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Aus der Neuen Solidarität Nr. 8/2005

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Ein zweiter Westfälischer Friede für die kommende eurasische Welt

Von Lyndon LaRouche
- 7. und letzter Teil -

Im vorangegangenen Teil befaßte sich LaRouche mit der Frage, warum uns unsere Sinneseindrücke täuschen und wie man trotzdem universelle Prinzipien erkennen kann.


4. Asien ins System holen
Die Unterschiede innerhalb der europäischen Kultur

Das "Orion"-Konzept

4. Asien ins System holen

Denken wir daran, welches große Hindernis für weltweite Lösungen die anglo-holländischen Liberalen mit ihrem Tun in Asien in den letzten Jahrhunderten aufgetürmt haben. Damit meine ich vor allem, daß Asien und anderen Teile eine Weltanschauung aufgezungen wurde, die wie der Empirismus und daraus abgeleitete Ideologien nicht zwischen Menschen und menschlichem Vieh unterscheidet.

Zugegebenermaßen waren fortschrittliche Wissenschaft und Technik, wie sie mit der europäischen Zivilisation in den unterworfenen Gebieten beispielsweise Asiens und Afrikas eingeführt wurden, dort ein Mittel für große Verbesserungen der Produktivkraft der Arbeiter und damit zusammenhängende potentielle Verbesserungen der Lebenserwartung; aber selbst da, wo solche Möglichkeiten geschaffen wurden, erschien dies eher als etwas von außen Aufgezwungenes als eine eigenständig entwickelte Verbesserung der jeweiligen Landeskultur.

In diesem Schlußteil meines Berichts möchte ich, wie angekündigt, auf die Notwendigkeit zu sprechen kommen, daß Asiaten wie Nichtasiaten ein wohlbegründetes Verständnis dafür entwickeln, welche Mittel der Selbstentwicklung man braucht, um sich auf eine dauerhafte Gemeinschaft fruchtbarer Zusammenarbeit zu verständigen - etwas, was man als den natürlichen Nachfolger der Absichten des Westfälischen Friedens von 1648 in der heutigen Zeit auffassen kann: eine Gemeinschaft souveräner Nationen, in der jeder den Vorteil des anderen befördert.

Die furchtbare Alternative, wenn es nicht zu dieser dringend notwendigen Reform in Form vertraglicher Vereinbarungen zwischen souveränen Nationen kommt, sondern die Traditionen der Empiriker beibehalten werden, wäre der sichere Untergang der Weltzivilisation - bedenkt man die heutigen Umstände, wie z.B. die obszönen, wahnsinnigen Pläne der Regierung Bush, die im Irak bereits umgesetzt werden und auf weitere Länder abzielen.

Wie sollen wir angesichts all dessen, was über die europäische Zivilisation und ihre historisch begründeten internen Schwierigkeiten gesagt wurde, die Probleme verstehen, die diese europäische Zivilisation auf die eine oder andere Weise z.B. in Asien geschaffen hat? Wie können wir Nationen für die benötigten dauerhaften, langfristigen vertraglichen Vereinbarungen zusammenbringen, wenn wir nicht das gemeinsame Prinzip aufgestellt haben, das solche Vereinbarungen erst ermöglicht?

Die Antwort, die einige Europäer und andere auf diese Frage geben würden, könnte vielleicht so lauten:

Das Abstoßende an den meisten heutigen Äußerungen vermeintlich wohlmeinender Absichten gegenüber den betreffenden Teilen Asiens und Afrikas ist, daß man der Bevölkerung dieser Regionen eine Tradition beilegt, die weniger einsichtsvolle Kritiker dieser Geschichte vielleicht die "Ausbildung verhältnismäßig weniger in den Qualifikationen kolonialer Hausdiener des anglo-holländischen Weltreichs" nennen würden. Diese Kritiker würden vermutlich behaupten, ein asiatischer oder afrikanischer Beobachter entwickele nur selten ein Gespür für das, wenn man so will, "Geheimnis" des Aufstiegs der europäischen Zivilisation zu ihrer führenden, wenn auch in letzter Zeit niedergehenden Stellung nicht nur als physische Weltmacht, sondern auch als führende kulturelle Macht der Erde, welche die Kolonialmächte mißbrauchten, um ihren noch immer bestehenden Status als imperiale Oberherren zu erringen.

