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Neue Solidarität
Nr. 3, 15. Januar 2014

Europa am Scheideweg: Aufbau mit Eurasien –
oder Untergang mit dem Europa der Troika?

Von Alexander Hartmann

Präsident Putins Berater Sergej Glasjew hat zum Jahresende in der Zeitschrift Russia in Global Affairs etwas dokumentiert, was eigentlich für jeden, der sich nicht von der Propaganda der EU-Führung und den Massenmedien blenden läßt, längst offensichtlich sein mußte: Die EU-Mitgliedschaft hat die Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas wirtschaftlich massiv geschädigt. Drei Viertel der Arbeitsplätze im polnischen Bergbau gingen verloren, der Schiffbau in Polen und Griechenland liegt am Boden, ebenso die Elektro- und Automobilindustrie Lettlands. Die Stromerzeugung sank durch erzwungene Stilllegungen von Kernkraftwerken drastisch. Auch die Viehhaltung in den baltischen Staaten ist zusammengebrochen. Gestiegen sind hingegen die Auslandschulden, die von Polen z.B. von 99 Mrd. auf 360 Mrd. Dollar - um nur einige Beispiele zu erwähnen.

Glasjews Aussagen werden bestätigt und ergänzt durch weitere Meldungen. So berichtete die russische Tageszeitung Komsomolskaja Prawda am 28. Dezember unter der Überschrift „Bulgarien stirbt leise“ über die Lage in Bulgarien, das erst seit sieben Jahren Mitglied der EU ist: Die Wein- und Agrarerzeugung des Landes wurde zugrundegerichtet, die Arbeitslosigkeit liegt zwischen 13 und 18 Prozent - und das, obwohl in den letzten 20 Jahren zwei Millionen Bulgaren aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert sind.

In Zypern führt die dramatische Zunahme der Armut nach dem berüchtigten Bail-in der EU inzwischen zum Auseinanderbrechen der Gesellschaft. Die Cyprus Mail berichtete über eine Studie mit dem Titel Charakteristika und Bedürfnisse der Nutzer der städtischen Tafel in Limassol. „Die Schaffung und Arbeit der Tafeln in den letzten beiden Jahren zeigen, wie notwendig es ist, die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, die in den Jahren zuvor in einem Land mit einem relativ hohen Lebensstandard als befriedigt vorausgesetzt werden konnten“, schreibt die Sozialarbeiterin Christina Tsiambarta. Es sei eine neue Klasse von Armen entstanden, die sogenannten „Neu-Armen“.

Die betroffenen Menschen brauchen, wie die Studie zeigt, nicht nur Lebensmittelhilfe, sondern auch psychologischen Beistand. Charakteristisch sei, „daß in der Kategorie der Bedürftigen jetzt neue Altersgruppen auftauchen, die normalerweise aktive Mitglieder der Bevölkerung wären. Eines der großen Probleme der Betroffenen ist der Umgang mit Streß und mit der Arbeitslosigkeit. Fast die Hälfte der Befragten erklärte, sie würden gerne an Seminaren über den Umgang mit Streß teilnehmen, wenn sie dazu Gelegenheit hätten.“ Tsiambarta verweist auf die Zunahme seelischer Störungen infolge der Finanzkrise; noch besorgniserregender sei jedoch, daß nur ein Viertel der Befragten angab, professionelle medizinische Hilfe zu suchen.

Aber wie jeder weiß, leiden nicht nur die „neuen“ EU-Mitglieder Osteuropas unter der EU-Politik. In Griechenland leben inzwischen 44% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit liegt bei 28%. Nur 11,5% der arbeitsfähigen jungen Griechen unter 25 Jahren haben eine Arbeit! In Spanien stieg die Arbeitslosigkeit im Oktober und November offiziell auf 26,7% - die reale Arbeitslosigkeit liegt jedoch, wenn man diejenigen berücksichtigt, die die Arbeitssuche aufgegeben haben oder unterbeschäftigt sind, eher bei 40%. Die offizielle Jugendarbeitslosigkeit liegt hier bei 54,8%.

Die weitere Verschlechterung der Lage ist vorprogrammiert. In Portugal kündigte Kabinettsminister Luis Marques Guedes an, daß die Regierung die „Solidaritätabgabe“ auf Pensionen - die eingeführt wurde, um die vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig zurückgewiesenen Rentenkürzungen auf anderem Wege zu erreichen - anheben und ausweiten will. Derzeit zahlen Pensionäre, die mehr als 1350 Euro Rente beziehen, eine Abgabe zwischen 3,5% und 10%.

