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Neue Solidarität
Nr. 36, 5. September 2012

Helmut Schmidt im Volkstheater

Klare Worte. Werner Zuse berichtet von einem Auftritt des Altbundeskanzlers in München.

Christian Ude, der Münchner SPD-Oberbürgermeister, möchte nächstes Jahr bayrischer Ministerpräsident werden und hat in diesem Jahr bereits seinen Wahlkampf begonnen. So traf er sich am 28. August medienwirksam im Münchner Volkstheater mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt.

Wie erwartet, war die Veranstaltung, für die man Karten zu 20 Euro kaufen mußte, schon lange vorher ausverkauft. Von Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt erwarten sich die Bürger gerade in den gegenwärtig unsicheren Zeiten eine Orientierung. Dem wurde Helmut Schmidt auch gerecht. Der Abend war ein historischer Rückblick auf eine Auswahl von wichtigen Ereignissen aus dem politischen Leben von Helmut Schmidt. Ude stellte hierzu eine Reihe von Fragen, und die Zuhörer durften die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht von Helmut Schmidt erfahren.

Nach einigem Smalltalk über Rauchen, Genossen und Schmidts Verhältnis zu den Bayern und zu den bayrischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz Josef Strauß kam man allmählich auf die wichtigen Themen. Schmidt sagte, sein Verhältnis zu Strauß sei insgesamt ambivalent gewesen, aber Strauß habe alles getan, um Gelder nach Bayern zu bekommen, um dort Forschung und neue Industrien ansiedeln zu können. Die Grundlage für die Industrialisierung Bayerns sei aber bereits Ende des Zweiten Weltkrieges gelegt worden, als wichtige Firmen in Berlin entschieden hätten, ihre Sitze möglichst weit von den Russen weg zu verlegen. So habe Siemens seinen Sitz nicht nach Erlangen verlegt, wo man bereits vorher geforscht und produziert hatte, sondern gleich bis nach München. Zusammen mit der Politik von Leuten wie Strauß habe das dazu geführt, daß Bayern, das bis 1988 aus dem Länderfinanzausgleich Geld bekommen habe, seit 1989 zu einem Geberland geworden sei.

Ude zitierte dann einen Satz, den man Helmut Schmidt zuschreibt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Schmidt antwortete, wenn er gewußt hätte, wie dieser Satz benutzt würde, um ihn immer wieder in Gegensatz zu dem angeblichen Visionär der SPD, Willy Brandt, zu bringen, hätte er ihn nicht gebraucht. Vision könne zwei Bedeutungen haben: 1. Wunschtraum und 2. Konzeption für die Zukunft. Die zweite Bedeutung brauche man auch in der Politik.

Einen großen Raum der Diskussion spielte dann auch die Zeit des Doppelbeschlusses in den Jahren ab 1979. Ude gehörte damals zu den Menschen, die in Bonn gegen den Doppelbeschluß demonstrierten. Schmidts Forderung dem Ausbau der SS-20-Raketen im Osten mit der Aufstellung der Pershing-2 im Westen zu begegnen bzw. mit deren Aufstellung zu drohen, falls der Osten nicht seine SS-20 wieder abbauen würde, hätte zu dem ersten Abrüstungsvertrag nach den 2. Weltkrieg, dem INF-Vertrag, im Jahre 1987 geführt. Gorbatschow, den er häufig treffe, habe ihm bestätigt, daß dieser Doppelbeschluß den Wandel der Sowjetunion, die Rüstungsspirale umzukehren, eingeleitet habe. Er bedauere es, daß dies in Rußland von vielen anders gesehen und die Leistung Gorbatschows immer noch nicht richtig verstanden würde.

Ude sprach dann auch das Thema der Euro- und Finanzkrise an. Schmidt habe in seinem Buch Außer Dienst behauptet, der Euro sei stabiler als die D-Mark. Schmidts Antwort hierzu erregte ein ungläubiges Raunen im Publikum. Der Beweis ist laut Schmidt, daß die Deutschen die Gläubiger Europas seien. Sie hätten einen riesigen Leistungsbilanzüberschuß bei der EZB angesammelt, der Deutschland zu einem noch größeren Gläubiger als selbst China und Japan mache. Die innere und äußere Kaufkraft des Euro sei besser als die der D-Mark.

Als Ude mit der Inflationsgefahr des Euro nachhakte, entgegnete Schmidt: „Die Inflation ist bei 2%, die Arbeitslosigkeit aber bei 6%, stellenweise für junge Menschen sogar bei bis zu 20%.“ Dies mache ihm mehr Sorgen als die Inflation.

Ob die Währungsunion der politischen Grundlage entbehre, wollte Ude wissen. Dem könne er zustimmen, antwortete Schmidt. Der Euro sei 1992 in Maastricht ins Leben gerufen worden, dort sei der Fehler passiert: Man habe keinen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen, und deshalb seien wir heute mit drei Problemen konfrontiert - einer Staatschuldenkrise, einer Bankenkrise und einer Konjunkturkrise

Wir stehen heute vor einem dicken Problem!

