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Aus der Neuen Solidarität Nr. 50/2008

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Keplers eigentliche Entdeckung:
Mathematik ist nicht Wissenschaft

Von Lyndon LaRouche - erster Teil

Der folgende Aufsatz von Lyndon LaRouche wurde im englischen Original am 5. November 2008 veröffentlicht.

Ich bin, wie Sie wissen, ein alter Mann, aber machen Sie sich deshalb um mich keine Sorgen; es hat für mich manchmal sehr wichtige Vorteile, alt zu sein. Ein solcher Vorteil ist es, zu wissen, welche korrigierbaren Fehler unsere Gesellschaft vor etwa zwei Generationen auf den Weg falscher Gewohnheiten gebracht haben, und das wissen die meisten Führungspersönlichkeiten der Gesellschaft heute nicht. Diese Fehler haben uns den gewaltigen Schlamassel eingebrockt, in den sich unsere Nationen nun offenbar unbedingt selbst hineinreiten wollen. Was für ein Schlamassel das ist, können heute wahrscheinlich nur ganz wenige Menschen mit viel Erfahrung überhaupt verstehen.

So habe ich zum Beispiel vor einigen Jahrzehnten geschrieben, in der Naturwissenschaft solle die Poesie an die Stelle der Mathematik treten. Einige Leser, selbst unter meinen engsten wissenschaftlichen Mitarbeitern, waren damals zwar schockiert über das, was ich sagte, weigerten sich aber, meine Warnung weiter zu beachten. Die meisten maßgeblichen Personen, auch unter meinen politischen Mitstreitern, machten mehr schlecht als recht weiter wie zuvor, statt meine Herausforderung anzunehmen, ihre oft falschen Auffassungen von Sachkompetenz abzuschütteln.

Das ansteckende Element der Inkompetenz, auf das ich mich hier beziehe, was damals schon weit verbreitet, es hielt sich hartnäckig selbst im Umkreis der führenden Wissenschaftler, mit denen ich bei anspruchsvollen Forschungsprogrammen jener Zeit in mehr oder weniger enger Verbindung stand. Der Irrtum der Mehrheit unter denen, an die ich mich damals in dieser Angelegenheit wandte, bleibt ein lähmender Faktor in dem, was leider auch heute noch als wissenschaftliche Meinung durchgeht.

Daher ist das folgende eine Geschichte, die es sehr wohl wert ist, erzählt zu werden. Es ist für die schmerzlich schweren Zeiten heute genauso wichtig wie damals, ja noch wichtiger, denn gerade dieser Teil unserer Vergangenheit ist schuld daran, daß wir heute in der gefährlichsten Zeit der gesamten jüngeren Geschichte unseres Planeten leben.

***

Für mich war vor fünfzig Jahren das Ringen mit Bernhard Riemanns Habilitationsschrift von 1854 beim ersten, sehr gründlichen Lesen und mehrfachen Nachlesen im deutschen Original eine der Erfahrungen in meinem Leben, die meine Weltsicht bis heute am tiefsten und nachhaltigsten geprägt haben. Die einzige vergleichbare frühere Erfahrung in der Naturwissenschaft - eine solche himmlische Freude bei der Erkenntnis des Inhalts dessen, was ich las - war meine erste Annäherung an einige Arbeiten von Gottfried Leibniz als Jugendlicher gewesen.

Es war damals dieser Schlußsatz der Dissertation, der die entscheidende Wirkung ausübte - und ich bin vollkommen überzeugt davon, daß Riemann mit diesem so außerordentlichen, mutigen Satz zum Abschluß seiner damaligen Arbeit genau diese Wirkung beabsichtigt hat, die er auf mich wie zweifellos auch auf einige andere hatte. Riemann hatte bereits erkannt, wie gefährlich es für die Gesellschaft war, wenn man versuchte, die eigentliche Wissenschaft durch bloße Mathematik zu ersetzen, wie die Empiriker es sich anmaßten. Die besondere Wirkung beruhte darauf, daß dieser Schlußsatz das notwendige Endresultat der beiden Eingangsabsätze derselben Dissertation ist. Dieser Aufbau definierte ein bestimmtes Verhältnis zwischen dem Eingang und dem Schluß der Komposition des Buches, die damit der Eröffnung und dem Schluß eines großen Schauspiels entsprachen, welche die Bedeutung des Dazwischenliegenden bestimmen.

