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Aus der Neuen Solidarität Nr. 6/2007

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Bach, Belcanto und die neue Renaissance in Amerika

Jenny Getachew von der LaRouche-Jugendbewegung berichtet über ein einwöchiges Musikseminar mit dem Belcanto-Lehrer Maestro José Briano und dem Chorleiter John Sigerson in Boston.

Johann Sebastian Bach (1685-1750) wäre sicher glücklich, wenn er wüßte, daß seine Chorwerke mehr als 250 Jahre nach seinem Tod in aller Welt, von Berlin bis Boston, durch die Straßen hallen. Seine fünfstimmige Motette Jesu, meine Freude beruht auf einem Kirchenlied, mit dem einst das Ende des verheerenden Dreißigjährigen Krieges gefeiert wurde. Und nach der Wende in den USA mit der Kongreßwahl im November hat diese Motette auch jetzt eine ganz besondere Bedeutung.

Der Durchschnittsamerikaner sieht die gegenwärtige Lage mit gemischten Gefühlen: Einerseits herrscht Optimismus, weil man gerade einen großen Sieg gegen die verhaßte Regierung Bush errungen hat, andererseits herrscht Furcht vor wirtschaftlicher Unsicherheit und einem Finanzkrach. Große Dramatiker wie Friedrich Schiller und William Shakespeare würden in einem solchen Augenblick der Verunsicherung die Bürger sicherlich auf ihre Weise herausfordern, größer zu denken und statt armseliger Untertanen des Bush/Cheney-Regimes wahre Staatsbürger zu werden. Einige führende Leute der Demokratischen Partei haben Angst, sich der Bevölkerung zu stellen, weil sie wissen, daß die Wähler von ihnen jetzt ein entschiedenes Handeln erwarten. Im Gegensatz dazu hat Lyndon LaRouche seine Jugendbewegung (LYM) aufgefordert, ihre Arbeit an Musik und Wissenschaft zu vertiefen und eine Million Exemplare der neuen Broschüre „Wie man den Wiederaufbau nach dem Großen Krach von 2007 organisiert“ zu verteilen.

Viele in der Führung der Demokratischen Partei waren in ihrem Pessimismus davon ausgegangen, daß die breite Bevölkerung in Amerika zu ungebildet und apathisch ist, um überhaupt wählen zu gehen, und setzten deshalb auf die großzügigen Wahlspenden von Millionären wie Felix Rohatyn, um die kleine Minderheit der „wahrscheinlichen Wähler“ in den wohlhabenderen Schichten zu umwerben. Der Parteivorsitzende Howard Dean klammerte sich an diese Strategie, obwohl sie der Partei nur immer neue Niederlagen beschert hatte. Die LYM hingegen kämpft darum, die Bürger aus ihrem Pessimismus herauszureißen. Indem wir LaRouches Schriften in hoher Auflage verbreiten, sorgen wir dafür, daß die Menschen über den Wiederaufbau der Wirtschaft und über die Absetzung von Bush und Cheney diskutieren, und an den Hochschulen der Nation wollen wir eine neue, bessere Generation der politischen Führung heranbilden.

Pioniere einer neuen Kultur

Immer wieder ist in der Geschichte großen Komponisten, Dramatikern und Poeten die enorme Aufgabe zugefallen, den allgemeinen Pessimismus, der mit dem Verfall einer Kultur einhergeht, zu überwinden. Doch leider sind die heutigen Musiker und Künstler in Amerika Opfer einer bewußten Zerstörung der Kultur, die Organisationen wie der „Kongreß für kulturelle Freiheit“ in der Nachkriegszeit bewirkt haben. Die Folge ist, daß die öffentlichen Mittel für die Kultur gestrichen werden, das Publikum dahinschwindet und, was das schlimmste ist, wahre Ideen in der Kultur völlig fehlen und stattdessen Primitivität und Häßlichkeit herrschen.

Als in den 60er Jahren Präsident John F. Kennedy, Martin Luther King, Robert Kennedy und Malcolm X ermordet wurden, verlor die amerikanische Jugend ihren Optimismus. Um sich von der immer schlimmeren politischen Entwicklung abzulenken, ergaben sich Studenten und andere Rockmusik, Drogen und Sex. Diese damals jungen Menschen - in Deutschland nennt man sie die 68er, hier die Babyboomer - sind heute in ihren Fünfzigern und Sechzigern, und sie hatten in den letzten 20 Jahren in den USA die Führungspositionen inne. Leider wurde ihre Kultur immer kindischer, je älter sie wurden. Popmusik und „Unterhaltung“, die im wesentlichen Geschrei und Gestammel sind, sollen die Menschen in einem ständigen Phantasiezustand halten, indem sie Gefühlszustände wie Wut und Lust in ihnen hervorrufen. Man braucht nur in die leeren Augen unseres Präsidenten George W. Bush zu sehen und sein Geschwätz anzuhören, und man versteht, wie gefährlich diese Flucht vor der Realität werden kann.

