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Aus der Neuen Solidarität Nr. 22/2004

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Über Zölle und Handel

Von Lyndon LaRouche
- 4. Teil -

Am 12. Januar 2004 veröffentlichte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Präsidentschaftskandidat die folgende grundlegende Schrift, die wir in mehreren Folgen abdrucken.


4. Der Preis der Produktion
Wie Statistiken normalerweise lügen

Das Verbrechen des Empirismus

4. Der Preis der Produktion

Man kann die hier notwendige Beweisführung gut veranschaulichen, wenn man sich auf das System zur Berechnung des amerikanischen Wirtschaftsprodukts und Nationaleinkommens bezieht, das bis 1983 verwendet und in wesentlichen Teilen vom 1999 verstorbenen Professor Wassilij Leontief (Nobelpreisträger für Wirtschaft, 1973) entwickelt wurde. Von 1952 bis 1983 stützte ich mich als Unternehmensberater und bei anderen beruflichen Tätigkeiten weitgehend auf Vergleiche meiner eigenen Untersuchungen mit den amtlichen und privaten statistischen Berichten und Daten, die auf diesem Modell der Volkswirtschaftsrechnung beruhten. Bei meiner erfolgreichen kurzfristigen Prognose Ende 1956, daß den USA etwa im Frühjahr 1957 die schwerste Rezession der Nachkriegszeit bevorstünde, berücksichtigte ich bei meinen Untersuchungen über die Blase der Verbraucherkredite auch die Lokalisierung dieser Blase innerhalb der Volkswirtschaft, wie sich dies in den entsprechenden Bundesstatistiken über das Nationalprodukt und -einkommen niederschlug.36 Meine regelmäßigen außergewöhnlichen Erfolge bei langfristigen Wirtschaftsprognosen seit 1959 belegen, daß solche analytischen Berichte als Informationsquelle unter bestimmten Bedingungen sehr nützlich und für die Arbeit des Prognostikers unverzichtbar sind.37

Leider wandelten sich die Datenveröffentlichungen der Federal Reserve und der US-Regierung 1982-83 vom Problematischen zum reinen Betrug. In einer halbstündigen landesweiten Fernsehsendung im Rahmen meines Präsidentschaftswahlkampfs warnte ich 1984 vor dem systematischen Betrug in den offiziellen Berichten der Regierung über die Wirtschaftslage, vor allem hinsichtlich der Inflationsrate. Ich mußte deshalb auch die Veröffentlichung meiner bis dahin höchst erfolgreichen vierteljährlichen Prognosen einstellen. Seit damals ist der Betrug in den offiziellen Regierungsberichten immer größer und unverschämter geworden. Verläßliche Informationen über den Gesamtzustand der Realwirtschaft verschwanden ganz aus den zusammenfassenden Berichten des Fed-Chefs Greenspan und anderer. An ihre Stelle trat eine rauschhafte Bewunderung des zunehmenden Wachstums der tödlichen Krebsgeschwulst der Finanzblase um die Wall Street.

Dabei ist auch hervorzuheben: Meine wichtigsten theoretischen Leistungen bei der Entwicklung der LaRouche-Riemann-Methode waren in bedeutendem Maße eine Folge der Erkenntnis, daß es höchst gefährlich sein konnte, dem Ansatz Kondratieffs und Leontiefs bei der Analyse der Volkswirtschaft übermäßig zu vertrauen, weil er zu linear war.38

Tatsächlich sind wirtschaftliche Abläufe ihrem Wesen nach nichtlinear im Sinne einer Riemannschen physikalischen Geometrie. Trotzdem kann man - vorausgesetzt, Lehrer und Schüler verstehen die Bedeutung dieses Unterschieds - in der Anfangsphase der Einführung in die Wirtschaftswissenschaft im Unterricht lineare Modelle verwenden. Ich benutze diesen pädagogischen Ansatz auch hier für meine Beweisführung.