Diese und ähnliche Kritik an der kolonialen und verwandten Praxis der Vergangenheit gegenüber Asien und Afrika mag wohlmeinend sein, aber die Kritiker würden anders argumentieren, wenn sie mit sich selbst und mit der Geschichte ihrer eigenen Kulturen ehrlich wären. Tatsache ist, daß das, was die anglo-holländischen und damit zusammenhängenden Mächte in der letzten Zeit - vor allem in den letzten vier Jahrzehnten - Asien angetan haben, weitgehend eine Nachahmung dessen ist, was wir insbesondere in Europa und Amerika der Generation angetan haben, die heute die meisten führenden Machtpositionen in unseren eigenen Nationen innehat - der Generation junger Erwachsener, die wir in den letzten 40 Jahren in Europa und Amerika kulturell zerstört haben. Das Schlimmste, was wir den asiatischen Kulturen heute angetan haben, ist das, was wir uns in Europa und Amerika zur gleichen Zeit auch selbst angetan haben.

Die anglo-holländischen liberalen Interessen hatten niemals ein Interesse daran, beispielsweise den Menschen in Asien Zugang zu dem Wissen und der Erfahrung zu verschaffen, worauf die größten Leistungen der europäischen Kulturen beruhten - das Wissen und die Erfahrung, die ich in den vorhergehenden Abschnitten dieses Berichts in den Mittelpunkt gestellt habe.

Der Tod Präsident Franklin Roosevelts bot, nachdem die Gefahr eines deutschen faschistischen Weltreich beseitigt war, den anglo-holländischen Liberalen in der transatlantischen Oligarchie die Gelegenheit, sich ihren alten Todfeind - das Amerikanische System, das in der großen klassischen Tradition des Solon von Athen usw. wurzelte - schnellstmöglich vom Hals zu schaffen. Mit Hilfe eines Zustands permanenten Terrors, herbeigeführt von den Komplizen Winston Churchills und Präsident Harry Trumans, wurden infernalische Werkzeuge des Verfalls wie der "Kongreß für kulturelle Freiheit" benutzt, um den Willen der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung zu brechen - wie ich selbst aus erster Hand beobachtet habe. Genauso wirkte dieser existentialistische Kult auch in Europa gegen die klassische kulturelle Tradition und zersetzte den antikommunistischen Widerstand in der Sowjetunion und dem von sowjetischen Truppen besetzten Osteuropa.

Man denke an den Einfluß des diabolischen Bertrand Russell - in seiner doppelten Eigenschaft als wichtigster Fürsprecher einer auf den Schrecken "vorbeugender Atomkriege" gestützten Weltregierung und als Verderber von Moral und Wissenschaft durch die Verbreitung klassikfeindlicher Lehren, z.B. in Form der Werke Norbert Wieners und John von Neumanns. Man denke an die linke Variante des existentialistischen Faschismus, wie man sie mit Bertolt Brecht, Theodor Adorno, Hannah Ahrendt, Herbert Marcuse & Co. verbindet. Beispielhaft für die Selbstzerstörung von Wirtschaft und Moral in der transatlantischen Nachkriegskultur sind - kurz zusammengefaßt - der modrige Geruch des existentialistischen, implizit Brechtschen Regietheaterkults und das bösartige Wirken von Arthur Burns und Hochkommissar John J. McCloy in Deutschland.

Seit 1945 tat das anglo-holländische, liberale Establishment alles, um das, wofür die USA von Franklin, Washington, Hamilton, Lincoln und Roosevelt standen, zu zerstören. Sie wollten die USA und das, wofür sie weltweit standen, zerstören, indem sie als erstes dieses Erbe in den Vereinigten Staaten selbst zerstörten. Mit Einflußwerkzeugen wie dem Kongreß für kulturelle Freiheit prägte man die nach dem Krieg geborene Generation, die Mitte bis Ende der 60er Jahre in die Universitäten einzog, in einer Weise, die diese Generation die USA und Westeuropa dazu bringen sollte, die eigene Kultur und Moral zu zerstören; denn das war die unverzichtbare Voraussetzung dafür, die neue Gestalt des anglo-holländischen, liberalen Imperialismus, die wir heute "Globalisierung" nennen, einzuführen.

Asiens kulturelle Schwierigkeiten heute liegen also nicht in dem, was die USA und das imperiale Großbritannien Asien wegnehmen. Sie liegen hauptsächlich darin, daß Asien das nachahmt, was die USA und Großbritannien sich in den letzten 40 Jahren selbst angetan haben.

