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Aus der Neuen Solidarität Nr. 20/2004

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Über Zölle und Handel

Von Lyndon LaRouche
- Teil II -

Am 12. Januar 2004 veröffentlichte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Präsidentschaftskandidat die folgende grundlegende Schrift, die wir in mehreren Folgen abdrucken.


2. Die grundlegende Infrastruktur der Wirtschaft
Zum Verständnis unserer "Hamlets"

Wernadskij und Infrastruktur

Untersuchen wir nun, welche praktische Bedeutung das alles für die Gestaltung der Politik von Nationen hat. Beginnen wir mit der Unterscheidung zwischen der grundlegenden Infrastruktur der Wirtschaft und der Arbeit der Unternehmer vor Ort.

2. Die grundlegende Infrastruktur der Wirtschaft

Ein Mensch wird mit denselben Fähigkeiten in unterschiedlichen Umgebungen unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Die Umgebung, in der die Produktivität des einzelnen Menschen oder des einzelnen Unternehmens existiert, wird nicht nur von der eingesetzten Technik bestimmt, sondern auch davon, wie weit die Infrastruktur entwickelt ist, in der man arbeitet. In dieser Hinsicht wird der jeweilige "Querschnittszustand" des wirtschaftlichen Fortschritts der Gesellschaft hauptsächlich von zwei Erwägungen bestimmt, erstens der Entwicklung der sog. grundlegenden Infrastruktur der Wirtschaft und zweitens, inwieweit die Menschen in ihrer geistigen Erkenntnisfähigkeit gefördert und dann auch entsprechend beschäftigt werden - anstatt praktisch wie Tiere geisttötende ("billige") Arbeit zu verrichten.

Werfen wir zuerst einen Blick auf die zweite Erwägung.

Die uns bekannte Menschheitsgeschichte zeigt uns, daß bis zur revolutionären europäischen Renaissance im 15. Jahrhundert die typische Gesellschaft davon bestimmt war, daß eine kleinere Zahl von Menschen eine größere Zahl praktisch wie Menschenvieh ausbeutete - entweder als wilde Tiere, die gejagt wurden, oder als häufig versklavtes, gezähmtes und gehütetes Vieh, das in Herden gehalten und gewöhnlich regelmäßig zum passenden Zeitpunkt gekeult wurde. Letztere waren auf jeden Fall auch Menschen - sie bargen in sich die Fähigkeit, Kräfte zu entdecken und anzuwenden - , aber ihr Leben war im großen und ganzen durch Strafen und andere Maßnahmen so geregelt, daß der natürliche Ausdruck ihrer Erkenntnisfähigkeit unterdrückt wurde.13 In diesem Maße waren sie auf einen tierähnlichen Zustand herabgewürdigt.

Die europäische Zivilisation der Neuzeit wurde während der Renaissance im 15. Jahrhundert geboren. Diese Befreiung vom mittelalterlichen Feudalismus der venezianischen Banken und deren normannischer Verbündeter kam durch das Zusammentreffen verschiedener Ereignisse zustande. Einer der wichtigsten positiven Aspekte der damaligen Lage war, daß man sich wieder dem klassischen christlichen Humanismus der platonischen griechischen Tradition zuwandte - der Tradition der christlichen Apostel wie Johannes und Paulus. Gleichzeitig und damit verbunden entstand die moderne experimentelle Naturwissenschaft - typisch dafür war das Werk von Brunelleschi, Nikolaus von Kues und Leonardo da Vinci. Im Zuge dieser Renaissance wurden die ersten Nationalstaaten gegründet, Frankreich unter Ludwig XI. und England unter Heinrich VII., die sich dem Gemeinwohl verpflichteten. In diesen neuartigen Nationalstaaten war die Legitimität der Regierung an die Bedingung geknüpft, das Gemeinwohl der ganzen Bevölkerung und ihrer Nachkommen wirksam zu fördern (agape).

Diese Befreiung der Menschheit vom "traditionellen" Staat, in dem die Mehrheit wie Wild oder Vieh behandelt wurde, bildete den Anfang des souveränen Nationalstaats, mit frühen Beispielen wie Jeanne d'Arc und Frankreich unter Ludwig XI., England unter Heinrichs VII. und Sir Thomas More (Morus). Die naturrechtliche Auffassung, daß die Regierung nur ein moralisches Existenzrecht hat, wenn sie sich entschlossen für das Gemeinwohl aller Menschen und deren Nachkommen einsetzt, bildet den grundlegenden Unterschied der Volkswirtschaft der Neuzeit zum normannisch-venezianischen ultramontanen Modell14 und zu dem von Geldinteressen beherrschten, proimperialen parlamentarischen Modell der anglo-holländischen Liberalen im 18.-19. Jahrhundert, das man im Europa des 18. Jahrhunderts auch die "Venezianische Partei" nannte.

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die in der Präambel ausgedrückte Naturrechtslehre der Bundesverfassung der USA von 1789 bilden in destillierter Form den Prototypen des Geistes des modernen souveränen Nationalstaats und der modernen Volkswirtschaft. Die Gründung der Vereinigten Staaten als erste Verfassungsrepublik15 der Neuzeit war ein einzigartiger Ausdruck dieses Erbes der Renaissance. Diese Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten als Republik wurde bekräftigt, als Präsident Franklin Roosevelt das Gemeinwohl gegen räuberischen oligarchischen Wucher verteidigte.

Aber in den letzten vier Jahrzehnten veränderte sich die große Mehrheit der Bevölkerung in Nord- und Südamerika und Europa, die nach 1963 erwachsen wurde, wieder mehr zum Tierischen hin, weil die USA von der größten produzierenden Volkswirtschaft der Welt in die "nachindustrielle" Dekadenz von "Brot und Unterhaltungszirkus" herabsanken, eine schrille Kopie des alten imperialen Rom.

So ist auch das neu eingeführte radikal neu-Lockesche Dogma des "Shareholder Value" im Munde von Leuten wie dem, offen gesagt, faschistischen16 Richter Antonin Scalia vom Obersten Gerichtshof der USA ein im Grunde landesverräterischer Versuch, die USA rechtlich von einer echten Republik in eine Gesellschaft umzuwandeln, in der grundsätzlich die ärmeren 80 Prozent der Menschen dieser systematischen tierischen Verderbnis der heutigen "Popularkultur" unterworfen sind. Die Abkehr vom Gemeinwohlprinzip zurück zur inhärent räuberischen, neufeudalen Doktrin des "Shareholder Value" - wie bei Scalia - ist ein deutliches Anzeichen dieses Verfalls.

