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Neue Solidarität
Nr. 50-51, 11. Dezember 2025

Israel und Palästina: der Tag danach

Von Odile Mojon

Odile Mojon ist Kandidatin von Solidarité et Progrès für die französische Parlamentswahl im 10. Auslandswahlkreis, der große Teile Afrikas und Südwestasiens umfaßt. Im zweiten Abschnitt der Pariser Konferenz der Solidarité et Progrès (S&P) und des Schiller-Instituts am 8. November sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

I. Die Kontaminierung stoppen

Die Beweise für den Völkermord, den Israel in Gaza begangen hat, stehen außer Zweifel.

Zusätzlich zu den Tausenden von Zeugenaussagen – Berichten, Videoaufnahmen, Audioaufnahmen, Fotos etc. –, die ihn ohne den geringsten Zweifel dokumentieren, wurden die Tatsachen auch vom Internationalen Strafgerichtshof bestätigt, der Haftbefehle gegen [Ministerpräsident] Netanjahu und [den früheren Verteidigungsminister] Gallant wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hat, sowie vom Internationalen Gerichtshof und von der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen, die zu dem Schluß gekommen ist, daß die Handlungen Israels gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza der rechtlichen Definition von Völkermord entsprechen.

Insoweit es von diesen Rechtsinstanzen noch nicht berücksichtigt wurde, muß irgendwann auch die Komplizenschaft und aktive Unterstützung der westlichen Länder – sowohl in politischer Hinsicht durch ihre Untätigkeit als auch in finanzieller und technologischer Hinsicht – untersucht werden. Denn mit Ausnahme bestimmter Länder wie Irland oder Spanien ist die westliche Welt (mit ihren Verbündeten in der arabischen Welt) zu ihrem kolonialen Laster zurückgekehrt, das auf der Tradition bösartiger geopolitischer Berechnung und dem Recht des Stärkeren basiert, dessen unvermeidliche Folge ein ewiger Krieg ist.

Aber wie Celsio Amorim, Berater des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, vor einigen Tagen in einem Interview mit der Tageszeitung O Globo sagte: „Frieden ist unteilbar.“

Er sprach von der Gefahr eines Krieges, der Venezuela droht, und sagte: „Man kann sich nicht Frieden in der Ukraine und gleichzeitig einen Krieg oder irgendeinen Angriff in Südamerika vorstellen. Alles hängt zusammen, alles kontaminiert sich gegenseitig.“

Das ist das richtige Wort: „kontaminieren“, wie die derzeitige Kontamination der Köpfe in einer Gesellschaft, die von der Kultur des Krieges überrollt wurde und die den anderen nur noch als Freund oder Feind wahrnehmen kann.

Man betrachte nur den Niedergang der öffentlichen Debatte unter dem Einfluß der Medien und, allgemeiner gesagt, einer Kultur der Gewalt, sogar in den Beziehungen zwischen Menschen. Es ist ein Symptom für die Spaltung in einander fremde Gemeinschaften und den Zerfall des „Wunsches, friedlich zusammenzuleben“. Im Extremfall kann diese Ablehnung die klinische Form der Apartheid annehmen oder die Illusion, daß „meine Existenz nur durch die Auslöschung des anderen erreicht werden kann“, oder beides gleichzeitig, wie in Gaza.

Die Tatsache, daß Ende Dezember 2023 von allen Staaten, die es hätten tun können, ausgerechnet Südafrika den Internationalen Gerichtshof (IGH) anrief, war besonders wichtig. Israel wurde aufgefordert, jede Handlung zu unterlassen, die einem „Völkermord“ gleichkommt, vor der „realen und unmittelbaren Gefahr“ eines „irreparablen Schadens“ für die Palästinenser in Gaza gewarnt und aufgefordert, die Lieferung humanitärer Hilfe sicherzustellen.