Das ist die Wahrheit über die Eigenheit und die Wirkungen der Kultur, die das anglo-holländische, liberale Establishment heute Asien und auch Afrika aufzwingen will. Daneben gibt es seit langem bestehende kulturelle Probleme, die zu diesem Betreiben einer kollektiven Selbstzerstörung der Kulturen der ganzen Welt aus jüngerer Zeit hinzukommen. Den allgemeinen Ausdruck dieser Schwierigkeit findet man in dem, was in den vorhergehenden Abschnitten dieses Berichtes hervorgehoben wurde: daß eine Kultur, die einfach nur übergestülpt wird - was sonst immer ihre vermeintlichen Vorteile sein mögen - nur eine Tragödie sein kann. Eine solche Praxis der Staatsführung widerspricht dem ureigensten Wesen der menschlichen Gattung. Sie wurzelt nicht nur in den Eigenschaften des moralisch und formal geistig mangelhaften reduktionistisch-empiristischen Denkens. Sie ist in sich bösartig - ein Übel, das Übel erzeugt.

Wir müssen also nun der folgenden These nachgehen:

Kulturell sinnvolle Maßstäbe durchzusetzen, ist keine Tyrannei; darin liegt nicht die Ursache der heutigen Nöte Asiens. Die größte Quelle des Verderbens in der heutigen asiatischen Kultur liegt darin, daß versucht wird, es dem gegenwärtigen kulturellen Verfall in den führenden Kreisen der europäischen Kultur gleichzutun. Zusammen mit dem Haß, den die Mißbräuche der Europäer ausgelöst haben, ist diese Verderbnis für die Kulturen Asiens und Afrikas ein großes Hindernis, wenn sie die tieferen Wurzeln der gegenwärtigen Schwierigkeiten in der eigenen Kultur entdecken wollen. Deshalb müssen asiatische Patrioten sich sorgfältiger mit der Geschichte der europäischen Zivilisation befassen, um zu sehen, welche universellen Prinzipien für die europäischen und asiatischen Kulturen zutage treten, wenn man die inneren Kämpfe zwischen Gut und Böse in der europäischen Geschichte zu ihren epistemologischen Wurzeln zurückverfolgt. Dies zu dem Zweck, daß Asien die Narretei, die das klassische antike Griechenland in den selbstverschuldeten Untergang führte, nicht auf seine eigene Art und Weise wiederholt.

Zu einer gewissen, eigentlich ziemlich belanglosen Kritik aus Asien an der Kultur der USA und Europas ist zu sagen: Es ist nichts falsch daran, der Kultur eines Volkes bestimmte Änderungen aufzuzwingen, ganz im Gegenteil. Beispiele sind das Verbot des Kannibalismus, das Verbot der Judenverfolgung (mit dem Völkermord an den Juden trat Adolf Hitler gewissermaßen in die Fußstapfen des Großinquisitors Tomás de Torquemada) oder das Verbot der Todesstrafe in zivilisierten Gesellschaften unserer Tage. Wenn die auf diese Weise veränderten Kulturen unmenschlich oder auch nur unzureichend waren, ist zumindest die entsprechende Absicht gerechtfertigt. Aber das moralische Urteil über das, was zum Zwecke dieser erklärten Absicht geschieht, hängt nicht nur von der Absicht selbst ab, sondern auch von der Art und Weise, wie die Veränderung zustandekommt. Was die Briten in Indien gemacht haben, ist ein Beispiel für dieses Problem. Was Palmerston, Bertrand Russell und andere China angetan haben, ist ein Beispiel für Verbrechen solcher Art.

An den Regeln, die ich gerade aufgestellt oder zu verstehen gegeben habe, ist nichts willkürlich. Bei solchen Änderungen ist entscheidend, ob die Methode, die man wählt, um ein gerechtfertigtes Ziel zu verfolgen, moralisch ist oder nicht. Die richtige Methode zur Verbesserung einer Kultur ist die sokratische Methode Platons und anderer. Jede entgegengesetzte Methode ist - außer wenn es gilt, Verbrechen wie die Torquemadas zu verhindern - selbst ein Verbrechen.

Manche Dinge sind tatsächlich universell wahr, jedenfalls so universell wahr, wie es für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort in der Geschichte der Menschheit absolut wahr ist. Es kommt darauf an, die Unterscheidungen zu erkennen, die man berücksichtigen muß, und entsprechend zu handeln. Wie kann jemand vorschlagen, das Wahrheitsprinzip zu erzwingen, wenn gleichzeitig systematisch verhindert wird, daß man die Wahrheit findet - wie es gegenwärtig im amerikanischen Rechtswesen der Fall ist? Wie kann man die Wahrheit wissen, wenn man sich in Politik und Recht vor der Wahrheitsfindung drückt? Wie kann es Ehrlichkeit in einer Kultur geben, die den typischen moralischen Relativismus des modernen, akademischen Kulturanthropologen betreibt? Kannibalismus beispielsweise ist einfach falsch, und Cannabis-ismus ist nicht viel besser. Massenmord durch die Auswirkungen der Einflüsse irrationaler "Umweltschutz"-Kulte ist ein Verbrechen, vorsätzlicher Massenmord. Mord im Namen Gottes ist immer noch Satanismus, wie andächtig er auch geschieht.

