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Aus der Neuen Solidarität Nr. 20/2008

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Lissaboner Vertrag kommt an mehreren Fronten unter Beschuß

Nicht nur in Irland wird ein Erfolg für den Lissaboner Vertrag beim Volksentscheid über dessen Ratifizierung immer unwahrscheinlicher, auch in England könnte der High Court eine solche Abstimmung anordnen.

Es sind nicht nur die rapide sinkenden Zahlen der Ja-Sager in Irland, die dem Lager der Eurokraten Sorgen machen. Die jüngsten Entwicklungen auf der „grünen Insel“ sorgen schon für genügend Unruhe in Brüssel und bei den anderen 26 Mitgliedsregierungen der EU. Die Zahl der Iren, die laut einer (von Experten allerdings als zu positiv gewerteten) Umfrage im Februar den Vertrag befürworteten, lag bei 46 Prozent und ist im April auf nur noch 35 Prozent gefallen. Die Zahl der Gegner ist von 20 auf 31 Prozent angewachsen, und genaugenommen glauben nur 5 Prozent der Iren überhaupt, sie wüßten, was im Lissabon-Vertrag drinsteht, wohingegen 80 Prozent angaben, sie verstünden den Vertrag gar nicht. Das sieht eher nach einem „Nein“ als nach einem „Ja“ beim Referendum am 12. Juni aus.

Dazu muß berücksichtigt werden, daß mit der Industriegewerkschaft der Techniker, Elektriker und Ingenieure die größte Arbeitnehmerorganisation der Insel sich für eine Ablehnung des Vertrags ausgesprochen hat, und von den Unternehmern Irlands sind mehr als zwei Drittel ebenfalls gegen den Vertrag. Außerdem ist der politische Druck der Landwirte so groß, daß es der Landwirtschaftsminister Irlands nicht wagen konnte, vor 10 Tagen Zugeständnisse in Agrarhandelsfragen an den bei den Iren besonders verhaßten EU-Handelskommissar Peter Mandelson zu machen, die er vielleicht gerne gemacht hätte. Die irischen Landwirte wissen genau, daß der von der EU-Kommission zur „Abstimmung mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO)“ betriebene Abbau von Agrarsubventionen Tausende landwirtschaftliche Betriebe Irlands eliminieren würde - deshalb lehnt der irische Bauernverband das Lissabon-Europa ebenso ab wie die WTO.

In einem Beitrag des Deutschlandfunks (DLF) am 8. Mai über den langjährigen dänischen EU-Parlamentarier Jens-Peter Bonde, der mit zu den entschiedensten Kritikern des Lissaboner Vertrages gehört (s. Interview mit ihm in Neue Solidarität 14/2008), war folgendes zu hören.
     Zunächst sprach Bonde selbst und sagte: „...Weil Merkel und Kollegen beschlossen haben, kein Volksentscheid, keine Veröffentlichung. Nur ein Bericht mit Änderungsvorschlägen, die niemand lesen kann. Frau Merkel hat diesen Vertrag nicht gelesen, weil es unmöglich ist, das zu lesen.“
     Der DLF-Kommentator fuhr fort: „Das war durchaus Absicht. Der Lissaboner Vertrag sollte nach dem Willen der Regierungschefs unlesbar bleiben, damit er nicht wie eine Verfassung aussieht...“

Gleich im Nachbarland England sind weitere Probleme für den Lissabon-Vertrag entstanden. Der Millionär Stuart Wheeler, ein Förderer der Konservativen Partei, konnte am 2. Mai eine Klage beim obersten britischen Gerichtshof, dem High Court, einreichen, und die Richter werden nun zum Ärger der Regierung am 9. und 10. Juni Anhörungen darüber abhalten, ob der Lissabon-Vertrag so tiefgreifende Änderungen für England bedeutet, daß die Bevölkerung in einem ordentlichen Referendum darüber entscheiden muß. Es könnte also zwei Tage vor dem irischen Referendum ein Urteil des High Court ergehen, das die englische Regierung zwingt, ebenfalls ein Referendum abzuhalten. Regierungsvertreter bemühten sich, nachdem bekannt wurde, es werde Anhörungen des Gerichts geben, die Sache herunterzuspielen, aber die von Wheelers Anwalt Singh eingereichte Klageschrift führt gute Argumente für ein Referendum an.

Obwohl die Klage auf englische Verhältnisse zugeschnitten ist, darf man davon ausgehen, daß der Text von Rechtsexperten auch im übrigen Europa eingehend studiert wird, denn auch in anderen Ländern stehen Klagen bei den obersten Gerichten gegen den Lissabon-Vertrag an.

