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Neue Solidarität
Nr. 15, 12. April 2018

Ferdinand von Hochstetter

Asien, seine Zukunftsbahnen und seine Kohlenschätze

Eine geographische Studie, Wien 1876

Einführung

Es ist ein oft ausgesprochener Satz, daß der Fortschritt der Cultur und Civilisation, nachdem er gegen Westen gewissermaßen sein Ziel erreicht, sich nunmehr wieder gegen Osten wende, jenen Gebieten zu, von welchen er ausgegangen. Dieser Satz schließt aber auch die Wahrheit in sich, daß die Aufmerksamkeit der europäischen Culturvölker neuerdings in viel höherem Grade als früher sich wieder dem Osten, d.h. Asien zuwendet. Durch Jahrhunderte war der Blick Europas fast nur nach dem Westen und Süden gerichtet, nach jenen neuen vielverheißenden Ländern und Continenten, welche die großen Seefahrer früherer Jahrhunderte entdeckt hatten. Romantische Abenteurerlust und berechnender Unternehmungsgeist, frohe Hoffnungen und bittere Enttäuschungen, Belohnung und Bestrafung, Motive aller Art trieben und drängten Tausende und wieder Tausende über das Meer, und mit Staunen sah das alte Europa, wie seine Söhne Reiche über Reiche gründeten, die wuchsen und blühten. In der Zeit, in der so die neue Welt – Amerika und Australien – geworden ist, in dieser Zeit hatten wir die alte Urheimat unseres Geschlechtes, den größten Continent der Erde, nahezu vergessen. Erst in diesem Jahrhundert trat und tritt mehr und mehr Asien, das große Mutterland der Völker der Erde, für uns wieder in den Vordergrund, und wir sehen uns vor neue Probleme gestellt, vor neue Aufgaben, die ihrer Lösung harren. Und fragen wir, welche Momente es hauptsächlich sind, durch die Asien gerade in unseren Tagen dem europäischen Interesse wieder um so Vieles näher gerückt erscheint, so möchte ich folgende Antwort geben.

Einmal ist es der mit volkswirthschaftlichem und finanziellem Ruin Hand in Hand gehende allmälige Niedergang der politischen und nationalen Macht des türkischen und persischen Reiches...

Zweitens sind es die durch Rußlands stets sich erweiternde Machtstellung in Asien bedingten politischen Veränderungen, welche sich unter unseren Augen in jenem Conglomerat von islamitischen Staatengebilden vollziehen, die man unter der Benennung „Centralasien“ zusammenfaßt...

...

Einst der Tummelplatz zahlreicher mächtiger Völkerhorden, die verderbenbringend das Herz Europas überflutheten, sind jene Gebiete, seit der Kosak in denselben mit so viel Glück als Eroberer und zugleich als Vermittler europäischer Ideen aufgetreten ist, der Schauplatz der rivalisierenden Bestrebungen der beiden größten europäischen Mächte – der größten Seemacht und der größten Landmacht; und mit Bangen sieht dort der Politiker dem möglichen Zusammenstoße der beiden Kolosse – Englands und Rußlands – entgegen.

Das dritte Moment erblicke ich in den nach Hunderten von Millionen zählenden Völkern Ostasiens.

Wir waren so lange gewöhnt, die Chinesen und Japaner als in der Culturgeschichte abgethane Völker zu betrachten, daß es uns fast eine Überwindung kostet, an das, was uns die überraschendsten Thatsachen täglich lehren, zu glauben, an die mehr und mehr erwachende Culturkraft dieser Völker. Kein Zweifel, die ostasiatischen Völker folgen jetzt schon dem Einflusse der westeuropäischen Civilisation, die Japaner offenkundig, selbstbewußt und fast überstürzt, die Chinesen im Stillen, unbewußt, oder wenigstens ohne es sich zu gestehen.

Nicht verbraucht, so sagt uns Freiherr von Richthofen, der ausgezeichnete und berühmte Forschungsreisende in China in den Jahren 1868-1872, sondern unentwickelt ist die Culturkraft des Landes; sie verheißt eine ungeahnte Bedeutung Chinas für die Zukunft, sobald die Berührung mit dem europäischen Unternehmungsgeiste das Stadium des beunruhigenden und verwirrenden Einflusses überstanden und die schlummernden Kräfte und Hilfsquellen geweckt hat.