Was sollten wir also, wenn wir diese Punkte berücksichtigen, unter der "Zustimmung der Regierten" verstehen? Simple volkstümliche Regeln für "richtig und falsch" sind nur etwas für grausame, unwissende Barbaren. Was sollten wir anstelle solchen traditionalistischen, moralisierenden, populistischen Unfugs richtigerweise unter der "angemessen durchdachten Zustimmung der Regierten" verstehen? Die Worte "angemessen durchdacht" rücken die Herausforderung ins Blickfeld, vor der Asien heute steht. Die Prinzipien wissenschaftlicher Entdeckung, die ich in den vorhergehenden Kapiteln besonders betont habe, sollten uns darauf vorbereiten, Abhilfe von den schlimmen Zukunftsaussichten Asiens zu finden.

Die Unterschiede innerhalb der europäischen Kultur

Die Versuche der Empiristen, europäische Kultur, europäische Gewohnheiten usw. sozusagen statistisch zu definieren, sind als offensichtliche Sophisterei abzulehnen. Innerhalb der menschlichen Kulturen gab es immer innere Kämpfe. Die Wahrheit über irgendeine Kultur findet man nur heraus, wenn man erkennt, was an den umstrittenen Zielen der sich bekämpfenden Strömungen in diesen Kulturen wahr war und was falsch; Schillers Gegenüberstellung des Erbes von Solon und Lykurg veranschaulicht dies für das alte Griechenland und dessen Vermächtnis in der Neuzeit. Die Angriffe einiger Asiaten auf die "europäische Kultur" sind also eine ebenso abwegige und verderbliche Sophisterei wie irgendetwas, auf was man im "Westen" stößt.

Die größte Errungenschaft der europäischen Kultur kommt aus der Entdeckung der bewußten Anwendung des Prinzips der Hypothese, wie sie durch Platons Dialoge berühmt wurde. Das wichtigste positive Ziel dieses Berichts besteht darin, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, was einer solchen Sicht in Asien im Wege steht. Daß in dieser Frage eine klare Perspektive fehlt, ist heute das größte Hindernis für das dringend notwendige Vorhaben einer Bewirtschaftung des Planeten im Zusammenwirken souveräner Nationalstaaten, die gemeinsam eine wahre - nicht bloß willkürliche - eurasische kulturelle Werteordnung vertreten.

Man kann den zu diesem Zweck zu verfolgenden Ansatz auch definieren, indem man das Verhältnis zwischen Rußland und Indien genauer untersucht. Rußland hat sich in seinem Nationalcharakter zu einer beispielhaften eurasischen Kultur entwickelt. Das Verhältnis zwischen Rußland und Indien war zwar nicht immer einfach. Trotzdem war wegen des eurasischen Charakter Indiens in meinen Augen eine angestrebte Zusammenarbeit der eurasischen Nationen mit dem Eckstein einer russisch-indisch-chinesischen Zusammenarbeit für mich schon seit den 70er Jahren immer das offensichtliche Ziel eines wohldurchdachten Eigeninteresses der Vereinigten Staaten in der Außenpolitik - und nach meiner Einschätzung hat dieses Ziel seit der Amtszeit Präsident Clintons noch stark an Bedeutung hinzugewonnen. Nun haben wir eine Zeit erreicht, in der die Volkswirtschaften West- und Mitteleuropas nur noch zu retten sind, wenn es zu einer langfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der kontinentaleuropäischen Volkswirtschaften mit einem neu entstehenden Konzert eurasischer Länder um Rußland, Indien und China kommt. Bedenken wir die Schwächen und Vorteile, die sich auf die voraussichtlichen Partner in einer solchen langfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verteilen, so zeigt sich, wie dringend wir ein Geflecht langfristiger Verträge unter diesem eurasischen Blickwinkel zu zustandebringen müssen.

Um solche Hoffnungen verwirklichen zu können, brauchen wir eine radikale Wende in Europa und den USA, den früheren Brutstätten des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, damit sie zu ihrer wahren, langfristigen und für sie selbst lebenswichtigen Rolle als Hauptmotor wissenschaftlichen und technischen Fortschritts für die ganze Erde zurückfinden. Doch angenommen, wir können den auf uns zueilenden Zusammenbruch des jetzigen Weltwährungs- und -finanzsystems benutzen, um eine neue Vereinbarung zu schaffen, die den besten Eigenschaften des Bretton-Woods-Systems der Jahre 1944-64 nicht unähnlich ist - dann wird die Herausforderung darin bestehen, daß die asiatischen Nationen es sich zunehmend zur Gewohnheit machen, den besten Vorbildern des klassischen wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritts aus der Geschichte der europäischen Zivilisation nachzueifern. Am wichtigsten sind dabei die Fortschritte, welche die europäische Renaissance des 15. Jh. in Gang gesetzt hat: das Erbe von Nikolaus Cusanus, Leonardo da Vinci, Kepler, Leibniz, Gauß, Riemann und Wernadskij.