Ich lege dem sachkundigen Leser dringend nahe, diesen wesentlichen Aspekt der ganzen Angelegenheit persönlich nachzuvollziehen.2

Auch nach jener Erfahrung hatte ich wieder die Freude, auf ähnliche Entdeckungen von Prinzipien zu stoßen, aber niemals war sie so tiefgehend wie bei diesen beiden ganz fundamentalen Entdeckungen aus dem Werk von Leibniz und Riemann. Selbst Keplers einmalige schöpferische Entdeckung der universellen Gravitation machte weniger Eindruck auf mich, nicht weil sie weniger bedeutend wäre, sondern weil ich zu der Zeit, als ich Keplers Werk zum erstenmal studierte, diese grundsätzliche Vorstellung vom menschlichen Wissen über das Universum schon von Leibniz und Riemann übernommen hatte.

Wer im Lauf der Jahrzehnte mit meinem Standardargument zur Frage der Methode vertraut wurde, der wird sich erinnern, daß ich bei allen entsprechenden öffentlichen Gelegenheiten immer darauf bestanden habe, daß die Realität experimentellen Wissens darin liegt, ein entsprechendes geistiges Konzept zu erzeugen, und nicht in dem, was anderen als Resultat „unterm Strich“ zu dem jeweiligen Thema erscheint. Realität ist nicht, wo jemand an der Endstation vom Straßenbahnschaffner rausgeschmissen wurde; sie liegt in dem Prozeß, wie Sie beispielsweise entdeckt haben, warum gerade dieser Weg zu diesem Ziel führt.

Wie ich weiter unten noch betonen werde, sollte meine gerade berichtete Erfahrung mit diesen von Leibniz und Riemann übernommenen Entdeckungen für uns eine Warnung sein: Gerade in wissenschaftlichen Dinge müssen wir nicht nur über das Gebiet der Mathematik, sondern sogar noch über den viel höheren Bereich der Naturwissenschaften an sich hinausgehen. Wir müssen bis zum eigentlichen Konzept der Existenz des Universums vordringen, von dem unser Verständnis abhängt, warum dieses Universum gerade in dieser einmaligen Weise existiert.

Eine solche Erfahrung ist es, zu erkennen, was Johannes Keplers ureigenste Entdeckung des Naturgesetzes der universellen Gravitation bedeutet.

Während der Jahre vor meiner entscheidenden Erfahrung mit dem ersten umfassenden Verständnis von Riemanns Habilitationsschrift Anfang 1953 hatte ich ähnliche Erfahrungen in anderen Bereichen gemacht, die mit dieser elektrisierenden Lektüre von Riemann vergleichbar waren. Zu diesen Erfahrungen in anderen Feldern gehörte eine gewisse Annäherung an die Poesie von John Keats und Percy Bysshe Shelley, die in der Tat bedeutsam für die Erkenntnis ist, die sich aus dem Schlußsatz aus Riemanns Dissertation ergibt.

Zu diesen bedeutsamen anderen Themen gehörte ganz besonders die großartige Erfahrung des letzten längeren Absatzes von Shelleys Verteidigung der Poesie (In Defence of Poetry), wo Shelley mit dem elegantesten poetischen Ausdruck seine tiefgehenden Ansichten über „die Fähigkeit, die tiefsten und leidenschaftlichsten Gedanken über Mensch und Natur zu vermitteln und aufzunehmen“ zusammenfaßt. Was Shelley hier, in dem gesamten Absatz, schreibt, deckt sich mit meiner ganzen rückwirkenden und fortwirkenden Sicht der angemessenen Organisation unserer versuchten Einsichten in die Dynamik sozialer Prozesse menschlicher Erfahrung und Entwicklung.

Diese Übereinstimmung im Verständnis von grundsätzlichen Fragen der Naturwissenschaft und der großen klassischen Dichtung hat Herz und Verstand meines Bewußtseins seit meiner Jugend bis heute definiert. Wie ich in den beiden Kapiteln nach diesen einleitenden Bemerkungen betonen werde, führt diese lebenslang immer wiederkehrende Erfahrung zum Kern meiner Entschlossenheit, mich persönlich mit größter Leidenschaft für das Wohl kommender Generationen einzusetzen - eingeschlossen die vielversprechenden Erwartungen, die man in einige Teile der gegenwärtigen Generation junger Erwachsener setzen kann.

