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Neue Solidarität
Nr. 8, 20. Februar 2013

Klassische Musik als Quelle von Schönheit und Wahrheit entdecken

Auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 26. Januar in New York war ein ganzer Themenkreis der klassischen Musik gewidmet. Der folgende Vortrag der chinesischen Sopranistin Fang Tao Jiang wurde von Lynn Yen eingeleitet, die die Stiftung für die Wiederbelebung der klassischen Kultur repräsentierte. Sie stellte Fang Tao Jiang so vor:

„Sie ist eine lyrische Sopranistin. Sie begann mit unserer Stiftung zusammenzuarbeiten, um möglichst vielen jungen Leuten, mit denen wir arbeiten, sowie Eltern und Lehrern die Schönheit der klassischen Musik nahezubringen. Im Dezember veranstalteten wir ein Konzert vor einem vollgepackten Auditorium von etwa 650 Zuhörern. Sie sang neun verschiedene Stücke in sechs verschiedenen Sprachen, und sie begeisterte absolut jeden.

Fang Tao Jiang ist die Gewinnerin des Internationalen Bellini-Gesangswettbewerbs, und vom Lincoln Center über Rom, Paris und Berlin ist sie in einigen der angesehensten Opern- und Konzertbühnen überall auf der Welt aufgetreten. Sie hat wohl mit allen führenden Häusern zusammengearbeitet, so dem Cincinnati Symphony Orchestra, der Römischen Oper und vielen anderen. In diesem Jahr tritt sie gerade wieder in der Carnegie Hall bei einer zehnten Konzertreihe mit dem Namen Music Explorers auf, die sich an junge Leute richtet, um sie mit Musik vertraut zu machen, die von klassischen Musikern aus der ganzen Welt gesungen wird.“

Von Fang Tao Jiang

Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich möchte als erstes Ihnen allen und dem Schiller-Institut für Ihre Bemühungen danken, die Welt wieder zu einem schöneren Ort zu machen. Und ich möchte meinen Vorrednern für ihre wunderbaren Beiträge danken. Ich habe viel davon gelernt, Und vielen Dank, daß ich hier sein kann, nicht um zu singen, sondern um zu sprechen!

Als ich die Einladung erhielt, hier auf der Konferenz eine Rede zu halten, dachte ich zunächst, ich könnte etwas über die Liebesbeziehung zwischen Einstein und seiner Geige oder über den „Mozarteffekt“ auf die Gehirnentwicklung von Kindern sagen, oder wie Bachs Musik noch in einer Milliarde Jahren als die größte Schöpfung und das wertvollste kulturelle Erbe im Universum angesehen werden würde. Ich hätte auch darüber sprechen können, wie tiefes Atmen und Singen dabei geholfen haben, bei meinen Kollegen, bei meinen Freunden, bei Kindern ADHS, Angstattacken oder Asthma zu heilen. Doch ich möchte heute mit Ihnen einige wahre Geschichten aus meiner eigenen Erfahrung teilen.

Ich wurde in einer Stadt am Jangtse in China geboren. Die Kulturrevolution war damals schon lange vorbei, und wir machten uns die neuen kulturellen Ideen zu eigen; es war wie eine kleine Renaissance. Meine Eltern regten mich dazu an, mich an all den schöpferischen Kunstformen zu erfreuen, die ihnen während der Kulturrevolution vorenthalten waren. Ich rezitierte sehr gern alte chinesische Gedichte, während ich gleichzeitig bei einem meisterhaften Lehrer Kalligraphie studierte. Ich liebte meinen Tanz- und Musikunterricht, und ich träumte davon, entweder Hürdenläuferin oder Turnerin bei den Olympischen Spielen zu werden. Meine Mutter regte mich bereits im Kindergartenalter an, Englisch zu lernen. Ich hoffe, daß mir das heute hilft!

Das Leben war wunderschön. Aber an einem sehr heißen, sonnigen Sommertag wurde meine Welt plötzlich ganz dunkel. Meine Mutter hatte einen Unfall und verstarb. Ich war damals neun Jahre alt. Ganz lange trug ich ein schmerzliches Geheimnis mit mir herum: ich dachte, ich sei schuld am Tod meiner Mutter. Ich dachte, wenn ich sie an diesem Tag nicht gebeten hätte, mit mir in den Zoo zu gehen, wäre nichts geschehen. Ich meinte, ich könnte meine Schuld nie mehr tilgen, so daß ich als Neunjährige ganz traurig und depressiv war.