Aus Gründen, auf die ich später eingehen werde, muß man den Begriff der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur von der Methode ableiten, die sich historisch in den Eigenschaften des "Amerikanischen Systems der Politischen Ökonomie" ausdrückt, wie es der erste Finanzminister der USA Alexander Hamilton nannte. Hamilton zeigte den wissenschaftlich begründeten Gegenentwurf der amerikanischen Republik gegen die unter Akademikern beliebten, aber erbärmlich gescheiterten reduktionistischen, "anglo-holländisch liberalen" parlamentarischen Modelle der Haileybury-Schule der Britischen Ostindiengesellschaft. Letztere sind die "Freihandelsmodelle", die Karl Marx als "einzige wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre" pries, als er unter seinem Chef vom britischen Geheimdienst, Urquhart, in der British Library arbeitete.17

Die wahre Geschichte der heute typischen akademischen Indoktrinierung in der Wirtschaftswissenschaft zeigt, daß Indoktrinierung dem größten Teil der Welt schlecht gedient hat - ebenso die widerspruchslos anerkannten Rezepte für weltweite Katastrophen wie dem jetzt zusammenbrechenden Weltwährungs- und Finanzsystem der "freien Wechselkurse". Leider ist das, was heute fälschlich als "Wirtschaftswissenschaft" gelehrt wird, wie etwa der Unsinn, den die meisten angeblichen akademischen und anderen Fachleute vertreten, "ein anderes Paar Schuhe", wie mancher sagen würde. Das werden Sie nun sehen, wenn ich die Prinzipien hinter der grundlegenden Infrastruktur der Wirtschaft nacheinander zusammenfasse.

Zum Verständnis unserer "Hamlets"

Wie die Professoren Minsky und Chomsky am MIT gezeigt haben, ist es durchaus möglich, einen Menschen (selbst ein Professorenpaar) dazu zu bringen, sich glaubhaft wie ein Affe zu verhalten, aber aus einem Affen einen denkenden Menschen zu machen, das ist ein unmöglicher Artensprung. Das erste Gesetz der Infrastruktur, das heute in jeder Einführung in die Wirtschaftswissenschaft gelehrt werden sollte, lautet: Infrastruktur ist nicht weniger als die für die menschliche Gattung unverzichtbare Gestaltung dessen, was W.I. Wernadskij als die Biosphäre definierte.18 Die funktionelle Definition und Analyse der Infrastruktur ist also ein Ausdruck jener Eigenschaft der menschlichen Gattung, die bei keiner anderen Lebensform auf der Erde existiert. Der Unterschied ist buchstäblich welterschütternd, wie ich ein wenig später darlegen werde.

Der Gedankengang zum Verständnis dieses Unterschiedes ist älter als Heraklits "Es gibt nichts Beständiges außer dem Wandel". Indem der Mensch solche zusätzlichen Naturprinzipien entdeckt, wie sie in Gauß' Angriff auf den Betrug von Euler, Lagrange und anderen aus dem Jahr 1799 enthalten sind, kann der Mensch praktisch beweisen, daß er eine Lebensform ist, die sich durch ein solches Prinzip der Veränderung ausdrückt. Die Tatsache, daß das Universum solchen Fortschritt der Menschheit toleriert, ja ihm Folge leistet, beweist, daß dieses Prinzip der Veränderung ein kennzeichnendes Prinzip des Universums selbst ist. Diese Vorstellung liegt Platons Dialog Parmenides wie auch Heraklits berühmtem Aphorismus zugrunde: Der Mensch ist das einzige bekannte Lebewesen, das als "lebendiges Abbild" des Schöpfers des Universums geschaffen ist. Dieses Universum ist nicht die unveränderliche Schöpfung, als die es die Reduktionisten auffassen, sondern ein sich selbst veränderndes, selbst entwickelndes Universum. Es entwickelt sich in ähnlicher Weise, wie sich die Menschheit durch die zunehmende Beherrschung des Universums durch angewandten grundlegenden wissenschaftlichen Fortschritt verändert.19

Die unmittelbar vorangegangenen Überlegungen führen uns zu der Schlußfolgerung: Jedes wissenschaftliche Verständnis der Wurzeln und Eigenschaften der Aufgaben der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur folgt aus der Erkenntnis der aufgabenorientierten Vorherbestimmung langfristiger Investitionen durch Entscheidungen für bestimmte Infrastrukturinvestitionen. Eine treffende Veranschaulichung dieser Vorstellung der (Lebens-)Aufgabe ist, wenn auch negativ, Shakespeares Hamlet. Die Tragik Hamlets zu verstehen, ist ein guter Ausgangspunkt, um die Prinzipien der modernen Wirtschaftswissenschaft zu entdecken - ganz anders als der übliche akademische Müll, der sich unter den Rubriken Locke, Mandeville, Quesnay, Adam Smith, Jeremy Bentham, John von Neumann u.a. angesammelt hat.

Das eben Gesagte hat dementsprechend mehrere entscheidende praktische Auswirkungen auf den Entwurf für Pläne für die dringend benötigte wirtschaftliche Erholung. Eine dieser Implikationen bildet das Thema von Shakespeares Hamlet, vor allem wie Hamlet es in seinem berühmten Monolog im dritten Akt darstellt. Es war das entscheidende Problem dieses Königreichs Dänemark - und ist das gleiche entscheidende Problem bei der Entscheidung, wer unter den Bedingungen der Überlebenskrise der heutigen Menschheit Präsident der Vereinigten Staaten werden soll.

