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Aus der Neuen Solidarität Nr. 27/2004

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Über Zölle und Handel

Von Lyndon LaRouche
- 7. und letzter Teil -

Am 12. Januar 2004 veröffentlichte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Präsidentschaftskandidat die folgende grundlegende Schrift, die wir in mehreren Folgen abdrucken.


Kraft, das Transfinite und Identität
Unfähige Unternehmensführung heute

Protektionistische Implikationen

Kraft, das Transfinite und Identität

Die Situation ist diese: Wir sind der Gegenstand eines Schauspiels, das auf der Bühne aufgeführt wird. Vor unseren Augen stellt ein Schauspieler unseren Anteil am Leben dar. Gleichzeitig vollzieht sich das Schauspiel auch in unserer Vorstellungskraft. Wer davon sind wir? Also: wer sind wir?

Sind wir die Person, wie der Verfasser und die Schauspieler sie vorstellen? Wie sieht man sich selbst: als sich selbst, schemenhaft, aber bewußt gegenwärtig auf der Bühne der eigenen Vorstellungskraft, während man das Stück sich entfalten sieht?

Wir existieren auch im Bereich des Unbelebten. Unser Körper ist auch ein lebender Prozeß. Unser Geist steht über der Biologie aller niedrigeren Lebensformen. Wie drückt man also eine unbelebte Wirkung aus, wie die Biologie und wie die Erkenntniskraft des Geistes, die uns von den Tieren unterscheidet und über sie erhebt? Was davon sind wir? Wer sind wir? Welcher Teil von uns ist die Kraft, die uns ausmacht?

Diese Fragen stürzen die meisten Menschen für einen Großteil ihres Lebens, manche für ihr ganzes Leben, in einen Zustand der Unsicherheit darüber, wer und was sie eigentlich sind. Einige sind "gescheiterte Seelen"; für diese Schizophrenie ist der bekennende Existentialist beispielhaft. Einige flüchten sich in die Zirkusspiele des imperialen alten Roms und bilden die Zuschauer, die beschließen, daß der arme Kerl, der unten auf der Bühne den Gladiator spielt, sterben muß. Die verkommenen USA von heute sind zum Tummelplatz dieser Lebensflucht in Brot und Spiele geworden: Man sitzt im Sportstadion oder vor dem Fernseher und knabbert Salzgebäck. Diese Unglücklichen suchen nicht ihr wahres Selbst, sie fliehen auf diese Weise vor ihm. Für sehr, sehr viele bedauernswerte Leute ist der Geschlechtsverkehr eine Unterbrechung der Langeweile als eine idealisierte asoziale Handlung, als eine Art "Tor in einem Menschenfußball".

Die Identität, die viele auf solche Weise vergeblich suchen, findet man in der ureigensten menschlichen Handlung: der Hypothesenbildung.

Bin ich ein Mensch, weil ich auf den unbelebten Bereich einwirke? Bin ich es, weil ich die Eigenschaften eines lebenden Geschöpfes zeige? Oder kann ich alle diese Dinge tun und dennoch Mensch sein, weil ich gleichzeitig etwas spezifisch Menschliches tun kann? Was ist das Wesen dieses ureigenen menschlichen Wirkens?

Die Antwort lautet: Es ist eine Frage der "Kraft", von Platons dynamis, wie ich schon mehrfach sagte. Betrachten wir diesen Begriff der "Kraft" so, wie Wernadskij die klassische griechische Vorstellung vom Unbelebten, Lebenden und Noetischen auf neue Weise betrachtete. Die Fähigkeit, die den Menschen über alles andere Leben erhebt, ist die Fähigkeit zur Hypothesenbildung, die es uns ermöglicht, Prinzipien der Natur zu entdecken. Diese Fähigkeit, erfolgreich Hypothesen aufzustellen, liegt außerhalb der Bereiche des Unbelebten und des Lebenden. Sie ist es auch, die den großen klassischen Künstler vom mittelmäßigen Darsteller oder einem erbärmlichen "Rockstar" abhebt.