Diese Herausforderung sollte die Aufmerksamkeit der Asiaten auf die Fragen lenken, die ich in den früheren Kapiteln dieses Berichts in den Mittelpunkt gestellt habe. Das bedeutet beispielsweise, daß die indische Kultur aus ihrer verderblichen Nachgiebigkeit gegenüber dem imperialen Entwurf, der sich hinter den zahlreichen Einzelheiten der Fabianischen Pläne von Männern wie H.G. Wells, Bertrand Russell usw. verbirgt, befreit werden muß. Der Hang zum Hin- und Herschwanken zwischen orientalischem Mystizismus und radikal reduktionistischer Wissenschaft zeigt beispielhaft, welche kulturellen Einflüsse den Anteil qualifizierter wissenschaftlicher Denker in den gebildeten Schichten Asiens gering hielt - wissenschaftliche Denker verstanden im Sinne von Naturwissenschaftlern, nicht formalen Mathematikern. Dies war in Asien in den letzten 60 und insbesondere 40 Jahren deshalb besonders bedeutsam, weil sich dieser Mangel einer breit entwickelten klassischen, antireduktionistischen Kultur in der Wissenschaft mit dem moralischen und geistigen Verfall des Denkens und Handelns in der europäischen Wissenschaft und Kultur der letzten 40 Jahre überschnitten hat.

So fehlte Asien der Ansporn zum Wettbewerb mit dem wissenschaftlichen Fortschritt Europas, eben weil man die Quellen der klassischen wissenschaftlichen und künstlerischen Kultur in Europa und den USA selbst insbesondere in diesen letzten vier Jahrzehnten bewußt austrocknen ließ. Der Asiate sieht keine dringende Notwendigkeit, in diesen Bereichen, die in Amerika und Europa selbst im Handeln nicht mehr ernstgenommen werden, ernsthaft zu konkurrieren. Denn er muß zu dem Schluß kommen, er brauche nur mit europäischen und amerikanischen Leistungen mithalten, wenn er übersieht, daß gleichzeitig dort die betreffenden Maßstäbe katastrophal sinken.

Eine gewisse Trägheit gegenüber dieser häßlichen Wechselwirkung von Trends führt dazu, daß sich zwar die Bevölkerung Asiens gewaltig vermehrt, aber gleichzeitig die große Mehrheit dieser Bevölkerung nicht in eine kulturelle Entwicklung eingebunden wird, wie sie notwendig wäre, um das Überleben dieser Nationen in den nächsten Generationen sicherzustellen. Diese tödliche Krankheit geht damit einher, daß sich in den entsprechenden gebildeteren Schichten Asiens eine Besessenheit mit dem "Reichwerden" verbreitete, was in der Geschichte immer das Kennzeichen einer Kultur war, die auf einen selbstverschuldeten physischen und moralischen Zusammenbruch zuläuft, so wie es die USA in den letzten drei Jahrzehnten tun.

Kurz, die Fragen des schöpferischen Denkens, auf die ich in den vorhergehenden Kapiteln besonders eingegangen bin, stoßen uns auf die tödlichste der unmittelbaren, auch selbstverschuldeten Gefahren für die Nationen Asiens heute.

Ein Bal Gangadhar Tilak beispielsweise hätte mich wahrscheinlich verstanden.

Das "Orion"-Konzept

Der moralische Verfall der englischen Sprache vom hohen Niveau der Werke eines Sir Thomas More oder William Shakespeare läßt sich, was für uns hier äußerst bedeutsam ist, über Sir Francis Bacon und Thomas Hobbes auf den Einfluß der Empiriker der Venezianischen Partei zurückführen. Was Bacons Kreise veranlaßte, Shakespeares Werke von der Bühne zu vertreiben, um den Weg für alberne Narren frei zu machen, war der gleiche Haß auf die praktizierte klassische Ironie und Metapher, den auch Galileos Schüler, Bacons geliebter Thomas Hobbes, äußerte.

