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Neue Solidarität
Nr. 11, 14. März 2019

Warum der Westen drauf und dran ist,
den Systemwettkampf mit China zu verlieren

In der Abschlußdiskussion am Ende des Berliner Seminars des Schiller-Instituts am 27. Februar (siehe unseren nebenstehenden Bericht) hob Helga Zepp-LaRouche den kulturellen Verfall des Westens und Chinas völlig entgegengesetzte Kulturpolitik als einen der Hauptgründe hervor, warum China dem Westen in dem vieldiskutierten „Systemwettkampf“ überlegen ist.

Anlaß ihrer Ausführungen war die Frage, ob der Westen denn tatsächlich eine Konfrontationshaltung gegenüber China einnehme, oder nicht vielmehr China den Westen konfrontiere. In ihrer Antwort beschrieb sie zunächst einmal die Entwicklungen der letzten Jahre. China sei seit der Zeit Deng Xiaopings der Parole gefolgt, „den Ball flach zu halten und die eigene Rolle nicht zu betonen, sondern erst einmal den Aufbau zu betreiben“. Aber das habe sich, vor allem mit Xi Jinping, geändert. „Xi Jinping sagte, wir müssen unsere richtige Rolle als Weltmacht besser einbringen, zum Wohle der gesamten Menschheit.“ Dann habe China auch sein Programm „Made in China 2025“ sehr stark in den Vordergrund gestellt, „daß sie Weltmarktführer werden wollen, in zehn Schlüsseltechnologien – Computer, Roboter, künstliche Intelligenz, E-Autos und verschiedenen anderen Kategorien“.

Obwohl die Initiative der Neuen Seidenstraße das größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Menschheit sei, habe der Westen vier Jahre lang fast nichts über die Neue Seidenstraße berichtet. „Vier Jahre lang war Stillschweigen, und dann hat man irgendwann gemerkt: Moment mal, das wächst so schnell, und soviele Länder werden da mit integriert!“ Und dann hätten die Attacken des Westens begonnen. „Das war international wirklich koordiniert, plötzlich kamen diese Attacken vom CSIS1 und von europäischen Thinktanks.“

Das habe eine gewisse Diskussion in China ausgelöst, ob es klug gewesen sei, diese Rolle des 2025-Programms so stark herauszustellen und damit diese ganzen Attacken zu provozieren und auf sich zu ziehen. „Soweit ich weiß, hat China das ein bißchen zurückgefahren. Aber auf der anderen Seite: die Taten sprechen Worte. Mit der Landung auf der Rückseite des Mondes hat China die Führung in der Weltraumforschung übernommen, und da kann auch niemand mehr sagen: ,China hat die Technologie im Westen gestohlen’, denn China ist jetzt führend. Und dasselbe gilt für die Kernfusion; der Reaktor, das EAST-Projekt, hat die höchsten Temperaturen über die längste Zeit erreicht.“

Sie wies die Versuche zurück, „China schwarzzumalen“, wie beispielsweise die Behauptung, China versuche, alle die Länder, mit denen es kooperiere, in eine Schuldenfalle zu locken: „Das stimmt nicht. In Afrika z.B. gibt es viele Länder, die Schenkungen bekommen haben, also nicht nur Kredite, sondern wo China einfach Sachen finanziert hat, z.B. in Äthiopien oder anderen Staaten.“ Natürlich habe China einen Einfluß. „Aber meine tiefste Überzeugung ist, daß China all das meint, was es sagt, also, daß es nicht eine geheime Agenda gibt, sondern daß das konfuzianische Denken in die Politik einfließt. Eine harmonische Entwicklung aller Staaten, das Recht auf Beibehaltung des anderen Systems, Nichteinmischung – alles das sind Prinzipien, die China befolgt.“