Hamlet, der mörderische Krieger, fürchtet nicht den Tod, sondern was nach dem Tod kommen könnte. So stirbt er als ein erbärmlicher Narr und reißt sein Königreich mit sich in den Untergang, aus Angst nicht vor dem Tod, sondern vor der Unsterblichkeit. Denken Sie bei diesem Monolog an die typischen Kandidaten, die die Fraktion um Fowler und den Vorsitzenden Terry McAuliffe in der Demokratischen Partei aufstellen. Sehen Sie die Tragik Hamlets in den Gesichtern und dem Verhalten selbst der verhältnismäßig Besten unter diesen Kandidaten. Und denken Sie daran, daß dieses Drama von einem wahren Genie geschrieben wurde, William Shakespeare - einem würdigen Schüler und Anhänger des Thomas Morus - , der wie ein großer Historiker dachte. Was Sie hier aus dem Munde Shakespeares vernehmen, ist keine gut erfundene Unterhaltung, kein Phantasiegemisch à la Orson Welles, sondern eine tiefgehende und wahre Einsicht in eines der größten Prinzipien der bekannten Menschheitsgeschichte.

"Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben - schlafen -
Nichts weiter
! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, 's ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben - schlafen -
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte
Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt' und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,
Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen."
(Hervorhebungen von Lyndon LaRouche, d.Red.)

Diese Kandidaten, selbst die besten bzw. am wenigsten schlechten unter ihnen, zeigten bisher nicht die Fähigkeit, das zu benennen, was die Überlebensfragen unserer Nation und Zivilisation angeht. Sie verurteilen sich selbst dazu, Hamlets Tragödie neu zu erleben, vielleicht auf ewig.

Nehmen wir eine noch andere dramatische Lehre, diesmal den Fall der Jeanne d'Arc. Wenn wir ihn für unsere Überlegungen wählen, haben wir u.a. den Vorteil, daß die gründlich untersuchten Tatsachen dieses Falles und Friedrich Schillers einsichtsvolles Stück Jungfrau von Orleans im Kern übereinstimmen. Der Zweck ist hier, den Gegensatz zwischen dem tragischen Hamlet und der erhabenen Johanna hervorzuheben. Johanna hatte eine Lebensaufgabe, die sie nie verriet, nicht einmal um den Preis, bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden. Ihre Entschlossenheit rüttelte Frankreich so auf, daß es seine Freiheit erkämpfte, bis es schließlich unter Ludwig XI. zum ersten Nationalstaat der Neuzeit wurde, und sie lieferte auch wichtige Impulse zur Erneuerung des Papsttums in der großen Renaissance des 15. Jahrhunderts.

Wir alle sterben. Das Leben ist ein Talent, eine Geschenk, mit dem man weise umgehen, das man zum Nutzen der Menschheit fruchtbar verwenden muß. In einem höheren Sinn fruchtbar zu sein heißt nicht, eine texanische Schulbuchprüfung in der Schulbuchmoral des derzeitigen Präsidenten zu bestehen, sondern wie der Apostel Paulus in seinem 1. Brief an die Korinther, Kap. 13 erklärt, aus Liebe zur Menschheit zu handeln - nicht das zu tun, was erwartet wird, sondern was unerwartet, aber notwendig ist. Das ist das Erhabene: über die Grenzen des Herkömmlichen hinauszugehen und eine höhere Lösung im Bereich jenseits des Herkömmlichen oder sogar jenseits des Bekannten zu finden. In diesem Sinne fruchtbar sein bedeutet, so zu handeln wie die Unterhändler des Westfälischen Friedens von 1648, die einen Ausweg aus mehr als einem Jahrhundert der Religionskriege fanden, indem sie etwas außerhalb der Kleingeistigkeit der Reduktionisten vor die eigenen Wünsche stellten: den Vorteil des anderen.

So gibt es kaum etwas Erbärmlicheres als einen führenden Menschen einer Nation, der wie Hamlet versucht, den Überlebensfragen seiner Zeit auszuweichen, wie es meine Gegenkandidaten bei der Bewerbung um die Präsidentschaft tun, indem sie sich in eine imaginäre Sicherheit fliehen, die von den Herausforderungen und Problemen, von denen die Zukunft der Nation oder mehr abhängt, nichts wissen wollen. Die Krise, von deren Ausgang das Schicksal ihrer Nation und der Menschheit abhängt, wird von ihnen einfach ignoriert. Statt Mut zu beweisen, sagen sie: "Mein Programm ist..." Sie nennen ihr Verhalten nicht, was es ist, nämlich feiges Nichtstun, sie wählen lieber verschlagen eine weniger abwertende Formulierung, das für verblendete arme Narren tröstlicher klingt, wie "Umsicht" oder "Mäßigung".

Aber dies ist nur ein untergeordneter Aspekt des Problems, auf das wir uns in der gegenwärtigen Konstellation konzentrieren müssen. Hamlet verkörpert den Menschen, den Staatsmann, der versagt. Welches Heilmittel gibt es gegen solche Tragödien? Betrachten wir es andersherum: Was wäre das normale Verhalten, die normale Einstellung eines moralischen Menschen? Was ist eine Tragödie? Es ist das Scheitern an den Herausforderungen der Zukunft - man schafft es nicht, das zu tun, was der Kleingeist für "praktisch nicht durchführbar" hält, ohne das es aber keine würdige Zukunft geben kann.

Deshalb besteht das wichtigste Merkmal einer gesunden Persönlichkeit und die einzige Alternative zur Tragödie darin, daß eine Berufung, eine Lebensaufgabe das Verhalten bestimmt. Die moralische und die damit zusammenhängende natürliche geistige Qualität des gesund entwickelten Menschen, den man als normal im Sinne von vernünftig betrachten sollte, ist seine Entschlossenheit zu Entdeckungen von Prinzipien und deren nutzbringender Anwendung in vergleichbarer Qualität wie Keplers Entdeckung der universellen Gravitation oder Leibniz' Entdeckung des Prinzips der kleinsten Wirkung. Die moralische und unsterbliche Funktion des sterblichen einzelnen Menschen besteht darin, nicht das Erwartete zu tun, sondern dasjenige Unerwartete, das dazu beiträgt, das Universum ein bißchen weiterzuentwickeln und ein bißchen besser zu machen.