Einer der eindrucksvollsten Beweise für das, was wir über den englischen Stil nach dem Verfall durch diesen venezianischen Einfluß sagen, war Tilaks Darlegung - 1893 in seinem Orion - , daß vier Jahrtausende früher im wesentlichen richtige Zeitangaben über die Frühjahrs-Tagundnachtgleiche im Sternbild Orion mündlich weitergegeben wurden, als bestimmte vedische Hymnen in das neuere Sanskrit übertragen wurden. Heute hat praktisch kein Redakteur noch die Fähigkeit oder auch nur den Wunsch, den Inhalt eines Abschnitts einer erst gestern gehaltenen Rede richtig wiederzugeben!

Einige Gelehrte in Puna (Poona) bestätigten mir, daß meine Vermutungen über den Ursprung dieser vedischen Leistungen richtig waren. Die Antwort auf die Frage, die sich uns damit offensichtlich stellt, findet man leicht, wenn man die klassische (beispielsweise) englische Dichtung der Neuzeit kennt - und aus einem etwas breiteren Gesichtswinkel betrachtet als William Empson in seiner Schrift über die Formen der Mehrdeutigkeit. Hätte Empson seine Studien in Hinsicht auf die Bedeutung von J.S. Bachs Entwicklung und Anwendung der Wohltemperierung als solcher ausgeweitet,38 so wäre er zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt wie denen, die ich mit den Gelehrten in Puna zu der bemerkenswert treuen Überlieferung der vedischen Gesänge in moderne Zeiten ausgetauscht habe.

Der verwerfliche Betrug von Hobbes und seinen Anhängern ist beispielhaft für die im Empirismus wurzelnden Gründe dafür, warum die entsprechenden Teile der heutigen, vermeintlich gebildeten Schichten Europas und Amerikas nicht fähig sind, die Sprache zu benutzen, um wirkliche Ideen zu vermitteln.

Wahres Wissen läßt sich nur nach der Methode angemessen entwickeln und weitergeben, die mit dem Bemühen verbunden ist, Platons sokratische Dialoge immer besser zu verstehen. Untersucht man diese Dialoge vor dem Hintergrund des Thales, der Fragmente des Heraklit, von Solon und den Pythagoräern wie Archytas, dann sollte man erkennen, daß sie den gleichen Kernpunkt berühren, den auch Empsons Abhandlung über die Ironie stillschweigend miteinschließt. Diese Übung ergänze man durch die Beschäftigung mit der Bedeutung der wohltemperierten Aufführung der Bachschen Chorwerke bei c'=256. Die besten Bemühungen dieses dahinschwindenden Völkchens - der klassischen Künstler auf der klassischen Bühne - sind sehr wichtig, um junge Menschen so auszubilden, daß sie die Bedeutung der klassischen Mehrdeutigkeit wirklich als eigenständiges Wissen beherrschen.

Wie ich in den vorhergehenden Kapiteln dieses Berichts betont habe, drückt diese Eigenschaft der klassischen Ironie in Dichtung, Musik und Schauspiel das gleiche Prinzip aus, dem man bei der Entdeckung eines experimentell bewiesenen Naturprinzips begegnet. Dies lenkt unsere Aufmerksamkeit zurück auf Tilaks Beschäftigung mit der Bedeutung bestimmter vedischer Gesänge.

Auch wenn niemals mehr als ein nur winziger Teil der gesamten Bevölkerung in den europäischen Kulturen dem in den früheren Kapiteln beschriebenen Ansatz gefolgt ist, so war es doch dieser winzige Teil, dem es zu verdanken ist, daß es über steinige Wege und durch tödliche Sümpfe zu den Errungenschaften der klassischen, wissenschaftlichen und künstlerischen neuzeitlichen Kultur Europas gekommen ist. Diese Minderheit war mit ihrem Beitrag unverzichtbar, um für den Fortschritt und die Macht der klassischen europäischen Zivilisation das Tempo anzugeben.

Betrachten wir dies noch einmal aus der Sicht einer Autorität der englischen Sprache, die weit über Empson steht: Percy Shelleys Verteidigung der Poesie. "Es gibt in der Geschichte der Völker Zeiten, in denen die Fähigkeit, tiefe und leidenschaftliche Gedanken über Mensch und Natur zu vermitteln und zu empfangen, außerordentlich zunimmt." Wie ich im Zuge meiner Lehrtätigkeit, meiner Arbeit mit führenden Wissenschaftlern und anderweitig genau beobachten konnte, war dieses Phänomen die treibende Kraft aller Fortschritte der europäischen Zivilisation, seit Europa unter dem Schutz der Kundigsten aus dem alten Ägypten - wozu zweifellos auch der Moses der Mosesse gehörte - die Bühne der Geschichte betrat.