Eine gewisse Krise der Wissenschaften

So habe ich Mitte der achtziger Jahre bei einer Versammlung an meinem damaligen Wohnsitz Ibykus Farm die anwesenden Wissenschaftler unser internationalen Wissenschaftsvereinigung Fusion Energy Foundation (FEF) schockiert, indem ich darauf beharrte, daß man die Probleme in der Physik, mit denen wir damals konfrontiert waren, mit Hilfe einer eingehenden Beschäftigung mit den Einzelheiten von Keplers Entdeckung der universellen solaren Gravitation angehen sollte. Ich stellte dazu meine Argumentation in den Kontext des Gebietes meiner besonderen Kompetenz als wohl schon damals weltweit führender physikalischer Ökonom. Meine Kompetenz in einer Riemannschen physikalischen Wirtschaftswissenschaft war bereits erwiesen. Die meisten der Versammelten bei diesem Treffen waren wütend darüber, daß ich diese Methode einführte - mit Ausnahme des berühmten Professor Robert Moon aus Chicago, der aus einer etwas älteren Generation stammte.

Die Wut vieler am Tisch damals war im wesentlichen eine Reflexreaktion gegen jeglichen Angriff auf etwas, was sie in wissenschaftlicher oder ähnlicher Hinsicht als absolut sakrosankte Äußerungen des Experten für Schwarze Magie Isaac Newton betrachteten. Für sie war Newton fast so etwas wie ein Heiliger der Rechtgläubigen. Unter diesen Gläubigen waren viele sonst kompetente Wissenschaftler mit großartigen Leistungen, aber trotzdem Opfer einer Indoktrination schon in jungen Jahren in der Schule, weil man um diese zweifelhafte englische Kreatur herum eine Art schäbiges Kultritual geschaffen hat.

Im Rückblick auf die etwas über zwanzig Jahre seit diesem Treffen der FEF betrachtet, habe ich damals bei meiner Argumentation in jeder Hinsicht vollkommen richtig gelegen. Die entsprechenden Fakten, in jüngster Zeit wiederholt nachgeprüft, belegen, daß meine Argumentation damals uneingeschränkt gültig war.3 Tatsächlich stellte sich heraus, als das Thema bei zwei folgenden Treffen erneut aufkam und die Wut sich wieder äußerte (wenn auch deutlich schwächer), daß solche Irrtümer unter den damaligen und auch heutigen Wissenschaftlern im wesentlichen daher rühren, daß die Wissenschaftlergeneration, die aus den Veteranen des Zweiten Weltkriegs hervorging, so gut wie nichts von Keplers Werken studiert hatte. Die meisten von ihnen wußten praktisch nichts davon, wie die tiefgründigsten Fragen der neuzeitlichen Wissenschaft, die durch Entdeckungen wie die Keplers gestellt werden, über die Jahrhunderte in böser Absicht verdrängt wurden - entgegen der Docta Ignorantia des eigentlichen Begründers der modernen Wissenschaft im 15. Jahrhundert, Kardinal Nikolaus von Kues.4

Der gleiche, inhärent zerstörerische Fehler meiner Kritiker in der FEF und anderswo in den achtziger Jahren wie heute liegt darin, daß sie den Verleumdungen der Newton-Sekte über Kepler folgen. Der Einfluß dieses reduktionistischen Kultes, der auf Wenck, Zorzi (Giorgi), Fludd und Sarpis Lakaien Galileo zurückgeht, ist als Tradition heute vorherrschend, und das gewöhnlich in bösartigerer Form als früher. Dieser närrische Kult ist eine Tradition geworden, geprägt vom Einfluß einer noch weit größeren Dekadenz, die sich in jüngster Zeit in den Dogmen und Schriften maßgeblicher akademischer Institutionen angesammelt hat. So schlimm waren die Auswirkungen auf die Wissenschaft und die wissenschaftliche Ausbildung, wie man am ramponierten Zustand der höheren Bildung heute feststellen muß, nachdem die meisten Vertreter der drei ältesten Generationen, einschließlich der zwei vor meiner eigenen, dahingeschieden sind.

Diese drei Generationen verkörperten eine gewisse Qualität relativer wissenschaftlicher Kompetenz, die weitgehend verloren gegangen ist und heute vor ihrer endgültigen Auslöschung steht. Diese drei älteren Generationen, deren Existenz als Gruppe man im wesentlichen etwa vom Beginn des 20. Jahrhunderts an datieren kann, bargen in sich noch eine gewisse „Vor-68er“-Kompetenz. Dieser Sachverstand war noch vor einer Generation unter Fachleuten verhältnismäßig weit verbreitet (wenn auch manchmal etwas epistemologisch angeschlagen), bevor die anhaltend zersetzenden Auswirkungen des Aufstandes von 1968, des dionysischen Kultes vom „nachindustriellen“ Zeitalter der „Globalisierung“, fast alles andere überwältigt haben.5

