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Neue Solidarität
Nr. 10, 7. März 2012

An die Internationale Öffentlichkeit:
Die wahre Situation Griechenlands

Von Mikis Theodorakis

In einem Offenen Brief1 an die internationale öffentliche Meinung bezichtigt Mikis Theodorakis Politiker und Banken der Verschwörung gegen das griechische Volk. Wir bringen Auszüge.

Internationale Kräfte versuchen, mein Heimatland völlig zu zerstören. Das begann 1975 mit einem Angriff auf die neugriechische Kultur; später wurde versucht, die neugriechische Geschichte gänzlich neu zu interpretieren und unsere nationale Identität zu pervertieren, und jetzt haben diese Kräfte vor, das griechische Volk „auszulöschen“, durch Arbeitslosigkeit, Hunger und Verelendung. Würde das griechische Volk sich nicht erheben als die Gemeinschaft, die es ist, um diesem Prozeß Einhalt zu gebieten, würde die permanente Gefahr seiner Auslöschung bestehen bleiben. Ich gehe davon aus, daß diese Bestrebungen die nächsten zehn Jahre andauern werden. Von uns Griechen bliebe nichts als die Erinnerung - an unsere Kultur, an die Kämpfe für unsere Freiheit, die Erinnerung an unsere nationale Selbständigkeit...

2008 kam es in Europa zu einer massiven Finanz- und Wirtschaftskrise. Damals war zu erwarten, daß auch die griechische Wirtschaft davon in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Was die Höhe des Lebensniveaus anbelangt, so nahm Griechenland im internationalen Vergleich Platz 30 ein, und daran änderte sich im Großen und Ganzen auch nichts. Allerdings kam es zu einem Anstieg der Staatsverschuldung. Staatsverschuldung führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Wirtschaftskrise. Die Verschuldung großer Länder wie beispielsweise die der USA oder Deutschlands beläuft sich auf Billionen von Euro. Es ist einfach nur die Frage, ob es gleichzeitig eine positive wirtschaftliche Entwicklung gibt, denn dann kann man bei den großen Banken Kredite zu einem Zinssatz von unter 5% aufnehmen, bis die Krise abebbt.

In genau dieser Situation war Griechenland 2009, als im November der Regierungswechsel stattfand und Georgios Papandreou das Amt des Premierministers übernahm...

Herr Papandreou hätte der Wirtschaftskrise im Inland (die, wie bereits angedeutet, lediglich die europäische widerspiegelte) mit der Aufnahme von Krediten bei den ausländischen Banken zum üblichen Zinssatz von unter 5% begegnen können. Hätte er dies getan, hätte es für unser Land nicht das kleinste Problem gegeben. Es wäre sogar das Gegenteil eingetreten, weil sich Griechenland gerade in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs befand.

Herr Papandreou hatte jedoch bereits im Sommer 2009 begonnen, das griechische Volk zu hintergehen, als er sich hinter verschlossenen Türen mit Herrn Dominique Strauss-Kahn traf. Er verfolgte das Ziel, Griechenland unter die Aufsicht des IWF stellen zu lassen...

Im Mai 2010 wurde von einem einzigen Minister im Alleingang das berüchtigte Moratorium - also Griechenlands völlige Unterwerfung unter die Forderungen seiner Gläubiger - unterzeichnet. Das griechische Recht verlangt im Vorfeld solcher Entscheidungen bzw. Unterzeichnungen allerdings ganz eindeutig die Zustimmung von drei Fünftel des Parlaments. Wegen dieses Moratoriums agiert die Troika, die uns inzwischen praktisch regiert, also nicht nur nach griechischem, sondern auch nach europäischem Recht illegal.

Griechenland hat mit diesem Moratorium seine nationale Eigenständigkeit und sein Staatsvermögen an das Ausland abgetreten. Also Häfen, Flughäfen, die Verkehrswege, Energie- und Wasserversorgung, die Bodenschätze, auch die unterseeischen Bodenschätze usw. Und ebenso die historischen Kulturschätze wie die Akropolis, die antiken Stätten Delphi, Olympia, Epidaurus usw., da Griechenland es unterlassen hat, energisch Einspruch zu erheben.

Die Produktion ist zum Erliegen gekommen, die Arbeitslosigkeit bis auf 18% gestiegen, es schlossen 80.000 Geschäfte, Tausende Manufakturen und Hunderte Industriebetriebe. Insgesamt haben 432.000 Unternehmen dicht gemacht. Zehntausende junge Fachkräfte verlassen das Land, Tausende ehemals gut situierte Bürger durchwühlen den Müll und schlafen auf dem Bürgersteig.