Mit Hilfe meiner eigenen Erfahrungen in einem solchen Arbeitsklima wurde für mich offensichtlich, daß das Äquivalent der klassischen Ironie, wie ich es hier zusammenfassend beschrieben habe, die treibende Kraft des kulturellen Fortschritts in den Kulturen ist. Wenn wir insbesondere die Geschichte der inneren Entwicklung der klassischen europäischen Naturwissenschaft in den letzten gut belegten 2500 oder mehr Jahren betrachten, dann sehen wir, wie klassische Mehrdeutigkeit in verschiedenen Formen über das Wirken klassischer Dichter und Denker die Selbstentwicklung einer ganzen Kultur bestimmt. Wir sehen dies so, wie es die besten Formen und Werke in der Dichtkunst oder die ähnliche Rolle des platonischen Dialogs in der Naturwissenschaft verkörpern.

Wie ich im Laufe meines Lebens oft auch aus nächster Nähe gesehen habe, wird die Evolution des kollektiven Geistes einer ganzen Kultur angetrieben von dem Funken, den eine ziemlich kleine Zahl Genies und junger Menschen, die in ihrer frühen Selbstentwicklung die Entdeckungen von Genies nachvollziehen, unter dem Schleier der Mehrdeutigkeit in diese Gesellschaft hineinbringt.

Der entscheidende, hier zu betonende Punkt ist, daß man die Legende vom Lehrbuch als falsch zurückweisen muß. Der Gedanke, man könne etwas lernen, indem man die äußere Form einer Entdeckung auswendig lernt, muß aus der Praxis der Bildung verbannt werden. Der Einzelne muß den Vorgang der Entdeckung oder Wiederentdeckung von Ideen nacherleben, in dem Sinne, wie Platons sokratische Dialoge eine Orientierung für die einzige kompetente Methode der Allgemein- wie Fachausbildung bieten. Die Menschen einer Kultur können sich nur entwickeln, wenn sie es vermeiden, etwas aus anderen Kulturen Übernommenes einfach nur nachzuahmen. Was die nationale Kultur weiß, weiß sie aus dem Erleben oder Nacherleben ursprünglicher Entdeckungen von Prinzipien in Wissenschaft und klassischer Kultur.

Die angesammelte Wirkung dieses Faktors, der klassischen Kultur, war die große, herausragende Leistung der europäischen Kultur seit dem alten Griechenland. In all dem Auf und Ab der europäischen Kultur, seit Solon von Athen seine Ermahnung an die Bürger seines Staates schrieb, wurde die Kontinuität des Vorgangs der Weitergabe und Entwicklung niemals unterbrochen. Man denke an die innere Geschichte des europäischen Christentums als Veranschaulichung dieses Punktes.

Das Christentum, wie es seit den Missionen des Apostels Petrus nach Italien und den Missionen des Apostels Paulus nach Griechenland und Italien in der kontinentaleuropäischen Kultur zum Ausdruck kommt, stand von Anfang an im Kern für eine Haltung, welche die mit Sokrates, Platon und ihren entsprechenden Vorgängern verbundene klassische Kultur Griechenlands bis zum heutigen Tage fortsetzt. Unvermeidlich galt diese Eigenschaft des Christentums von Anfang an - seit Pontius Pilatus Christus kreuzigen ließ - als eine ungeheure Gefahr für das imperiale Rom. Unvermeidlich verbanden sich in Rom massenmörderische Verfolgung mit Methoden staatlich geförderter Sittenverrohung zu der festen Entschlossenheit, die Aussage des apostolischen Christentums, wie sie sich in den Werken der Apostel Johannes und Paulus mit dem klassischen Griechenland verband, von der Erde zu vertilgen.

Die Unterwanderung des Christentums durch Sekten aller Art etc. war alles in allem ungeheuerlich. Trotzdem überlebte es, und mit ihm - und mit Hilfe klassischer Kultur, die bestimmte Strömungen des Judentums und des Islam z.B. bis 1492 auf der Iberischen Halbinsel überlieferten - überlebte der Kern des Erbes des klassischen Griechenland, um in der von Italien ausgehenden Renaissance des 15. Jh. glücklich wieder aufzustehen.

Die Verwandlung der wichtigsten nichtlateinischen Sprachen Europas, für die Dantes Rettung der italienischen Sprache aus ihrer lateinischen Gefangenschaft typisch ist, bedeutete eine Wiedergeburt dieser Sprachen in einer gebildeten Form, die dazu ausersehen war, das Wiederaufleben der Methoden des klassischen Denkens zu erleichtern. Auf diese Weise wurde in der Renaissance des 15. Jh. das neuzeitliche Europa und mit ihm die neuzeitliche Idee der souveränen, nationalstaatlichen Republik geboren; dieser halberstickte Säugling wurde dann durch den Westfälischen Frieden 1648 wiederbelebt.