EU-Politik zielt auf die Zerstörung der Wirtschaft

All dies ist Folge der von der EU-Kommission bzw. der Troika diktierten Politik. Denn diese Politik ist nicht darauf ausgerichtet, daß sich die Mitgliedstaaten gegenseitig in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung unterstützen, wie es de Gaulle, de Gasperi und Adenauer vorschwebte; die EU hat sich vielmehr in einen Apparat zur Durchsetzung einer Plünderungs- und Demontagepolitik verwandelt - auf Kosten der Interessen der Bevölkerung sämtlicher Mitgliedstaaten.

Ein einschlägiges Beispiel dafür, das konkret Deutschland betrifft, ist die angekündigte Klage der EU-Kommission gegen die deutsche Energiewende. Diese Klage richtet sich aber nicht gegen die verrückte Entscheidung der Bundesregierung, aus der Kernkraft auszusteigen und diese durch eine völlig ineffiziente Stromerzeugung mit aberwitzig subventionierten Wind- und Solaranlagen zu ersetzen, sondern gegen die Befreiung energieintensiver Betriebe von den Abgaben, mit denen diese Subventionen finanziert werden.

Insgesamt waren im vorigen Jahr 1700 Betriebe in Deutschland von der EEG-Umlage befreit und die Bundesregierung will die Zahl dieser Ausnahmen im laufenden Jahr noch ausweiten. Das hat einen sehr guten Grund, wenn man einmal davon absieht, daß eigentlich alle Verbraucher von der unsinnigen EEG-Umlage „ausgenommen“ werden sollten: Schon jetzt droht - trotz Befreiungen - die massenhafte Abwanderung produzierender Betriebe, weil die Energieversorgung zu teuer oder zu unzuverlässig geworden ist. Bis zu 25% der Betriebe droht die Schließung oder Verlagerung ins Ausland - verbunden mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten.

Die eurasische Perspektive

Sergej Glasjew weist darauf hin, daß die ost- und mitteleuropäischen Länder viel besser dastünden, wenn sie sich - wie es gerade erst die Ukraine getan hat - nicht nach Europa, sondern nach Eurasien orientieren würden. Anders als die Politik der EU ist die Politik der von Rußland angeführten Zollunion und der derzeit sich bildenden Eurasischen Union nämlich darauf ausgerichtet, die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Mitglieder nach Kräften zu fördern.

Diese Politik ist nicht auf den engen Rahmen der derzeitigen Mitglieder beschränkt, Rußlands Präsident Putin arbeitet daran, sie durch entsprechende Abkommen mit China und anderen ostasiatischen Staaten bis zum Pazifik auszuweiten - und er würde dies auch gerne bis zum Atlantik tun, wenn die europäischen Staaten nur klug genug wären, ihm die Hand zu reichen. Auf diese Weise könnte eine Region des wirtschaftlichen Aufschwungs von Brest bis Wladiwostok entstehen - und wenn in den USA eine vergleichbare Änderung des Denkens vollzogen würde, auch über die Beringstraße hinaus bis in den amerikanischen Kontinent.

Der Kontrast zur Politik des Westens zeigt sich vielleicht am besten in den Äußerungen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, mit denen er den Wissenschaftlern und Technikern nach der erfolgreichen Landung der Mondsonde Chang’e-3 und des Mondrovers Yutu gratulierte. Xi sagte: „Habt den Mut, Wege zu gehen, die bisher noch nicht beschritten wurden. Strebt immer danach, Schwierigkeiten durch Exzellenz zu überwinden, und beschleunigt den Übergang zu einer von Innovationen vorangetriebenen Entwicklung.“ Der Erfolg sei ein „Meilenstein“ im Aufbau des chinesischen Raumfahrtprogramms, eine „neue Glorie“ des chinesischen Volks bei seiner Erforschung von neuen Ufern der Wissenschaft und Technologie und ein „herausragender Beitrag“ der chinesischen Nation zur friedlichen Nutzung des Weltraums durch die Menschheit.