Für lineare Annäherungen verwendet man bei den volkswirtschaftlichen Schätzungen, die den politischen Maßnahmen zugrunde liegen, einen bestimmten normativen Maßstab des Realeinkommens der Familien einschließlich aller Nutzung der nötigen öffentlichen Dienstleistungen und der wirtschaftlichen Grundinfrastruktur. Man darf aber nicht den Durchschnitt der tatsächlichen Zahlen als Grundlage für die politische Planung verwenden. Statt dessen brauchen wir einen Maßstab, der dem entspricht, was die Haushalte brauchen, um einen bestimmten, zusammengestellten Standard zu erreichen - gewählt für einen Haushalt, dessen Beschäftigung einem bestimmten Entwicklungsstand der in der Produktion angewandten Technik entspricht. Dieser Maßstab wird als Grundlage auf alle Bestandteile der Haushalte angewendet.

Dieser Ansatz muß hier erläutert werden.

Wie Statistiken normalerweise lügen

Der unter Berufsökonomen wie Laien heute am weitesten verbreitete Irrglaube in Fragen der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik ist das fanatische Festhalten an vermeintlichen "statistischen Fakten" - die fast nie wirkliche Fakten im angebenen Sinne sind, sondern in der Regel auch das Ergebnis völlig falscher Vorstellungen über die Grundlagen der Statistik.

Wie ich bereits weiter oben betont habe, zeigt oder belegt ein gewöhnlicher statistischer Trend niemals ein Naturprinzip. Die Astronomie der Aristoteliker und Empiriker, vom ägyptischen Schwindler Claudius Ptolemäus im Römischen Reich bis zu Kopernikus und Tycho Brahe, hat bezeichnenderweise deshalb versagt, weil diese davon ausgingen, daß die von ihnen und anderen beobachteten scheinbar konsistenten Planetenumlaufbahnen den wißbaren Gesetzen des Universums entsprächen. Wie Kepler erkannte, zeigten in Wirklichkeit aber gerade diejenigen Beobachtungen, die den vereinfachenden Statistiken der Aristoteliker und sonstigen Empiriker hartnäckig widersprachen, daß hinter den astronomischen Vorgängen eine bestimmte Ordnung oder "Absicht" steckte, und nur mit der Methode der platonischen Hypothese ließ sich diese Absicht als universelles Naturprinzip nachweisen.39

Die Statistik zeigt uns, selbst im besten Falle, nur den verhältnismäßig langweiligsten Teil der Erfahrung. Alle wichtigen bekannten Fortschritte der menschlichen Gattung beruhten darauf, daß man sich mit den Erscheinungen beschäftigte, die uns bewiesen, wie töricht es ist, auf mathematisch-statistische Einheitlichkeit zu vertrauen. So fordern beispielsweise statistisch unerwartete, plötzliche Änderungen im Gang der Geschichte die Fähigkeiten des menschlichen Geistes zu schöpferischen Einsichten heraus und zwingen ihn, die hinter dem Vorhang unserer Sinneswahrnehmungen wirkende, steuernde "Hand des Schicksals" zu entdecken. In dieser "Hand" erkennen vernünftige Menschen die Eigenschaften eines universellen Naturprinzips wie z.B. der Gravitation. Das wichtigste an allen wirtschaftlichen Vorgängen ist immer die Anwendung neuentdeckter, verhältnismäßig langfristiger Wirkungen von Prinzipien, die scheinbar hinter dem Vorhang der gewöhnlichen statistischen Analysen liegend wirken.

Deshalb dürfen wir, wenn wir berechnen, wieviel es kostet, ein bestimmtes erforderliches Kulturniveau eines typischen Familienhaushalts zu erreichen, zwar bei unseren Maßstäben die festgestellte Höhe des tatsächlich vorhandenen Realeinkommens nicht ignorieren - wir dürfen aber nicht einfach beiseite wischen, daß man auch feststellen muß, wie die Realeinkommen vom dem abweichen, was eigentlich notwendig wäre, damit die im allgemeine Interesse der Gesellschaft erforderliche Leistung ständig verbessert werden kann.

Es gibt einige offensichtliche Beispiele für diesen Punkt. Von wesentlicher Bedeutung sind Bildung, Krankenversorgung und persönliche Lebensumstände in den Haushalten und in der Gesellschaft, wie z.B. eine als notwendig erkannte Qualität der Wohnungen, damit sich Familienmitglieder auch einmal ungestört zurückziehen können. Wir müssen die Entwicklung aller Menschen fördern, damit ihre Fähigkeiten dem Stand und der Geschwindigkeit des wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Fortschritts entsprechen, und sie an den fortschrittlichsten erforderlichen volkswirtschaftlichen Bereichen mitwirken können. Wir müssen z.B. die heutigen Kinder darauf vorbereiten, in 20 oder 25 Jahren als Erwachsene in eine technisch sehr viel weiter entwickelte Wirtschaft einzutreten. Wir müssen sie als Kinder und Jugendliche für neue Technologien qualifizieren, die erst entwickelt werden.