Das Aufstellen von Hypothesen, wie Platon es in seinen Dialogen beschreibt, ist der Ausdruck dieser Fähigkeit, die jenseits des Unbelebten und des nur Lebenden liegt und die den Menschen mit mehr Macht (Kraft) über das Universum versieht. Alles dies, was den Menschen vom Affen unterscheidet, vollzieht sich als Denken. Dieser noetische Akt des Denkens, der Erkenntnis, steht für die stärkste bekannte Kraft im Universum: die Fähigkeit, qualitative Veränderungen in der Ordnung des Universums einzuführen. Nur in dieser bestimmten Fähigkeit zu denken beweist ein Mensch eine wahrhaft menschliche Identität.

Diese Kraft zeigt sich u.a. in der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur, in kapitalintensiver Produktion und im wachsenden Repertoire des einzelnen menschlichen Geistes an wissenschaftlichem und damit verbundenem technischen Fortschritt. Verweigert man ihm die Entwicklung und den Zugang zur Anwendung dieser Kraft, wird der Mensch zum Tier, und viele sind nur noch Lasttiere ihrer Herrscherbestien.

Die Kraft im Sinne Platons und der Pythagoreer vor ihm entsteht in einer Gesellschaft in Form eines bestimmten Denkvorgangs: der noetischen Hypothesenbildung. So entsteht eine Hypothese, die, sofern sie durch die ihr entsprechende physische Wirkung bewiesen ist, zur zusätzlichen bewußt geschaffenen Macht (Kraft) der Gesellschaft über unser Universum wird. Diese Wirkung erfolgt innerhalb des noetischen Phasenraums, im Unterschied zum Unbelebten und Lebenden. Dieser Denkvorgang hat damit Macht (Kraft) über die entsprechenden Teile des unbelebten und des lebendigen Bereiches. Diese Kraft, die sich so ausdrückt, zeigt uns, in welcher Art und Weise die menschliche Gattung allen anderen Lebensformen überlegen ist. Dies ist die Ursache des systemischen Anstiegs der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der Menschheit. In diesem Sinne sprechen wir zu Recht von der Überlegenheit des Geistes über die Materie.

Diese Kraft definiert eine physikalische Wirtschaftswissenschaft. Dieses Konzept muß die Leitschnur jeder brauchbaren volkswirtschaftlichen Praxis sein.

Eine Hypothese bedeutet immer ein universelles Prinzip des Wirkens auf die Bereiche des Unbelebten und des Lebenden. Das Aufstellen von Hypothesen hat damit verschiedene funktionelle Ebenen. Die einfache Hypothese entspricht einer bestimmten universellen physikalischen oder künstlerischen Wirkung. Die höhere Hypothese zeigt sich z.B. als das Entwicklungsprinzip, das die Naturwissenschaft von klassischen humanistischen Prinzipien der Kunst unterscheidet. Die Hypothese der höheren Hypothese führt uns zu dem Absoluten, das die Kraft der universellen Schöpfung selbst ausdrückt.

Aufgrund der Natur der noetischen Fähigkeit zur Entdeckung universeller Naturprinzipien liegt das Wesen der Existenz der Gesellschaft außerhalb der Reichweite allen Wissens, das nur auf den unbelebten und lebendigen Bereich beschränkt ist. Um diese Unterscheidung zu verdeutlichen, kann man für die Wirkung der Kräfte, die außerhalb der Reichweite des Unbelebten und des Lebendigen sind, den Begriff des Erhabenen verwenden. Dieses Erhabene ist beispielsweise Friedrich Schillers höheres Prinzip der klassischen Dramen und Gedichte. Es ist das wesentliche Prinzip der Komposition und Aufführung klassischer Musik auf der Grundlage von Johann Sebastian Bachs Entdeckungen. In der Mathematik und Physik benutzt man den Begriff des Erhabenen gleichbedeutend mit dem Begriff des Transfiniten.

