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Aus der Neuen Solidarität Nr. 4/2008

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Bundesregierung will Schachts Politik im Grundgesetz verankern

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Große Koalition will die Verpflichtung der Regierung zu einem „ausgeglichenen Haushalt“ im Grundgesetz verankern. Angesichts des systemischen Finanzkollapses würde dies eine drakonische Sparpolitik erzwingen, die mit dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 GG nicht vereinbar wäre. Dagegen hat die Bevölkerung ein Recht auf Widerstand.

Wie Dow Jones und die Financial Times Deutschland am 18. Januar berichteten, haben sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen darauf geeinigt, die Regeln des EU-Stabilitätspakts in die deutsche Verfassung zu schreiben. Falls es dazu kommt, wären Bund und Länder künftig verpflichtet, dauerhaft nahezu ausgeglichene Haushalte vorzulegen und abzuschließen.

Falls die große Koalition tatsächlich die „Schuldenbremse” des Maastrichter Vertrages ins Grundgesetz „übertragen“ will, dann wirft dies ein ernsthaftes Verfassungsproblem auf, mit dem sich die Buerger besser rechtzeitig beschäftigen sollten, ehe es zu spät ist. Denn mit dieser „politischen Zwangsjacke” will die Regierungskoalition das wirtschaftspolitisch völlig inkompetente Austeritätskorsett des Maastrichter Vertrags im Grundgesetz verankern, was nach der Aufgabe der Währungssouveränität noch ein weiterer Schritt in die völlige Selbstentmachtung der Regierung wäre.

Der EU-Stabilitätspakt verbietet ja gerade, daß die Regierungen in Krisenzeiten staatliche Kreditlinien zur Ankurbelung der Produktion zur Verfügung stellen. Er verbietet also explizit eine Lösung der Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Modell des New Deal Roosevelts, oder wie es in den 30er Jahren der Lautenbachplan oder der sogenannte WTB-Plan des ADGB vorgesehen hatte.

Angesichts der sich seit sechs Monaten dramatisch immer weiter steigernden Systemkrise, der akuten nationalen Bankenkrise in Deutschland, der globalen Zusammenbruchskrise des Finanzsystems und der unmittelbar daraus folgenden Bedrohung aller Sozialsysteme ist eine solche „Übertragung” ins Grundgesetz das allerfalscheste und dümmste, was man sich einfallen lassen kann. Denn wie schon Dr. Wilhelm Lautenbach 1931 richtig bemerkte: In einer Depression, verbunden mit einer Weltfinanz- und Währungskrise, ist sparen (also ein „ausgeglichener Haushalt“) das Allerverkehrteste überhaupt, weil es die Spirale des bodenlosen Kollapses immer weiter öffnet.

Die gravierende Verfassungsfrage, die diese „Ubertragung” daher vehement aufwirft, liegt darin, daß die Logik des Stabilitätspaktes eine direkte Bedrohung für den Artikel 20 des Grundgesetzes darstellt, in dem es heißt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Denn die Anwendung der Kriterien des Stabilitätspaktes für den Bund und die Bundesländer würde unter der schon erwähnten Bedingung einer globalen Zusammenbruchskrise bedeuten, daß Deutschland gar kein sozialer Staat mehr sein könnte, und statt dessen das Instrumentarium ausgebaut würde, mit dem der Lebensstandard der Bevölkerung um 10, 20, 30, 40, 50 oder mehr Prozent gesenkt werden könnte. Und genau so will die Internationale Finanzoligarchie die Krise lösen: mit Austerität in der Tradition von Hjalmar Schacht.

Nun  heißt es aber in demselben Artikel 20 im Paragraphen 4: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht auf Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Und genau in diesem Paragraphen liegt nicht nur die rechtliche Basis für den Widerstand gegen die Pläne der Koalitionsregierung, sondern auch die Ausgangsbasis für mögliche Verfassungsklagen in Karlsruhe.

Leider demonstriert aber diese Absicht der Regierung, daß sie meilenweit davon entfernt ist, sich der Realität des systemischen Kollapses zu stellen. Inwieweit dies einfach nur wirtschaftliche Ignoranz ist, oder ob sich andere Motive für die demonstrierte Inkompetenz finden lassen, bleibt im Augenblick dahingestellt. Während sich seit sechs Monaten die täglichen Horrornachrichten über den weltweiten Systemkollaps überstürzen, ergingen sich die Finanzminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens und einem EU-Kommissionsmitglied am 17. Januar bei ihrem Treffen in Paris in einer weiteren Verdrängungsorgie.

Das französische Wirtschaftsministerium betonte, es habe sich bei diesem Treffen nicht um ein Krisenmeeting gehandelt, sondern es sei nur um die Transparenz bei den sogenannten strukturierten Wertpapieren („structured products“) gegangen, und um die Rolle der Bankaufsichtsbehörden und Rating-Agenturen. Nachdem der französische Premierminister Fillon zuvor am Sonntag einen Dialog auf der Ebene der Staatschefs der Euro-Zone über die Wirtschaftspolitik vorgeschlagen hatte, der stellvertretende Kanzleramtssprecher Thomas Steg zunächst betonte, in Berlin sei man „offen für diese Idee“, und Bundskanzlerin Merkel am folgenden Tag sagte, sie sehe die Notwendigkeit dafür nicht, weil die Wirtschaftspolitik bei der EZB in guten Händen sei (!), findet nun doch ein Treffen der vier Staatschefs statt, deren Finanzminister sich zuvor in Paris getroffen hatten. Wie die FTD bemerkte, es waren dieselben vier Staaten, die beim Financial Stability Forum für den 8. Februar - rechtzeitig zum G7-Treffen in Tokio - einen Bericht angefordert hatten. Aber sie wollten oder konnten offensichtlich  darauf nicht warten.