Viel zu oft, auch in den Vereinigten Staaten, zielt insbesondere die praktische Politik der Regierungen darauf ab, sich der Last der bisherigen Praxis anzupassen, statt die Grundlage für die sich herausbildende Praxis der Zukunft zu legen.

An dieser Aussage ist nichts seltsam oder übertrieben. Die meisten Einwanderer, die vor drei oder mehr Generationen in die Vereinigten Staaten kamen, landeten hier als arme "Greenhorns" und arbeiteten dafür, ihren Kindern und Enkeln eine bessere Zukunft zu bauen. Der häufige Fall in der Geschichte der Einwandererfamilien im Schmelztiegel Amerika, daß der unterbezahlte Fabrikarbeiter in unser Land kam und sein Enkel Wissenschaftler, Arzt oder ähnliches wurde, veranschaulicht, was ich meine.

Der Maßstab zur Untersuchung der Volkswirtschaft, auf dem nationale Wirtschaftspolitik beruht, sollte also nicht der gegenwärtige vorhandene Stand sein, sondern die physischen Kosten für einen anzustrebenden Lebensstandard der Familien. Daher ist der Versuch, den Preis der Arbeit beispielsweise entsprechend dem Wunsch nach niedrigeren Lohnkosten im Wettbewerb des "Freihandels" festzulegen, sowohl unmoralisch als auch wissenschaftlich völlig verkehrt. Den allgemeinen Bildungsstandard für die Mehrheit der jungen Menschen auf ein Niveau zu senken, das irgend jemand für die Anforderungen ihrer Arbeitgeber ausreichend hält, ist ebenso wirtschaftspolitisch töricht wie unmoralisch. Den physischen Lebensstandard der Haushalte unter das mit Faktoren wie qualitativer und quantitativer Produktivität verbundene Standardmaß zu senken, wäre moralisch äußerst verwerflich und hinsichtlich der Förderung der physischen Produktivität der nationalen Arbeitskraft reiner Wahnsinn. Die physischen Kosten der Arbeit sind die Kosten von Familienhaushalten, deren Arbeit nicht nur dem vorhandenen Stand der Technik und der Motivation entspricht, sondern die sich in dieser Hinsicht verbessern.40

Unter dieser Voraussetzung ist die entscheidende Funktion in einer Realwirtschaft diejenige menschliche Tätigkeit, die (a) das von der Gesellschaft erreichte technische Niveau zum Ausdruck bringt, aber gleichzeitig auch (b) die Rate des Fortschritts der weiteren Entwicklung dieser Technik vor allem durch grundlegende Entdeckungen universeller Naturprinzipien. Betrachten wir zunächst einige verhältnismäßig einfachere Aspekte.

Auch bei der wirtschaftlichen Grundinfrastruktur gibt es Veränderungen. In Extremfällen, die nicht notwendigerweise selten sind - z.B. wenn man in den Wüstengebieten des Nahen Ostens oder Afrikas lebt - , steigen durch die Kosten zum Erhalt einer wettbewerbsfähigen Produktivität und Bewohnbarkeit eines Gebiets die Entwicklungskosten der wirtschaftlichen Grundinfrastruktur. Gewöhnlich werden jedoch bei der Entwicklung relativer Randregionen die Kosten durch die Produktivitätszuwächse der Bevölkerung - pro Kopf wie auch pro Quadratkilometer des bewohnten Gebiets - mehr als ausgeglichen. Unser weltweites Ziel sollte es sein, mit Hilfe der Entwicklung eines entsprechenden Mikrowetters durch großangelegte Aufforstung und Ausweitung weiterer bepflanzter Gebiete eine annähernd selbsterhaltende "Begrünung" der Wüsten zu erreichen.

