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Von Bruce Director
Zum ersten Mal seit 1945 befinden sich die Vereinigten Staaten in einem echten Krieg. Keiner der endlosen imperial-geopolitischen Kriege, in die Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg von den Überbleibseln des Britischen Empire hineingezogen wurde, sondern in einem echten Krieg gegen einen echten Feind. Es ist kein menschlicher Feind, sondern ein unsichtbarer: ein Virus, das die Gesundheit und das Wohlergehen der gesamten Menschheit bedroht. Ein Bündnis von mehr als 170 Ländern kämpft gegen diese Krankheit. Die internationale Zusammenarbeit, die sich jetzt aus der Not heraus bildet, schafft die Grundlage für eine Umkehrung der gescheiterten Außenpolitik der Sanktionen. Besonders dringlich ist eine erweiterte Zusammenarbeit mit Rußland und China im Bereich von Forschung und Entwicklung.
Die axiomatischen Annahmen hinter Amerikas Wirtschaftspolitik wandeln sich jetzt rasch. Das monetaristische Schuldensystem, dessen langer Niedergang vor mehr als 50 Jahren begann, ist in sich zusammengebrochen. Seine Befürworter, die seit dem Finanzcrash 2007-08 diskreditiert sind, aber ihren Einfluß behielten, stehen als die Narren da, die sie immer waren.
Maßgebliche Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft quer durch das politische und gesellschaftliche Spektrum beziehen sich auf die wirtschaftliche und politische Mobilisierung im Zweiten Weltkrieg als Vorbild. Viele in den USA sehen jetzt eine Überlebensfrage darin, zu der Wirtschaftspolitik aus dem Zweiten Weltkrieg zurückzukehren, die Amerika zum wissenschaftlich-industriellen Kraftzentrum machte, das den Krieg gewonnen hat. Die einzige Frage, die jetzt der Diskussion wert ist, ist die, wie man dorthin gelangt.
Der dramatische Zusammenbruch der Finanzmärkte veranlaßt viele zum Nachdenken über dringend notwendige Finanzreformen. Schon lange bevor COVID-19 entstand, war das Finanzsystem völlig verrottet. Verschärft wurde das durch die Entscheidung der Obama-Regierung, Wall Street und Londoner City zu retten, statt die Realwirtschaft wieder aufzubauen. Aber anders als 2008 ist die jetzige Krise nicht in erster Linie eine Finanzkrise, es ist eine Krise wie in Kriegszeiten. Wir brauchen sowohl realwirtschaftliche Maßnahmen gegen den Notstand als auch eine langfristige Perspektive für den Wiederaufbau und die Reorganisation der Wirtschaft auf der Grundlage des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.
Im Krieg konnten die USA sich auf den massiven Ausbau der Infrastruktur stützen, den Präsident Roosevelt zuvor durchgesetzt hatte. Heute ist die Realwirtschaft der USA durch jahrzehntelange Globalisierung und Monetarismus ausgeschlachtet, und wegen der Suche nach den billigsten Arbeitskräften sind lebenswichtige Lieferketten über die ganze Welt verstreut, was nicht nur moralisch falsch ist, sondern auch zu der jetzt offenkundigen nationalen Sicherheitskrise geführt hat. Alle diejenigen, die sich über Trumps Bemühungen, die Folgen der Globalisierung umzukehren und unter Umgehung der Welthandelsorganisation und anderer multilateraler Vereinbarungen Handelsabkommen zwischen einzelnen Staaten zu schließen, erscheinen im Rückblick sehr kurzsichtig.
Nichts weniger als die Rückkehr zu einer vollwertigen industriellen Wirtschaft in den USA und allen anderen Ländern kann die gegenwärtige Krise bewältigen und langfristig die Zukunft sichern. Es gibt bereits Forderungen nach einer neuen nationalen Industriepolitik und nach der Schaffung neuer, staatlich gelenkter Finanzierungsmechanismen, um die Produktion der benötigten Güter zu steigern.
Dies umzusetzen, erfordert eine Veränderung der Denkaxiome der heutigen Generationen. Nur dann können die dringend notwendigen Finanzreformen – speziell Lyndon LaRouches „Vier Gesetze“ –, durchgesetzt werden.
LaRouche sagte oft, nur wer den Zweiten Weltkrieg als Erwachsener erlebt hat, habe wirklich ein Gespür dafür, was eine funktionierende Realwirtschaft ist. Aber auch wenn inzwischen nur noch wenige Menschen leben, die diese Erfahrung gemacht haben, sind die Prinzipien hinter der Kriegsmobilisierung in der amerikanischen Kultur eingebettet und warten nur darauf, in die Tat umgesetzt zu werden – vorausgesetzt, die heutige Generation erkennt, daß ein solcher axiomatischer Wandel unabdingbar ist.
In seinem umfangreichen Werk hat LaRouche den axiomatischen Wandel dargelegt, der jetzt stattfinden muß. Bei seiner Beschäftigung mit der physischen Ökonomie nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte er sich auf den kausalen Zusammenhang zwischen kreativen wissenschaftlichen und künstlerischen Entdeckungen und dem realwirtschaftlichen Fortschritt, der die Grundlage für die Wirtschaftspolitik sein muß.