Da es bei Frau Merkel keine „Staatsorgie von Reregulierung der Hedgefonds” geben werde, wie sie auf dem Neujahrsempfang der Bundesbank 2007 gesagt hatte, war den Megaspekulanten dann auch keine Grenze gesetzt. Daß all diese Profitgier aber eine Auswirkung in der realen Welt hat, wird an einem anderen Ende deutlich. So haben jetzt bereits mehr als ein Dutzend deutscher Städte, darunter Ravensburg, Hagen, Pforzheim und Würzburg, die Deutsche Bank verklagt, weil sie beim Kauf von sogenannten Zinsswaps „falsch beraten” worden seien. Der Vorwurf gegen die Deutsche Bank lautet, sie habe wissentlich Informationen über das Risiko dieser Papiere zurückgehalten, die aber hausintern wohl bekannt gewesen seien. Es seien diesen Städten Verluste von zusammen einigen Millionen Euro entstanden. Laut Süddeutscher Zeitung sollen in Deutschland bis zu  200 Städte und Gemeinden ähnliche Spekulationen getätigt haben, und es soll dabei ein Gesamtschaden von rund einer Milliarde Euro entstanden sein. Natürlich ist auch hier der Steuerzahler wieder der Dumme, wenn die Klagen auf Schadensersatz keinen Erfolg haben sollten.

Der Rechtsanwalt Klaus Nieding sprach gegenüber dem Handelsblatt von „Kapitalbetrügern”, vor denen die Kapitalanleger nicht genügend geschützt seien. Ähnliche Vorwürfe werden auch in einigen US-Bundesstaaten gegen die Deutsche Bank und diverse Zweckgesellschaften erhoben, daß sie Anleger in betrügerischer Absicht nicht über die Risiken bei Investitionen im Subprime-Markt aufgeklärt hätten. Es ist in der Tat schwer nachzuvollziehen, daß es Finanzexperten bei den Banken und Geldinstituten nicht klar gewesen sein soll, daß die massive Vergabe von Hypotheken mit anpassungsfähigen Zinsraten an Schuldner mit geringer Bonität genau zu dem Platzen der Hypothekenblase führen mußte, das den Auslöser für den globalen Finanzkrach dargestellt hat.

Als die Krise Ende Juli losbrach, bemerkte Jochen Sanio von der BaFin, es handele sich um die schlimmste Bankenkrise in Deutschland seit 1931. Inzwischen müßte jedem Kenner der Lage klar sein, daß es sich gerade wegen des Klumpenrisikos der Globalisierung, wegen der „kreativen Finanzinstrumente” und dem seit 40 Jahren anhaltenden Paradigmenwandel und der damit zusammenhängenden Zerstörung der produktiven Kapazitäten um eine viel tiefere Krise handelt, die eher mit dem Zusammenbruch des Bankensystems im 14. Jahrhundert zu vergleichen ist. Trotzdem aber war die Äußerung Sanios nützlich, weil sie daran erinnert, daß in Deutschland nach 1931 sehr bald 1933 kam. Und während in Europa mit Mussolini, Franco, Hitler und Hjalmar Schacht, sowie Pétain faschistische Lösungen für die Weltwirtschafts- und Finanzkrise gewählt wurden, bewies andererseits Franklin D. Roosevelt in den USA, daß es möglich war, die Wirtschaft mit dem New Deal aus der Depression herauszuführen.

Und hier liegt die wirkliche Brisanz der Pläne der Koalitionsregierung, die Kriterien des EU-Stabilitätspaktes in das Grundgesetz zu übertragen. Denn unter der gegebenen Bedingung des systemischen Finanzkollapses bedeutet ein „ausgeglichener Haushalt” praktisch die Festschreibung Schachtscher Austerität. Den Personen, die in den dreißiger Jahren nicht wußten, daß eine Ablehnung der Pläne von Lautenbach, Woytinsky, Tarnow und Baade sehr bald Hitler zur Folge haben würde, kann man noch zugute halten, daß es für Hitler noch keinen Präzedenzfall gegeben hatte. Dies gilt heute offensichtlich nicht mehr.

Was heute dringend notwendig ist, ist nicht die Übertragung des Stabilitätspaktes ins Grundgesetz, sondern im Gegenteil die Anwendung des Stabilitätsgesetzes aufgrund einer massiven Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts. Wenn sich erweist, daß ein internationaler Vertrag die fundamentalen Interessen eines oder mehrer der Unterzeichner verletzt, dann ist es völkerrechtlich absolut gestattet, von diesem Vertrag wieder zurückzutreten. Das mindeste, was geschehen sollte, ist eine Aussetzung dieses Vertrages, bis die Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes behoben ist und man dann in aller Ruhe den Sinn oder Unsinn des Vertrages neu überdenken kann.

Auf jeden Fall haben die Autoren des Grundgesetzes den Artikel 20 und insbesondere den Paragraphen 4 in die Verfassung hineingeschrieben, damit genau das, was die Koalitionsregierung vorhat, unmöglich gemacht wird. Es ist höchste Zeit, daß sich alle Organisationen und Institutionen, denen der Artikel 20 wichtig ist, auf ihr Recht auf Widerstand besinnen.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Das Ende der „freien” Marktwirtschaft: Schafft Gesetze zur Rettung des Gemeinwohls!
- Neue Solidarität Nr. 3/2008
Die Kernschmelze des Weltfinanzsystems ist in vollem Gang!
- Neue Solidarität Nr. 50/2007
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Stellungnahmen und Reden der BüSo-Vorsitzenden
- Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)

 

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