Diese "Berufung", die immer auf der Suche nach Wegen abseits und außerhalb der ausgetretenen Pfade ist, zeigt uns das Wesen des Menschen, den Unterschied zwischen Mensch und Tier. Der Mensch, der unter Bedingungen einer Krise auf die vermeintliche "Nummer Sicher" gehen will und am allgemein akzeptierten Verhalten festhält, handelt nicht wie ein wahrer Mensch, sondern wie eine von so vielen tragischen hamletähnlichen Personen, deren motivierendes Selbstverständnis nicht mehr das Göttliche im Menschen ist, sondern nur noch das Tierische, das immer so handelt, wie es vor ihm die Väter und Großväter brav getan haben. Das ist das Wesen der höheren Strategie im allgemeinen; und hier liegt auch der Schlüssel für die entscheidenden notwendigen Einsichten in die Bedeutung grundlegender wirtschaftlicher Infrastruktur.

Nehmen wir als Beispiel die Forschungen des verstorbenen Dr. Lawrence Kubie, eines renommierten Psychiaters, der zu dieser Angelegenheit einiges von Bedeutung zu sagen hat. Das Problem, mit dem sich dieser Aspekt von Kubies Arbeiten befaßt, wird in seinem Buch Die neurotische Störung des schöpferischen Prozesses20 behandelt und in der späteren Veröffentlichung Die Förderung wissenschaftlicher schöpferischer Produktivität21 weiter ausgeführt.

Durch meine eigenen Untersuchungen der möglichen Ursachen für relativen Erfolg oder Mißerfolg von Angestellten großer Beratungsunternehmen und ähnliche Forschungen kam ich mit Kubies Arbeiten in Berührung und stellte fest, daß seine Schlußfolgerungen mit meinen eigenen Erfahrungen in dieser Sache weitgehend übereinstimmten. Das Problem, mit dem sich Kubies und meine Untersuchungen befaßten, ist unter anderem typisch für einen Großteil der Akademiker nach der Promotion. Das Muster stimmt mit dem "Hamlet-Syndrom" überein und ist auch heute bei einigen führenden Präsidentschaftskandidaten und ähnlichen Fällen zu finden. Das Muster, wie ich es erfahren habe und Kubie beschrieb, ist mehr oder weniger wie folgt.

Hat man vielversprechende junge Intellektuelle (beispielsweise) in der wissenschaftlichen Ausbildung an der Hochschule, so kommt es damals wie heute oft dazu, daß sie ihre schöpferische Triebkraft immer mehr einbüßen, je näher sie dem Zeitpunkt kommen, an dem sie höhere akademische Grade erhalten oder sich auf den Anfang ihrer beruflichen Laufbahn nach dem Abschluß des Studiums einstellen. Wie ein guterzogener alter Hund bewahren sie die Fähigkeiten, die sie in jungen Jahren bei ihrer Konditionierung im akademischen Hundezwinger erworben haben, aber ihre Fähigkeit, darüber hinauszugehen, ist deutlich geschwächt, denn ihre Anstrengungen konzentrieren sich nun darauf, ihren tatsächlichen oder eingebildeten Status zu verteidigen und bloß nicht das Risiko einzugehen, etwas zu entdecken, das ihre tatsächlichen oder eingebildeten rachsüchtigen Vorgesetzten veranlassen könnte, ihre anstehende Karriere in Gefahr zu bringen.

Deshalb sind für mich ganz besonders junge Menschen in der Altersgruppe zwischen 18-25 Jahren wichtig, die keine Heranwachsenden mehr sind, sondern in emotioneller Hinsicht junge Erwachsene. Bei ihnen gibt es vielleicht noch nicht den von Kubie festgestellten Verfall, der selten später als mit dem 30. Lebensjahr einsetzt, um sich für das ganze spätere Leben zu halten.

Eine wichtige Klasse von Opfern dieses traurigen Syndroms sind die nur allzu häufigen tragischen Fälle begabter Naturwissenschaftler, deren experimentelle Arbeiten brillant sind, die aber panische Angst davor haben, Ergebnisse vorzulegen - wie zutreffend auch immer - , die den Zorn der babylonischen Hohepriester der allgemein anerkannten Schulbuchmathematik erregen könnten. Mit solchen wahren Fällen befaßt sich Kubie in seiner Untersuchung über emotional bedingtes Scheitern beim wissenschaftlichen Fortschritt. Mathematiker sind allgemein gesprochen in dieser Hinsicht die Schlimmsten; die produktiven experimentellen Forscher haben "eingebaute" Qualitäten, die das einigermaßen wieder gutmachen - weitgehend aus den gleichen Gründen, die einen Gauß über Formalisten wie Euler und Lagrange erheben.

Eine häufige falsche Auslegung zeigt sich dabei in Form der fehlgeleiteten, oberflächlichen Diagnose, daß der Betreffende "geistig stillsteht", daß seine Schöpferkraft nach irgendeiner größeren Leistung scheinbar verschwunden ist. Das Problem ist aber nicht nur, daß der Betreffende keinen neuen Durchbruch mehr geschafft hat. Wissenschaft ist keine Folge von Schritten, sie ist ein anhaltender schöpferischer Prozeß im Sinne von Heraklits "nichts bleibt außer der Veränderung". Jeder neue Erfolg stärkt die Kreativität weiter, und der Erfolg drängt den gesunden Geist höher hinauf in immer neue Herausforderungen, größere als die, die er gerade gemeistert hat.

Nicht "eine Veränderung" macht Wissenschaft aus - sie ist ein dauernder, ununterbrochener, wachsender, sich verstärkender Prozeß ständiger Veränderung, und dieser Fortschritt setzt sich bis in die allerletzten Jahre eines schöpferischen Lebens fort. Eine Entdeckung allein ist kein wissenschaftlicher Erfolg, es ist ein unendlicher Fortgang immer neuer Entdeckungen. Der wahre Wissenschaftler ist nicht der Entdecker von diesem oder jenem, er oder sie verkörpert vielmehr einen Prozeß aufeinanderfolgender Entdeckungen. Nicht die Entdeckung an sich macht den Wissenschaftler aus, sondern der unendliche Prozeß des Hervorbringens immer neuer Entdeckungen.