In dem von Schiller beispielhaft behandelten Fall, Jeanne d'Arc oder Johanna von Orleans, siegt ihr Verständnis der Unsterblichkeit über ihre Angst vor dem Tod, so daß sie ihre Berufung nicht verrät, auch wenn sie dafür von der Inquisition verbrannt wird. Dies ist beispielhaft für alles, was uns menschlich macht - über dem Unbelebten und dem Lebenden, im Bereich der Erkenntniskraft des menschlichen Geistes. Jeanne bekräftigt ihre Unsterblichkeit, deren Wesen in dieser Erkenntniskraft liegt.

Alle klassische Kunst beruht auf dem Prinzip des Erhabenen. Die Rolle der Ironie - u.a. der Metapher - in einer gebildeten Sprache, die wahre Ideen vermitteln kann, ist ein Ausdruck dieses Prinzips des Erhabenen. Vergleichbare Bedeutung hat das klassische Prinzip der Flanke in der Militärstrategie. In der Wirtschaft zeigen die Steigerung der Arbeitsproduktivkraft und der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte die gleiche Rolle von Prinzipien, die über die vorhandenen Gewohnheiten hinausgehen und die nur über die Erkenntniskraft zugänglich sind.

In seinen besseren Zeiten, bevor er am Ende des 19. Jahrhunderts ein Opfer des Wahnsinns wurde, entwickelte Georg Cantor einen Begriff des mathematisch Transfiniten, den man in seinen Grundlagen und Mitteilungen aus der Mitte der 80er Jahre des 19. Jh. noch unversehrt finden kann.56 Als ich 1952 die Abhandlung des Russell-Anhängers Philip E.B. Jourdain über Cantor Beiträge zur Grundlegung einer Theorie transfiniter Zahlen57 ganz schockiert las, bewirkte dies glücklicherweise, daß ich mich wieder auf den Standpunkt von Riemanns Habilitationsschrift aus dem Jahr 1854 stellte. Selbst wenn man Cantors eher schwache Haltung in der Frage der bleibenden Implikationen des Streits zwischen Weierstraß und Riemann berücksichtigt, läßt sich das, was Cantor ab Mitte der 90er Jahre vertrat, nicht mehr mit dem Begriff des Transfiniten vereinbaren, wie es in Riemanns Habilitationsschrift oder Cantors eigenen Aussagen Mitte der 80er Jahre eindeutig dargestellt ist.

Die wirtschaftspolitische Frage, um die es in dieser Abhandlung über die Wurzel von Zöllen und Handel geht, ist eine ontologische, für die der Vergleich zwischen dem Riemannschen Begriffs des Transfiniten und der sich ändernden Auffassung Cantors grundlegende Bedeutung hat.

Wer ist denn dann der menschliche Handelnde? Wer sind wir? Welche Person sind wir? Ist es die Person, die der Dichter beschreibt, ist es die andere, die auf der Bühne dargestellt wird, oder ist es der Mensch, der die physische Geometrie der Welt verändert, in der er handelt, für den nichts unveränderlich ist als die Veränderung, das Erhabene? Ist es der Mensch, der durch seine Erkenntniskraft Veränderung bewirkt, wobei diese Handlung den Unterschied zwischen Mensch und Affe ausmacht?

Wenn nicht, fällt Ihre persönliche Identität durch die Ritzen der Bühne, auf der Hamlet starb.

In der Wissenschaft der physikalischen Wirtschaft, wie ich sie verstehe und in den letzten Jahrzehnten als Prognostiker mit außerordentlichem Erfolg angewandt habe, bestimmen Veränderungen der vorherrschenden Prinzipien des Handelns über Erfolg oder - wie im Falle der amerikanischen und europäischen Volkswirtschaften nach 1968 - Scheitern. Den gleichen Niedergang gab es in der modernen Unternehmensführung allgemein.

