Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken
» » » Internetforum mit Helga Zepp-LaRouche « « «
Neue Solidarität
Nr. 48, 1. Dezember 2016

Carnot-Cournot-Netzwerk warnt vor Atomausstieg der Schweiz

In der Schweiz wird am 27. November über die Schließung der Kernkraftwerke abgestimmt.

Am 27. November stimmen die Schweizer über die auch als Atomausstiegsinitiative oder AAI bezeichnete „Volksinitiative für den geordneten Atomausstieg in der Schweiz“. Im Falle einer Mehrheitsentscheidung für die Initiative müßten schon im kommenden Jahr die drei Kernkraftwerke (KKW) Beznau I und II und Mühleberg abgeschaltet werden, 2024 würde das KKW Gösgen folgen, das KKW Leibstadt 2029.

Die Stromerzeugung dieser fünf Kraftwerke entspricht etwa einem Drittel des derzeitigen Stromverbrauchs in der Schweiz. Diese entfallenden Kapazitäten sollen nach den Vorstellungen der Initiatoren der AAI durch drei Maßnahmenpakete ersetzt werden: Sie wollen die Energieeffizienz steigern, Energiesparmaßnahmen vornehmen und verstärkt „neue erneuerbare Energieträger“ (nEE: Solarenergie, Windkraft, Biomasse und Erdwärme) nutzen.

Gegner der Initiative wie das „Carnot-Cournot-Netzwerk für Politikberatung in Technik und Wirtschaft“ warnen jedoch, daß diese Pläne kaum zu realisieren sind. In ihrer Studie1 schreiben die Autoren des Netzwerks u.a.: „Ausreichende Stromverbrauchsreduktionen durch Effizienzverbesserungen und Sparmaßnahmen sind unrealistisch. Die Stromnachfrage wird in den kommenden Jahren nach allen Prognosen weiter zunehmen, da vermehrt fossile Energieträger durch den Einsatz elektrisch betriebener Anlagen substituiert werden sollen.“

Bisher würden nur 4,3% der schweizerischen Stromerzeugung in nEE-Anlagen produziert, es müßte also massiv in Ersatzanlagen investiert werden. Die dafür zur Verfügung stehenden Mittel würden „bei weitem nicht ausreichen, um den Zubau der theoretisch erforderlichen Photovoltaik- und Windkraft-Anlagen usw. zu finanzieren“. Aber selbst wenn diese Kapazitäten geschaffen würden, „wäre die Versorgung noch nicht gesichert, weil der volle Ersatz von Bandenergie der KKW durch volatile Quellen im Jahresverlauf nicht möglich ist“.

Außerdem sei es kaum möglich, die entfallenden Kapazitäten innerhalb der knappen Zeiträume zu ersetzen: „Der Bau neuer Stromerzeugungsanlagen mit den für die Versorgungssicherheit ausreichenden Kapazitäten benötigt, unabhängig von der jeweils gewählten Technik, viele Jahre bis Jahrzehnte“ - und aufgrund der für den Bau der neuen Kraftwerke notwendigen Eingriffe in die Umwelt müsse man damit rechnen, daß diese Baumaßnahmen „mit Rechtsmitteln und politisch bekämpft“ würden.

Die Autoren kommen daher zu dem Schluß, daß der Energiebedarf dann „in großem Umfang nur mit Stromimporten befriedigt werden“ kann, was „angesichts der sich ab dem Winterhalbjahr 2025/2026 abzeichnenden und praktisch europaweiten saisonalen Versorgungsengpässen keinesfalls als gesichert betrachtet werden darf“. Sie warnen: „Zunehmende Versorgungsengpässe erhöhen die Gefahr einer zwangsweisen Abschaltung der Stromversorgung in einer Region.“ Die Kosten eines einzigen „Blackouts“ würden auf 2 bis 4 Mrd. Franken geschätzt, „und der volkswirtschaftliche Schaden eines Strommangels in einer Größenordnung von etwa 30% der üblichen Nachfrage während der Wintermonate wird mit weit über 100 Mrd. CHF beziffert“.

In ihrem 19seitigen Papier zeigen die Autoren im einzelnen auf, daß der Zwangsausstieg aus der Kernkraft mit hohen Kosten verbunden ist, und stellen fest: „Der massive Systemumbau bei Annahme der AAI hat tendenziell unsoziale und volkswirtschaftlich unerwünschte Verteilungswirkungen. Die vielen Kleinkunden und KMU würden direkt oder indirekt und intransparent mit den zusätzlichen Kosten belastet.“

Noch schlimmer ist ein weiterer wichtiger Aspekt, auf den das Netzwerk auf seiner Internetseite hinweist, nämlich der „Präzedenzfall Technologieverbot“: „Last but not least würde uns ein verfassungsmäßiges Nukleartechnologieverbot nicht nur vom rapiden technischen Fortschritt im Nuklearbereich abkoppeln, sondern dazu einen noch nie dagewesenen Präzedenzfall einer politischen Wissensanmaßung und eines politischen Diktats in Bildung, Forschung und Entwicklung ergeben.“

Wenn man den Autoren der Studie etwas vorwerfen kann, dann dies, daß sie den Blickwinkel der Konsequenzen noch zu eng fassen. Ein Aspekt, der in der Studie nicht berücksichtigt ist, sind beispielsweise die weltweiten wirtschaftlichen Entwicklungen, die insbesondere durch Chinas Initiative der „Neuen Seidenstraße“ in Gang gebracht und vorangetrieben werden. Es ist kein Wunder, daß gerade in Ländern wie China und Indien eine große Zahl von neuen Kernkraftwerken geplant und im Bau ist, weil für die neuen Industriegesellschaften, die mit Hilfe der Seidenstraßen-Initiative geschaffen werden, erhebliche Mengen an Energie benötigt werden.

Zur Verwirklichung der zahllosen Projekte werden auch große Mengen an Maschinen und Werkzeugen gebraucht - ein Bereich, in dem die Schweiz traditionell zu den weltweit führenden Nationen gehört. Gerade dieser Hochtechnologiesektor würde enorm darunter leiden, wenn er sich nicht mehr auf eine verläßliche oder nur noch auf eine dramatisch verteuerte Stromversorgung stützen könnte. Die Existenz dieses Sektors in der Schweiz wäre bedroht - und damit auch der Beitrag, den die Schweiz zur Entwicklung der Welt beitragen kann und muß.

Hinzu kommt, daß gerade die Nuklearwissenschaften zu den Bereichen der Wissenschaft und Technologie gehören, in denen weitere schnelle Fortschritte gemacht werden müssen, um die Zukunftsaufgaben der Menschheit meistern zu können. Aber ein Ausstieg der Schweiz aus der Kerntechnik hieße, daß sich die Jugend - wie in Deutschland - von diesem Bereich abwenden würde. Wer wird schon Kerntechnik studieren, wenn man dann ins Ausland gehen muß, um Arbeit zu finden? Und damit würde die Schweiz in diesem Bereich den Anschluß verlieren. Ohne Kerntechnik würde die Zukunft der Schweiz zu einer Sackgasse.

Alexander Hartmann


Anmerkung

1: Bernd Schips, Silvio Borner, Hans Rentsch, Hans Achermann, Emanuel Höhener, Markus Saurer, „Atomausstiegsinitiative (AAI): Volkswirtschaftliche und ökologische Kosten“ http://industrieoekonomie.ch/wp-content/uploads/2016/11/CCN_Kosten-AAI_November-2016.pdf