In dem Aufsatz „Die bevorstehende Desintegration der Finanzmärkte“1 reflektierte LaRouche 1994 über seine Studien der Nachkriegszeit:
„Die Summe der Lehren aus der Geschichte und Vorgeschichte für die Staatskunst ist, daß schöpferischer, revolutionärer Fortschritt im wissenschaftlichen und analogen Wissen nicht etwas ist, das an der Peripherie des menschlichen Blickfelds stattfindet: Er ist das Wesen der menschlichen Existenz, er ist das, was uns aufgrund unseres entwicklungsfähigen individuellen Potentials für schöpferische Vernunft als das Abbild des Schöpfergottes auszeichnet, so wie es das mosaische Erbe beschreibt.
Der anomale Aspekt der mathematischen Abbildung einer wachsenden Wirtschaft ist der, daß das Wesen der Wirtschaft nicht in der Produktion und dem Konsum von Gegenständen besteht, sondern in der aufsteigenden Transformation des Konsumzyklus, um die Mittel für eine verbesserte menschliche Existenz zu produzieren. Die schöpferischen Kräfte der Vernunft sind die Quelle, die Ursache für das Wachstum, das absolut notwendig ist, um den Zusammenbruch der Gesellschaft zu vermeiden. Der anomale Aspekt des Wirtschaftsprozesses ist der, daß das charakteristische Merkmal einer dauerhaft erfolgreichen Wirtschaftspolitik die menschliche, schöpferische Vernunft ist – eben das Vernunftprinzip, dessen Existenz die Wirtschaftslehre des verstorbenen John von Neumann und der zeitgenössischen ,Chaos’-Theoretiker implizit verneint.“
Etwas weiter vorne in demselben Aufsatz hatte LaRouche geschrieben:
„In den späten 1940er Jahren, nach der Depression der 1930er Jahre und nach dem Krieg, als wir die Rezession von 1947-48 erlebten, und nach dem wirtschaftlichen Aufschwung 1949, den die Neuauflage des Koreakonflikts im Kalten Krieg auslöste, waren wir alle, die wir einigermaßen empfindungsfähig waren, uns der anomalen Tatsache bewußt, daß im 20. Jahrhundert bis dahin die einzigen Perioden florierender Wirtschaft diejenigen waren, die mit relativ größeren Ausgaben für Kriegskosten verbunden waren. Zu der Zeit wurde der amerikanischen und anderen Regierungen häufig vorgeworfen, sie wollten Krieg als Mittel, um einen Wirtschaftsaufschwung zu organisieren! Wenn man über den Hintergrund dieser scheinbaren wirtschaftlichen Anomalie nachdachte, erschien der Krieg nicht weniger als Verschwendung von Menschenleben und Material; die Gründe für die anomalen Erscheinungen wurden deutlich, wenn man ein paar wirtschaftlichen Fakten auf den Grund ging.
Das Charakteristische der modernen regulären Kriegsführung ist eine außergewöhnlich hohe Rate technologischer Abnutzung. In wenigen Jahren werden unter Hochdruck Technologien entwickelt, für die man sonst Jahrzehnte gebraucht hätte. Wie mir einige Veteranen des Manhattan-Projekts ausführlich beschrieben haben, wurden durch die Intensität der wissenschaftlichen Zusammenarbeit bei diesem Unternehmen Jahrzehnte der Forschung und Entwicklung auf etwa fünf Jahre zusammengedrängt...
Den Gipfel des Berges bildet grundlegender (axiomatisch-revolutionärer) Fortschritt in der Wissenschaft. Etwas weiter unten liegt die Ausarbeitung dieser wichtigsten Entdeckungen des Gipfels zu sekundären Entdeckungen. Auf beiden Ebenen gibt die neue Entdeckung Anlaß zur Planung von Experimenten für die Demonstration von Prinzipien. Während diese Experimente verfeinert werden, werden die Lehren aus den erfolgreichen Versuchsanordnungen an einen Ort etwas weiter unten am Hang, nahe den beiden Ebenen der wissenschaftlichen Arbeit getragen: Hier begegnen wir der Umsetzung der erfolgreichen Versuchsanordnungen in Werkzeugmaschinen- oder vergleichbare Prinzipien. Aus dem fortgeschrittenen Werkzeugmaschinenbau fließen die neuen Werkzeugmaschinen, und diese revolutionieren das Produktdesign und die produktive Arbeitskraft am Fuße des Berges, wo die Produktion stattfindet.“
Das ist der Prozeß, der jetzt allmählich Gestalt annimmt. In privaten und staatlichen Laboratorien in den USA und anderswo sind enorme Anstrengungen zur Entwicklung von Therapeutika und Impfstoffen im Gange. Dabei wird von bisher unerhörten Fortschritten berichtet. Bereits nach wenigen Wochen wird ein Impfstoff am Menschen getestet. Biotechnologien, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, rücken in den Vordergrund, um Therapeutika zur Behandlung des Virus zu entwickeln.
