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Neue Solidarität
Nr. 30, 27. Juli 2017

Ein George W. Bush könnte in China nie an die Macht kommen

Von Stephan Ossenkopp

Professor Zhang Weiwei, ein international renommierter Wissenschaftler und Bestsellerautor, stellte am 11. Juli in seinem vorzüglichen Gastvortrag beim Schiller-Institut in Berlin das „Chinesische Modell und seine Implikationen“ vor.

Die deutschen Medien zeichnen hierzulande wiederholt ein China-Bild, das mit der Realität eigentlich keinerlei Überschneidungen zeigt. Damit soll der deutschen Öffentlichkeit die Alternativlosigkeit des Modells der neoliberalen Globalisierung suggeriert werden, bei völliger Ausblendung der derzeitigen dramatischen globalen Kräfteverschiebungen, in deren Zusammenhang sich Chinas Angebot der Neuen Seidenstraße als Plattform für eine Win-Win-Kooperation in ungeheurem Tempo als zunehmend attraktiver herausstellt. Das von Helga Zepp-LaRouche 1984 gegründete internationale Schiller-Institut bot deshalb Prof. Zhang Weiwei von der Shanghaier Fudan-Universität ein Podium, um die in Deutschland ausgeblendeten Fakten systematisch darzustellen und mit den rund 50 Gästen der Veranstaltung darüber zu diskutieren.

Prof. Zhang, dessen in hoher Auflage veröffentlichten Bücher ihm den Status eines führenden Intellektuellen verliehen haben, hielt sich in seinem etwa einstündigen Vortrag und während der ausführlichen Diskussionsrunde an den Leitspruch seines Mentors, des Reformers Deng Xiaoping: „Man soll die Wahrheit in den Tatsachen suchen.“ Der Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken sei ein von China geschaffenes und ihm eigenes Modell, das sich zutraue, das zerfallende System der westlichen Demokratie in allen Punkten zu übertreffen. Die Vereinten Nationen hätten das Erreichen der Millenniumsziele zur Armutsreduktion allein deshalb verkünden können, weil China für 70% der Armutsbeseitigung verantwortlich gewesen ist. Chinas Wirtschaftsaufbau habe die mit 300 Millionen Mitgliedern größte Mittelschicht der Welt geschaffen. Die allgemeine medizinische Versorgung und Altersabsicherung habe man in nur fünf Jahren erreicht.

In seinem berühmten Meinungsaustausch mit Francis Fukuyama, der behauptet hatte, auch China werde einen „Arabischen Frühling“ erleben, zerriß Zhang nicht nur das aus neoliberalen Gedankenfarben gemalte Fantasiebild Fukuyamas, sondern machte sogar die Prognose, der vom Westen unterstützte Arabische Frühling werde in einen Winter umschlagen und Migrationswellen auslösen. „Hätten die Fachleute der Europäischen Union damals auf uns chinesische Experten gehört, hätte man die Flüchtlingskrise vermeiden können“, sagt Zhang.

China ist eine Meritokratie

Seit der Vereinigung Chinas im Jahre 221 v.Chr. habe der kaiserliche Hof die Aufgabe der Integration der vielen unterschiedlichen Provinzen und Städte, der breiten Vielfalt an Sprachen und Traditionen zur Hauptaufgabe gehabt. Der Anspruch an nationale Führungspersonen, „tian xia“ – alle Menschen unter dem Himmel – zu repräsentieren, bestehe bis zum heutigen Tage. Personen mit solchen Qualitäten werden in einem umfassenden selektiven Prozeß ausfindig gemacht, der in China auf eine lange Tradition zurückgeht. 95% der chinesischen Beamten, sagt Prof. Zhang, seien einfache Leute, die wegen ihrer Leistungen befördert würden. Staatspräsident Xi Jinping beispielsweise habe sich deshalb für diese hohe Position qualifiziert, weil er Gouverneur von drei Provinzen (Fujian, Shanghai und Zhejiang) gewesen ist, bevor er überhaupt in den Ständigen Ausschuß des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas gewählt worden sei.

Nur jemand, der sich konkret um das Gemeinwohl verdient gemacht habe, könne in einem solchen meritokratischen System aufsteigen. Eine schwache Führungsperson, so wie George W. Bush, hätte in China keine Chance, an die Macht zu kommen, so Zhang, da China das System mit dem weltweit größten Konkurrenzfaktor und mit einem institutionalisierten Entscheidungsfindungsprozeß sei. Allen wichtigen Entscheidungen gingen Hunderte von Diskussions- und Konsultationsrunden voraus, während man sich in den USA einfach nur den politischen Einfluß kaufen und die Politiker wiederum in der Öffentlichkeit vermarkten müsse. Dies sei noch leichter geworden, seit der amerikanische Oberste Gerichtshof die gesetzliche Obergrenze für Wahlkampfspenden komplett aufgehoben habe.

