weil das seine Bosse sind.

Frage: In Deutschland ist der nächste Chef der EZB nicht so bekannt. Wieso wurde Mario Draghi als Nachfolger von Trichet ausgewählt?

Celani: In Italien ist er sehr bekannt, zunächst einmal, weil er der Zentralbankier für Italien war in den letzten Jahren. Teilweise haben Sie recht, aber diese Leute werden sowohl kooptiert als auch für ihre Verdienste ausgewählt, d.h., der Draghi hat etwas verdient: Er hat ein paar „Leichen im Keller“, die er verursacht hat. Das sind die Qualifikationen.

Frage: ... das ist aber nicht die Art von Verdienst, die ich meinte.

Celani: Ich weiß, ich weiß - für die Bevölkerung, meinen Sie? Natürlich, das ist es nicht. Aber die werden natürlich aus dieser Kaste gewählt, es muß ein Mitglied der Kaste sein, ein Mann von Vertrauen, und der Draghi ist so ein Mensch. Wenn man seine Karriere ansieht: Seine Hauptverdienste hat er in der Schlacht gegen die Staatsindustrie Italiens, von 1992 bis 1999 glaube ich, wo er Direktor des großen Programms der italienischen Privatisierung war.

Italien hatte einen großen Staatssektor, und das hat nach dem Krieg eine sehr große Rolle bei der Entwicklung des Landes gespielt. Und als Bedingung für den Eintritt Italiens in den Euro mußte die Regierung diesen ganzen Sektor privatisieren. Wir reden jetzt von einem Erlös von über 300 Milliarden Euro. Das wurde Italien befohlen, von den Märkten, um die öffentlichen Schulden zu bezahlen, damit Italien die berüchtigten „Maastricht-Kriterien“ erfüllte.

Mario Draghi ist berühmt. Wir haben - wir als EIR, also die LaRouche-Organisation in Italien - Draghi berühmt gemacht als den sogenannten „Mr. Britannia“. Britannia heißt nicht nur Großbritannien, sondern Britannia ist auch der Name des Schiffes, der Yacht von Queen Elisabeth - jetzt nicht mehr, jetzt haben sie das Schiff verkauft.

Aber am 2. Juni 1992 gab es in Italien ein seltsames Treffen, auf der Britannia, zwischen Bankiers der City of London, einer ganzen Reihe von Bankiers, allen wichtigsten Bankiers, italienischen Regierungsmitgliedern und Vertretern der italienischen Industrie, für eine Diskussion, eine Planungs- oder Orientierungs-Diskussion für zukünftige Privatisierungen in Italien. Und die Hauptrede wurde von Mario Draghi gehalten.

Mario Draghi war damals unbekannt, er war Generaldirektor im Finanzministerium, aber wirklich unbekannt. Und wir haben dann am Ende des Jahres - am Ende des Jahres 1992, Anfang 93, haben wir das in einem Artikel, einem kleinen Dossier veröffentlicht, und das schlug ein wie eine Bombe in Italien. Es gab viele Anfragen im Parlament, es gab viele Presseartikel.

Aber Tatsache ist: Nach seiner Rede auf diesem Treffen wurde Draghi vom Regierungschef damals zum Chef des Privatisierungskomitees in der italienischen Regierung ernannt.

Und ein paar von London kontrollierte Staatsanwälte in Mailand und andere Finanzkräfte in Italien haben dann eine sogenannte Antikorruptionskampagne gegen alle Parteien, gegen das ganze Parlament geführt, und das Ergebnis davon war am Ende, daß diese Parteien sich aufgelöst haben und das Parlament wirklich ohnmächtig war.

Man muß sich das vorstellen: Die haben die Hälfte des Parlaments unter Anklage gestellt, diese Untersuchungsrichter in Mailand. Und natürlich gab es am Ende sehr wenig als konkretes Ergebnis. Aber das war wirklich ein Coup.

Dann kamen technokratische Regierungen, eine Reihe davon - der erste war Giuliano Amato, dann kam Carlo Azeglio Ciampi, dann kam Romano Prodi, der auch ein Technokrat war. Und während der ganzen Zeit ist Draghi auf seinem Sitz geblieben und hat die Privatisierungen gesteuert. Zuerst hat er die Banken privatisiert, dann die Industrien.