Vorbildlich ist die Arbeit der amerikanischen Pharmafirma Regeneron, die bereits eine einzigartige Methode entwickelt hatte, um mit Hilfe gentechnisch veränderter Mäuse menschliche Antikörper zu produzieren, die dann geerntet werden und in Massenproduktion der Entwicklung von Medikamenten dienen.
Dieser Prozeß hat bereits zu erfolgreichen Behandlungen für mehrere chronische Krankheiten geführt, aber selbst dieser beschleunigte Prozeß von Regeneron dauert in der Regel von der Entwicklung bis zum Endprodukt Jahre. Im Kampf für eine Behandlung für COVID-19 erwartet Regeneron, daß bis zum Frühsommer, also innerhalb weniger Monate, ein Kandidat für Erprobung und Massenproduktion zur Verfügung steht. In den USA, China und Europa werden in diesem Kampf eine ganze Reihe neuer wissenschaftlicher Entwicklungen eingesetzt, die zweifellos weit über den unmittelbaren Notfall hinaus Anwendung finden werden.
Weiter unten auf dem Wirtschaftsberg geht es um die rasche Umrüstung bestehender Industrie zur Herstellung der benötigten Güter. Der New Yorker Gouverneur Andrew Cuomo, Demokrat und lange ein vehementer Gegner Trumps, erinnerte in einer Pressekonferenz am 20. März an die Mobilisierung im Zweiten Weltkrieg, als er seine Pläne ankündigte, New Yorker Firmen zu bewegen, ihre Fabriken umzurüsten, um dringend benötigte Beatmungsgeräte, Schutzausrüstung und Zubehör herzustellen. Cuomo zeigte das berühmte Bild der Nieterin Rosie2 und sagte: „Beatmungsgeräte sind in diesem Kampf so etwas wie die Raketen im Zweiten Weltkrieg.“
Auch Präsident Trump betonte, die Industrie könne ihre Produktionskapazitäten umrüsten, um die nötigen Güter für den Kampf zu produzieren. LaRouche hat in der Finanzkrise 2008 und bei anderen Gelegenheiten wiederholt die Umrüstung der Automobil- und Luftfahrtindustrie gefordert, weil dies für den Wiederaufbau der Infrastruktur dringend notwendig sei. Präsident Obama ignorierte LaRouches Empfehlung und entschied stattdessen, die Produktionsanlagen abzubauen und die Geldanleger über Wasser zu halten.
Diesmal kann es anders sein. Viele US-Firmen haben bereits mit der Umrüstung auf Beatmungsgeräte, persönliche Schutzausrüstung und andere benötigte Materialien begonnen. Unternehmen, die möglicherweise vorübergehend staatliche Unterstützung benötigen, wie z.B. die Fluggesellschaften, erhalten die Unterstützung nur unter der Bedingung, daß diese für die Mitarbeiter und nicht für Manager und Geldanleger verwendet wird.
Diese Maßnahmen sind natürlich klein, verglichen mit dem, was nach dem Sieg über das Virus wieder aufgebaut werden muß, aber sie stellen eine Veränderung des Denkens dar, die einen Paradigmenwechsel ankündigen kann. Unter diesen Bedingungen sind Finanzreformen der von LaRouche geforderten Art, wie eine neue Glass-Steagall-Bankentrennung, eine Nationalbank, ein Kreditsystem und ein neues Bretton-Woods-System, reif für die Umsetzung, de facto oder de jure als „Kriegsmaßnahmen“.
Ebenso ist ein Vier-Mächte-Abkommen zwischen den USA, Rußland, China und Indien zum Aufbau neuartiger internationaler Beziehungen eine unmittelbare Perspektive. Das ursprüngliche Bretton-Woods-Abkommen war das Ergebnis einer Konferenz, die im Krieg begann, um den Grundstein für den Wiederaufbau nach dem Krieg zu legen. Nun kann aus der internationalen Zusammenarbeit gegen das Virus ein neues Bretton-Woods-Abkommen erwachsen, das die Grundlage für den Wiederaufbau nach dem Krieg schafft.
LaRouche sprach oft von dem dramatischen Stimmungswechsel in Amerika am Morgen des Angriffs auf Pearl Harbor und kurz danach. Plötzlich waren Axiome, die unverrückbar schienen, nicht mehr gültig. Die Menschen waren gezwungen, in die Zukunft zu schauen, statt sich an die Vergangenheit zu klammern. Bürger und Staatsführung wurden zum Werkzeug einer höheren Aufgabe. So muß es heute wieder geschehen.
(Dieser Kommentar erschien am 27. März im Nachrichtenmagazin Executive Intelligence Review.)
Anmerkungen
2. Die „Nieterin Rosie“ war 1942 die Hauptfigur eines Propagandafilmes des US-Kriegsinformationsamts für die Anwerbung von Frauen für die Arbeit in der Rüstungsindustrie.