Meine Schwester und meine Lehrer bemühten sich sehr, mich in der Schule zu beschäftigen. Meine Schwester liebt Musik. Sie hörte sich oft Schallplatten oder Kassetten meistens mit klassischer Musik an. Eines Tages hörte sie ein Gesangsalbum, und ein Lied fesselte mich besonders: Das war Brahms’ Wiegenlied; es wurde auf chinesisch gesungen, so daß ich es verstand. Ich liebte es so sehr, als würde ich meine Mutter singen hören. Später nahm mich meine Schwester zu einem Konzert mit, und ich war völlig überrascht, daß die Sopranistin das gleiche Wiegenlied sang. Ihre Stimme klang wie aus einer anderen Welt, und das ganz ohne Mikrofon! Ich ging nach Haus und weinte bitterlich. Bald lernte ich alle Lieder, die ich finden konnte, die etwas mit Mutterliebe und Kindheit zu tun hatten. Ich sang sie den ganzen Tag lang, als wenn ich sie meiner Mutter vorsänge.

Als ich 13 war, nahm ich an einem Jugendgesangswettbewerb in meiner Stadt teil und gewann. Zwei meiner Wettbewerbslieder waren Dvoraks „Lieder, die meine Mutter mich lehrte“ und ein chinesisches Lied „Der Kuß meiner Mutter“. Nach dem Wettbewerb wurde das Singen ein wichtiger Teil meines Lebens. Das Singen klassischer Musik war wie ein Sonnenstrahl, der meine dunkle Welt erhellte. Mit 15 hatte ich meinen ersten offiziellen Gesangsunterricht nach alter italienischer Schule - und ich muß sagen, das machte mir gar keinen Spaß, da ich auf Italienisch singen mußte, das ich nicht verstand. Später besuchte ich dann das Shanghaier Musikkonservatorium, meine Depression war überwunden, und noch vor meinem Abschluß gelang es mir, mein Debüt in der Carnegie Hall zu geben.

Bei meinen Reisen um die ganze Welt haben mich die Zuhörer oft gefragt, warum ich mich entschlossen hätte, eine klassische Sängerin zu werden. Sogar mein Vater fragte mich einmal, warum ich mir den scheinbar schwersten Beruf auf der Welt gewählt hätte. Ich sei doch eine Chinesin und wollte Opern in acht Sprachen singen, die ich nicht verstünde. Ich sagte ihm aber, ich würde sie mit der Zeit schon verstehen.

Ich muß gestehen, es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Bedenken Sie meinen Traum, olympische Turnerin zu werden, und ich mochte meine erste Gesangsstunde gar nicht, weil ich das Italienische nicht verstand. Aber mit den Jahren habe ich in acht Sprachen zu singen gelernt und kann sogar einige sprechen, und mit meinen Sprachkenntnissen sehe ich die Welt! Ich sehe die Welt der Menschen. Verschiedene Sprachen transportieren unterschiedliche Stimmungen aus verschiedenen kulturellen Vorgeschichten. Aber in der Musik sind wir alle gute Bürger. Die Musik vereint uns.

Je mehr ich sie mir erschloß, desto mehr verliebte ich mich in die Wahrhaftigkeit dieser Kunstform und in die Schönheit all dieser musikalischen Meisterwerke. Denken Sie beim Singen, daß dies Ihr Instrument ist. Jeder von uns besitzt dieses Instrument. Das ist Ihre Stimme mit einer natürlichen Akustik, und für mich ist dies eine der ehrlichsten Kunstformen. Es spielt keine Rolle, wer Ihr Vater ist: Man steht auf und muß singen, und die Menschen beurteilen einen aufgrund seiner Kunst und aufgrund von nichts anderem.

Ich mußte auch meinen Körper und mein Instrument zu lieben lernen, mußte meine eigenen Gefühle kennenlernen und beherrschen und meine Angst vor Kritik und Unvollkommenheit überwinden.

Mit der Zeit hat mich der klassische Gesang körperlich gesünder, geistig stärker und emotional ausgeglichener gemacht, so daß ich heute ein glücklicherer und besserer Mensch bin.