Die besten Traditionen verlassen

Vor allem aber sei der Westen „damit konfrontiert, daß wir uns von unseren besten Traditionen abgewandt haben, siehe List, siehe Humboldt, Schiller, unsere klassische Periode, da wo unsere humanistischen Denker eine größere Rolle gespielt haben; diese Werte haben wir verlassen. Und wir haben sie ersetzt durch liberale oder neoliberale Werte – alles ist erlaubt, es gibt keine Prinzipien mehr. Fast täglich entsteht ein neues ,Geschlecht’, es gibt da Männer, Frauen, Diverse, und inzwischen gibt es da schon so viele Unterteilungen. Das mag es alles geben, aber warum hängt man das so heraus? Die Jugendkultur habe ich schon vorhin erwähnt.“

China habe im Gegensatz dazu z.B. Hip-Hop-Musik verboten, „mit dem Argument, daß die Texte des Hip-Hop ein degradiertes Frauenbild haben, daß sie Gewalt propagieren, daß sie Dinge propagieren, die schädlich sind für den Geist.“ Das gleiche gelte für banalisierende Unterhaltungssendungen wie z.B. Quiz-Shows, wie sie im Westen stark verbreitet sind.

Dieser Unterhaltungskultur des Westens stellte sie dann Friedrich Schillers Idee der ästhetischen Erziehung gegenüber. Die ästhetische Erziehung veredle den Menschen. „Schiller fragt: ,Woher soll die Veränderung kommen, wenn der Staat korrupt ist und die Massen erschlafft sind?’ Das gilt ja durchaus auch für uns. Vom Staat ist nicht zu erwarten, daß die Veränderung kommt. Und von den Massen auch nicht, weil die träge, degeneriert, matt sind. Das ist ja eigentlich ein Spiegel unserer eigenen Gesellschaft heute, mit anderen Prädikaten, aber im Prinzip dasselbe.“

Schiller gebe darauf die Antwort, die Veränderung könne nur von der großen klassischen Kunst kommen, weil diese den Menschen veredelt. „Durch die Schönheit wird nicht nur die Vernunft angesprochen, sondern eben auch die Sinne. Denn die Schönheit spricht die Sinne an, aber da die Schönheit bei Schiller ein Vernunftbegriff ist, hebt sie den Menschen spielerisch empor zu einer höheren Ebene. Und Schiller sagt, wie übrigens auch Cai Yuanpei,2 daß es darauf ankommt, den Menschen in seiner Muße zu veredeln.“

Wenn der Mensch arbeite und seinen Unterhalt verdienen müsse, dann habe er keine Zeit, da sei er so mit den notwendigen Dingen beschäftigt, daß er eben keine Zeit habe, sich mit schönen Dingen zu beschäftigen. „Wenn er sich aber in seiner Freizeit – anstatt die Zeit zu verlieren und zu verschleudern – mit schönen Kunstwerken, in der Musik, in der Malerei, in der Dichtung beschäftigt und sich darauf einläßt, sich da hinein versenkt, dann empfindet er in dem Augenblick edel und wird von der Schönheit quasi verbessert.“

Schiller habe diese Idee vertreten, daß die Veredelung des Menschen durch diese ästhetische Erziehung erfolgt, „und das ist eben auch ein Grundgedanke in China“. Xi Jinping habe die ästhetische Erziehung „für alle Ebenen der Gesellschaft vorangestellt, und ich denke, daß das unser Manko im Westen ist. Hier redet niemand davon, daß die Menschen sich verbessern sollen, im Gegenteil, alles ist erlaubt, und die Medien berichten nur über die schwachsinnigsten Ereignisse und größten Perversionen und gewalttätigsten Sachen.“

Im Fernsehen gebe es keine wirklichen Filme mehr, sondern „nur noch Krimis, und die Krimis sind alle mit sinnloser Gewalt angefüllt, mit Perversionen, mit Pornographie. Es gibt jetzt eine Studie, die zeigt, daß z.B. Kinder schon im Alter von sechs, sieben, acht Jahren über das Internet alle pornographischen Inhalte abgreifen können, in der ekelhaftesten Form. Das hat einen unheimlich schlechten Effekt auf das kognitive Potential, weil es den Menschen verroht... Unsere Gesellschaft im Westen tut nichts, um das zu beheben.“