Das besonders Bemerkenswerte an diesem immer rascheren moralischen und intellektuellen Niedergang wissenschaftlicher und verwandter Einrichtungen ist, daß er auf mehrere frühere Stufen hin zum Niedergang der wissenschaftlichen Lehre folgte bzw. daraus hervorging. Die wichtigsten Marksteine hiervon waren am Ende des 19. Jahrhunderts die „Mechanik“ des Positivisten Ernst Mach und seiner unmittelbaren Nachfolger sowie später der numerologische Irrsinn der Sekte von Bertrand Russell und Anhängern von Russell erbärmlicher Principia Mathematica wie Norbert Wiener und John von Neumann.

Der Kult von Existentialismus und Dekonstruktion hätte sich nicht bis zu seiner derzeit vorherrschenden Form der Unmoral ausbreiten können, wenn die natürliche Widerstandskraft der Vernunft nicht in dieser Weise korrumpiert worden wäre. Dieser geistige Verfall, der sich etwa in solchen grundsätzlichen Einwänden gegen Kepler äußert, geht typischerweise auf ein Phänomen zurück, das Friedrich Schiller mit Recht abfällig als „Brotgelehrte“ bezeichnet. Zum Beispiel bestand für die Generation, die zur Zeit Präsident Trumans oder später die amerikanischen Universitäten besuchte, das hauptsächliche Anliegen gewöhnlich darin, einen Titel zu ergattern und den Weg zu einer Karriere nach dem Abschluß zu ebnen. „Wahrheit? Ja natürlich“, hieß es, „wann immer möglich - aber wenn man nicht seine Karriere aufs Spiel setzen will, muß man sich anpassen.“ Ein Sophismus in der Art der Hohepriester des alten Babylon war immer das schlimmste an den Nachahmern jener Gesellschaft der Antike.

Diese Form des Verfalls des akademischen Betriebes in den Naturwissenschaften geht weiter und immer weiter, heute schlimmer als früher. Auf einige besonders üble Auswüchse konnte man kürzlich beim Lehrkörper der Universität Harvard stoßen, aber Korruption ähnlichen Kalibers ist heute in allen maßgeblichen Institutionen vorherrschend.6

Diese Korruption existierte also zwar schon in milderer Form vor zwanzig und mehr Jahren unter sonst fähigen Wissenschaftlern, doch in der heutigen wissenschaftlichen Praxis, unter der „68er“-Pest des verrückten sogenannten „Umweltschutzes“, sind die Aussichten für echten Sachverstand häufig katastrophal.

Unter den älteren Vertretern, selbst unter den gleichen Kreisen, die noch heute mit mir verbunden sind, sieht man keinerlei Anzeichen für neue Wellen von Kompetenz in der Wissenschaftsmethode in den USA oder Westeuropa. Etwas anders ist es nur mit dem unabhängigen Typ junger Erwachsener im Studentenalter, wie die Gruppe, die in letzter Zeit an wissenschaftlichen Projekten mitwirkte (das sog. „Basement-Team“). Am schlimmsten sind gewöhnlich einige der digitalisierten Anhänger der „Informationstheorie“.7

Wie manche sagen würden, die über den Zustand der Weltwirtschaft heute nachdenken:  „Arschkriechen mag einem akademische Ehren und (vorübergehend) hochbezahlte Anstellungen einbringen, aber es fördert nicht das Verständnis der nahen Zeitenwende.“

In einer klinischen Studie über Richtung und Ausmaß des Niedergangs der naturwissenschaftlichen Lehre, z.B. über die letzten rund 40 Jahre oder mehr, dürfen wir auf keinen Fall die Verlagerung im Charakter der Volkswirtschaft übersehen: weg von einer produktiven Wirtschaft, hin zu einem „nachindustriellen“ Zustand allgemeiner intellektueller und moralischer Verkommenheit von Geist und Gewohnheiten in der realwirtschaftlichen Praxis der Leute, die in unserer heutigen Wirtschaft als die „besten Fachleute“ gelten.