Am Tag nach einem Konzert in Frankreich, einer Aufführung von Romeo und Julia, kam ein junger Teenager zu mir und sagte: „Das war ja wunderschön, wunderschön. Aber warum brauchen Romeo und Julia zehn Minuten, um zu sagen: ,Ich liebe dich’?“ Also, warum dauert das Duett so lange? [Heiterkeit] Die gleiche Frage hatte ich mir auch einmal gestellt. Vor vielen Jahren dachte ich auch, in der Oper braucht man immer so lange, um ein einfaches Gefühl auszudrücken; man müsse eine ganze Arie oder eine halbe Arie damit verbringen, um nur diese drei Wort zu singen: „Ich liebe dich!“ Dann war ich aber so stolz, als ich ihr sagen konnte: „Warum nicht? Ist es nicht wunderbar, unsere Gefühle zu zelebrieren? Sie anzunehmen, zu erweitern und zu besingen? Soll man das etwa ändern? Soll denn Romeo zu Julia einfach nur sagen: ,Hey, wollen wir zusammen ein bißchen rumhängen?“ [Gelächter]

Ich kann Ihnen sagen, daß ich durch meine Antwort auf diese Frage wirklich gereift bin. Ich merkte die Verbindung und die Überzeugung. Ich war sehr überzeugend.

Wenn ich gut singe und in den „Seelenbereich“ von Worten, Poesie und Musik eindringe, merke ich, daß ich mit der Welt gleichgestimmt bin und ganz viel Wärme und Liebe in meinem Herzen spüre. Ich fühle mich frei, fühle die Freiheit des Ausdrucks. Das ist der nicht faßbare Zauber der Musik. Wenn Zuhörer zu mir kommen und mir unter Tränen danken, daß meine Stimme sie inspiriert habe und sie eine Gänsehaut bekommen hätten, dann ist das eine gute Sache. Ich antworte dann: „Ich bin sehr dankbar, daß Sie hier sind und all diese Meisterwerke mit mir teilen, und mich spüren lassen, daß das, was ich tue, eine Bedeutung hat, daß all die harte Arbeit und die Tränen beim Üben einen Wert haben, um... das Leben eines anderen ein bißchen besser zu machen.“

Von Generation zu Generation bemühten sich Komponisten darum, die Freiheit des Ausdrucks zu erreichen, die Schönheit der Welt mit neuen kompositorischen Ideen zu entdecken und die Grenzen von Gedanken und Konzepten zu überwinden. Ich bin ein großer Befürworter neu komponierter guter Musik, und ich habe zahlreiche Premieren gehabt. Aber ich muß Ihnen sagen, einige Komponisten gehen zu weit, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Einmal mußte ich ein Lied singen und gleichzeitig einen Zweig schütteln, um ein bestimmtes Rascheln zu erzeugen.

Ein anderes Mal fühlten sich alle bei der Probe eines neuen Werks nicht wohl, und wir fragten uns, warum. Auch ich verstand es nicht, und meine Kollegen fragten sich: „Was ist das nur?“ Eines Tages nahm uns der Komponist mit in sein Studio und zeigte auf eine riesige Maschine und sagte: „Ich liebe dieses Baby!“ Es war ein riesiger computerisierter Apparat. Er sagte, diese Maschine erledige die meiste Komponierarbeit für ihn. [Gelächter] Er habe viel Zeit darauf verwendet, um eine Formel für Bachs Musik zu finden - ja, mit Hilfe dieser Maschine. Und er meinte, eine eigene Formel entdeckt zu haben. Trotz all seiner Bemühungen und Analysen taten wir Musiker alle uns schwer damit, Zugang zu seinem Werk zu finden, und die Musik... klang wirklich schrecklich. Seinen Namen möchte ich allerdings nicht nennen.

Er bestätigte im Grunde meine Vorstellung von Kunst, die etwas Erhabenes sein sollte. Um ein Kunstwerk zu schaffen, braucht man Intuition, Vorstellungskraft und das sogenannte kleine Genie, das in uns allen steckt. Wenn man es auf Fakten und die Realität reduziert, oder einfach nur etwas nachahmt oder Effekthascherei betreibt, kann man das bestenfalls „Handwerkstechnik“ nennen. Kunst ist geistreich, gefühlsreich und spirituell. Und schön. Sie ist leichter gesagt als getan.

