Produktive Kreditschöpfung 
  Neues Bretton Woods
  Glass-Steagall
  Physische Wirtschaft
  Kernenergie
  Eurasische Landbrücke
  Transrapid
  Inflation
  Terror - Cui bono?
  Südwestasienkrise
  11. September und danach
  Letzte Woche
  Aktuelle Ausgabe
  Ausgabe Nr. ...
  Heureka!
  Das Beste von Eulenspiegel
  Erziehungs-Reihe
  PC-Spiele & Gewalt 
  Diskussionsforum
  Wirtschaftsgrafiken
  Animierte Grafiken
» » » Internetforum mit Helga Zepp-LaRouche « « «
Neue Solidarität
Nr. 28, 8. Juli 2015

Nur technischer Fortschritt kann die Naturzerstörung aufhalten

Von Nino Galloni

Ein Kommentar zur päpstlichen Enzyklika „Laudato si“.

Nino Galloni ist ein italienischer Ökonom und arbeitete Anfang der 90er Jahre als Generaldirektor des Haushalts- und des Arbeitsministeriums. Er lehrte an den Universitäten von Neapel, Rom (LUISS), Mailand und Modena, derzeit ist er Hauptprüfer der nationalen italienischen Rentenkasse INPS. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht. Der folgende Kommentar erschien zuerst in der progressiven katholischen Publikation „Il Domani d’Italia“ und wurde u.a. von der Internetseite eurokritischer Ökonomen „Scenarieconomici“ übernommen.

Die von Papst Franziskus herausgegebene Enzyklika über die Umwelt verdient eine gründliche Betrachtung. Der Papst hebt die Schizophrenie unserer Systeme hervor, die in der Lage sind, mehr zu erzeugen, als wir brauchen, während gleichzeitig weiter Milliarden Menschen in größtem Elend leben. Wir werden später noch mehr dazu sagen, aber das Problem ist dies: Unsere Modelle beruhen allesamt auf vergänglichen Dingen, auf Verschwendung und nutzlosem (oder sogar schädlichem) Konsum, das stimmt - aber was ist das alternative Modell?

Verzichten wir doch einfach auf die nutzlosen Produkte und verteilen den Überschuß um (die Parabel vom reichen Mann und Lazarus) - schon haben wir das Antiwachstumsmodell! Es nennt sich selbst „glücklich“, aber es ist nicht glücklich. Wenn das Antiwachstumsmodell tragfähig und nicht unrealistisch sein soll, dann muß der demographische Rückgang größer sein als der Rückgang der Produktion. Deshalb kann man nicht für wirtschaftliches Antiwachstum eintreten, ohne für Entvölkerung einzutreten.

Die in der Enzyklika vorgeschlagene Lösung besteht darin, die Ressourcen gerecht zu verteilen. Um die analytische Logik des Antiwachstums (deren Kritik am System man teilen mag und die, denke ich, vom Papst geteilt wird) kompatibel mit einer Ablehnung einer demographischen Schrumpfung zu machen, muß man ein Modell vorschlagen, in dem diejenigen, die mehr haben, einen Teil davon abgeben, damit alle genug bekommen.

Doch so hat die Welt nie funktioniert: Heute, genauso wie in der Zeit vor den Demokratien des 20. Jahrhunderts, bedeutet Knappheit - echte Knappheit in der Vergangenheit, künstliche Knappheit heute - eine unfaire Verteilung der Ressourcen und Einkommen, weil nur die Reichen die Investitionen tätigen können, die für das Überleben der gesamten Gesellschaft notwendig sind. Im Gegensatz dazu wurde mit der Entstehung der demokratischen Regierungen ein Wachstum für alle gefördert, welches das Wohl der unteren Schichten verbesserte, die Mittelschicht förderte und die Wohlhabenden zufriedenstellte. Das wurde vor etwa 30 Jahren wieder aufgegeben.

Das gleiche gilt für die Perspektiven der strategischen Ressourcen, allen voran Wasser, in der Enzyklika. Es gibt dort keine Forderungen nach Projekten zum Ausbau unserer vorhandenen Kapazitäten zur Meerwasserentsalzung, zum Auffangen von Wasser aus abschmelzenden Gletschern oder zur Umleitung von Nilwasser (um nur einige Beispiele zu nennen). Damit würde man lediglich bereits vorhandene technische Möglichkeiten des Menschen nutzen, doch die Enzyklika fordert uns nur auf, eine gerechtere Verteilung dieser Ressourcen zu akzeptieren.