Unfähige Unternehmensführung heute

Der systemische Verfall der vorher verhältnismäßig erfolgreichen US-amerikanischen und westeuropäischen Volkswirtschaften ab 1964 vollzog sich auf zwei Ebenen: der sogenannten "Makro-" und "Mikroebene". Beispielhaft für diese Inkompetenz ist, daß in den letzten Jahrzehnten der Mittelstand zunehmend verdrängt wurde, je mehr die nachfolgende Generation der "Babyboomer" oder "68er" mit verheerenden Folgen in die Führungspositionen gelangte. Diese Verschlechterung der Unternehmensführung fiel zusammen mit der "Umwelt"-Hysterie, die bei den 68ern geschürt wurde, war aber nicht darauf begrenzt. Das Mißmanagement, das heute zu so vielen Unternehmensbankrotten führt, ist nicht auf die radikaleren "Umweltschützer" beschränkt, sondern erreicht in der ganzen Generation systemische Ausmaße.

Das untrügliche Symptom solchen Wahnsinns unter den Managern der Babyboomergeneration ist, daß die verrückte "Triage" - ein Echo der "Sparpolitik" des Staates - in den Unternehmen eingeführt wurde. Die Austeritätsgesetze Garn-St.Germain und Kemp-Roth, die der US-Kongreß Anfang der 80er Jahre beschloß - nach dem organisierten Massenwahn von (Fed-Chef) Paul Volckers Doktrin der "kontrollierten Desintegration der Weltwirtschaft" - sind ein Ausdruck der Veränderung hin zu dem klinischen Wahnsinn, der seither die Führungsetagen der Wirtschaft in den USA und Europa beherrscht und ruiniert.

Heute kennen die meisten Menschen an der Spitze der Regierungen und der Wirtschaft die Prinzipien guter Unternehmensführung nicht mehr. Aus diesem Grund war die Depression der 30er Jahre für die Gesellschaft weniger gefährlich als der Zusammenbruch des Weltwährungs- und Weltfinanzsystems, vor dem der europäische und der amerikanische Kontinent heute stehen.

Realwirtschaftliches Wachstum, wozu natürlich auch ein allgemeiner Produktivitätsanstieg gehört, ist ein Ausdruck des Erhabenen. Hinter einer guten Unternehmensführung steht der Wille, nur um des technischen Fortschritts willen die Produktionsmethoden ständig so zu verändern, daß die gesamtgesellschaftliche Arbeitsproduktivkraft pro Kopf und km2 ansteigt. Private Unternehmer haben in der modernen Gesellschaft eine einzigartige, unverzichtbare Rolle und sind einem Management im Interesse von Aktionären grundsätzlich überlegen, weil sie sich leidenschaftlich und hoffentlich auf der Grundlage soliden Fachwissens verpflichtet fühlen, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.

Die Quelle wahren Wachstums der Privatwirtschaft und der Wirtschaft insgesamt liegt in Veränderungen, denen Heraklit und Platon ihre Zustimmung nicht verweigern könnten. Die Handlungen, von denen der nachhaltige Erfolg einer Wirtschaft abhängt, entspringen also der Schöpferkraft des Geistes.

Beispielhaft dafür ist, daß ich eine neuartige Jugendbewegung aufbaue, vor allem aus der Altersgruppe der 18-25jährigen, junger Menschen im studierfähigen Alter. Nachdem sich die Generation der Eltern dieser Jugendlichen in ihrem Leben weitgehend in konfliktfreie "Nischen" zurückgezogen hat - wie es z.B. in ihren Freizeitvergnügen zum Ausdruck kommt - , werfen diese lebenswilligen jungen Leute ihren Eltern vor: "Ihr hinterlaßt uns eine Welt ohne Zukunft!" Und sie haben völlig recht!

Wie ich regelmäßig beobachte, stößt diese Haltung der jüngeren Generation bei der Elterngeneration auf großen Unmut, ja sogar Wut: "Ihr jungen Leute habt keine Achtung vor uns! Ihr stört uns in unserer Lebensweise!" Damit liegt die ältere Generation völlig falsch. Inzwischen ist das ein unüberbrückbarer Generationskonflikt zwischen der Zukunft (den jungen Erwachsenen) und der jüngeren Vergangenheit (der 68er-Generation) geworden.