Ein guter Freund und Kollege von mir, mit dem ich seit langer Zeit zusammenarbeite, ist ein bekannter Komponist - allerdings werde ich auch seinen Namen nicht nennen. Er sagte mir einmal: „Unsere Meister haben mit diesen zwölf Noten großartige Werke geschaffen!“ Es ist für heutige Komponisten nicht leicht, etwas Einzigartiges, Neues und auch noch Schönes zu schreiben. Aber es gibt Hoffnung, denn dieser gleiche Komponist hat vor kurzem eine große Oper mit dem Titel Dr. Sun Yat-sen geschrieben, über diesen chinesischen Revolutionär, den Vater der Demokratie in China. Seine Revolution fand 1911 statt, lange vor der Kommunistischen Partei. Er ist der Begründer der nationalistischen Kuomin-Partei.

Dieser Komponist verwendete alle Elemente der westlichen und östlichen Musik und kombinierte sie mit seiner eigenen Erfahrung und Humanität zu einem wunderbaren Werk. Sie ist wirklich gut gelungen. Wir werden sie 2014 an der Oper von Santa Fe aufführen. Ich fühle mich sehr geehrt, Teil dieser wunderbaren Musik zu sein. Ich bin in dieser Oper Soong Ching-ling, die Frau von Dr. Sun Yat-sen. Ich wünschte, ich wäre ein wenig größer, aber man sagt, ich sehe ihr ein wenig ähnlich.

Ich weiß, daß mein Freund, der Komponist, vier Jahre daran geschrieben hat, was heutzutage sehr ungewöhnlich ist. Ich kenne nämlich auch Komponisten, besonders in China, die für Geld an einem Tag ein Stück schreiben, das morgen bei einer Feier aufgeführt werden soll. Sie sind nur in Eile, um irgendwie mit der Komposition fertig zu werden. Alles ist so schnellebig. Er brauchte aber vier Jahre zum Schreiben, und ich meine, das war es auch wert, denn Schönheit ist Wahrheit, und die Schönheit wird Bestand haben. Jeder Komponist möchte, daß seine Werke Bestand haben und noch Millionen Jahre später wertgeschätzt werden.

Ich will meine Rede mit einer wahren Geschichte beenden, die mich noch immer inspiriert. Vor einigen Jahren habe ich an der Utah Festival Opera (UFOC) die Susanna aus Figaros Hochzeit gesungen. Die erste Probe der Mitwirkenden fand in dem wunderschönen Ellen Eccles Theater statt. Dabei zeigte der UFOC-Gründer und Musikdirektor Michael Ballam auf den schönen Saal und erzählte die folgende Geschichte. Das neue, klassisch gebaute Theater war jahrzehntelang der Hauptspielort des Cache Valley Performing Arts Center. Doch dann wurden die Aufführungen eingestellt und das Theater wurde dem Verfall preisgegeben. Die Bühne blieb leer, im Orchestergraben war es still, die Beleuchtung blieb dunkel, und in den Umkleidekabinen sammelte sich der Schmutz an.

1998 drohte dem Theater der Abriß. Michael Ballam erfuhr von den Abrißplänen, woraufhin er einen Sanierungsplan vorschlug, über den der Stadtrat abstimmen sollte. Von beiden Seiten wurde mit Ja und Nein gestimmt, das Ergebnis war sehr knapp. Eine der unentschlossenen Stadträtinnen fragte Herrn Ballam: „Warum sollen wir soviel Geld für dieses Theater ausgeben? Es füllt mir doch den Brotkorb nicht!“

Herr Ballam antwortete mit einem Lächeln im Gesicht: „Verehrte Dame, wir bewundern seit Jahren Ihren Rosengarten, Wir wissen, daß Sie Ihr ganzes Herz hineingesteckt haben. Dieses Theater ist wie die schönen Rosen in Ihrem Garten. Haben Sie nicht auch schon einmal erwogen, am Brot zu sparen, um mehr Rosen zu haben?“ Eine Minute später wurde der Sanierungsplan genehmigt.

Schiller sagte einmal: „Nur durch die Schönheit gelangt der Mensch zur Freiheit.“ Heute möchte ich Sie darin bestärken - und ich ersuche Sie -, es zu wagen, daß die Kraft des Schönen in der Welt Bestand hat, und wenn wir die Rosen wachsen lassen, sollten wir ihren Duft genießen und dabei nicht vergessen, auch unsere Kinder daran teilhaben zu lassen, denn sie mögen kein chinesisches Mädchen sein, das seine Mutter verlor, sondern sie sind die Kinder dieser Welt, die Schönheit dieser Welt, und sie müssen in sich die Liebe spüren, wie wir alle.

Vielen Dank.