Das sind, wie ich glaube, die Hauptmomente, durch welche heute Asien die Blicke wieder auf sich lenkt, mehr als in früheren Jahrhunderten; und da unser Zeitalter vor Allem in eisernen Schienensträngen dem nothwendig gewordenen Bedürfnisse des innigeren und rascheren Völkerverkehres seinen Ausdruck verleiht, so darf es uns nicht Wunder nehmen, daß auch bereits die großen Überlandlinien, welche Europa mit dem fernsten Osten Asiens in Verbindung setzen, welche dem Welt-Verkehre neue Bahnen und neue Gebiete eröffnen sollen, geplant, studiert und eifrig besprochen werden...

...

Wenn ich mir nun vorgenommen habe, die asiatischen Zukunftsbahnen zu erörtern, so meine ich darunter nicht das Netz der in den verschiedenen asiatischen Reichen möglichen und zum Theil schon projectierten Localbahnen – der Zusammenhang wird es freilich nothwendig machen, mitunter auch auf das Netz der Localbahnen einzugehen –, sondern ausschließlich die großen internationalen Transitlinien, welche dazu bestimmt sind, Europa nicht nur mit Kleinasien und Persien oder mit Sibirien, sondern selbst mit dem ferneren und fernsten Osten Asiens in Verbindung zu setzen; jene Linien erster Ordnung also, welche sich als die Hauptarterien des Völkerverkehres der Zukunft auf der östlichen Hemisphäre darstellen. Auch will ich diese Weltlinien hauptsächlich vom geographischen Gesichtspunkte aus besprechen, ohne auf die technische, commercielle und financielle Seite der Projecte, um die es sich hiebei handelt, näher einzugehen, da diese Gesichtspunkte meiner Betrachtung ferner liegen.

Machen wir uns daher vor Allem klar, um was es sich handelt, wenn man von einer Eisenbahnverbindung Europas mit Indien und China spricht.

Wir sind gewohnt, die vollendete Pacific-Linie von New-York nach San Francisco für das Außerordentlichste eines transcontinentalen Eisenbahnbaues zu halten. Diese Bahn von 717 deutschen Meilen (5320 Kilom.)1 Länge verbindet die etwa 40 Millionen Einwohner zählenden östlich vom Felsengebirge gelegenen Staaten der Union mit der nur dünn bevölkerte Gegenden beherrschenden Handelsmetropole am Stillen Ozean. Auf der östlichen Hemisphäre handelt es sich aber um Projecte von Schienenstrecken, welche das 400 Millionen (nach v. Richthofen sogar 420 Millionen) Bewohner zählende China und das gegen 230 Millionen Bewohner zählende Indien mit den 300 Millionen Europas, – die beiden productivsten und am meisten consumirenden Ländergebiete der Erde, welche in hohem und stetig steigendem Maße auf gegenseitigen Austausch angewiesen sind – durch das mächtigste Band, das der Geist unseres Jahrhunderts erfand, zusammenzuketten. Hier handelt es sich um Schienenstraßen, von 900 bis 1000 deutschen Meilen (7000 Kilom.) Länge, wenn wir von der europäischen Grenze des asiatischen Continentes bis an die Gestade des pacifischen Oceans rechnen, oder 1600 deutschen Meilen (12.000 Kilom.) Länge, von Meer zu Meer, von London beispielsweise bis Shanghai.

Ungleich großartiger also, als die nordamerikanische Transitlinie, stellt sich die Bedeutung der asiatischen Zukunftsbahnen für die volkswirthschaftliche und culturelle Entwicklung der Menschheit dar, ungleich großartiger sind aber auch die Schwierigkeiten, die sich ihrer Verwirklichung entgegenstellen.

Die Richtungen, welche die großen asiatischen Transitlinien nach Indien und China nehmen müssen und einzig und allein nehmen können, sind durch die Oberflächengestalt des Continentes, durch die Lage und den Verlauf der innerasiatischen Hochgebirge so bestimmt vorgezeichnet, daß es wohl am Platze sein dürfte, vorerst einen Blick auf die Karte zu werfen.


Anmerkung

1. 1 deutsche Meile = 7,5 km. Sie wurde bis ins späte 19. Jahrhundert benutzt.