Im Gegensatz zur schöpferischen Persönlichkeit hält sich der verdummte akademische Neurotiker ab einem bestimmten Punkt wie Hamlet für einen ausgebildeten Krieger, einen "Fachmann". Dieser Neurotiker erscheint uns wie eine tote ägyptische Seele, die wie Hamlet ihre eigene Mumie bewundert. Daher könnte man ihn auch als "mumiendominiert" bezeichnen (LaRouche benutzt hier ein Wortspiel: mummy bedeutet sowohl "Mutti" als auch "Mumie", d.Red.). Dagegen sieht der gesunde Geist seine Identität darin, sich der Aufgabe ständiger Entdeckungen, dem ständigen Wandel der Anwendung von Prinzipien, zu stellen. Ein solcher Mensch hat eine Lebensaufgabe. Er hat diese Aufgabe oder Berufung nicht einfach nur angenommen, sein ganzes Leben wird zu einer leidenschaftlichen Berufung. Dies ist der Gegensatz zwischen dem Politiker, der um seine Karriere fürchtet, wie Hamlet es vielleicht tat, und dem selteneren, notwendigen Staatsmann, der sich der Herausforderung stellt, so zu handeln, wie es der Fortschritt der Gesellschaft von ihm fordert, welches Risiko auch damit verbunden sein mag.

Die Hamlets des politischen Lebens verstehen Infrastruktur erst, wenn sie schon entwickelt ist. In moralischer Hinsicht endet für sie das Leben sozusagen mit einem furchterregenden, quasi brandigen Traum. Sie haben nicht verstanden, daß die notwendige Weiterentwicklung der Infrastruktur eine dringende Pflicht für Veränderungen ist. Für den geistig gesunden Menschen dagegen geht das Leben ohne Ende weiter: Das Lebenswerk der Verstorbenen lebt weiter in den fruchtbaren Errungenschaften der Nachkommen. Das, was weiterlebt in jener "Gleichzeitigkeit der Ewigkeit", die auf den Tod folgen muß, das ist der einzige Ansporn des moralisch gesunden Geistes. Das ist es, was Zeus in Aischylos' Stück Der gefesselte Prometheus an Prometheus so sehr haßt.

Nehmen wir Eratosthenes' Messung des Erdumfangs: Die Erinnerung daran erneuerte sich mit der Karte von Kardinal Nikolaus von Kues' Mitarbeiter Paolo dal Pozzo Toscanelli, die jenem Christoph Kolumbus anvertraut wurde, der das Land jenseits des Atlantiks wiederentdeckte. Kues schuf mit seiner concordantia catholica den Begriff des souveränen Nationalstaats der Neuzeit und legte in Werken wie der Gelehrten Unwissenheit die Grundlagen der neuzeitlichen Experimentalwissenschaft. Auf den damals führenden Kardinal Kues und anderen geht der Plan zurück, die Erde - von der jeder kompetente Wissenschaftler dieser Zeit wußte, daß sie eine Kugel ist - über den Atlantik bis zum Indischen Ozean zu erforschen und zu erschließen, um das Osmanische Reich zu umgehen und sich mit den Völkern am anderen Ende solcher Reisen zu verbünden. Weise und starke Menschen wie diese leben ewig in dem, womit sie das Werk der vor ihnen Verstorbenen bereichern und was sie der zukünftigen Menschheit auf ewig zum Nutzen schenken.

Mit der Entwicklung von Großprojekten grundlegender wirtschaftlichen Infrastruktur beginnen wir ein Werk, das erst in mindestens ein oder zwei Generationen vollendet sein wird, und wir schaffen damit die Grundlage für einen Nutzen viele Generationen weiter in der Zukunft. Erst die Leidenschaft des Einzelnen, die sich in seiner Berufung ausdrückt, schafft solche großen Infrastrukturbauten und ermöglicht der Menschheit ihr zukünftiges Dasein. Ohne diese Leidenschaft lauert der Abstieg.

Weil diese weitsichtige Leidenschaft fehlte, wurde das, was die Menschheit dringend brauchte, viel zu spät begonnen, so daß den Menschen später fehlte, was eine oder mehr Generationen zuvor hätte aufgebaut werden müssen!

Diese Leidenschaft ist nicht einfach nur eine Begeisterung für den allgemeinen Gedanken, etwas Gutes zu tun. Sie ist das tätige Prinzip, das es erst ermöglicht, daß Gutes entstehen kann. Gute Taten machen einen Menschen noch nicht moralisch, sondern der moralische Mensch, der zu schöpferischer Neuerung entschlossen und von der Liebe zur Menschheit erfüllt ist, vermittelt anderen die Entschlossenheit, Gutes für andere und sich selbst zu schaffen. Menschen, denen diese Hingabe an höhere Aufgaben fehlt, sind psycho-sexuell untätig, praktisch schon tot. Dieses Gefühl des Totseins überkommt uns in der Gesellschaft von Menschen, die durch die "neurotische Störung des schöpferischen Prozesses", wie Kubie sagt, schon wie leergebrannt sind.

Wernadskij und Infrastruktur

Spätestens seit dem antiken Griechenland weiß man in der europäischen Kultur, daß das Universum, wie wir es kennen - in den Begriffen der modernen Wissenschaft ausgedrückt - , aus drei unterschiedlichen, aber interagierenden, universellen Phasenräumen zusammengesetzt ist. Wir nennen es in dieser Tradition das Abiotische (universelle nichtlebende Prozesse), das Biotische (lebende Prozesse und ihre Erzeugnisse) und das Noetische (die schöpferischen Prozesse, die sich nur beim Schöpfer des Universums und bei Menschen zeigen).

Wie diese drei Phasenräume sich voneinander unterscheiden und wie sie miteinander verbunden sind, war die wichtigste Frage in meinem geistigen Leben, ungefähr seit meinem 14. Lebensjahr, als ich aus Verzweiflung über den Mangel an Wahrheitsliebe in meiner Familie, meiner Schule usw. mich darauf verlegte, die führenden englischen, französischen und deutschen Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts zu studieren.22 In dieser Zeit kam es dazu, daß ich Leibniz über Hobbes, Descartes, Locke und Kant stellte. In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte ich einige der tieferen innewohnenden philosophisch-wissenschaftlichen Mängel des philosophischen Reduktionismus erkannt, und es war mir deshalb bereits klar, daß das Leben einen anderen universellen Phasenraum darstellte als nichtlebende Prozesse, und daß die Erkenntnisprozesse, die Kant leugnete, einen höheren Phasenraum bildeten als der biotische Phasenraum im allgemeinen.