Während dessen geht man in Europa davon aus, daß wir dank des Großmuts unserer Gläubiger, dank des Europas der Banken und des IWF überleben werden. In Wahrheit aber fließen die Gelder aus jedem der Rettungspakete mit den Dutzenden Milliarden Euro, mit denen Griechenland belastet wird, zu über 80% wieder dahin zurück, wo sie herkommen, während uns neue, unmöglich abzuzahlende Zinsen aufgebürdet werden. Und weil die Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Staates, des Krankenhaus- und des Schulbetriebs besteht, verlangt die Troika den mittleren und untersten sozialen Schichten der Gesellschaft die Zahlung überdimensional hoher Steuern ab, was direkt zu einer Hungersnot führen wird. Eine Hungerkatastrophe hatten wir bereits zu Beginn der deutschen Besatzung, 1941, die 300.000 Todesopfer innerhalb von sechs Monaten forderte. Das damalige Schreckgespenst Hunger kehrt jetzt in unser geschmähtes und ins Unglück gestürztes Land zurück.

Wenn man sich noch einmal bewußt macht, daß es unter der deutschen Besatzung in Griechenland eine Million Tote gab und unser Land die totale Zerstörung erlebte - wie sollten wir Griechen die Drohungen von Angela Merkel widerspruchslos erdulden und uns den Bestrebungen Deutschlands beugen, Griechenland einen neuen Gauleiter aufzuzwingen? Der diesmal in Anzug und Krawatte auftritt …

Um deutlich zu machen, daß Griechenland reich und das griechische Volk arbeitstüchtig ist, daß es überlegt handelt (im Bewußtsein seiner Verantwortung für die Freiheit und die Liebe zu seiner Heimat), verweise ich auf die Zeit der deutschen Besatzung von 1941 bis Oktober 1944. Als die SS und der Hunger eine Million Bürger umbrachten und die Wehrmacht das Land systematisch zerstörte, die Güter der landwirtschaftlichen Produktion und den Goldschatz der Banken raubte, retteten die Griechen mit der Gründung einer Bewegung der nationalen Solidarität das Volk vor dem Hungertod. Sie bildeten ein 100.000 Mann starkes Partisanenheer, welches 20 deutsche Divisionen in unserem Land zum Stehen brachte.

Gleichzeitig gelang es den Griechen dank ihres Fleißes nicht nur zu überleben, sondern es kam unter den Bedingungen der Besatzung sogar zu einer enormen Entwicklung im Bereich der neugriechischen Kunst, speziell auf dem Gebiet der Literatur und der Musik. Griechenland wählte den Weg der Selbstaufopferung für die Freiheit und entschied sich gleichzeitig, überleben zu wollen.

Genauso wie damals üben wir jetzt Solidarität untereinander, leisten Widerstand und werden überleben - in der Gewißheit, daß das griechische Volk sich behaupten wird. Diese Botschaft sende ich Frau Merkel und Herrn Schäuble und erkläre hiermit, daß ich immer ein Freund des deutschen Volkes und ein Bewunderer seines großartigen Beitrags auf dem Gebiet der Wissenschaft, der Philosophie, der Kunst und speziell der Musik bleiben werde...

Heute, am Sonntag, den 12. Februar, bereite ich mich gerade darauf vor, an der Demonstration teilzunehmen, zusammen mit Manolis Glezos, dem Helden, der 1942 die Hakenkreuzfahne von der Akropolis herunter holte und so das Signal für den Widerstand gegen Hitler setzte. In den Straßen und auf den Plätzen werden sich Hunderttausende Bürger versammeln, die ihren Protest gegen die Regierung und die Troika bekunden wollen...

Aber wir haben unter sehr viel schwierigeren Umständen in den vergangenen Jahrhunderten überlebt, und es ist sicher, daß die Griechen nicht nur überleben, sondern auch wieder auferstehen werden, selbst wenn man sie gewaltsam bis an den Abgrund drängt...

Ich habe mich voll und ganz diesem Ziel - der Bildung der Einheit einer Volksfront - verschrieben, und ich glaube, daß die Geschichte mir schließlich recht geben wird. Ich kämpfte mit der Waffe in der Hand gegen die Besetzung Griechenlands durch Hitlerdeutschland. Ich lernte die Verließe der Gestapo kennen. Ich wurde von den Deutschen zum Tode verurteilt und überlebte wie durch ein Wunder. 1967 gründete ich die Patriotische Front (PAM), die erste Widerstandsorganisation gegen die Militärjunta. Ich kämpfte in der Illegalität. Ich wurde verhaftet und im „Schlachthof“ der Junta-Staatssicherheit gefangen gehalten. Wieder überlebte ich.

Jetzt bin ich 87, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ich die Rettung meiner Heimat nicht mehr erleben werde. Ich werde jedoch ruhigen Gewissens sterben, denn aufgrund meines Wirkens bin ich mit mir im Einklang. Ich werde bis zum letzten Tag fortfahren, meine Verantwortung für die Ideale der Freiheit und des Rechts wahr zu nehmen.

Athen, 12.2.2012
Mikis Theodorakis


Anmerkung

1. Die vollständige Übersetzung des Offenen Briefes finden Sie auf der deutschsprachigen Internetseite von Mikis Theodorakis unter: http://de.mikis-theodorakis.net/index.php/article/articleview/579/1/81/