Durch diese Maßnahmen wird die Produktivität der gesamten Bevölkerung sowohl pro Kopf als auch pro Quadratkilometer auf ein höheres Niveau angehoben. Diese Gewinne für die Gesellschaft übertreffen insgesamt die Wirkung der höheren Kosten der Infrastruktur, die dadurch entstanden, daß unterdurchschnittliche Regionen produktiv gemacht wurden. So überwindet man den Mangel an Reichtum einer Gesellschaft, den unterentwickelte Regionen immer darstellen.

Ansonsten ist das einzelne produktive Unternehmen z.B. in der Landwirtschaft und in der Industrie genauso wie der Haushalt einer Familie in einem größeren Gebiet angesiedelt, dessen wirtschaftliche Grundinfrastruktur vernünftigerweise nicht einzelnen Privatunternehmen überlassen werden sollten, sondern von der Regierung oder von staatlich regulierten Versorgungsunternehmen bereitgestellt werden sollte, die mitunter auch privat betrieben werden können. Die tatsächlichen physischen Kosten des Betriebs und der Instandhaltung dieser Infrastruktur müssen über einen Zeitraum berechnet werden, der sich über einen Zeitraum zwischen einen Vierteljahrhundert und hundert Jahren erstreckt. Das Verhältnis der physischen Kosten der Infrastruktur zum Einkommen der Haushalte muß auf diese Weise berechnet werden.

In der Landwirtschaft und in der Industrie beispielsweise müssen in die Kosten der Produktivität ähnliche Schätzungen für die Verteilung der physischen Kapitalfaktoren in die gegenwärtige Tätigkeit einfließen. In dem Rahmen muß man auch eine Marge des Wachstums einrechnen, die als Gewinnmarge in den Gesamtkosten der Produktion und des Einkommens der Haushalte zum Ausdruck kommt.

Das sorgt zwar für ein "horizontales" Wachstum, d.h. eine Ausweitung der Nutzung bestehender Technologien, aber das Schwergewicht muß auf der Geschwindigkeit des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts liegen. Dieser Fortschritt muß die "Reibungsverluste" durch "technologischen Verschleiß" berücksichtigen. Er muß größer sein als das, was im Kampf gegen die auf Verschleiß zurückzuführenden Verluste der relativen Produktivität verbraucht wird. Diese zusätzliche Marge des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ist die Quelle des wirklichen Nettowachstums einer Gesellschaft.

Die offensichtliche Ursache der überall anzutreffenden statistischen Lügen in der Entwicklung der amerikanischen Politik und öffentlichen Meinung in den letzten Jahrzehnten ist, daß abgestritten wird, daß ein solcher wissenschaftlich-technischer Fortschritt die Quelle des wahren Wirtschaftswachstums einer Gesellschaft ist. Aber die Ursache dieser Entwicklung läßt sich nicht wirklich verstehen, ohne diese Frage tiefergehender zu betrachten, was wir im folgenden tun wollen.

Das Verbrechen des Empirismus

Man sollte niemals vergessen, daß vor den revolutionären Veränderungen in der europäischen Kultur im Zuge der Renaissance des 15. Jahrhunderts alle bekannten Kulturen der Welt sich praktisch an ein Gesellschaftsprinzip hielten, wonach die Mehrheit der Menschen entweder als wildes (d.h. gejagtes) oder als zahmes menschliches Vieh behandelt wurden. Wie die Beispiele Solon, Sokrates und Platon ebenso zeigen wie das Christentum der Apostel Paul und Johannes, war das Ziel der besten Strömungen des alten Griechenland - im Gegensatz zu Lykurgs Sparta - , das Gemeinwohl (agapé) der gesamten Gesellschaft zu sichern. Die Idee des Ziels einer gerechten Gesellschaft existierte schon lange vor der Renaissance - das beweist der 1. Korintherbrief, Vers 13 - , aber es gab keine Gesellschaft, die dieses Prinzip umgesetzt hätte.41

Vom Ende der Regierung Karls des Großen bis zum Ende des "neuen finsteren Zeitalters" im 14. Jahrhundert wurde Europa von einer ultramontanen (d.h. imperialen) Weltordnung beherrscht. Faktisch herrschte ein Bündnis der Finanzoligarchie der Seemacht Venedig mit den normannischen Rittern - dieses Bündnis verbinden wir mit der Barbarei der Kreuzfahrer ebenso wie mit den bestialischen Massenhinrichtungen der spanischen Inquisition im Stile Neros und mit Hitlers bestialischem Massenmord an den Juden und anderen ausgewählten Gruppen von Opfern in der Tradition des Großinquisitors Torquemada.