So blieb die klassische wissenschaftliche und verwandte Kultur trotz allem erhalten und entwickelte sich in einem ununterbrochenen Entwicklungsstrang der Geschichte der europäischen Kultur seit dem alten Griechenland weiter.

Im Gegensatz dazu betrieb man die europäische Kolonisierung, erst von der Iberischen Halbinsel aus und dann nach anglo-holländischer Manier, in einer Art und Weise, die verhindern sollte, daß die unterworfenen Völker der Kolonien jemals die geistigen Herren ihres eigenen Schicksals würden - genauso wie in den Sklavenhalterstaaten in den USA vor Lincoln das Verbot existierte, Sklaven Lesen und Schreiben zu lehren. Man trug zwar auch beispielsweise Elemente der europäischen Wissenschaft in die anglo-holländischen Kolonialgebiete, aber die Grundlagen für die Entwicklung dieses Wissens wissenschaftlicher und verwandter Prinzipien wurden bewußt unterbunden, so daß die Aufnahme von Wissenschaft und verwandtem Wissen nicht als integraler Bestandteil der Entwicklung dieser gefangenen Nationen erlebt wurde.

So übernahm man dort z.B. selbst die Vorstellung des souveränen Nationalstaats nur als schlechten Abklatsch; das Prinzip, aus dem diese europäische Vorstellung der neuzeitlichen, souveränen, nationalstaatlichen Republik hervorgangen war, wurde nicht verstanden. Man vergleiche dies einmal mit der Vorgeschichte der europäischen Renaissance des 15. Jh., als die ersten Nationalstaaten, Frankreich unter Ludwig XI. und England unter Heinrich VII., gegründet wurden.

Aus diesem Grund habe ich in den vorhergehenden Kapiteln das Schwergewicht gerade auf diese geschichtlich bestimmten Unterschiede in der Erfahrung europäischer und asiatischer Kulturen gelegt. Es ist sinnlos, nach einer Zauberformel für die notwendige Zusammenarbeit zwischen den Staaten der asiatischen und europäischen Kulturen zu suchen. Wir müssen bescheidener vorgehen und unsere Verteidigung des Prinzips der nationalen Souveränität als Vorsichtsmaßnahme benutzen, damit man nicht versucht, den Völkern zuviel willkürliche "Gleichheit" irgendwelcher Art aufzuzwingen.

Wir müssen erkennen, daß kein Volk hinsichtlich seiner Verantwortung für seine eigenen Überzeugungen wirksam souverän sein kann, wenn es nicht in seinen nationalen Angelegenheiten vollkommen souverän ist. Man muß verstehen, daß die wesentliche Funktion dieser Souveränität eine kulturelle ist. Um sich selbst zu regieren, braucht ein Volk eine gemeinsame Wissensgrundlage, und das bedeutet die Entwicklung einer nationalen Kultur in dem Sinne, wie ich hier Kultur implizit definiert habe. Die Beziehungen zwischen solchen Staaten müssen vom Prinzip her die Form eines sokratischen Dialogs über Ideen haben. Es gibt Prinzipien der Gemeinsamkeit, die Nationen zu gemeinsamen Zielen verbinden, aber diese Gemeinsamkeit müssen nationale Kulturen sich durch die Entwicklung von Ideen im Dialog mit nationalen Kulturen selbst schmieden.

Die Prinzipien, die als notwendige gemeinsame Ziele besonders hervorstechen, sind hauptsächlich jene, auf die ich in den früheren Kapiteln das Schwergewicht gelegt habe - etwa die Prinzipien der Wissenschaft der physischen Wirtschaft. Man darf nicht versuchen, voreilig zu anderen Fragen Vereinbarungen zu treffen, die sich als verfrüht herausstellen könnten. Wir sollten die Entwicklung einer aufgabenorientierten Zusammenarbeit zwischen den Kulturen dieses Planeten als fortschreitenden Prozeß betrachten, der Generationen dauern wird. Statt zum falschen Ziel zu eilen, sollten wir also lernen, uns an der Muße der Reise selbst zu erfreuen - zu unser aller allgemeinen Befriedigung.

Ende


Anmerkung

38. So begegnete die LaRouche-Jugendbewegung der Tiefe der Bachschen Methode, als sie an den Ideen arbeitete, die man meistern muß, um auch nur ein einziges Werk wie Bachs Jesu, meine Freude nach der vorgeschriebenen bel canto-Methode aufzuführen.

 

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