Zu Kues’ Zeit und zu unserer Zeit

Der Verfall der herrschenden Meinung und Praxis unter Akademikern und ähnlichen Fachleuten heute ist also Teil des allgemeinen Verfallstrends in den gesellschaftlich akzeptierten Standardmeinungen. Dieser Abwärtstrend drückt sich etwa in der Ansicht aus, es gäbe keine Möglichkeit, die Zivilisation vor der jüngsten, sich beschleunigenden nachindustriellen Zerstörung, die sich nun der letzten Auflösungsphase nähert, zu bewahren. Abgesehen von der Frage, die ich Mitte der achtziger Jahre aufbrachte - die Rückkehr zu einer kompetenten allgemeinen naturwissenschaftlichen Praxis, wie Kepler sie gründen wollte -, scheint es heute für die nächsten Generationen nur eine geringe Chance auf zivilisiertes Leben auf diesem Planeten zu geben.

Aber auch wenn das eben Gesagte eine wahre Aussage über die Weltlage ist, bin ich kein Pessimist. Ich warne nur, daß ein neues Finsteres Zeitalter der Menschheit auf dem ganzen Planeten heute praktisch unvermeidbar ist, wenn wir mit der Wirtschaftsreform, die ich für die Menschheit anstrebe, keinen Erfolg haben.

Wir hatten in der Vergangenheit finstere Zeitalter, und wir haben uns davon wieder erholt. Die Renaissance des 15. Jahrhunderts, die mit dem Konzil von Florenz 1439 und dem Werk des Kardinals Nikolaus von Kues verbunden war, ist das wichtigste Beispiel.

Im weiteren Sinne steht Filippo Brunelleschi, der als erster das naturwissenschaftliche Prinzip der Kettenlinie auf den Entwurf des Kuppelbaus der Florentiner Kathedrale Santa Maria del Fiore anwandte, beispielhaft für alle Bereiche moderner Naturwissenschaft. Ein noch viel wichtigeres Beispiel sind die grundlegenden Beiträge des Kardinals Nikolaus von Kues, dessen De Docta Ignorantia alle methodischen Bedingungen für die moderne Naturwissenschaft einführte. Luca Pacioli und sein Schüler Leonardo da Vinci führten Kues’ Vermächtnis mit einigen brillanten Fortschritten weiter, aber die allgemeine Praxis der neuzeitlichen Naturwissenschaft an sich gründet auf den Methoden des Kues-Anhängers Kepler, so wie dieser sie in der Weltharmonik beschrieben hat: seine ureigenste Entdeckung des universellen Naturgesetzes der Gravitation, nach dem unser Sonnensystem geordnet ist.

Die Universalität von Kues’ Geist forderte eine außergewöhnliche experimentelle Entdeckung eines universellen Naturgesetzes, die der weitblickenden Perspektive dieses Geistes genügen würde. Die einzigartige Entdeckung von Johannes Kepler, daß in unserem Sonnensystem ein universelles Gravitationsprinzip herrscht, lieferte dieses erfolgreiche Experiment.

Vor diesem historischen Hintergrund erhält Keplers Entdeckung eines allgemeinen Prinzips der Gravitation, wie in seiner Weltharmonik dargestellt, heute eine außerordentliche Bedeutung. Diese besondere Bedeutung wurde neu bekräftigt, als Albert Einstein betonte, daß jede kompetente Naturwissenschaft heute von dem Verständnis dieses schöpferischen Aktes des Genies Keplers abhängt.

Dagegen ist die Behauptung, Isaac Newton habe die Gravitation entdeckt, nicht nur typisch für die großen wissenschaftsfeindlichen Schwindel der Neuzeit, sie beweist auch, wie dumm und korrupt selbst einige der vermeintlich am besten ausgebildeten Persönlichkeiten heute sein können.

Nachdem dies gesagt ist, will ich jetzt meinen jungen Mitstreitern die Ehre abtreten, die sie sich für ihre erneute, ausführliche Darlegung der Bedeutung von Keplers Entdeckung verdient haben. Ich habe mehrere Jahrzehnte lang immer wieder auf Keplers Werk verwiesen. Meine jungen Mitstreiter haben es in ihrer Arbeit unabhängig davon getan. Die Aufgabe, die ich mir hier gestellt habe, sind bestimmte wichtige Anmerkungen, die zum Kristallisationspunkt der eigentlichen Argumentation hinführen; den Schwerpunkt bildet dabei die Begründung dafür, daß man den Ursprung der Wissenschaft auch heute noch in der klassischen Poesie von zwei früheren Erwachsenengenerationen findet.

Weiter unten werde ich hier die entscheidende und zugleich am wenigsten verstandene Eigenschaft von Keplers Entdeckung eines Naturgesetzes der universellen Gravitation zusammenfassen. Im Anschluß daran folgt, damit inhaltlich verwandt, eine Zusammenfassung der Begründung, warum es absurd ist, zu glauben, es gäbe irgendeine kategorische Trennung zwischen Naturwissenschaft und kompetent ausgeführter Komposition in der klassischen Kunst.