Die entscheidende Wende hin zur Wiederbelebung und Konsolidierung des klassisch-griechischen und christlich-humanistischen Menschenbilds kam mit der Renaissance des 15. Jahrhunderts. Vorbildlichen Anteil an dieser Renaissance hatte Kardinal Nikolaus von Kues. Kues trug als Verfasser der Concordia Catholica wesentlich zur Entstehung des Systems der modernen souveränen Nationalstaaten bei und begründete - wie Kepler später betonte - durch sein Werk De docta ignorantia die moderne experimentelle Wissenschaft. Darüber hinaus war Kues der geistige Vater der Politik der Forschungsreisen, die zur Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus führte.

In diesem Zusammenhang bildeten sich auch die ersten wirklich modernen Nationalstaaten heraus, die dem Gemeinwohl verpflichtet waren: Frankreich unter Ludwig XI. und England unter Heinrich VII. wurden so zum allgemeinen Vorbild der Gründung moderner, souveräner Nationalstaaten.

Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts begannen Venedig und die mit ihm verbündeten Anhänger des Feudalstaats damit, gegen den drohenden Triumph des Christentums vorzugehen - und zwar grausam. Im 16. Jahrhundert wurde diese Reaktion systematisch betrieben. Die faktisch satanische spanische Inquisition und die alles beherrschenden Religionskriege in Europa von 1511 bis 1648 stehen beispielhaft für die Versuche der reaktionären Feudalisten, ihre Weltherrschaft mit äußerster Brutalität zu verteidigen.

Die Idee des souveränen Nationalstaats und des wissenschaftlichen Fortschritts ließ sich aber nicht einfach ausrotten. Deshalb unternahmen die Kräfte der Reaktion - beispielhaft sind die neoaristotelischen Anhänger des Venezianers Francesco Zorzi und die neovenezianische Fraktion der Anhänger Paolo Sarpis - einen neuen Angriff auf die Bedrohung der venezianisch-normannischen Tradition durch die Renaissance. Die Geschickteren unter den Gegnern der Renaissance, wie der Venezianer Paolo Sarpi, gaben schließlich die Hoffnung auf, die Wissenschaft völlig ausrotten und so zum Feudalismus zurückkehren zu können. Statt dessen gingen sie dazu über, einige Aspekte der modernen Wissenschaften zuzulassen, aber nur unter der Bedingung, daß die Wissenschaftler, die sich diesen reduktionistischen venezianischen Kult unterwarfen, in geistige Eunuchen verwandelt wurden. Die Verbreitung der Wissenschaftsmethode des Cusaners wurde daher verboten - dafür sind Zorzi und die Empiriker und ihre heutigen positivistischen und existentialistischen Nachfolger typisch.

Die von Venedig angeführte bestialische Reaktion gegen den modernen souveränen Nationalstaat gebar sowohl die neufeudalen Physiokraten als auch das axiomatisch moralfeindliche, anglo-holländische, liberale "Freihandels"-Dogma der parlamentarischen Demokratie. In ähnlicher Weise verwandelten sich die USA, als sie die faktisch inquisitorische "Freihandelslehre" des einfältigen Milton Friedman von der Mont-Pelèrin-Gesellschaft übernahmen, im Laufe der letzten 40 Jahre von der führenden Produzentennation der Welt in den bankrotten, verrottenden und ruinierten Parasitenstaat von heute mit "Brot und Spielen" im Stil des Römischen Reichs.42

Der Trick dieser beiden renaissancefeindlichen Fraktionen beruhte im Kern darauf, das abzustreiten, was den Menschen von den Tieren unterscheidet und ihn über sie erhebt. Sie wollten den Gedanken ausrotten, daß es entdeckbare, universelle Naturprinzipien gibt, die dem tierischen Teil der menschlichen Natur, den Sinneswahrnehmungen, nicht unmittelbar zugänglich sind. Die brutalen, ja verrückten Angriffe des fanatischen Empirikers Euler auf Leibniz sind das beste Beispiel hierfür, denn Euler war noch der Fähigste unter den empiristischen Elfenbeinturm-Mathematikern, und deshalb auch der konsequenteste Sophist bei der Ausarbeitung der falschen Behauptungen, die ansonsten auch viele andere wie z.B. sein Mitläufer und Komplize Maupertuis vortrugen.