Die einzige Hoffnung für die weltweit verbreitete europäische Zivilisation besteht darin, daß die jüngere Generation - wie sie die mit mir verbundene Jugendbewegung am besten verkörpert - ihre Elterngeneration bewegen kann, sich von ihren schlechten Gewohnheiten zu befreien: heraus aus dem Müll der sterbenden, heruntergekommenen "Lifestyle-Nischen", zurück zu einer Ausrichtung auf die Zukunft und den Fortschritt. Gemeinsam, vereint in dem Ziel, eine bessere Zukunft zu schaffen, ist eine Erneuerung der Zivilisation in Sicht. Die heranstürmende Zusammenbruchskrise des Weltwirtschaftsystems läßt der Welt keine andere Wahl: Wir müssen diesen umgekehrten Wertewandel schaffen.

Um die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Generationenkonflikts zu verstehen, müssen wir betrachten, wie diese Dekadenz heute in der Wirtschaft und verwandten Bereichen zum Ausdruck kommt.

Früher gab es trotz des verbreiteten Einflusses reduktionistischer Weltanschauungen immer wieder die "exzentrischen Genies" in Gestalt von Unternehmern, die darauf beharrten, in die Produktgestaltung und Unternehmenspraxis technische Neuerungen einzuführen, die zu einem Anstieg der durchschnittlichen Arbeitsproduktivkraft führten. Es waren diese außergewöhnlichen Führungskräfte in der voluntaristischen Mikrostruktur der Wirtschaft - einschließlich der von ihnen ermutigten fortschrittsbegeisterten Handwerker und Techniker - , denen wir den Anstieg der Arbeitsproduktivkraft der Gesellschaft verdanken.

Mit dem Aufstieg der 68er kam dann ein verhängnisvoller Wandel: Man war nicht mehr vorrangig daran interessiert, wissenschaftlich-technische Verbesserungen einzuführen, sondern suchte nur noch den reinen Profit, indem man mit der nachindustriellen Ideologie hausieren ging. Oft waren diese Gewinne (und Verluste) sogar rein spekulativ, wie etwa die Wetten auf den Finanzmärkten. Als die Realwirtschaft ab 1977 aufgrund des gesunkenen Realeinkommens der ärmeren 80 Prozent der Haushalte zusammenbrach und durch die Folgen der Deregulierung u.ä. ganze Regionen der USA aus den Fugen gerieten, ließ sich mit Verkaufen immer weniger herausholen.

Sehen wir, wie sich dies auf die Verkaufsmethoden auswirkte.

In dem Verhältnis zwischen Verkäufer und Kunden gibt es einen scheinbar hintergründigen, aber entscheidenden Austausch von Ideen, in denen das schöpferische Potential des Menschen widerhallt. Diese Ideen, die sich in mehr oder weniger sinnvollen Waren ausdrücken, fördern Veränderungen im Massenverhalten, aus denen sich ein realwirtschaftlicher Gewinn der Nation oder des betreffenden Unternehmens ableitet.

In der älteren Generation europäischer oder amerikanischer Unternehmer ging man sozusagen mehr oder weniger instinktiv so vor. Heutige Spitzen der Wirtschaft und Politik, die ihren 18. Geburtstag zwischen 1964 und 1977 feierten, ging dagegen dieser Instinkt verloren, oder sie verachten ihn sogar.

Betrachten wir vor diesem Hintergrund die Jugendbewegung, die ich in Gang gesetzt habe.