Diese Vorstellungen nahmen konkrete Form an, als ich 1948-53 dem Werk der radikalen Reduktionisten Norbert Wiener und John von Neumann begegnete, eine Begegnung, die mich dazu trieb, zu antworten, indem ich die physische Wirtschaftswissenschaft aufs Korn nahm und darin entsprechende Entdeckungen - darunter einige originäre - machte. Im Zusammenhang damit hatte ich erste flüchtige Begegnungen mit dem Werk W.I. Wernadskijs; doch erst viel später, in der Zeit nach 1989, konnte ich seine Methode zur Definition der Noosphäre genauer untersuchen.23 Allgemein gesprochen zeigte der Gedankengang seiner Schrift aus dem Jahr 1938 langfristig den Weg zur Einbindung Mittel- und Nordasiens in den Aufbau einer eurasischen Infrastruktur (in dem Fall über zwei oder mehr Generationen) als erste Stufe der Entwicklung des gewaltigen neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potentials im Inneren Eurasiens, das jetzt für die Menschheit in Reichweite kommt.24 Wernadskijs strenge Beweisführung25 erlaubte mir auch, die Notwendigkeit der Infrastruktur deutlich präziser zu begründen als vorher. Allein der Wernadskij, dem man in dieser Schrift von 1938 begegnet, ist ein strenger schöpferischer Denker einer Art, wie man ihn heute kaum noch findet - jemand, der nicht jede kleine Warnung gleich wieder beiseiteschiebt, bloß weil zu vermuten ist, daß sie für die Gemeinplätze der akademischen Welt seiner Zeit gesellschaftlich unannehmbar ist.

Wernadskijs Werk hat zweierlei kardinale Implikationen von entscheidender Bedeutung für die Politik des Infrastrukturaufbaus, die in der Lage der USA und der Welt mit dem immer rascheren allgemeinen Zusammenbruch des Weltwährungs- und Finanzsystems freier Wechselkurse heute notwendig ist. Die erste betrifft die revolutionäre Bedeutung von Wernadskijs Zusammenfassung seiner Begründung der wirtschaftlichen Bedeutung der Infrastruktur von 1938.26 Die zweite befaßt sich mit den einzigartigen Fähigkeiten des menschlichen Geistes, die klarer definiert werden müssen, um zu verstehen, wie man Wernadskijs Beiträge auf die Gestaltung der Weltwirtschaftspolitik unter den heutigen globalen Bedingungen anwenden muß.

Auf die erste Reihe von Implikationen kommt man zuerst durch den Vergleich der langfristigen Beziehung der biotischen zur abiotischen Phase in der "Geschichte" unseres Planeten aus der Sicht der besonderen Art physikalischer Chemie, die Wernadskij entwickelt hat: der Biogeochemie. Studiert man die Ansammlung der Fossilien, die nach und nach zu den abiotischen Funktionen unseres Planeten hinzukamen, so zeigt sich, daß die Kräfte des Lebens langfristig den abiotischen Vorgängen überlegen sind. Dann vergleichen wir die funktionale Beziehung des angesammelten Einflusses der souveränen noetischen Kräfte (Erkenntniskräfte) des individuellen menschlichen Geistes auf den kombinierten abiotischen und biotischen Bereich: Die überlegenen noetischen Kräfte des menschlichen Geistes sind dabei, den Planeten ihrer Herrschaft zu unterwerfen.

Diese Ansammlungen sind also ein Ausdruck der wachsenden Macht der biotischen Phase über die abiotische und der noetischen Phase über die abiotische und biotische - dem Wachstum entspricht die relative Masse biotischer und noetischer Fossilien (Hinterlassenschaften). Diese Kombination wachsender Ansammlungen solcher Fossilien und entsprechender wachsender Veränderung (Wirkung) definiert den angemessenen funktionalen Begriff der grundlegenden Wirtschaftsinfrastruktur.

Wenn wir diese Bedeutung des noetischen Prozesses so einordnen und sie so untersuchen, wie es diese Sicht von Wernadskijs Werk nahelegt, dann lenkt das unsere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Carl Gauß' Angriff auf die Torheit von Euler, Lagrange u.a. - und implizit auch auf Kants geistige Sterilität - in seinen Beweisen des Fundamentalsatzes der Algebra aus dem Jahre 1799. Wenn wir Gauß den "Hamlets" der Mathematik wie Euler und Lagrange gegenüberstellen, gibt uns das einen Wink, wie die Welt die Aufgabe der Entwicklung grundlegender wirtschaftlicher Infrastruktur in den gegenwärtigen Krisenbedingungen definieren muß.

Betrachten wir nun folgende Punkte in diesem Licht.

Wenn wir wie Wernadskij im Experiment zwischen dem abiotischen und dem biotischen Bereich als funktional definierte Phasenräume unterscheiden, meinen wir damit, daß wir lebende Prozesse nicht von den Prinzipien herleiten können, die wir für die Kategorie nichtlebender Prozesse abgeleitet haben. Dies bedeutet im Experiment, daß lebende Prozesse in ihrer Wirkungsweise nicht nur Eigenschaften lebender Vorgänge hervorrufen, die man beim Abiotischen nicht findet, sondern auch, daß die Prinzipien lebender Prozesse dem nichtlebenden abiotischen Bereich ihren "Willen", d.h. die spezifischen Eigenschaften ihres Phasenraums aufzwingen können. Die Verwandlung der Zusammensetzung des Planeten Erde durch die Ansammlung von Hinterlassenschaften lebender Vorgänge wird abgelöst durch das Wirken willentlicher (d.h. freiwilliger) noetischer Handlungen des Menschen.27

Die einzelnen Phasen dieser beschriebenen Beziehung zwischen dem Anstieg der weltweiten relativen potentiellen Bevölkerungsdichte der Menschheit und der Rolle der Entwicklung von grundlegender ökonomischer Infrastruktur lassen sich folgendermaßen zusammenfassen.

In erster Näherung handelt die Menschheit, um die Biosphäre an sich zu verbessern. In dieser Phase ignorieren wir alles menschliche Handeln, das nicht wiederholt, was die Natur selbst gern getan hätte, aber ohne die Hilfe des Menschen nicht erreichen konnte. Der Mensch versucht also zu entdecken, wie die Biosphäre sich selbst erschafft, und indem wir es entdecken, helfen wir ihr, ihren Weg zu gehen, wo sie ohne unser Eingreifen versagen müßte oder kaum vorankäme. Wie man sagt: "Wir bringen die Wüsten zum blühen", wir behandeln den ganzen Planeten so, wie die besten Traditionen der Landwirtschaft die Biosphäre optimieren, anstatt sie zu plündern. Im typischen Fall versuchen wir die Umwandlung der Sonnenstrahlung zu steigern, um wertvollere und größere Biomasse zu erhalten.