Wie soll man da die Studenten, die natürlich ein Produkt dieser Kultur ihrer Eltern sind, davon überzeugen, diese Kindereien nicht mitzumachen und schöpferische Geister zu werden, da sie schließlich früher oder später die politische Führung im Lande übernehmen werden? Die jungen Menschen sind sicher die ersten, die zugeben, daß die heutige Kultur von Zynismus und Hoffnungslosigkeit beherrscht ist - „No Future“ -, aber eine Lösung wissen sie auch nicht. Der Gedanke, daß es ihnen offensteht, Genies zu werden, hört sich zwar ganz nett an, aber im Bildungswesen und in der Kultur finden sie gegenwärtig nichts, was ihnen auf dem Weg dahin helfen würde.

Johann Sebastian Bach stand in seiner Zeit vor einer ähnlichen Herausforderung. Nach den langen Zeiten des Hasses und der Zerstörung war die Kultur bis in die Grundfesten erschüttert, und er mußte helfen, sie wieder aufzubauen. Aber er reagierte nicht wie viele Künstler heute, die in ihren Werken nur über den schlechten Zustand der Gesellschaft klagen. Bach zwingt einen, sich mit der grundsätzlichen Frage zu befassen: Was ist meine Beziehung zur Menschheit als ganzer? In der fünfstimmigen Fuge in der Motette (Nr. 6 aus Jesu, meine Freude) gibt er einen Hinweis darauf, wie man über diese Frage nachdenken kann:

Ihr aber seid nicht fleischlich,
Sondern geistlich,
So anders aber Gottes Geist in euch wohnet.
Wer aber Christi Geist nicht hat,
Der ist nicht Sein.

Bach hat den Satz so komponiert, daß die Stimmen nacheinander einsetzen, aber alle mit dem gleichen Thema über den Text „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich“ beginnen. Erst setzt der Tenor ein, dann der Alt, dann der erste Sopran, dann der Baß, schließlich der zweite Sopran. Es wäre unmöglich, so komplizierte Melodien, wie Bach sie für die einzelnen Stimmen komponierte, zu schreien oder zu heulen, deshalb brauchen die Sänger eine flexible Belcanto-Singstimme. Alle Stimmen beginnen zwar ähnlich, aber bald nimmt jede ihren ganz eigenen Verlauf. An einigen Stellen sind die Stimmen so intensiv miteinander ins Gespräch verwickelt, daß man sich an die Debatten des Verfassungskonvents über die amerikanische Verfassung 1787 erinnert fühlen kann. Es herrscht eine Fülle der Aktivität zwischen den verschiedenen Stimmen, alle sind ineinander verwoben, manchmal nähern sie sich einander an, aber keine klingt so, als stimme sie wirklich mit den übrigen überein. Dann führt Bach auf den gleichen Text „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich“ ein etwas anderes Thema ein, und plötzlich hören wir zwei verschiedene Arten, darüber nachzudenken, ob wir nun Fleisch sind oder Geist. In sämtlichen Stimmen stellt er die Worte „fleischlich“ und „geistlich“ gegeneinander und veranlaßt uns so, über unsere Beziehung zur Gesellschaft nachzudenken.

Die sechs Strophen des protestantischen Chorals Jesu, meine Freude bilden den Rahmen für Bachs Motette, aber Bach setzt zwischen die Strophen jeweils noch Bibelzitate aus den Römerbriefen des Paulus, was den Dialog noch vertieft. Die beschriebene Passage demonstriert in spielerischer Weise den Kampf zwischen dem „Fleisch“ und dem „Geist“ im Menschen. Ob man sich nun als religiösen Menschen betrachtet oder nicht, die Frage, was man aus seinem Leben macht, sollte sich jeder irgendwann stellen. Tut man gerade nur genug, um zufrieden zu sein, wie etliche in der Demokratischen Partei, die sich schon mit einer kleinen Mehrheit von einem oder zwei Sitzen im Kongreß zufriedengegeben hätten, um dann vielleicht tatenlos zuzusehen, wie Bush und Cheney einen Krieg gegen den Iran beginnen? Oder kämpft man wie wir mutig für den Sturz der Regierung Bush, damit wir eine Zukunft haben können?

Der „Masseneffekt“ vor der Wahl hat die Voraussetzung für einen möglichen kulturellen Wertewandel geschaffen. So wie der große jüdische Dichter I.L. Peretz die jiddische Sprache durch seine Werke bereicherte, indem er Worte für Ideen erfand, die noch nie zuvor in dieser Sprache ausgedrückt worden waren, so erhebt die LYM die Menschen aus dem Pessimismus, indem sie durch die Arbeit am Belcanto-Gesang und das Aufführen von Bachs Motette die Kreativität der jungen Bevölkerung entfesselt.

Wahres Musizieren ist politisch!

