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Einer der Drahtzieher hinter der rußlandfeindlichen Politik Angela Merkels ist ihr wichtigster außenpolitischer Berater Christoph Heusgen.
Wie wir berichteten, soll nach einem Eckpunktepapier des Bundeskanzleramtes der Petersburger Dialog, eine der wichtigsten Institutionen in den deutsch-russischen Beziehungen, „reformiert“ werden und eine neue Führung erhalten. Sowohl der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Mathias Platzeck, als auch der derzeitige Vorsitzende des Petersburger Dialogs, Lothar de Maizière, sollen wegen ihrer „zu unkritischen“ Haltung gegenüber Rußland abgelöst werden. Als möglicher Nachfolger de Maizières wurde bereits der fanatische Putinhasser und stellvertretende Unionsfraktionschef Andreas Schockenhoff genannt. Offensichtlich sollen dadurch die deutsch-russischen Beziehungen noch weiter zerrüttet und der Widerstand in den Führungskreisen der deutschen Politik und Wirtschaft gegen den rußlandfeindlichen Kurs der EU und der NATO gebrochen werden.
Einer der Drahtzieher in dieser Angelegenheit ist Christoph Heusgen, der als Leiter der Abteilung 2 im Bundeskanzleramt für die Außen- und Sicherheitspolitik zuständig ist. Medienberichten zufolge wurde er 2005 von Angela Merkel ins Kanzleramt geholt, um von dort aus als Gegenpol zu Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu wirken, mit dem strategischen Ziel, die rußlandfreundliche Politik ihres Amtsvorgängers, Bundeskanzler Gerhard Schröder, zu demontieren. Derzeit spielt Heusgen eine Schlüsselrolle bei den Bemühungen der Kanzlerin, den Petersburger Dialog als wesentliches Forum des deutsch-russischen Dialogs auszuschalten. Zuvor arbeitete Heusgen mit dem imperialen EU-Ideologen Robert Cooper zusammen bei der Gestaltung der Sicherheitspolitik der EU.
Bevor er mit Cooper und dem damaligen Hohen Vertreter für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, zusammenwirkte, machte Heusgen eine diplomatische Karriere im Bundesaußenministerium - zunächst im Ministerium in Bonn (1980-1982), dann in Chicago (1983-1986) und Paris (1986-1988). In Paris war er stellvertretender Leiter des Koordinierenden Ausschusses für multilaterale Exportkontrolle (CoCom), der für Technologieexporte in die Sowjetunion, die Staaten des Warschauer Pakts und andere Länder zuständigen Kommission. 1988 kehrte er ins Außenministerium zurück, wo er die deutsch-französischen Beziehungen koordinierte. Er arbeitete mit am Maastricht-Vertrag und am Euro, und von 1993-1997 war er stellvertretender Leiter des Ministerbüros von Außenminister Klaus Kinkel. Zuletzt leitete er die Europaabteilung des Außenministeriums.
Unter dem „EU-Außenminister“ Solana arbeitete Heusgen zusammen mit Robert Cooper die sogenannte Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) aus, die am 12./13. Dezember 2003 vom Europäischen Rat abgesegnet wurde. Die ESS ist ein zwölfseitiges Papier, das den „konzeptionellen Rahmen für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (CFSP)“ formuliert, woraus später die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (CSDP) wurde, wie man auf der Internetseite der EU erfahren kann. Dort heißt es auch, die ESS sei die Antwort auf Bundeskanzler Schröders „Nein“ zum Irakkrieg und die daraus folgende Spaltung innerhalb der EU (zwischen dem „Alten Europa“ und dem „Neuen Europa“, wie man es damals nannte):
„Die Spaltung zwischen den EU-Mitgliedstaaten über die amerikanisch geführte Invasion des Irak 2003 zeigte die Notwendigkeit einer gemeinsamen strategischen Vision zur Stärkung des inneren Zusammenhalts auf EU-Ebene. Die Mitgliedstaaten beauftragten daher den Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana, eine solche Strategie auszuarbeiten.“
Die Autoren Sven Biscop und Jan Joel Andersson beschreiben Heusgens Rolle in The EU and the European Security Strategy: Forging a Global Europe („Die EU und die Europäische Sicherheitspolitik: ein globales Europa schmieden“) folgendermaßen:
„Die Initiatoren und Verfasser der Solana-Strategie kannten diese Argumente und Widersprüche. Die Form und Wortwahl der ESS wurde bewußt so gewählt, daß die meisten Fragen und Themen in abstrakter Form angesprochen wurden. Javier Solana, Robert Cooper, Christoph Heusgen und ihre Kollegen in Solanas Büro reisten selbst nach Washington zu informellen Sondierungen und taktischen Absprachen. Beamte aus allen Teilen der Regierung Bush - vor allem Vertreter des Außenministeriums und des Nationalen Sicherheitsrates - begrüßten Solanas Strategie in formellen und informellen Gesprächen, zum Teil als Ausgleich in einer zunehmend erbitterten Debatte über den Irak. Solana und seine Mitstreiter nutzten ihren schon lange bestehenden persönlichen Ruf und ihr Ansehen bei einem Großteil des sicherheitspolitischen Spektrums in den Vereinigten Staaten zum größtmöglichen Vorteil. In relativ kurzer Zeit kamen weitgehend positive Reaktionen auf die ESS-Initiative aus den amerikanischen Denkfabriken und von Experten und Analytikern in Washington... Es bestanden wohl nur die unverbesserlichen ,NATO firstler’ und extremen Neocons unmittelbar auf einem doktrinäreren und operationellen Entwurf.“
Noch unverhohlener äußert sich Tobias Wilke in German Strategic Culture Revisited: Linking the Past to Contemporary German Strategic Choices („Neubetrachtung der deutschen strategischen Kultur: Verbindung der Vergangenheit mit den gegenwärtigen deutschen strategischen Entscheidungen“) dazu, daß die ESS eine von dem damaligen britischen Premierminister Tony Blair ausgehende Operation war, um eine imperiale Sicherheitspolitik für die EU festzuschreiben:
„Der ursprüngliche Entwurf der Strategie - der aus einem informellen Gespräch bei einem Dinner zwischen Javier Solana und den deutschen, französischen und britischen Außenministern hervorging - wurde im Mai 2003 von Christopher Heusgen, Robert Cooper und Javier Solana ausgearbeitet... Die Anwesenheit von Tony Blairs außenpolitischem Berater Robert Cooper erklärt die anfängliche präventive Robustheit der Strategie - die an die amerikanische NSS [Nationale Sicherheits-Strategie] erinnert - und die sogenannte Bush-Doktrin sowie die letztendlich gestrichene Phrase ,Wir hätten Al-Kaida schon viel früher angreifen sollen’... Als die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten im Juni kurz nach dem Fall von Bagdad in Thessaloniki zusammenkamen, wurde Solanas Konzept offen diskutiert. Auf Initiative Deutschlands und Frankreichs, aber auch wegen Bedenken von seiten der Westeuropäischen Versammlung... beschloß der Gipfel, eine heikle Passage des Konzepts zu ändern.“
Das Papier über die Europäische Sicherheitsstrategie, das Heusgen stolz als sein Geisteskind und seine Richtschnur als außenpolitischer Berater Merkels betrachtet, ist ein Vorwand für die militärische Expansion von EU und NATO nicht bloß als regionale, sondern als globale imperiale Macht.
Auf Basis der Annahme, daß Kriege zwischen Staaten nicht mehr denkbar seien, müsse die Verteidigungsstrategie mit der inneren Sicherheit verbunden werden und sich gegen solche Bedrohungen wie den Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, „organisiertes Verbrechen, die Schwächung des Staatssystems und die Privatisierung der Gewalt“ richten. Die EU müsse diese Bedrohungen erkennen und intervenieren - möglicherweise auch präventiv. „Unser traditionelles Konzept der Selbstverteidigung... beruhte auf einer drohenden Invasion. Mit diesen neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oft im Ausland liegen... Das bedeutet, daß wir bereit sein sollten, zu handeln, bevor eine Krise eintritt. Konfliktprävention und Gefahrenprävention können nicht früh genug anfangen.“
Unter der Überschrift „Aufbau von Sicherheit in unserer Nachbarschaft“ heißt es in dem Papier: „Unsere Aufgabe ist es, die Entstehung eines Rings wohlorganisierter Länder östlich der Europäischen Union und an den Grenzen des Mittelmeerraums zu fördern, mit denen wir enge und kooperative Beziehungen genießen können.“ Nun, östlich der EU liegen auch die Ukraine, Weißrußland, Moldawien - und Rußland.