Der bedeutendste politische Ausdruck dieses menschenfeindlichen Reduktionismus von Personen wie René Descartes, John Locke, David Hume, François Quesnay, Adam Smith und Leonard Euler war der anglo-holländische parlamentarische Imperialismus. Diese Imperialmacht entstand durch den Triumph der Britischen Ostindiengesellschaft über Frankreich im Jahr 1763 und ihren damit zusammenhängenden Sieg in Indien.

Das Aufkommen der britischen Imperialmacht vor allem ab 1815 machte die anglo-holländische, liberale Form des Empirismus (mit Isaac Newton als Galionsfigur) zum wichtigsten Feind des Erbes der Renaissance in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent. Im Zuge dieser Entwicklung wurden die extremsten Formen des Empirismus - wie die von Hobbes, Locke, Mandeville, Quesnay, Hume, Turgot, Adam Smith und Jeremy Bentham - als Grundlage der einflußreichen anglo-holländischen Volkswirtschaftslehre übernommen.

Im späten 18. Jahrhundert sammelte sich der Widerstand gegen das anglo-holländische, liberale Rezept der Bestialität des Menschen gegenüber dem Menschen als internationale Kraft vor allem im Zusammenhang mit dem Freiheitskampf der Vereinigten Staaten um Benjamin Franklin. So gesehen steht Amerika damit in der Tradition des Westfälischen Friedens von 1648, der den von Venedig angezettelten Religionskriegen von 1511-1648 ein Ende setzte. Wirtschaftspolitisch gesehen stehen wir amerikanischen Patrioten für das Erbe des großen Erbauers der französischen Nation, Jean-Baptiste Colbert. Tatsächlich verkörpern wir, vor allem seit Mitte des 18. Jahrhunderts, eine Verfassungs- und Wirtschaftspolitik gegen die von Gottfried Wilhelm Leibniz widerlegte sklavenhalterfreundliche Lehre der "Shareholder-Werte" des John Locke, und für Leibniz' Konzept des "Strebens nach Glückseligkeit", das er in seiner Neuen Abhandlung über den menschlichen Verstand darlegte. Dieses Prinzip bildet die Grundlage unserer verfassungsmäßigen Selbstregierung, von hier kommt die in unserer Unabhängigkeitserklärung angeführte Idee des "Strebens nach Glückseligkeit".

Um zu verhindern, daß die Errungenschaften der amerikanischen Freiheit sich in Europa ausbreiteten, zettelte die Britische Ostindiengesellschaft unter Lord Shelburnes Führung die Französische Revolution an und setzte Napoleon Bonapartes Hitler-artige Kriege und Tyrannei in Gang.

Der Wiener Kongreß, der den Ruin des französischen Kaisers Napoleon feierte, müßte eigentlich "Wiener Sexkongreß" heißen. Während Metternich Gräfinnen und andere Damen über die Habsburgische Geheimpolizei veranlaßte, zahlreiche Vertreter der dort versammelten Staaten anderweitig zu unterhalten, trafen Metternich und Castlereigh die wichtigsten Entscheidungen. Lord Palmerston konnte dann zum geeigneten Zeitpunkt mit Hilfe seines Agenten Mazzini Metternich stürzen.43 In dem Europa, das aus den Beschlüssen des Wiener Kongresses hervorging, herrschte eine Machtteilung zwischen dem britischen Empire und einem neofeudalen Kontinentaleuropa. Die Verfassungsrepublik, die wir in Amerika 1789 gegründet hatten, war isoliert und in ihrer Existenz bedroht. Erst als sich die Vereinigten Staaten unter Präsident Abraham Lincolns Führung von der Herrschaft der Freihandelslehre der Sklavenhalter befreiten, stiegen sie schnell zur größten Wirtschaftsmacht unter den Nationen der Welt auf - bis sie vor etwa 40 Jahren der Wahnsinn des "Freihandels" und der "Gegenkultur" ergriff.44