In seiner Antwort vom 19. Juli 2024 entschied der IGH jedoch nicht nur, daß die Besetzung Palästinas durch Israel illegal sei, sondern auch, daß der israelische Staat dort eine Politik der Apartheid betreibe. Der IGH erklärte weiter, Israel müsse seine Siedlungsaktivitäten einstellen, seine Siedler zurückziehen und den Palästinensern vollständige Wiedergutmachung leisten. Die Stellungnahme des IGH wurde am 18. September 2024 durch eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigt, in der Israel aufgefordert wurde, seine rechtswidrige Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten unverzüglich zu beenden.

II. Von Südafrika nach Gaza

Mit der Initiative, die Angelegenheit auf Anregung der damaligen Ministerin für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit, Naledi Pandor, an den Weltgerichtshof zu verweisen, knüpfte Südafrika an die historische Dynamik an, die es ihm ermöglicht hatte, sich von der Geißel der Apartheid zu befreien.

Dieser Prozeß begann kurz gesagt mit dem Widerstand der Anti-Apartheid-Bewegungen, von denen die bekannteste Nelson Mandelas ANC (Afrikanischer Nationalkongreß) ist.

Um 1985, als das Regime von Pieter Botha mit einer Wirtschaftskrise und zunehmender Opposition konfrontiert war, wurden dann geheime Kontakte zwischen der Regierung und dem Exil-ANC aufgenommen (einschließlich Nelson Mandela, der noch immer inhaftiert war).

1989 leitete der neue Präsident Frederik de Klerk eine Reformpolitik ein, die zur schrittweisen Abschaffung der Apartheid führte.

Am 11. Februar 1990 wurde Nelson Mandela nach 27 Jahren Haft freigelassen.

Einige Tage zuvor waren die Anti-Apartheid-Bewegung und die seit den 1960er Jahren verbotene Kommunistische Partei Südafrikas legalisiert und die wichtigsten Apartheidgesetze aufgehoben worden. In der Folge wurde eine Konvention für ein demokratisches Südafrika ins Leben gerufen, um Verhandlungen zwischen der Regierung und den politischen Parteien aufzunehmen.

Im April 1994 führten die ersten freien und multiethnischen Wahlen in Südafrika zum Sieg des ANC, und Nelson Mandela wurde zum Präsidenten gewählt. Eine neue Verfassung wurde verabschiedet und eine Versöhnungskommission eingerichtet.

Unterdessen wurden Nelson Mandela und Frederik de Klerk 1993 gemeinsam für ihre Rolle beim friedlichen Übergang mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

III. Den Stillstand überwinden

Der für den Gazastreifen nach dem Waffenstillstand vom 10. Oktober vorgesehene Übergangsprozeß verläuft derzeit in eine Richtung, die derjenigen, die das Ende der Apartheid in Südafrika ermöglichte, diametral entgegensteht, denn um Frieden zu schaffen, reicht es nicht aus, ihn einfach nur zu wollen, dazu gehören immer zwei.

Angesichts Israels völliger Leugnung der palästinensischen Realität wäre es die Aufgabe von Donald Trump gewesen, den Dialog zu eröffnen, indem er die Palästinenser in die Waffenstillstandsverhandlungen einbezieht. Das hat er nicht getan.

Schlimmer noch, in seinem Zwanzig-Punkte-Plan schlägt er vor, Gaza unter die „vorübergehende Übergangsverwaltung eines technokratischen und unpolitischen palästinensischen Komitees” in einer Institution namens Gaza International Transitional Authority (GITA) zu stellen. Den Vorsitz könnte der berüchtigte [britische Ex-Premier] Tony Blair übernehmen, obwohl sein Name zum jetzigen Zeitpunkt in dem von Haaretz veröffentlichten Entwurf des vertraulichen Plans nicht auftaucht. Es wurden jedoch die Namen einiger Milliardäre bekannt, die als Leiter des Gremiums in Betracht kommen: Marc Rowan, ein Milliardär, der eine der größten amerikanischen Private-Equity-Firmen besitzt; Naguib Sawiris, ein ägyptischer Milliardär aus dem Telekommunikations- und Technologiesektor; und Aryeh Lightstone, Geschäftsführer des Abraham Accords Peace Institute. Es ist keine Überraschung, daß diese Milliardäre alle mit den Zielen der israelischen Regierung übereinstimmen, aber Lightstone sticht dadurch hervor, daß er auch an der Gründung der höchst umstrittenen Gaza Humanitarian Foundation beteiligt war.