Auf diese Art und Weise machen wir den Planeten bewohnbarer, so daß er, relativ gesehen, auch schon in dieser offensichtlichsten Weise eine höhere Qualität und Quantität menschlicher Bevölkerung am Leben erhalten kann. Hätten wir das nicht getan, hätte unsere Bevölkerungszahl und individuelle Lebensqualität niemals die Lebensbedingungen des Schimpansen überschritten. Die verrückten Ideologen, die jedes Eingreifen des Menschen in die "natürliche Natur" verurteilen, sollten uns darüber aufklären, was sie - mit Auschwitz-artigen oder ähnlichen Methoden - mit einer Bevölkerung machen wollen, die jetzt mehr als sechs Milliarden Menschen umfaßt, weit mehr, als bei einem subhumanen Kulturzustand möglich wäre.

In der zweiten Näherung führen wir "künstliche" Elemente in die Biosphäre ein wie den Massenverkehr (z.B. Segelschiffe), Stromerzeugung, Kommunikation, sanitäre Anlagen und Gesundheitsversorgung, Wohnungsbau, städtische Infrastruktur usw. Diese müssen wir als grundlegende Wirtschaftsinfrastruktur einordnen, denn in dieser Funktion dienen sie dazu, allgemein das menschliche Leben zu erhalten. Indem wir die relative Macht (z.B. "Energieflußdichte") sowohl in der Qualität als in der Menge steigern, verändern wir die Beziehung des Menschen zum Universum, wie es anhand der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte meßbar ist. Wir erhöhen die Existenzfähigkeit des Menschen im Universum pro Kopf und erzeugen dabei immer wieder ganz neuartige Wirkungen, die dieser Absicht dienen.

Auf dieser Ebene zweiter Näherung bewegen wir auch mit genaugenommen "künstlichen Mitteln" Wassermassen von einem Teil des Landes zum anderen. Gleiches tun wir in anderer Hinsicht.

Massenverkehr verändert die Umwelt (und die Bedeutung der Geographie), da er sich auf die menschliche Aktivität als solche auswirkt. Massenkommunikation ist ein ähnlicher Fall. Diese Veränderungen der Infrastruktur bilden die Brücke zwischen den Funktionen der Biosphäre und den vom menschlichen Geist bestimmten Aktivitäten.

In der dritten Näherung geht es um das Aufrechterhalten eines Prozesses noetischer Selbstvervollkommnung der Eigenschaften spezifisch menschlichen Verhaltens. Wenn wir diesen Gesichtspunkt in unsere Abhandlung über die Infrastruktur einführen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit jetzt auf die Tatsache richten, daß eine kompetente physische Wirtschaftswissenschaft eine typisch Riemannsche ist. Das bringt uns zur Rolle des Konzepts der "Kraft" (Macht). Platon z.B. definierte Kraft als einen Begriff, der nicht mit Aristoteles' Begriff der "Energie" zu verwechseln ist.

Damit sind wir wieder bei der Bedeutung von Gauß' Schrift zum Fundamentalsatz der Algebra für die Definition der menschlichen Natur.

Wird fortgesetzt


Anmerkungen

13. Beispielsweise wehrten sich nach dem amerikanischen Bürgerkrieg viele, die zuvor gegen die Sklaverei gewesen waren, gegen eine Kulturpolitik, wie sie Frederick Douglass vertrat (die Entwicklung der größtmöglichen Fähigkeiten des menschlichen Geistes ist die Freiheit der Seele, durch welche die Freiheit des Körpers gewonnen wird). Sie meinten, man solle die Masse der befreiten Sklaven nicht weiter ausbilden, als es für ihre voraussichtliche Beschäftigung nötig war. Das ist offensichtlich ein Extremfall, aber er sollte unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, daß das, was heute als sekundäre und höhere Bildung praktiziert wird, im allgemeinen eine Travestie ist. Ein ähnlicher Fall: Als deutlich wurde, daß sich die von der europäischen Renaissance des 15. Jahrhunderts ausgehende Welle wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritts nicht ganz aufhalten ließ, beschlossen die führenden Fraktionen Venedigs (die alte des 16. Jahrhunderts um Francesco Zorzi, den "Eheberater" Heinrichs VIII. in England, und die sogenannte neue um Paolo Sarpi und dessen persönlichen Lakaien Galileo Galilei), sich den unerwünschten Wirkungen der Renaissance anzupassen, indem sie eine gewisse abgespeckte Version moderner Wissenschaft einführten (den venezianischen, neuaristotelischen und neuockhamschen Empirismus), aber jede Form der Bildung verboten, die eine Kenntnis des Prinzips der platonischen Hypothese, von der echte wissenschaftliche Fortschritte mehr oder minder vollständig abhängt, fördern könnte. Friedrich Schiller schrieb über diese reduktionistische Form der Bildung, sie erzeuge nur "Brotgelehrte" (die nicht mehr Bildung haben, als sie brauchen, um ihr Brot zu verdienen). Ungefähr so ist die Ausbildung und die auf Sklaven zugeschnittene Massenunterhaltung der heute vorherrschenden Bildungspraxis in den USA, vor allem seit dem Einfluß des "kulturellen Paradigmawandels" nach 1963 auf die sekundäre und höhere Bildung.

14. Die Verwendung des Begriffs "ultramontan" für die nationalstaatsfeindliche Politik der venezianischen Finanzoligarchie und mit ihr verbündeten normannischen Ritter geht zurück auf die falsche Behauptung, die Autorität des Papstes beruhe auf einer imperialen gesetzgebenden Macht, die ihm angeblich der oströmische Kaiser Konstantin durch die sog. Konstantinische Schenkung über Westeuropa übertragen hätte. Der Imperialismus der Habsburger, des anglo-holländischen, liberalen Modells der Finanzinteressen des 18. Jahrhunderts (d.h. der Ostindiengesellschaft) und die heutigen Dogmen von "Freihandel" und "Globalisierung" sind eine Fortsetzung der Politik der venezianischen Finanzoligarchie nach dieser ultramontanen Lehre.