Zugegeben, wir gerieten vor dem Bürgerkrieg von 1861-65 immer wieder unter den Einfluß der von London unterstützten Sklavenhalterfraktion, der Habsburger und der spanischen Monarchie, die im ganzen 19. Jahrhundert mit Sklaven handelte, und später unter den Einfluß der konföderationsfreundlichen Präsidenten Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson. In den letzten Jahrzehnten seit der Ermordung Präsident Kennedys ist unser Land ein Opfer der Nachahmung der verkommenen Freihandelspolitik des feindlichen anglo-holländischen liberalen Modells geworden.

Aber trotz dieser zeitweisen Entartung blieben wir bis heute das, wozu uns Franklins Erbe im politischen Sinne des Wortes "genetisch" gemacht hatte. Sieht man einmal davon ab, daß wir sehr häufig die praktisch abtrünnigen Opfer der bösartigen Macht der europäischen Bündnisse wurden, die unser Land haßten, oder Opfer einer freiwilligen und induzierten Selbstkorruption, wie es heute der Fall ist. Unsere Verfassung und unser Gegenkonzept zur Britischen Ostindiengesellschaft - das amerikanische System der politischen Ökonomie - sowie unser grundsätzlicher Widerstand gegen den im Kern räuberisch-imperialistischen, anglo-holländischen Liberalismus sind noch heute tief im Charakter unserer patriotischen Tradition verwurzelt.

Heute sind wir nicht mehr die faktisch "einzige Macht" auf diesem Planeten, wie wir es waren, bevor Präsident Harry Truman anfing, Franklin Roosevelts Errungenschaften zu zerstören. Das Amerikanische System der politischen Ökonomie, unsere Verfassungstradition ist jedoch der Bezugspunkt, an dem sich traditionell zahlreiche Nationen der Welt orientierten. Das kann heute wieder geschehen, unter der Voraussetzung, daß wir den imperialen Hang einiger Leute in unserem Land aufgeben und zu dem zurückkehren, was Präsident Franklin Roosevelt - im Gegensatz zur Präsidentschaft Trumans - vorhatte und getan hätte, wenn er lange genug gelebt hätte, um seine Nachkriegspläne zu verwirklichen.

Der Zweck einer solchen Koalition muß das sein, was ich als neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung vorgeschlagen und von ganzem Herzen unterstützt habe, als es im August 1976 von der Konferenz der Blockfreien Nationen in Colombo gefordert wurde: die Errichtung einer gerechten neuen Weltwirtschaftsordnung zwischen souveränen Nationalstaaten, um sie vom "Freihandel" und ähnlichen Rezepten zu befreien, welche die europäische Zivilisation nun fast 30 Jahre danach an den Rand der vorsätzlichen Selbstzerstörung gebracht haben.


Anmerkungen

36. Es war bezeichnend für die Lage im Jahr 1956 - die in der vergleichbaren Lage heute ihren Widerhall findet - , daß der Nennwert der Gebrauchtwagen im Inventar der Neuwagenhändler viel höher lag als der Verkaufswert vergleichbarer Modelle desselben Baujahrs in vergleichbarem Zustand auf dem offenen Markt. Aus diesem Zustand, an der die Politik von Arthur Burns in der Regierung Eisenhower schuld war, folgte die amerikanische Rezession 1957-60. Die heutige Krise in den USA ist Größenordnungen schlimmer als die Ende 1956, aber trotzdem in wichtigen Gesichtspunkten vergleichbar.

37. Meine erste Prognose Ende 1956 bezog sich auf einen kurzen Zeitraum. Es war eine interne Denkschrift für das Unternehmen, dessen Leitung ich damals angehörte, worin ich für Anfang 1957 eine Rezessionskrise vorhersagte. Meine 1959-60 vorgelegte erste langfristige Prognose bildete eine Fortsetzung der Untersuchungen, die ich für diese genannte kurzfristige Prognose 1956-57 angestellt hatte. Diese langfristige Prognose fand Ende der 60er Jahre ziemlich weite Verbreitung. Ihr Erfolg im August 1971 führte zu meiner Debatte mit Professor Abba Lerner im Herbst desselben Jahres - ich gewann diese Debatte, aber das führte dazu, daß die führenden akademischen Wirtschaftswissenschaftler, bestimmte Finanzhäuser und andere in mir zunehmend einen gefährlichen Gegner sahen, den es zu verleumden und auszugrenzen galt.

