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Neue Solidarität
Nr. 46, 11. November 2015

Warum (nicht nur) Amerika den Wert der Klassik wieder erkennen muß

Von Philip Ulanowsky

Der Autor Philip Ulanowsky ist der Sohn des weltberühmten Klavierbegleiters Paul Ulanowsky (siehe paul-ulanowsky.org). Er erläutert, warum der Weg aus dem heute vorherrschenden Geist eines „finsteren Zeitalters“ in eine klassische Renaissance über die Musik führen muß.

Eine Fernsehdebatte der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten; nach einleitenden Bemerkungen wendet sich der Moderator an die Kandidaten. Zigmillionen Bürger schauen erwartungsvoll zu.

„Unsere erste Frage heute abend: Wie sehen Sie den Verfall der Kultur im letzten halben Jahrhundert durch den Aufstieg und die Vorherrschaft der Rockmusik, und was würden Sie als Präsident tun, um das rückgängig zu machen?“

Man sollte das nicht gleich als Fiktion abtun. Denken Sie einmal gründlich darüber nach. Natürlich hat es keinerlei Ähnlichkeit mit irgendwelchen Debatten von Kandidaten für das Präsidentenamt (oder den Kongreß oder ähnliches) in diesem genannten halben Jahrhundert bis heute. Aber es gab in Amerika auch Zeiten, wo Fragen von ähnlichem kulturellem Tiefgang das Interesse der Öffentlichkeit fesselten. Der ernsthafte Bürger von heute, egal welcher politischen Couleur, kann in den Schriften und Reden inspirierender früherer Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kunst eine Sprache finden, aus der ein erhabener, klassisch gebildeter Geist spricht. So wurden der Öffentlichkeit die Ideen präsentiert, aus denen die größten Leistungen der wirtschaftlichen Entwicklung, der Staatskunst, der wissenschaftlichen Forschung und des technischen Fortschritts hervorgingen.

Doch welche dieser großen Persönlichkeiten hatte es mit einer Krise der menschlichen Zivilisation zu tun, die wirklich mit der heutigen vergleichbar wäre? Sicher gab es auch damals schreckliche Ignoranz und Rückständigkeit in vielen Teilen der Gesellschaft; aber wer von ihnen mußte sich gegen eine Bevölkerung behaupten, die über mehrere Generationen hinweg durch Rockmusik verroht wurde und nun diese ihre eigene Verrohung erbittert verteidigt? Die niemals der Gedanken käme, sich selbst zu befreien und dabei zu helfen, ihr Land zu befreien, das aus immer erschreckenderem Mangel an Bildung immer tiefer in der Barbarei versinkt und auch noch stolz darauf ist?

Wiederentdeckung des Schönen

Der Ausweg aus dem Zusammenbruch der heutigen Gesellschaft kann nicht mechanisch sein. Selbst das beste Programm für wirtschaftliche Erholung muß scheitern, wenn wir uns nicht der unbequemen Realität stellen, daß wir uns durch unseren Abschied von wahrer Kreativität in den Wissenschaften und Künsten selbst „erledigt haben“. Aus verschiedenen Gründen besteht der am leichtesten zugängliche Ausweg aus dem mörderischen Geist des Finsteren Zeitalters für den ernsthaften Bürger heute darin, die Schönheit wiederzuentdecken, die uns die klassische Schule der musikalischen Wissenschaft bietet.

1962 machte ein führender klassischer Musiker des 20. Jahrhunderts in seiner Rede bei der Entlassungsfeier für die Musikstudenten eines amerikanischen Konservatoriums vorausschauende Bemerkungen. Der Klavierbegleiter Paul Ulanowsky (1908-1968), ein weltbekannter Pianist und Lehrer, erinnerte sich an seine Jugend in Österreich:

Er spann diesen Gedanken weiter und bezog sich auf die wachsende Verbreitung elektronischer Unterhaltung:

Und das war Jahrzehnte, bevor die heutige Plage der allgegenwärtigen Musikabspielgeräte eine ohnehin immer asozialere Gesellschaft ergriff. Könnte dieser Prozeß dazu beigetragen haben, daß Sie als Bürger heutige irgendwelchen schlechten Ersatz für Ihre eigene, aktive Mitgestaltung des zukünftigen Kurses des Landes akzeptieren? Anders formuliert: Was tun Sie in Ihrem täglichen Leben, um eine Qualität universellen Denkens zu finden, die Ihr kreatives Potential widerspiegelt, um die entscheidenden Konzepte für die notwendige neue Renaissance zu begreifen?

„Eine Renaissance? Sims mir!“

So wie die wegbereitenden Persönlichkeiten der Florentiner Renaissance in Europa auf die alten Griechen zurückgriffen, um Ideen zu finden, mit denen sie aus dem nachwirkenden Erbe des verrückten Römischen Reiches eine neue Gesellschaft aufbauen konnten, so können wir auch heute auf die Höhepunkte des Denkens und der Kultur vor unserer Zeit zurückblicken. Und wir werden die Ideen, die wir brauchen, in der klassischen musikalischen Wissenschaft finden.