Die Folgen des kulturellen Verfalls

Sie kam dann auf die Folgen dieses kulturellen Verfalls zu sprechen. Die Industrie beschwere sich, daß 25% aller 15jährigen nicht anstellbar seien, „weil sie nicht motiviert sind, weil sie keinen Bock haben, weil sie drogenabhängig sind, oder sonst irgendwas. Amerika als Industrienation hat jetzt zwei Jahre in Folge einen Rückgang in der Lebenserwartung verzeichnet. Das muß man sich mal vorstellen! Wenn es irgendeinen Parameter gibt für den Erfolg einer Ökonomie, dann ist es die Lebenserwartung.“ Und die gehe in den USA zurück „wegen Alkohol, wegen Drogenabhängigkeit; sie haben eine Opiat-Plage von verschreibungspflichtigen Medikamenten, die die Leute abhängig gemacht haben. Und dann gehen sie auf die Straße, weil das Opium oder die Medikamente da billiger sind. Also mit anderen Worten: Wir haben im Westen ein riesiges Problem.“

Sie kam dann zurück auf ein kürzlich vorgelegtes Grundsatzpapier des BDI zum Systemwettbewerb mit China: „Meine Überlegung ist: Wenn wir uns im Westen nicht ändern, dann brauchen wir uns gar nicht aufregen über China. Denn China wird vorangehen, und der Westen wird eine Generation nach der anderen produzieren, die moralisch vollkommen kaputt und schlecht ist. Der Westen ist eine sterbende Zivilisation.“

Wer das nicht sehen könne, der lebe offenbar „in einem Kokon... Wenn Sie mal mit Jugendlichen oder mit Kindern zu tun haben – die machen einem Angst! Die sind aggressiv, selbst Mädchen. Junge Mädchen sind wirklich – wenn Sie im Schwimmbad mal im Sommer sehen, wie Jugendliche miteinander umgehen, dann kann man nur sagen: Es graut mir. Und ich denke wirklich, daß der Westen die Weichen absolut anders stellen muß.“

Sie erinnerte dann daran, daß Deutschland früher ein ganz anderes Bildungssystem hatte. „Ich habe zum Glück noch viele Lehrer gehabt, die Humboldt repräsentiert haben, Deutschlehrer, aber auch andere. Und das war eine vollkommen andere Herangehensweise. Die sittliche Ausbildung stand im Mittelpunkt.“ Aber dann sei 1970 die Erziehungsreform der OECD gekommen, die Humboldt und den „Bildungsballast der letzten 2500 Jahre“ aus dem Kurrikulum herausgeworfen habe, „also Plato, Homer, Schiller, all das kam weg, und statt dessen kamen praktische Dinge – wie analysiert man Werbung in den Medien und andere solche Themen“.

China hingegen tue sehr viel, um seine 5000 Jahre alte Kultur wiederherzustellen „Sie haben Dunhuang erwähnt. Ich habe das Glück, in Dunhuang gewesen zu sein, und habe die Grotten gesehen. Das alles wird nicht nur restauriert, sondern auch elektronisch aufgenommen, sodaß möglichst viele Leute das studieren können. Alle anderen Kulturschätze werden liebevoll restauriert und der Bevölkerung zugänglich gemacht. Und im Grunde kann man sagen, daß China eigentlich alles tut, um die Bevölkerung auf einen guten Weg zu bringen.“

Sie schloß: „Ich denke wirklich, daß der Westen zu seiner eigenen Hochkultur zurückkehren muß, in Italien die italienische Renaissance, in Deutschland die deutsche Klassik, in Frankreich die École Polytechnique. Jede Nation sollte wirklich an den Hochphasen ihrer eigenen Geschichte anknüpfen, und darauf müssen wir dann etwas für die Zukunft entwickeln. Und es muß ein Austausch zwischen allen Kulturen stattfinden, damit wir voneinander lernen und uns alle weiterbringen.

Entweder wir machen das, oder der Westen wird an den Rand der Geschichte gedrängt.“

alh


Anmerkungen

1. CSIS: US-amerikanische Denkfabrik mit dem Fokus auf Außenpolitik.

2. Der große chinesische Pädagoge Cai Yuanpei (1868-1940) war im Frühjahr 1912 unter Sun Yatsen Erziehungsminister der provisorischen Republik China.