15. D.h. die Gesellschaftsform einer präsidialen souveränen Republik, die frei ist von den Übeln sowohl der neomittelalterlichen Herrschaft der Habsburger als auch der venezianischen Tradition des liberalen Modells einer parlamentarischen Demokratie im 18. Jahrhundert unter der Herrschaft von Geldinteressen.

16. Was zwischen 1922 und 1945 als "Faschismus" bekannt wurde, war ein Ableger der von Hegel und Savigny begründeten romantischen Rechtsschule, die vom Vorbild des Aufstiegs des Tyrannen Napoleon angeregt war. Scalias Lehre von der Vorherrschaft des "Texts" und des "Shareholder Value" (Aktienbesitzerrechte) verbindet diese Erbschaft des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt mit der Lockeschen Doktrin der Präambel der Verfassung der Konföderierten Staaten von Amerika.

17. Urquhart, ein Veteran des britischen Auslandsgeheimdienstes, wurde unter seinem Rivalen, dem einst von Jeremy Bentham geförderten Lord Palmerston, in die British Library versetzt und diente dort dem britischen Außenministerium als korrespondierender Sekretär des von Palmerstons Mann Giuseppe Mazzini geführten "Jungen Europa". Über diesen Kanal erhielt Karl Marx, der Mazzinis Jungem Europa nahestand, Unterstützung für seine wirtschaftspolitischen Studien unter Urquharts persönlicher Leitung. Und Palmerstons Mann Mazzini ernannte Marx persönlich zum Leiter der neugegründeten "Ersten Internationalen". Interessanterweise war Marx' Vater Heinrich im Gegensatz dazu ein Unterstützer der Amerikanischen Revolution gewesen. Marx selbst hatte seine höhere Schulbildung in Trier unter dem berühmten klassischen Humanisten J.H. Wyttenbach abgeschlossen, der sich eingehend mit den Brüdern des Gemeinsamen Lebens beschäftigt hatte. Nach seiner Jugend in Trier lief Marx zur Gegenseite, zur Hegelschen und nach-Hegelschen Romantik über und geriet in den Bann der Operationen des britischen Außenamts unter Bentham, Palmerston und Mazzini. Dies alles ist eine höchst heilsame Lehre für die angeblich antimarxistischen, rechten Adam-Smith-Anhänger und typischen akademisch gebildeten Ökonomen in Amerika und Westeuropa heute.

18. Lyndon LaRouche, The Economics of the Noösphere, Washington, 2001.

19. Der Reduktionist, wie beispielsweise der armselige Immanuel Kant, ist nicht in der Lage, dieses wichtige ontologische Paradox zu lösen. Entgegen der hysterischen Verblendung des Reduktionisten kann Gott (der Schöpfer) sich selbst ändern, und zwar nach einem Prinzip der Veränderung, das seine wesentliche Form wißbarer Existenz ist (etwa als Geistesmasse). Siehe dazu Philo ("Judäus") von Alexandria zur entsprechenden Inkompetenz und falschen Theologie des aristotelischen Erbes seiner Zeit. Wäre der Reduktionist kein Gnostiker, hätte er das Wesen seines Irrtums erkannt.

20. Lawrence S. Kubie, Neurotic Distortion of the Creative Process, Kansas, 1958.

21. Lawrence S. Kubie, "The Fostering of Scientific Creative Productivity", in Daedalus, Frühjahr 1962.

22. Dies war bestimmt durch den Inhalt unserer Familienbibliothek, darunter die Harvard-Classics-Zusammenfassungen und ähnliche Sammlungen und Einzeltexte, und das, was ich aus der respektablen Sammlung entsprechender Gesamtausgaben der Öffentlichen Bibliothek der Stadt Lynn (Massachusetts) entleihen oder im Leseraum der Bibliothek studieren konnte. Später war die Öffentliche Bibliothek in Boston am Copley-Platz einer meiner Lieblingsplätze. Wo findet man heute noch derartige für Jugendliche oder junge Erwachsene zugängliche private oder öffentliche Bibliotheken?

23. W.I. Wernadskij (1863-1945).

24. Siehe LaRouche, The Economics of the Noösphere, a.a.O.

25. ebenda.

26. ebenda.

27. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die eindrucksvollste Lehre aus den Erfahrungen der Sowjetunion von 1917-1991 die tragische Rolle des sozialdemokratischen "antivolontaristischen" Dogmas, gegen das ironischerweise der Gründer der Sowjetunion, W.I. Lenin, in höchstem Maße verstoßen hat. Er sah nämlich voraus, daß die sozialdemokratische Tradition ebenso wie alle liberalen und anderen politischen Strömungen gegen die Zarenherrschaft sich selbst zum Scheitern verurteilten - in einer Weise und in einem Maße, das der später von Kubie beobachteten "neurotischen Störung des schöpferischen Prozesses" entspricht. So wurde bei von militärischen oder verwandten existentiell-strategischen Notwendigkeiten angetriebenen sowjetischen Forschungsprogrammen die antivolontaristische Lehre der Sozialdemokraten und der bolschewistischen Bürokratie im Endeffekt umgangen. In anderen Bereichen der Wirtschaft, in denen es Widerstand gegen diese Aufgabenorientierung gab, dokumentiert die sowjetische Literatur der Jahre 1954-91 ein erschreckend stures Festhalten an der neurotischen (antivoluntaristischen) Katastrophe.

Wir erleben einen parallelen Fall in der Hinwendung der amerikanischen Politik zu einer "nachindustriellen" Richtung in der Zeit nach Kennedy. Die Verbindung von "nachindustrieller" und radikaler "Freihandels"-Ideologie - insbesondere der rechtsextreme "Freihandels"-Fanatismus der Mont-Pelèrin-Gesellschaft - wirkte ab 1971-72 auf die Volkswirtschaften Amerikas und Westeuropas insgesamt noch tödlicher als die "antivolontaristischen" Strömungen auf die Sowjetunion. Deshalb ist der Zustand der wirtschaftlichen Grundinfrastruktur in den USA heute verhältnismäßig viel schlechter als zur Zeit des Amtsantritts von Franklin Roosevelt im März 1933.

 

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