Wenn dieser Begriff „musikalische Wissenschaft“ Ratlosigkeit auslöst, dann ist daran genau der kulturelle Verfall schuld, den wir rückgängig machen müssen. Leonardo da Vinci, der universelle Denker, hätte gelacht über die Frage: „Was sind Sie - Wissenschaftler oder Künstler?“ Der große Albert Einstein fand die Inspiration, die Hürden seiner Arbeit zu überwinden, indem er sich seiner geliebten Violine zuwendete; er war ein hervorragender Musiker (genauso wie viele seiner bedeutenden Vorläufer). Das war keine Flucht in die „leichte Muse“, keine „Hintergrundmusik“, keine „Oldies“, ganz zu schweigen natürlich vom Zertrümmern von E-Gitarren im dionysischen Rausch oder geisttötenden lauten Beats oder monotonem Sprechgesang. Aber was sind denn nun „wissenschaftliche Ideen“ in der klassischen Musik?

Was die Mehrheit der heutigen Öffentlichkeit betrifft, der angemessene Angebote, in einem klassischen Chor zu singen oder in einem vergleichbaren klassischen Instrumentalensemble zu spielen, systematisch weggenommen wurden, würde dies zugegebenermaßen eine Einführung für den sprichwörtlichen „Laien“ erfordern - was den Rahmen dieses Artikels sprengen würde und was man ohnehin viel besser in einem persönlichen Austausch entdeckt. Trotzdem können wir ein paar Dinge dazu sagen.

Bei Werken mit Gesang haben die klassischen Komponisten oft die zentrale Ironie des gewählten Gedichtes, geistlichen oder dramatischen Textes (etwa in der Oper) ausgedrückt und häufig verstärkt, und sie nutzten dafür verschiedene Aspekte der Musik. Diese Aspekte kennen wir alle aus der normalen Sprache.

Sie können dazu selbst ein kleines, musikalisches Experiment machen, um sich anhand dieses Satzes Ihr Wissen hierüber selbst zu verdeutlichen. Lesen Sie den Satz laut, aber lassen die Musik darin völlig weg - also Änderungen der Tonlage (sprechen Sie monoton), des Tempos, des Rhythmus (Länge der Silben und der Pausen dazwischen), der Betonung (indem Sie z.B. alle Silben des Worts „Experiment“ gleich betonen), des Stimmcharakters (wie z.B. Härte oder Weichheit) und der Dynamik (Lautstärke). Achten Sie darauf, daß Ihre Stimme den ganzen Satz lang unnatürlich auf der gleichen Tonhöhe bleibt; und sprechen Sie den Satz entweder ohne jeden Abstand zwischen den Silben (und Worten) oder mit einer genau gleich langen Pause zwischen allen Silben, etwa so: Sie-kön-nen-da-zu-selbst-ein-klei-nes-mu-si-ka-li-sches-Ex-pe-ri-ment-ma-chen-um-sich-an-hand-die-ses-Sat-zes-Ihr-Wis-sen-hier-ü-ber-zu-ver-deut-li-chen...

Es kann schon an sich eine wichtige Entdeckung sein, sich darüber bewußt zu werden, wie die Musik hinter den Worten deren Bedeutung bestimmt. Und es verschafft uns einen ersten Einblick, wie sich die Idee eines Gedichtes oder Schauspiels verstärken läßt, indem man in der musikalischen Begleitung eine oder mehrere „Stimmen“ zum Gegebenen hinzufügt - eine Begleitung, die mehr ist als bloßer Hintergrund zu den Worten, nämlich ein damit eng verwobener Aspekt im Ausdrücken der Idee. In einigen Fällen kann die Änderung der Sprachmusik den Worten sogar die entgegengesetzte Bedeutung verleihen - eine Ironie durch den „Tonfall“. Der heute so verbreitete Hang nach ständiger Berieselung durch Hintergrundmusik zur Unterhaltung erschwert es uns jedoch, diese Wechselwirkung zu erkennen und sich daran zu erfreuen.

In der bereits zitierten Rede fährt Ulanowsky, nachdem er auf die Bedeutung des Musiklehrers eingegangen ist, in seinen Ausführungen so fort:

Wie ein Drama von Shakespeare oder Schiller verlangt klassische Musik etwas von uns, um uns ihre Schätze zu eröffnen.