Ich dachte mir eine solche erfolgversprechende Jugendbewegung für die heutige Zeit folgendermaßen: Es sollten hauptsächlich junge Leute im Alter zwischen 18 und 25 sein, und sie sollten sich anfänglich besonders mit Carl Friedrich Gauß' Angriff von 1799 auf die verhängnisvollen Fehler der Empiristen wie Euler, Lagrange usw. beschäftigen. Die Wahl fiel auf dieses Werk von Gauß, weil er darin unmittelbar auf die Frage eingeht, was wißbare wissenschaftliche Wahrheit ist. In Nord- und Südamerika und in Westeuropa herrscht heute eine extreme Sophisterei vor, wofür die 68er besonders typisch sind, und deshalb ist der Gedanke, daß es eine Wahrheit gibt, weder im allgemeinen Bildungswesen noch im Verhalten der ältergewordenen 68er-Generation überhaupt noch wirksam vorhanden. Der Existentialismus ist das Paradebeispiel für die Wortklauberei, die Unvernunft und den fanatischen Haß auf Wahrheit, die unter den 68ern verbreitet wurden. Doch ohne ein angemessenes Verständnis, was Wahrheit ist, kann eine junge Generation der Sophisterei der in der Gesellschaft vorherrschenden Generation ihrer Eltern keine Vernunft entgegensetzen.

Wenn etwas zu verhandeln ist, das mit solchen Erwägungen zu tun hat, wird ein typischer Babyboomer oder Alt-68er erst vorher sein Grüpplein zu einer vertraulichen Absprache zusammenholen und dann die Verhandlungen mit der festen Absicht beginnen, auf nichts einzugehen, was es ihm schwierig machen könnte, seine bequemen ideologischen Nischen gegen die Wirklichkeit zu verteidigen. Daß ein solches Verhalten moralisch verwerflich ist, hält er für weniger wichtig als das bequeme Leben, das er mit den Lügen verteidigen will.

Ohne eine innere Verpflichtung, nach Wahrheit zu streben, so wie Gauß das mit seinem Angriff auf den Schwindel von Euler, Lagrange usw. vormacht, ist es unmöglich, unter den heutigen Jugendlichen echte zukünftige Führungspersönlichkeiten heranzubilden. Und ohne den Einfluß der jungen Menschen ist die Generation ihrer Eltern vermutlich nicht zu retten.

Antisophistische Begriffe schöpferischer Wahrheit, ausgedrückt in der Form von Ideen allgemein und politischen Vorschlägen im besonderen, sind also heute die wichtigste Quelle für wirtschaftliche Wertschöpfung. Wenn wir nicht an die Stelle der Dekadenz der heute regierenden 68er-Generation einen Austausch wahrheitsgemäßer Ideen setzen, dann gibt es wenig Hoffnung, daß man die Weltzivilisation vor dem sich anbahnenden finsteren Zeitalter bewahren kann.

Das Weitergeben von Ideen, den Früchten der nur dem Menschen eigenen Erkenntniskraft, ist letztlich die einzige wirtschaftliche Wertschöpfungsquelle für eine Gesellschaft. Wirtschaftswachstum ist ein Ausdruck dieses Wirkens. Dieser Ideenaustausch, also nicht die Ware an sich, ist die Hauptquelle von Wachstum und Gewinn eines Unternehmens oder einer Gesellschaft als ganzer. Das Schlimmste, was man tun kann, ist zu versuchen, die Gewinnspanne aufrechtzuerhalten, indem man gerade diejenigen Bereiche wegkürzt, die fortschrittliche Veränderungen in der Bevölkerung eines Marktes hervorrufen.

Deshalb gibt es ohne eine Jugendbewegung, wie ich sie ins Leben gerufen habe, für die Gesellschaft, die jetzt am Rande eines allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenbruchs steht, nur wenig Hoffnung auf eine Wiederbelebung.

Diese Sicht der derzeitigen Lage ist nur ein Beispiel für die allgemeine Klasse von Problemen, für die das Goldfischglas-Syndrom steht.