Zum Beispiel in der Tschechischen Republik, wo der Senat vor zwei Wochen mit großer Mehrheit entschied, die Ratifizierungsvorlage mitsamt Lissaboner Vertragstext beim Verfassungsgericht einzureichen, um prüfen zu lassen, ob der Vertrag mit der Verfassung des Landes vereinbar ist. Dazu gehört auch das für andere EU-Länder geltende Argument, viele der Parlamentsabgeordneten hätten gar nicht genau gewußt, worüber sie in der ersten Lesung der Ratifizierungsvorlage eigentlich diskutierten, denn eine Übersetzung des Vertragstextes in der Landessprache lag überhaupt nicht vor. Ein anderes, gewichtiges Argument ist, daß für den 2004 erfolgten Beitritt Tschechiens zur EU zuvor die Bevölkerung in einem Referendum befragt wurde. Da der Lissaboner Vertrag die früheren EU-Verträge ablöst und außerdem über das bisherige Maß weit hinausgehende neue Souveränitätsrechte an die Eurokratie abtritt, ist ein erneutes Referendum erforderlich.

Das übrigens ist ein Punkt, der für sämtliche ost- und südosteuropäischen Länder, die seit 2004 der EU beigetreten sind, zutrifft. Zumindest könnte es dauern, bis das Verfassungsgericht in Prag eine Entscheidung getroffen hat, deshalb rechnen viele Experten damit, daß es zeitlich mehr als knapp werden könnte mit der geplanten Ratifizierung zum Jahresende, so daß der Lissaboner Vertrag nicht am 1. Januar 2009 in Kraft treten könnte. Das wäre vor allem deshalb eigenartig, weil an eben jenem 1. Januar ausgerechnet Tschechien den Vorsitz der EU für das erste Halbjahr 2009 übernimmt.

Zusätzlich wird gerade dieser Tage von italienischer Seite eine Neuverhandlung zumindest von Teilen des Lissaboner Vertrages in die Diskussion gebracht: der soeben ernannte Finanzminister der neugebildeten italienischen Regierung, Tremonti, bemängelte in einer Fernsehdiskussion am 7. Mai, der Vertrag beschneide die Entscheidungsfreiheit der nationalen Parlamente, das könne und dürfe nicht so bleiben, man müsse noch einmal darüber verhandeln.

In Deutschland werden, wie bereits berichtet, mehrere Klagen beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden - vom CSU-Bundestagsabgeordneten Gauweiler, von der Linkspartei und von der ÖDP. Nun hat aber ausgerechnet die FDP, die im Bundestag für den Lissabon-Vertrag stimmte, eine Klage in anderer Sache beim Verfassungsgericht gewonnen, und zwar mit Argumenten, die genausogut für die Behandlung des Lissabon-Themas gelten. Die FDP hatte nämlich gegen die Entsendung von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in die Türkei während des Irakkriegs von 2003 geklagt, weil die Regierung damals das Parlament umgangen hatte.

Die Richter bekräftigten in ihrem Urteil vom 7. Mai, die Entsendung sei illegal gewesen, da die Flugzeuge deutsche Besatzungen hatten und somit ein Beschluß des Bundestags über deren Entsendung zuvor hätte erfolgen müssen. Die Bundeswehr ist, das bekräftigte das Gericht noch einmal ausdrücklich, ein „Parlamentsheer“. Aber der Vertrag von Lissabon erkennt dieses Prinzip nicht an, womit sich die Frage stellt, warum die FDP im Bundestag überhaupt für die Vertragsratifizierung stimmen konnte, wenn sie es ernst meint mit diesem Prinzip. Immerhin enthielten sich mit Wolfgang Gerhardt und Hans-Joachim Otto zwei Liberale aus der obersten Führungsriege im Bundestag der Stimme, als am 24. April ratifiziert wurde.

Die geschilderten Auseinandersetzungen auf der Ebene der obersten Gerichte spielen sich ab vor dem Hintergrund wachsender öffentlicher Protestbewegungen in zahlreichen EU-Ländern, wobei neben den österreichischen und dänischen Massenkampagnen gegen den Lissaboner Vertrag die jetzt Woche für Woche stattfindenden „Mittwochs-Demos“ sich mehr und mehr ausbreiten. Am 7. Mai fanden in 16 französischen und 5 deutschen Städten, in Stockholm und Kopenhagen Kundgebungen statt. Auslöser für die Mittwochs-Demos ist eine Erklärung von Etienne Chouard, dem Hauptorganisator des „Nein“ beim französischen Referendum von 2005,  gewesen. In Anlehnung an die deutschen Montags-Demos in der Leipziger Tradition hatte Chouard Anfang April  im Internet dazu aufgerufen, ähnliche Proteste gegen den Vertrag von Lissabon mit der Forderung nach einem Referendum in französischen und anderen europäischen Städten zu veranstalten.

Rainer Apel

Lesen Sie hierzu bitte auch:
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