Der technische Fortschritt hat zwar das Dilemma des Schutzes der Artenvielfalt nicht gelöst (Paragraph 33), aber vielleicht können wir die Erwähnung des Kongobeckens (38) aufgreifen, um unser Denken zu schärfen. Die Bevölkerung des Kongo ist trotz Kriegen, Völkermord, Krankheiten und Elend weiter gewachsen. Was also zum Aussterben fast der gesamten örtlichen Fauna führte, war Armut, multipliziert mit wachsender Anzahl. Elend in Kombination mit demographischem Wachstum hat katastrophale Folgen für die Umwelt und die Artenvielfalt, und dies läßt sich nur durch technischen Fortschritt und Erhöhung der Energieflußdichte verhindern. Eine kleine Gemeinschaft kann auf einer gegebenen Fläche durch Holzfällen und Jagd überleben, solange ihre geringe Zahl nicht das Gleichgewicht gefährdet.

Sobald die Bevölkerung wächst, muß sich das Modell ändern. Der Energiefluß muß intensiviert werden, und die Produktionstechniken müssen sich ändern. Es ist nicht notwendig, den Ressourcenverbrauch des einzelnen zu reduzieren, wenn die Bevölkerung wächst - die Menge der verbrauchten Ressourcen pro Einheit muß reduziert werden: genau das, was die Technik, mit anderen Worten menschliche Intelligenz, sicherstellen kann.

Somit ist zu Kapitel II festzustellen, daß es weder genügt, zu betonen, daß der Mensch kein Recht hat, die Natur zu zerstören, noch, daß er verantwortlich mit ihr umgehen soll (was natürlich beides unantastbar ist), sondern daß man auch den Gedanken akzeptieren muß, daß der Mensch die Natur transformieren kann, indem er in sie eingreift. Andernfalls wäre es nicht möglich - höchstens marginal -, unseren Ressourcenverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig demographisches Wachstum aufrechtzuerhalten.

Die Enzyklika hat offenbar Angst vor der Technik und vor der (vernünftigen, teilweisen, etc.) Transformation der Natur, was so weit geht, daß in Kapitel III am Ende von Paragraph 106 die These der Kommission Justitia et Pax bekräftigt wird, „es gibt keine unbegrenzte Energie“. Ganz im Gegenteil, neue Technologien können heute bereits fast kostenlos Energie liefern, das Problem ist nur, daß die großen multinationalen Konzerne dies nicht tun können. Warum sollen sie ohne Profite produzieren? Die große Lücke in der Enzyklika ist also das Fehlen eines kapitalistischen Modells auf der Grundlage von Staatsbetrieben, d.h. eines nichtkapitalistischen Modells.

Und wenn die Enzyklika den Anthropozentrismus zurückweist, kann ich nicht nachvollziehen, wie dies mit der zentralen Stellung des Menschen vereinbar ist, die richtigerweise aus Gaudium et Spes [des Zweiten Vatikanischen Konzils] zitiert wird (Paragraph 127).

Die letzten drei Kapitel bringen Ermahnungen, vernünftige Prinzipien, einen Hinweis auf das Gemeinwohl, auf ein Solidaritätsgefühl zwischen den Generationen sowie Solidarität mit Immigranten. Das sind alles Punkte, denen wir zustimmen können und die zu betonen wichtig ist - aber ihre Schwäche rührt von der Art des Wirtschaftsmodells her, das vor 30 Jahren begann, die Realwirtschaft zu verdrängen und den Weg für zunehmend verheerende, wenn nicht wahnhafte Formen der Finanzialisierung [Geldfixierung] der Wirtschaft freizumachen.

Und da die Enzyklika diese Kritik teilt und da sie über eine rein seelsorgerische Rolle hinausgeht (was gut oder besser gesagt hervorragend ist, weil es die Schwere der moralischen und sozialen Lage zeigt, in der wir uns befinden), warum dann nicht das Werk vollenden, indem man nicht nur wünschenswerte Verhaltensweisen befürwortet, sondern sich auch für neue Modelle einsetzt?

Das entscheidende Thema Antiwachstum ist faszinierend, aber es ist, was den demographischen Trend betrifft, mit unserer Theologie nicht vereinbar; eine geistig inspirierte Sicht des technischen Fortschritts, der Umweltschadstoffe und nicht erneuerbare Ressourcen pro Produktseinheit minimiert (statt bloß geringeren Verbrauch und gerechte Verteilung zu fordern) ist mit ihr vereinbar.