Das eben beschriebene klägliche Verhalten der Babyboomer entspricht ziemlich genau dem, was Kubie als neurotische Störung des schöpferischen Prozesses beschreibt. Bestimmte axiomartige falsche Annahmen schaffen ein "Aquarium", unsichtbare Mauern als "Schutz" gegen alles, was diesen Annahmen widersprechen könnte. Hinzu kommt, daß auch die axiomartigen Annahmen, mit denen dieser Schutz errichtet wird, in sich weitgehend starr sind.

So halsstarrig die Opfer dieser Selbsttäuschung auch auf den Schutz dieses Goldfischglases vertrauen, wenn sie ihre kollektive Illusion erfolgreich verteidigen, stellen sie damit praktisch nur sicher, daß sie zusammen mit dem Aquarium im Abgrund landen werden. Gelingt es der Gesellschaft nicht, sich aus diesem schützenden Goldfischglas, dieser sinkenden Titanic, zu befreien, bevor das Glas untergeht, dann zerstört sie sich selbst willentlich durch das Festhalten an den falschen Annahmen.

Das ist die Lage der Amerikaner heute, insbesondere der Babyboomer. Wenn sie weiter gegen die amerikanische Tradition des technischen Fortschritts an den Annahmen festhalten, die sie seit dem Wandel 1964-72 angenommenen haben, dann werden sich die USA selbst zerstören und dabei den Großteil der Welt mit sich reißen. Daß sich junge Menschen in den USA, aber auch in Mittel- und Südamerika und in Europa meiner Jugendbewegung anschließen, beweist: Der umgekehrte Wandel in der kulturellen Orientierung, den wir brauchen, um ein neues finsteres Zeitalter zu verhindern, ist eine realistische Möglichkeit.

Protektionistische Implikationen

Das nationale wirtschaftliche Interesse der USA besteht darin, einen bestimmten Entwicklungsstand der Arbeitsproduktivkraft zu erreichen, der nötig ist, um eine angemessen geplante Verbesserung der erhaltbaren potentiellen relativen Bevölkerungsdichte unserer Nation zu erreichen.

Das bedeutet im wesentlichen eine Weiterentwicklung des Gebrauchs jener "Kräfte" im platonischen Sinne, wie sie in der Ansammlung experimentell bestätigter universeller Naturprinzipien oder vergleichbarer kultureller Prinzipien zum Ausdruck kommen.

Diese Kräfte praktisch zu entwickeln, zu erhalten und uns in der Hinsicht weiter verbessern zu können, verdanken wir zum großen Teil unterschiedlichen Arten von Kapitalinvestitionen in das physische Kapital der grundlegenden wirtschaftlichen Infrastruktur, der öffentlichen Infrastruktur, Kapitalverbesserungen der Unternehmen und Anhebung des physischen und kulturellen Lebensstandards der Familienhaushalte unserer Arbeitskräfte.

Im Rahmen eines Weltwährungssystems mit festen Wechselkursen und unter den Vorgaben einer protektionistischen Zoll- und Handelspolitik läßt sich ein Spektrum "gerechter Preise" von Gütern an der Import-Export-Schnittstelle unserer Volkswirtschaft mit den Weltmärkten festlegen. In diesem Falle können die Preise für unsere Waren sinken, wenn technische Fortschritte, die die Qualität der Waren nicht verschlechtern, dies möglich machen - nur darf man nicht ständig Lohnsenkungen als Mittel benutzen, die Preise von Gütern zu senken. Der Handel (Import, Export oder beides) läßt sich als zusätzliches Instrument zur Regulierung stabiler Preise einsetzen, um den relativen physischen Wert des eingesetzten Kapitals zu schützen. Es wäre im allgemeinen praktisch verboten, den Lebensstandard der Haushalte zu senken, um Waren wettbewerbsfähiger zu machen.