Auch wenn die Autorität des Völkerrechts und der UN formal anerkannt werden, heißt es in dem Papier: „Das Recht entwickelt sich als Reaktion auf Entwicklungen wie die Proliferation [von Massenvernichtungswaffen], Terrorismus und die globale Erwärmung“. Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) wird unterstützt. Außerdem heißt es:
„Die Verbreitung guter Regierungsführung, die Unterstützung sozialer und politischer Reformen, die Bekämpfung von Korruption und Machtmißbrauch, die Herstellung des Rechtsstaats und der Schutz der Menschenrechte sind die besten Mittel zur Stärkung der internationalen Ordnung.“
Unter der Überschrift „Politische Folgen für Europa“ schreiben die Autoren, das „Krisenmanagement“ der EU müsse „aktiver, kohärenter und fähiger werden... Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die eine frühzeitige, schnelle und wenn nötig robuste Intervention fördert. Als Union von 25 Mitgliedstaaten, die mehr als 160 Mrd. Euro für die Verteidigung ausgeben, sollten wir in der Lage sein, mehrere Operationen gleichzeitig aufrecht zu erhalten... Wir sollten in der Lage sein, zu handeln, bevor die Länder um uns herum verfallen, wenn Hinweise auf Proliferation festgestellt werden und bevor humanitäre Notlagen entstehen. Ein präventives Engagement kann ernsthaftere Probleme in der Zukunft verhindern... Um unsere Streitkräfte in flexiblere, mobile Kräfte zu verwandeln und sie in die Lage zu versetzen, mit neuen Bedrohungen umzugehen, sind mehr Mittel für die Verteidigung und eine effizientere Nutzung dieser Mittel notwendig.“
Hier wird - in anderen Worten - die Politik der Regimewechsel beschrieben. Angesichts dessen sind die hier und da verstreuten Erklärungen über die Kooperation mit Rußland bloß Feigenblätter.
Heusgen entwarf das ESS-Papier zusammen mit Robert Cooper, dem früheren politischen Berater von Tony Blair, der 2002, drei Jahre nach Heusgen, in Solanas Büro überwechselte. Heusgen hat bisher keine Bücher veröffentlicht, aber Cooper sehr wohl. Seine Bücher offenbaren, was im ESS-Papier bloß zwischen den Zeilen steht: einen „liberalen Imperialismus“.
Coopers Buch The Breaking of Nations: Order and Chaos in the Twenty-First Century („Das Zerbrechen von Nationen: Ordnung und Chaos im 21. Jahrhundert”) erschien 2003, im gleichen Jahr, als Cooper und Heusgen die ESS ausarbeiteten. In seinem Buch schreibt Cooper: „Die weitreichendste Form der imperialen Expansion ist die der Europäischen Union. Die post-moderne europäische Antwort auf Bedrohungen besteht darin, das System des kooperativen Empire immer weiter auszudehnen.“
2001 hatte Cooper mit seinem Vorschlag, zu einer neuen Form des Imperialismus überzugehen, eine intensive Diskussion in Großbritannien ausgelöst. In einem Artikel des Magazins Prospect unter dem Titel „The Next Empire“ („Das nächste Imperium“) hatte Cooper damals geschrieben, daß „scheinbar alle Voraussetzungen für einen neuen Imperialismus gegeben sind“. Während er dies schrieb, war Cooper immer noch außenpolitischer Berater von Premierminister Tony Blair.
Der EIR-Journalist Mark Burdman kommentierte Coopers Rolle in seinem Aufsatz „Robert Coopers ,liberaler Imperialismus’“ (Neue Solidarität 27/2004): „In dieser Position, wo er praktisch dem Blick der Öffentlichkeit entzogen war, wurde Cooper die treibende Kraft hinter Blairs berüchtigter Rede über ,liberalen Imperialismus’, die dieser in Chikago 1999 während des Kosovokrieges gehalten hatte. Damals hatte sich Blair für eine neue Ära weltweiter Interventionen ausgesprochen - natürlich aus ,humanitären’ Erwägungen. Coopers Schriften zeigen, daß er den Kosovokrieg als Modell seines Neoimperialismus betrachtet.“
Bald danach wurde Cooper britischer Sonderbotschafter in Afghanistan.