Nicht nur im Weltraum macht China gewaltige Fortschritte, sondern auch am Boden. Am 28. Dezember eröffnete China gleich sechs neue Hochgeschwindigkeitsbahnen mit einer Streckenlänge von zusammen fast 2000 km, in Betrieb sind nun rund 12.000 km. Erst im August hatte der Staatsrat die Zahl dieser neuen Bahnprojekte von 38 auf 47 aufgestockt. Der Kern dieses Streckennetzes soll auf 14.613 km ausgebaut werden, die bis 2019 in Betrieb gehen sollen. Zum Vergleich: Spanien hat heute 3100 km Hochgeschwindigkeitsbahnen, Japan 2664 km, Frankreich 2036 km - und die USA gar keine, wie die Zeitschrift Asia Sentinel bemerkte.

Wird der Westen das Angebot annehmen?

Sergej Glasjew schließt seinen Aufsatz mit der Vermutung, daß sich die Lage im Westen wohl noch weiter verschlechtern muß, bevor ein Umdenken stattfindet: „Wie es scheint, muß man noch abwarten und erst eine weitere Verschärfung der euro-atlantischen Integrationskrise erleben, bevor die Länder Europas und Asiens das eurasische Prinzip einer gleichberechtigten Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen akzeptieren können.“

Tatsächlich gibt es derzeit in Europa nur sehr wenige Stimmen, die den Wunsch nach einer solchen Änderung erkennen lassen. Interessanterweise kommen einige dieser Stimmen aus Deutschland, und die Tatsache, daß solche Stimmen überhaupt zu hören sind, deutet darauf hin, daß es unter der Oberfläche der „proeuropäischen“ Ausrichtung der deutschen Politik durchaus Strömungen gibt, z.B. in der Wirtschaft, die einen möglichen Ausweg aus dem derzeitigen Desaster genau dort sehen, wo er zu suchen ist: in der Zusammenarbeit mit den eurasischen Wirtschaftsmächten.

Ein weiteres Indiz, daß man in Berlin in dieser Hinsicht jedenfalls nicht alle Türen schließen will, ist die Ernennung des SPD-Ostpolitikers Gernot Erler zum neuen Rußland-Koordinator, der an die Stelle des profilierten Kreml-Gegners Andreas Schockenhoff tritt und für eine weit umsichtigere Haltung bekannt ist.

Zu den prominenten Fürsprechern einer Verständigung und Zusammenarbeit mit Rußland gehört auch der Rußlandexperte Alexander Rahr, der in der Tageszeitung Die Welt darauf hinwies, daß Putin bereits zahlreiche Versuche unternommen hat, die Beziehungen zum Westen zu verbessern. Putins Rußland sei keine Bedrohung für Europa, sein Projekt der Eurasischen Union ziele zwar darauf ab, die russischen Interessen zu konsolidieren, aber diese Union sei offen für eine Zusammenarbeit mit der EU. Rahr warnt jedoch auch, daß Putins Rußland sich von Europa abwenden könnte, wenn es auf seine Angebote nicht positiv reagiert, um statt dessen seine Zusammenarbeit mit China zu intensivieren.

Tatsächlich ist Europa an einem Punkt angelangt, wo es sich entscheiden muß: Der Weg, den es derzeit verfolgt, führt über den „Bail-in“ nach dem Zypern-Modell zur Zahlungsunfähigkeit und zum Kollaps der Wirtschaft. Es reicht nicht, sich als Trittbrettfahrer ein bißchen an den chinesischen Aufschwung anzuhängen. Wenn Europa weiterhin seine produktive Wirtschaft demontiert, wird es auch nicht mehr vom Aufbau in China profitieren können - weil es dann gar nichts mehr dazu beizutragen kann.

Wir müssen uns also dazu entscheiden, mit der derzeitigen Politik zu brechen, die spekulativen Finanzblasen durch ein Trennbankensystem aus der Welt zu schaffen und dann endlich jene transeuropäischen Projekte in Gang bringen, die in den fast 25 Jahren seit dem Mauerfall in den Schubladen Staub gesammelt haben. Wenn dies geschieht, können wir uns aus der Krise herausarbeiten, und dann steht einem eurasisch-pazifischen Wirtschaftswunder nichts mehr im Wege. Dann kann auch Europa selbst wieder eine führende Rolle beim Aufbau spielen. Es liegt an Ihnen, werte Leser, den politischen Entscheidungsträgern auf die Sprünge zu helfen.