Betrachten wir das eben Gesagte vor dem Hintergrund eines bestimmten Aspekts der Zerstörung der amerikanischen Volkswirtschaft nach 1977: der Deregulierung des Güter- und Personenverkehrs. Die Folge hiervon war, daß sich der Verkehr auf eine begrenzte Anzahl von Angelpunkten konzentrierte, während die Infrastruktur in entlegeneren Landesteilen zusammenbrach und diese oft sogar entvölkert wurden. Damit stürzte die durchschnittliche Produktivität der USA als ganzes je km2 genauso ab wie das von der Gesamtbevölkerung erzeugte Nettoprodukt. Wahnsinn? Ja, ein Wahnsinn, an dem die Verbreitung des absurden Freihandelsdogmas schuld ist.

Das Ziel muß sein, den tatsächlichen Güterausstoß pro Kopf und pro km2 zu steigern. Dabei helfen standardisierte Frachtkosten und geeignete Massenverkehrsmittel für den Personenverkehr in den großen städtischen Verkehrszentren und regionalen Zentren, so daß das Potential der gesamten Bevölkerung und der gesamten Landmasse der Nation voll ausgeschöpft wird.

Vergleichbare Vorteile aus der Regulierung von Zöllen und Handel sollte man zwischen Nationen mehr oder weniger weltweit anstreben. Wir müssen also die entsprechende Bildung physischen Kapitals auf der ganzen Welt fördern, um die Wachstumsrate des Brutto- und Nettoausstoßes pro Kopf und pro km2 zu optimieren.

Das allgemeine Prinzip für Zölle und Handel, das diese Fälle veranschaulichen, besteht darin, daß wir bei den Begriffen "Kosten" und "Gewinn" dringend von der Idee kleiner physischer Kapitalkosten für Produktion und Verteilung wegkommen müssen und statt dessen zu der Idee wechseln müssen, Wachstum pro Kopf zu erreichen, indem man den objektiven Lebensstandard und die relative Intensität der Kapitalbildung steigert.

Der Schwerpunkt liegt zu Anfang auf umfassenden, massiven Investitionen in die grundlegende Infrastruktur, um eine dringend notwendige qualitative Verbesserung des Umfelds der Produktion und des Familienlebens herbeizuführen. Das ist das einzige dauerhafte Mittel, für ein allgemeines Wiedererstarken einer lebensfähigen Privatwirtschaft zu sorgen.

Allerdings kann man keines dieser Ziele erreichen, wenn man sich nicht darauf zurückbezieht, wie Präsident Franklin Roosevelt die Vereinigten Staaten aus der Depression führte und vor der Gefahr eines Nazi-Weltreiches befreite. Dazu müssen wir Adam Smith und alles, was danach riecht, über Bord werfen und zu den Verfassungsprinzipien des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie, wie sie Finanzminister Alexander Hamilton und andere beschrieben haben, zurückkehren. Die Politik der Regulierungen und des Protektionismus, die wir mit der Roosevelt-Revolution der 30er Jahre verbinden, muß wieder in Kraft gesetzt werden.

Ende


Anmerkungen

56. Georg Cantor, Gesammelte Abhandlungen mathematischen und philosophischen Inhalts, Berlin 1932, Nachdruck 1990, Seite 165-209 und 378-439. Zu Cantors späterer geistiger Umnachtung siehe Georg Cantor. Briefe, Hg. Herbert Meschkowski und Winfried Nilson, Berlin, 1991.

57. Cantors Bezug auf Newtons Hypotheses non fingo in den Beiträgen... 1895-97 ist verräterisch. Vergleiche dazu Cantors Briefwechsel mit Johannes Baptist Kardinal Franzelin SJ (Meschkowki/Nilson S. 252-258). Zum früheren Cantor siehe die Bemerkungen auf S. 204/205 in den Gesammelten Abhandlungen, vor allem hinsichtlich der Wurzeln von Cantors Werk bei den Pythagoreern, Platon, Nikolaus von Kues und Leibniz. Cantor wurde in den 90er Jahren des 19. Jh. offenbar von seinen Peinigern Kronecker u.a. mehr oder weniger gehirngewaschen. Max Planck, den die Anhänger Ernst Machs (in den Kriegsjahren 1914-17) einer ähnlichen Behandlung unterzogen, erwies sich als standfester.

 

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