Und die Idee war: Wir verkaufen, wir machen Cash, damit bezahlen wir die Schulden Italiens, damit reduzieren wir das Defizit und dann erfüllen wir die Maastricht-Kriterien, das 3%-Defizit, und dann schaffen wir es, in den Euro zu gelangen.

Warum brauchte man Italien im Euro? Ich glaube, das ist eine gute Frage, die man sich stellen sollte, denn das Ziel des Euro, das wissen wir heute, war rein politisch: Das war wie ein Käfig, den man auf Deutschland stülpen konnte, als Bedingung für die Wiedervereinigung. Die Deutschen haben zurecht diese Euro-Einführung als ein sehr tiefes Unrecht empfunden. Sie haben nicht protestiert, aber wir wissen das.

Aber ohne Italien, glaube ich, hätten sie den Euro nicht bauen können. Denn Italien ist ein wichtiges Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, Italien ist einer der Gründer der Europäischen Gemeinschaft, und die Franzosen wollten Italien im Euro, damit sie mehr Stärke im Euro gegenüber Deutschland haben könnten.

Und deshalb denke ich, daß es wichtig ist, daß wir aus dieser Geschichte lernen, denn das ist ein wichtiges Element, um all das zu verstehen, was danach passiert ist.

Warum ist Italien im Euro? Italien hatte kein Interesse, in den Euro einzutreten, aber es war ein politischer Plan, das wurde außerhalb Italiens entschieden. Der damalige Zentralbankier, der hieß Fazio, Antonio Fazio, der war dagegen. Was ist mit Antonio Fazio passiert? Er wurde rausgeschmissen, durch einen Skandal. Wer hat ihn ersetzt? Mario Draghi.

Mario Draghi ist nach der Privatisierungsgeschichte, nachdem er alles verkauft hatte - an wen? An Freunde -, nach London gegangen, hat als Angestellter von Goldman Sachs gearbeitet, für ein paar Jahre, dann wurde er nach Italien zurückgeholt als neuer Zentralbankier, wegen der Geschichte von Fazio, und seit ein paar Jahren ist er Zentralbankier. Und das ist die Geschichte von Draghi - ein Teil der Geschichte von Draghi.

Frage: In der ehemaligen DDR wurde damals die ganze Industrie privatisiert und damit zum größten Teil zerstört. Deutschland sollte „eingedämmt“ werden. Was war in Italien der Grund?

Celani: Also es gab eine Ausrede, sagen wir es so. Denn die Industrien, die haben Schulden, und der Staat ist der Eigentümer, d.h., Staatsindustrie-Schulden sind gleich Staatsschulden.

Aber wenn wir die damaligen Schulden der Staatsindustrie mit den Schulden der Industrie, der Privatindustrie, von heute vergleichen, das waren „peanuts“.

Ein Beispiel: Italiens Autobahnsystem war öffentlich. Es war ein Mautsystem, ein Gebührensystem. Dadurch hat der Staat sehr viele Einnahmen gehabt. Die haben das privatisiert. Wer hat das gekauft? Leute wie Benetton und andere Leute. Benetton hatte nicht die Finanzkraft, das Autobahnnetz zu kaufen. Wie hat er es das gemacht? Durch Schulden. Jetzt sind sie überschuldet. Wie haben sie dann die Schulden bezahlt? Indem sie keine Investitionen mehr gemacht haben.

Noch ein Beispiel: Telecom. Das Telekomsystem war auch öffentlich. An wen haben sie das verkauft? An Agnelli - FIAT. Was hat Agnelli damit gemacht? Wieder verkauft. Wer hat das gekauft? Pirelli. Wie hat Pirelli das bezahlt? Durch Schulden. Und dann hat Pirelli die Firma abgebaut, „gedownsized“, mit vielen Entlassungen, und er hat alles nach Nordafrika verlagert, in Callcenter in Nordafrika. Es ist so. Und die Schulden sind da, sie sind größer geworden. Es war also eine Ausrede, eine reine Ausrede.

Den Video-Mitschnitt dieses Interviews finden Sie auf der Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität unter http://bueso.de/node/4944.