Diese Aufgabe eines neuen Wertewandels wurde den Mitgliedern der LYM sehr deutlich, als sie vom 4.-8. Dezember eine Woche lang intensiv musikalisch arbeiteten. Dazu hatten sich einer der besten Belcanto-Experten der Welt, Maestro José Briano aus Mexiko, der Chorleiter und enge Mitarbeiter LaRouches John Sigerson und Musiklehrer der LYM aus vielen Ländern der Welt in Boston versammelt. Wir wollten eine Umgebung schaffen, die ganz von Belcanto-Polyphonie beherrscht wird. Es entstand ein unausgesprochener Dialog zwischen Briano, Sigerson und der LYM, der besagte: „Wir müssen eine neue Kultur schaffen, nicht nur junge Leute mit schönen Stimmen.“ Denn die schönen Stimmen sind nur das Rohmaterial, die Grundlage für die eigentliche Arbeit, die nur mit Hilfe des Belcanto ausgeführt werden kann.

Briano arbeitete von morgens bis abends rigoros mit den 40 jungen Sängern, um sie in die Lage zu versetzen, die Prinzipien der Gesangsmethode des Florentiner Belcanto zu demonstrieren: die vier Stimmregister und das natürliche Vibrato. Wie schon Leonardo da Vinci in seinen Notizbüchern ausführte, ist diese wissenschaftliche Gesangsmethode die einzig richtige Art des Singens, weil der Klang nicht in der Kehle erzeugt wird, sondern in den Hohlräumen der Nase und der Brust. Brianos Lehrmethode ist viel besser als die Methoden im derzeitigen Bildungswesen, weil sie mit dem übereinstimmt, was LaRouche immer wieder betont: daß der menschliche Geist nicht mechanisch ist, sondern auf Ideen reagiert.

So ist Briano beispielsweise einer der wenigen Stimmbildner der Welt, der es vorzieht, in Gruppen zu unterrichten. Das ist wichtig, weil die Menschen durch soziale Prozesse Entdeckungen machen. Dieses Prinzip zeigte sich in sehr schöner Weise während des Stimmunterrichts, wenn Briano bei einem Schüler einen Fehler korrigierte und der nächste Schüler dann auch ohne ausdrücklichen Hinweis besser singen konnte. Die Durchbrüche, die die LYM auf diese Weise erreichte, waren der Entschlossenheit Brianos zu verdanken, der sich liebevoll darum bemühte, daß jeder einzelne Schüler Erfolg haben sollte, und ebenso der Entschlossenheit aller Teilnehmer, einander gegenseitig bei den Fortschritten zu helfen.

Die Herausforderung wird noch viel größer, wenn sich alle 40 souveränen Einzelstimmen zu einem Chor vereinigen und eine gemeinsame Absicht zum Ausdruck bringen sollen. Das tat John Sigerson in den abendlichen dreistündigen Chorproben in meisterhafter Art. Wer in der Zeit dieser Proben die Kirche betrat, mußte sich wundern, wie konzentriert und begeistert die jungen Menschen arbeiteten. Es ist mit Worten schwer zu beschreiben, aber man bekommt sofort Lust, mitzumachen.

Die meisten der jungen Teilnehmer der Musikwoche hatten keine frühere musikalische Ausbildung, viele lernten das Singen erst, nachdem sie sich der LaRouche-Jugendbewegung angeschlossen hatten. In diesem Umfeld, als Mitsänger wie auch als Beobachter der Stimmbildung oder der Proben eines Streichquintetts, hatte man das sichere Gefühl, daß hier die Grundlage für eine kulturelle Renaissance geschaffen wird. Wenn die jungen Sänger ihre Belcanto-Stimmen entwickeln, um ausdrücken zu können, was sich wirklich hinter den Noten verbirgt, dann haben sie Zugang zum Geist Bachs - und letztendlich zum Potential der ganzen Menschheit. Eine verfallende Zivilisation behandelt Wissen und Kultur nur als Artefakte, die man vielleicht abstaubt, betrachtet, ausmißt und dann wieder für die nächsten hundert Jahre in die Kiste packt. Bach behandelte den Choral Jesu, meine Freude nicht als Museumsstück, sondern entwickelte daraus eine lebendige große Motette, benutzte das Kirchenlied als den bekannten „roten Faden“, der sich durch die gesamte Motette zieht und sich im Zuge der Entwicklung der Idee ständig ändert. Und wenn am Ende der Choral in gleicher Form wiederkehrt und mit den bekannten Worten „Jesu, meine Freude“ endet, ist man gezwungen, darüber nachzudenken, daß man, obwohl man die gleichen Noten und die gleichen Worte wie zuvor singt, inzwischen ein anderer Mensch geworden ist.

Mit der neugestalteten politischen Landschaft und dem wachsenden Einfluß der LYM ist die Zeit gekommen, alle Menschen durch solche Erfahrungen, wie sie nur Menschen machen können, zu erheben.

Jenny Getachew

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Die unerkannten Gesetzgeber der Welt
- Neue Solidarität Nr. 6/2007
Internetseite der LaRouche-Jugendbewegung in Deutschland
Internetseite der internationalen LaRouche-Jugendbewegung
- in englischer Sprache

 

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