Zur gleichen Zeit arbeitete Heusgen im deutschen Außenministerium, zunächst als stellvertretender Büroleiter des damaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP, 1993-1997) und schließlich als Leiter der Europaabteilung. Kinkels damalige Äußerung, die Serben müßten „auf die Knie gezwungen werden“, wurde berühmt.
Als Heusgen 2005 von Angela Merkel ins Kanzleramt berufen wurde, schrieb die Wochenzeitung Die Zeit in einem Portrait über ihn: „Ein paar Dinge würde er schon gern anders machen. Im Umgang mit Rußland beispielsweise. Da hat er in Brüssel bitter gespürt, wie sehr die Freundschaft zwischen Putin und Schröder die Osteuropäer verunsichert. ,Ich bin für die Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks’, sagt Heusgen, denkt also an eine neue Partnerschaft mit Frankreich und Polen. Er will Warschau stärker einbinden, bei den Balten öfter anrufen und, wenn es der Zeitplan zuläßt, auch die Kanzlerin einmal vorbeischicken. Kleine Zeichen mit Signalwirkung.“
Der Zeit-Bericht enthält auch einige andere interessante Elemente über die Wende in der deutschen Außenpolitik, die sich mit Heusgens Aufstieg vollzog:
„Deutsche Außenpolitik werde im Kanzleramt gemacht, hieß es unter Bundeskanzler Schröder... Heusgen ist da mental einen Schritt weiter. Deutsche Außenpolitik werde am Telefon gemacht - irgendwo zwischen Berlin, Brüssel, London, Warschau und Washington, könnte seine Doktrin lauten. Und deswegen fällt bei ihm fast zwangsläufig in jedem zweiten Satz das Wort Europa. Neue deutsche Außenpolitik? ,Die funktioniert nicht ohne Einbindung in Europa.’ Deutschlands Sitz im Sicherheitsrat? ,Der ist derzeit Illusion, die Europäer müssen im Sicherheitsrat besser zusammenarbeiten.’ Deutsche Interessen? ,Deutschland hat eine unglaubliche Chance, eine große Rolle in Europa zu spielen…’ So viel Europa war nie.“
Diese Aussagen provozierten damals wütende Reaktionen von führenden Vertretern der SPD, da es einer der Punkte in der Koalitionsvereinbarung war, daß Deutschland einen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstreben werde. Gernot Erler, der dann unter Steinmeier Staatsminister im Außenministerium wurde, sagte damals gegenüber Die Zeit, es sei „schwer vorstellbar“, daß „Beamte“ die unter großen Schwierigkeiten ausgehandelte Koalitionsvereinbarung „korrigieren“.
Die Zeit beschrieb Heusgens Rolle bei der Ausarbeitung der ESS: „Auch an seiner Analyse liegt es, daß die EU heute Polizisten auf den Balkan, Soldaten in den Kongo und militärische Beobachter nach Indonesien schickt. Elf Missionen laufen derzeit unter europäischer Flagge, auf vier Kontinenten. Und Heusgen will noch mehr.“ Heusgen „kämpfte im Hintergrund (und zeitweise sogar gegen alle Einwände von Solana) kräftig dafür, den Sudan wegen seiner Menschenrechtsverletzungen vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Mit Erfolg.“ (Die Zeit 47/2005, Merkels Welt-Erklärer, http://www.zeit.de/2005/47/Heusgen)
Der Spiegel berichtete im Juni 2012, wie Heusgen Lothar De Maizière bezüglich des Petersburger Dialogs unter Druck setzte: „Im Frühjahr wurde Heusgen deutlicher: Wenn nichts passiere, würden die deutsch-russischen Regierungskonsultationen nicht mehr zeitgleich mit dem Petersburger Dialog stattfinden. De Maizière lenkte ein, aus Angst vor dem angedrohten Bedeutungsverlust. Ex-Botschafter Ernst-Jörg von Studnitz, 75, wurde abgelöst.“ (Der Spiegel 32/2012, „Glatte Fehlbesetzung“, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87649511.html)
Und wer war damals von Studnitz’ Nachfolger als Leiter des Arbeitskreises Zivilgesellschaft? Der berüchtigte Neocon und Putinhasser Andreas Schockenhoff.
Von Studnitz gehört heute übrigens zu den Unterzeichnern des Aufrufs „Krieg in Europa: Nicht in unserem Namen“.
Claudio Celani