In China sei aber nicht nur die öffentliche Meinung (Minyi) ausschlaggebend, da die sich gerade unter dem Einfluß der neuen sozialen Medien innerhalb von Stunden verändern könne, sondern es gebe auch das langfristige Interesse des Staates (Minxin) in seiner Gesamtheit. Der Staat werde als notwendiges Gutes angesehen, und nicht als ein notwendiges Übel, wie es in der westlich-liberalen Anschauung üblich ist. In Chinas sozialistischer Marktwirtschaft hat der Staat deshalb das Primat des Landeigentums und das dementsprechende Nutzungsrecht. Nur so könne der Zusammenhalt aller Landesteile durch die Entwicklung einer nationalen Infrastruktur funktionieren. Auch das Mobilfunknetz sei in den Händen staatlicher Einrichtungen.

Das erzeuge aber keinerlei Konflikt mit privaten Unternehmen. Das berühmteste Beispiel sei der äußerst erfolgreiche Unternehmer und Milliardär Jack Ma, dessen private Verkaufsplattform im Zusammenspiel mit der staatlichen Infrastruktur riesige Gewinne verzeichne. Beim „1111 Shopping Festival“ hätten Chinas private Händler an einem Tag 300 Mrd. Dollar Umsatz gemacht, was dem BIP Indiens in einem Jahr entspreche.

Chinas Globalisierung: die Neue Seidenstraße

Die Belt and Road Initiative (BRI), wie Präsident Xi Jinping die Neue Seidenstraße nennt, bietet nun das Erfolgsmodell Chinas zur internationalen Kooperation an. Es ist eine neue Plattform entstanden, die den Ausbau landgestützter Entwicklungskorridore und der Seerouten zwischen Asien, Indien, Afrika und Europa erreichen will. Es ist ein Plan für die kommenden 50-100 Jahre, erläutert Prof. Zhang, der die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerungen in den teilnehmenden Ländern zum Ziel hat.

Diese chinesische Form der Globalisierung sei ein Modell der infrastrukturellen Vernetzung durch Pipelines, Schnellstraßen, Hochgeschwindigkeitszüge, Kommunikationstechnik, See- und Luftverbindungen. Es wolle eben gerade nicht die geopolitische Globalisierung des Westens nachahmen, der das neoliberale Wirtschaftsmodell, Privatisierungen und Farbenrevolutionen wie den Arabischen Frühling exportiere. Die BRI bedeute, daß man „gemeinsam diskutiert, plant, baut und profitiert“. Die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), die dieses Projekt mitfinanziert, werde bis Ende 2017 sogar fast 90 Staaten als Mitglieder aufgenommen haben. Obwohl die AIIB und auch der Silk Road Fund chinesische Ideen seien und mit chinesischem Geld operierten, wolle man den anderen Teilnehmern nicht Bedingungen aufzwingen, sondern kooperieren. Darauf beruhe der Erfolg, der der chinesischen Philosophie folge: schaffe einen Trend (Qushi), und andere werden dir folgen! Dieser neue Trend gehe weg vom alten Nullsummenspiel und hin zum Win-Win-Modell, so Zhang.

Helga Zepp-LaRouches strategische Anmerkungen

Die Gastgeberin und Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, beglückwünschte Prof. Zhang Weiwei für seinen wichtigen Beitrag. In ihren Anmerkungen dazu markierte sie den strategischen Kontext, in dem diese Entwicklungen stattfänden, nämlich der Annäherung der Präsidenten Trump, Putin und Xi im Umfeld des Hamburger G-20-Gipfels. Diese veränderte Situation habe tiefgreifende Folgen für Deutschland. Bei dem Treffen in Moskau bezeichnete man die russisch-chinesischen Beziehungen als auf dem höchsten Stand in der Geschichte beider Nationen. Auch die amerikanisch-chinesischen Beziehungen hätten sich nach dem Treffen zwischen Trump und Xi in Florida sehr gut entwickelt. Dies sei ein bedeutender Schritt hin zur Verwirklichung von Xi Jinpings Vision einer „Interessensgemeinschaft der Menschheit“ und eines neuen, von Geopolitik befreiten Paradigmas.

Ein Signal für eine bessere Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland sei der zwischen Merkel und Xi vereinbarte gemeinsamen Bau eines Wasserkraftwerks in Angola. Das neuerdings gestiegene Selbstbewußtsein der Afrikaner habe das Seinige dazu beigetragen, daß sich auch die Sichtweise deutscher Institutionen nun wandele. Denn China sei der hauptsächliche Investor in afrikanische Infrastrukturprojekte. So werde z. B. das lange vom Schiller-Institut befürwortete Tschadsee-Projekt „Transaqua“ nun von China vorangetrieben. Durch chinesische Investitionen entstünden derzeit in Afrika 300.000 Arbeitsplätze und zehn Industrieparks, wobei 95% der Beschäftigten Afrikaner seien. Dies alles sei durch die neue, stetig erstarkende Dynamik der Neuen Seidenstraße ausgelöst worden. Man tue gut daran, sich auf dieses neue Paradigma einzustellen, anstatt Deutschland für hoffnungslos zu erklären.

Unter dem Link newparadigm.schillerinstitute.com finden Sie Prof. Zhangs Rede im englischen Original. Auch den besonderen musikalischen Beitrag können Sie dort anschauen, eine von Benjamin Lylloff bearbeitete Chorversion des berühmten chinesischen Liedes „Mo Li Hua“ (Jasminblüte).