Darüber hinaus besteht die Gefahr, daß sogar die Einstellung der Bombardierungen gegen Gaza nach der Umsetzung des Waffenstillstands, die Trumps Plan einen Anschein von Glaubwürdigkeit verleihen würde, nur eine Erinnerung bleibt, wenn Israel weiter wiederholt gegen den Waffenstillstand verstößt. Mit dem Tod von etwa 200 Palästinensern seit dem 10. Oktober hat Israel gezeigt, daß es nicht die Absicht hat, den Völkermord zu beenden.

Was bleibt also zu tun?

Die Realität ist, daß Frieden heute direkt von der Freilassung des palästinensischen Mandela, Marwan Barghuti, abhängt, der seit 23 Jahren in israelischen Gefängnissen festgehalten wird. Um Le Monde vom 2. November zu zitieren:

IV. Nachdenken über den Tag danach – „Selbstreflexion“

Bei einer Veranstaltung in Paris, an der ich kürzlich teilnahm, wurden inmitten eines Publikums von mehreren tausend Menschen zwei Journalistinnen, eine Palästinenserin und eine Israelin, zu Wort gebeten.

Als die israelische Journalistin sprach, warf sie sofort die Frage nach dem „Tag danach“ auf – danach, was passieren wird, wenn der Völkermord vorbei ist, denn er wird zwangsläufig eines Tages enden.

Sie erwähnte ausdrücklich die unvermeidliche und unverzichtbare Aufgabe der „Selbstreflexion“, der Introspektion, die für diejenigen notwendig sein wird, die an diesem Völkermord beteiligt waren – ebenso wie für diejenigen, möchte ich hinzufügen, die sich mitschuldig gemacht haben.

Mehrere Faktoren deuten jedoch darauf hin, daß wir gegenwärtig den Anbruch dieses „Tages danach“ erleben. Ganz nachvollziehbar sind die ersten Anzeichen dafür genau dort zu sehen, wo historisch die Unterstützung für die israelische Politik am stärksten war: in den Vereinigten Staaten.

Kürzlich ergaben mehrere Umfragen, daß 60% der Amerikaner überzeugt sind, daß Israel in Gaza Völkermord begeht. Eine weitere Umfrage der Washington Post unter der jüdischen Bevölkerung ergab, daß 61% der amerikanischen Juden glauben, daß Israel Kriegsverbrechen begeht, und 40% glauben, daß es Völkermord begeht. Mit anderen Worten: Die Unterstützung für die pro-israelische Politik der USA bricht zusammen.

Das andere Element ist die Wahl von Zohran Mamdani zum Bürgermeister von New York, insbesondere dank der Stimmen junger Menschen, in einer Stadt, in der der Anteil der Juden sehr hoch ist, was natürlich bedeutet, daß viele junge Juden für ihn gestimmt haben.

Die langfristigen Auswirkungen für Israel und die Welt sind beträchtlich. In Verbindung mit den bedeutenden Mobilisierungen gegen Völkermord auf der ganzen Welt erleben wir die Entstehung eines Katalysators für radikale Veränderungen, in einer Art globaler politischer Selbstreflexion, die zu einem bewußten Engagement für konkrete Maßnahmen führt. In diesem Sinne hat der Chor der „Patrioten und Weltbürger” im Namen der grundlegenden Prinzipien der Menschlichkeit die Bühne betreten.

In einem solchen Kontext wird trotz aller Hindernisse die Freilassung von Marwan Barghuti möglich und es kann die Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden, indem dieser Prozeß mit Lyndon LaRouches Oasenplan konkretisiert wird, den er, wie wir uns erinnern, im Dialog mit irakischen und israelischen Vertretern vorschlug.

Und die gute Nachricht ist: Es wird unser Engagement sein – das wohlüberlegte und fundierte Engagement der Bürger –, das die führende Rolle dabei spielen wird, Frieden zu schaffen.

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