38. Den Hauptteil meiner zwischen 1948 und 1953 entwickelten Entdeckungen machte ich, als ich die Kernthese von Norbert Wieners Kybernetik und John von Neumanns damit eng verbundene Vorstellungen der "Systemanalyse" und der "künstlichen Intelligenz" widerlegte. Als erstes wandte ich meine Entdeckungen gegen die "Elfenbeinturmlehre" Tjalling Koopmans u.a., die sog. Planungsforschung (operations research), an. Meine Widerlegung dieser Lehre stützte sich in bedeutendem Maße auf eine Studie über den Einfluß Leontiefs und anderer auf die Berechnungen zur Einschätzung des Nationalprodukts und -einkommens. Auf die Bedeutung meiner Einwände gegen den Kondratieff-Leontiefschen Begriff der wirtschaftlichen "langen Wellen" komme ich im folgenden noch zurück.

39. Beispielhaft für diese Empiriker des 17. und 18. Jahrhunderts ist Galileo Galilei, ein Lakai des Gründers des modernen Empirismus Paolo Sarpi aus Venedig. Galileis Versuch, mit der Einführung der empiristischen Elfenbeinturmvorstellung von der "Fernwirkung" Keplers Werk nachzuahmen, ist allgemein typisch für den Empirismus.

40. Eine solche Bewertung der Arbeit ist keine selbstevidente Konstante, sondern eine Variable, die davon abhängig ist, auf welches technische Potential die jeweilige Gesellschaft angewiesen ist und welche Ebene der fortschreitenden technischen Entwicklung sie erreichen muß. In anderen Worten: Nicht die Arbeit als solche steht für den realen Wert, sondern die Entwicklung der Arbeit in einer entwickelten und sich weiter entwickelnden Gesellschaft. Der tatsächliche Preis, der dem Realeinkommen der Familienhaushalte der Arbeitskräfte entspricht, errechnet sich daraus, was es real (physisch) kostet, diese durchschnittliche Arbeitsqualität der Haushalte in einer Gesellschaft mit einem bestimmten Entwicklungsstand zu erreichen. Zugegeben, unter besonderen Bedingungen wie einem Krieg oder einer Wirtschaftsdepression können wir gezwungen sein, die vollständige Bezahlung solcher Arbeitskräfte aufzuschieben. Aber im Laufe von ein oder zwei Generationen (also 25-50 Jahren) müssen wir das Realeinkommen der Haushalte mit dem Kulturniveau in Einklang bringen, das den gesetzten Zielen der technischen und damit verwandten gesellschaftlichen Entwicklung entspricht.

41. 1. Kor, 13 veranschaulicht diesen Punkt in äußerst bemerkenswerter Weise: Die universellen Prinzipien definieren, was moralisch tragbares Verhalten unter den Menschen ist - nicht etwa Vorschriften nach Maßgabe irgendeines Grundgesetzes.

42. Joan Robinson aus Cambridge, deren Kreise nie meine Freunde waren, hat trotzdem immer wieder meine herzliche Unterstützung für ihren völlig gerechtfertigten Spott über Friedman als den Ökonomen des post hoc, ergo propter hoc. Ihrem Mitglied Friedrich von Hayek zufolge dient die Mont-Pelèrin-Gesellschaft der Förderung der Gedanken Mandevilles, der betonte, damit eine Gesellschaft Wohlstand erreiche, müsse man sich dafür einsetzen - wie es Milton Friedman und George Soros getan haben - , daß die Menschen die Freiheit erhielten, alle persönlichen Laster auszuleben. Folgerichtig setzte sich von Hayeks Komplize Friedman, wie George Soros, nachdrücklich für die Freigabe des derzeit verbotenen Rauschgifthandels der kolumbianischen FARC und ihrer Komplizen ein.

43. Rachel und Alan Douglas, The Trust, unveröffentlichtes Manuskript.

44. Die Macht des britischen Empire war die eines Imperiums, nicht die einer Nation.

 

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