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Neue Solidarität
Nr. 34, 20. August 2014

Jean Jaurès an die Lehrer: Laßt die Schüler lesen!

In euren Händen liegt die Intelligenz und die Seele der Kinder: Ihr seid verantwortlich für das Vaterland. Die Kinder, die euch anvertraut sind, werden nicht bloß einen Brief schreiben oder lesen, ein Schild an einer Straßenecke verstehen oder eine Addition oder Multiplikation durchführen müssen. Sie sind Franzosen und sie müssen Frankreich kennen, seine Geographie und seine Geschichte, seinen Körper und seine Seele. Sie werden Staatsbürger sein und sie müssen wissen, was eine freie Demokratie ist, welche Rechte ihnen gegeben sind, welche Pflichten die Souveränität der Nation ihnen auferlegt. Schließlich werden sie Menschen sein, und sie brauchen eine Vorstellung vom Menschen, sie müssen wissen, was die Wurzel allen unseren Elends ist - der Egoismus in seinen zahlreichen Formen; was das Prinzip unserer Größe ist - Stolz im Bunde mit Zartheit. Sie müssen fähig sein, in groben Zügen nachzuvollziehen, wie die menschliche Gattung die Barbarei der Natur, die Barbarei des Instinkts nach und nach zähmt, und sie müssen die wichtigsten Elemente dieses außerordentlichen Werkes entwirren, das wir die Zivilisation nennen. Wir müssen ihnen die Größe der Kraft des Denkens zeigen, wir müssen sie die Achtung vor dem Kult der Seele lehren und in ihnen das Gefühl der Unendlichkeit wecken, das unsere Freude und auch unsere Kraft ist, weil wir durch es letztlich über das Böse, die Finsternis und den Tod triumphieren werden...

Aber dazu muß der Meister selbst von seiner Lehre durchdrungen sein. Er sollte abends nicht wiederholen, was er am Morgen gelernt hat, er muß beispielsweise in der Stille eine klare Vorstellung vom Himmel gebildet haben, von der Bewegung der Sterne; er muß tief im Innern über den menschlichen Geist staunen, der, von seinen Augen in die Irre geführt, den Himmel erst für eine feste, niedrige Kuppel hielt, dann aber die Unendlichkeit des Raumes erriet und in dieser Unendlichkeit die genauen Bahnen der Planeten und Sonnen verfolgte; dann, und nur dann, wenn er durch einsames Lesen und Meditation von einer großen Idee erfüllt und in sich selbst erleuchtet ist, wird er den Kindern bei der ersten Gelegenheit mühelos das Licht und die Emotionen seines Geistes vermitteln.

Oh! Die erdrückende Müdigkeit der Schule macht es zweifellos schwierig, sich zu sammeln, aber eine halbe Stunde am Tag reicht aus, um unser Denken auf einer hohen Ebene zu halten, um nicht in der Arbeitsroutine unterzugehen. Ihr werdet für eure Mühen den schönsten Lohn erhalten, denn ihr werdet spüren, wie um euch herum die Intelligenz zum Leben erwacht.

(Aus dem Aufsatz „Laßt die Schüler lesen“ in Dépêche de Toulouse, 1888)