Wo findet man Ideen in der gesanglosen Musik, wo es keine Worte gibt, an denen sich unser Denken orientieren könnte? Tatsächlich gewinnt die Musik dort sogar größere Freiheit, universelle „wissenschaftliche“ Ideen auszudrücken. Natürlich nicht, wenn man die falsche, vorherrschende, indoktrinierte Vorstellung akzeptiert, „wissenschaftlich“ wäre gleichbedeutend mit mathematisch oder auch nur streng logisch; sondern vielmehr, wenn man unter Wissenschaft das Entdecken nachweislicher Naturprinzipien versteht, so wie es die größten Wissenschaftler und Künstler (und nicht zuletzt auch Theologen) verstanden haben. Wie in der Kommunikation mit Worten oder zweidimensionalen Bildern kann die Sprache der Musik ihre eigenen Ironien - Mehrdeutigkeiten oder zu lösende Probleme - aufstellen und ihren Weg zu einer Lösung nehmen, den der Geist versteht, genauso wie dieser Geist nach Lösungen für Mehrdeutigkeiten und Probleme in der Naturwissenschaft und anderen Zweigen des Wissens suchen kann. Kunst ist nicht bloß „dekorativ“; sie belebt und bereichert vielmehr die wahren schöpferischen Fähigkeiten des Künstlers wie des Publikums und dient der höheren Aufgabe der Menschheit, die Zukunft zu gestalten.

Die Gabe des Gesangs

Große Musik zu komponieren, angemessen aufzuführen und voll wertzuschätzen, ist nicht einfach, und für die englischsprachige Welt kommt die Schwierigkeit hinzu, daß die Höhepunkte der klassischen Gesangsliteratur Werke von Komponisten sind - Mozart, Beethoven, Schubert, Verdi und andere -, die nicht oder kaum in dieser Sprache komponierten. Doch auch fremdsprachige Stücke sind zugänglich, und ihr Studium gehört zu den Grundpfeilern der LaRouche-Bewegung in den USA seit ihren Anfängen Ende der 1960er Jahre. LaRouche sah damals, wie die Masse der Studenten von einer neuen faschistischen Bewegung verführt wurde, versteckt im Gewande der „Befreiung“ von klassischen Ideen, Industrie und wissenschaftlichem Fortschritt und der „Freiheit“, in Existentialismus und der Gegenkultur von Rock, Drogen und Sex zu versinken, und er beschloß, selbst die Saat einer neuen Renaissance zu legen.

Glücklicherweise gibt es zahlreiche Tonaufnahmen klassischer Musik - etwa von Ulanowsky und vielen anderen seiner Generation -, die uns mit ihrer Vertrautheit mit den Ideen großer Genien von Wissenschaft und Kunst sowie mit ihrer Leidenschaft und Entschlossenheit, diese Ideen getreu wiederzugeben, heute wieder inspirieren können. In solchen Aufnahmen hört man quasi den frappierenden Unterschied zwischen einem Meistererzähler und dem erbärmlichen Schauspiel eines Politikers, der nur Phrasen wiederholt, um tierische Laute aus seinem Publikum hervorzulocken - den Unterschied zwischen dem, was unser Menschsein retten kann, und dem, was es schändet.

Wenn wir uns ganz der Wirklichkeit des heutigen globalen Zusammenbruchs stellen wollen - bei allen begeisternden positiven Entwicklungen der BRICS und der mit ihnen verbündeten Länder -, dann erfordert das eine Qualität persönlichen Mutes, die aus tiefen Quellen kommen und immer wieder aufgefrischt werden muß. Die klassische Musik bietet uns eine persönliche, emotionale und intellektuelle Verbindung zu den großen schöpferischen Geistern der Vergangenheit, zu den universellen Ideen, die sie sich zu eigen machten, zu jenem Ort in jedem von uns, wo sie Anklang finden. Die Herabwertung des angeborenen, einzigartigen menschlichen Funkens göttlicher Kreativität, die Herabwertung der menschlichen Gesellschaft, welche unsere jüngeren Generationen schon als Normalität hinnehmen, erreicht jeden von uns persönlich: Das Schreckliche in den Nachrichten, die wir täglich hören, liegt nicht außerhalb von uns, man kann es nicht betrachten, als wären wir bloß Zuschauer in einer modernen Version des alten römischen Zirkus.

In den Werken, die uns die großen klassischen Dichter und Komponisten hinterlassen haben, liegt der Schatz einer besonderen Form der Schönheit, deren Widerschein wir in uns selbst wiederfinden können. Daraus können wir den Mut schöpfen, uns selbst zu ändern und uns am Besten der Menschheit zu beteiligen. So kann an die Stelle des verfaulenden Kerns eines sterbenden Amerika ein neuer Geist treten, damit die amerikanische Republik wieder das wird, was die Gründerväter wollten und was sie gegen den brutalen Zwang des Britischen Empires unter großen Opfern erkämpften. Wie der große Wissenschaftler Benjamin Franklin antwortete, als er aus dem Verfassungskonvent kam und ihn jemand fragte, welche Regierungsform man beschlossen habe: „Eine Republik - wenn ihr sie erhalten könnt.“

Suchen Sie dazu nicht nach einer Person oder einem Programm von außen, sondern lassen Sie Rockmusik und ähnliche Irrationalität hinter sich und entzünden Sie das Licht der klassischen Musik in sich.