In Rücksicht auf mein Alter verfasse ich diesen Bericht und überlasse es nachfolgenden Generationen von vielversprechender Begabung, weiterzugeben und zu bereichern, was wir bislang in dieser doppelten Hinsicht erreicht haben.

            wird fortgesetzt


Anmerkungen

1. Bernhard Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen, 1854.

(Anmerkung des Übersetzers: Die ursprüngliche Fußnote betrifft vor allem die Behandlung des deutschen Textes im Englischen.)

2. Um die Wirkung, die ich bei dieser Gelegenheit empfand, nachzuerleben, lesen Sie die zwei Eröffnungsabsätze von Riemanns Dissertation und dann springen Sie zu dem Schlußsatz, mit dem er endet. Dann, nachdem Sie dies auf sich haben wirken lassen, lesen Sie, was dazwischen liegt. Wie im klassischen Drama, Dichtung und der klassischen Komposition nach den Prinzipien von J.S. Bach bestimmt der Raum, in dem die Entwicklung stattfindet, das Ergebnis des darin Entwickelten.

3. Wie die Argumentation der Empiristen des 18. Jahrhunderts wie D’Alembert, Euler und Lagrange gegen Leibniz’ Kalkulus belegt, erlaubt der Empirismus im Grunde keine explizite mathematischen Darstellung der Wirkung universeller Naturgesetze auf den gesamtgesellschaftlichen Prozeß. Die heutzutage gelehrte Mathematik erlaubt keine ernsthafte Betrachtung der Rolle universeller Naturgesetze - die Finanzbuchhaltung und damit einhergehende Wirtschaftspraktiken veranschaulichen diesen Punkt. Das war ein wesentliches Hindernis für viele Fachleute, die versucht haben, die Wirkung von Entdeckungen naturwissenschaftlicher Prinzipien auf die Steigerung der realen Produktivität wissenschaftlicher Investitionen in Beschäftigung, Infrastruktur und anderen Schlüsselbereichen zu berechnen. Ich schlug dazu vor, daß man sich mit den naturgesetzlichen Auswirkungen wissenschaftsgestützter Entwicklungsprogramme („Crashprogramme“) befaßt.

4. Zunächst bei John Wencks De Ignota Litteratura (etwa 1442/43) aber später kamen die Angriffe auf Kues’ Begründung der modernen Naturwissenschaft von einem Mann, der ansonsten als venezianischer Eheberater des englischen König Heinrich VIII. berühmt wurde, Francesco Zorzi (alias Francesco Giorgio). Während dieser Zeit war Zorzi maßgeblich daran beteiligt, den europäischen Frieden zwischen Spanien, Frankreich und England zu beenden. Die dritte bemerkenswerte Attacke kam aus den Kreisen von Paolo Sarpi. Die neueren Einwände gegen das Werk von Kues und Kepler kopieren die Angriffe der Anhänger des mittelalterlichen Irrationalisten William of Ockham im Kreis um Paolo Sarpi, den Begründer des modernen Empirismus.

5. Die „Geburt“ dieses „68er-Phänomens“ liegt bei den neuen Tiefen moralischer und intellektueller Verderbtheit im Zusammenhang mit der aus London gesteuerten Gründung des radikal existentialistischen (d.h. dionysischen) Kongresses für kulturelle Freiheit in Europa und Theodor Adorno und Hannah Arendt in den USA.

6. Bezüglich Harvard siehe www.larouchepac.com

7. Der Fortschritt der systemischen Entartung in der Entwicklung der europäischen Wissenschaftsmethode verlief vom ursprünglichen Empirismus von Paolo Sarpi und dem Schwindler Galileo über den Aufstieg des mechanistischen Betrugs, wie er mit dem Positivismus eines Ernst Mach verbunden ist, bis zum Tiefstpunkt des radikalen Reduktionismus, wie ihn die Numerologie solcher Anhänger des quasi satanischen Bertrand Russell wie Professor Norbert Wiener und John von Neumann verkörpert.

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Kreativität in Kunst und Wissenschaft
- Neue Solidarität 49/2008
Schriften von Lyndon H. LaRouche 1981-2006
- Internetseite des Schiller-Instituts
Was Lyndon LaRouche wirklich sagt
- Internetseite der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo)
Internetseite des LaRouche-Aktionskomitees
- in englischer Sprache

 

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