Solle man nun auf das Verfassungsgericht warten, oder brauche man einen Führer, um das Problem zu lösen, wollte Ude wissen. Heute gebe es nicht mehr Führer wie de Gaulle oder Churchill, wendete Schmidt ein. - Solle man deshalb nachverhandeln, oder solle man Länder rauswerfen? - Für neue Verträge habe man keine Zeit, dies dauere zu lange, und die Krise verlange nach einer Lösung. Er beneide Angela Merkel nicht um ihre Arbeit, entgegnete Schmidt.

Dann kam Ude auf den Begriff Raubtierkapitalismus zu sprechen, und auf die Frage, wie man das Problem der Abkopplung der Finanz- von der Realwirtschaft lösen könne. Jetzt wurde es interessant, denn was Schmidt jetzt sagte, kennen Sie sicher seit Jahren von der BüSo: Er forderte eine Regulierung des Finanzsystems. In den USA habe es bis Ende der neunziger Jahre eine Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken gegeben. Heute seien Geschäftsbanken auch Investmentbanken und damit Spekulanten. In den USA hätten die Finanzmanager heute wieder so viel Macht wie vor der Lehmann-Brothers-Pleite. 2008 habe die Konferenz der größten Industrienationen beschlossen, die Finanzmärkte zu regulieren, aber nichts sei geschehen. Großbritannien und die USA seien gegen eine Regulierung, und Großbritannien sei auch Mitglied der EU. Er stellte die Frage, ob Europa den Willen habe, eine Regulierung auch gegen diesen Widerstand durchzusetzen. Auch beim Problem der riesigen Vorstandsgehälter in der Finanzbranche sei die Frage, ob man den politischen Willen und die Kraft habe, eine Änderung durchzusetzen. Außerdem sei dies auch ein Problem der generellen Verfassung unserer Gesellschaft.

In Deutschland gebe es das System der Volks- und Raiffeisenbanken und der Sparkassen. Dieses System funktioniere immer noch. Das Problem liege bei deren Verbänden. So sei der Sparkassenverband auch Miteigentümer der Landesbanken. Nachdem deren Aufgabe als Clearingstelle für die Sparkassen weggefallen sei, habe man nicht gewußt, was nun mit dem Geld zu tun sei, und habe mit dem Spekulieren begonnen. In Deutschland brauche man nur zwei Großbanken, die Deutsche Bank und die Commerzbank, und zusätzlich vielleicht ein oder zwei Landesbanken. Das genüge.

„Souveränität ist ein entscheidendes Prinzip des Völkerrechts“

Ude sprach dann auch noch das Thema der Menschenrechte und wie man z.B. mit China umgehen solle. Ob man die wirtschaftlichen Verbindungen zur Verbesserung der Menschenrechte einsetzen solle? Falls man dies tue, antwortete Schmidt, könnten wir vielleicht nur noch mit 20 der 200 Staaten der Welt handeln. Außerdem sei dies eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes. Die Souveränität sei ein entscheidendes Prinzip des Völkerrechts. Dies dürfe nicht ausgehöhlt werden. Überall wolle man sich dauernd einmischen: In Libyen, in Syrien, in Iran oder woanders. Die Deutschen sollten lieber etwas bescheidener auftreten.

Ude wollte auch noch wissen, was Schmidt zum aktuellen Präsidentschaftswahlkampf in den USA zu sagen habe? Schmidt zögerte, darauf eine Antwort zu geben. Er wolle sich nicht in innenpolitischen Fragen einmischen. Mitreden dürfe man aber bei den Fragen, die uns auch beträfen, wie den Finanz- und Wirtschaftsfragen und der Frage von Krieg, die das Bündnis insgesamt betreffen, z.B. was mit Syrien oder Iran geschehen solle. Als Ude mit der Gesundheitsreform von Obama nachhakte und erwähnte, daß der Republikaner Romney bei einem Wahlsieg Obamas Reform rückgängig machen wolle, kam dann doch noch eine Antwort: Die Reform von Obama sei nicht ausreichend. In 40 Jahren würden die Afro-Amerikaner und Hispanier in den USA die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Sie seien die Armen der USA. Sie würden sicher dann auch einen gerechten Anteil an der Volkswirtschaft verlangen. Die Frage, ob die USA schneller als China einen wirklichen Sozialstaat schaffen könnten, sei die Frage der Zukunft.

Erfreulich war die Veranstaltung auch in dem Sinne, daß kein Wort zu Ökologiefragen fiel, obwohl Ude sicher dieses Thema gerne angesprochen hätte. Ob dies Schmidt verlangt hatte, bleibt aber nur Vermutung. Weiter zeigte selbst Schmidt ein mangelndes Verständnis, was die Realwirtschaft betrifft. Angesichts des wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Realwirtschaft in immer mehr Ländern der EU hätte er sonst sicher nicht den Euro verteidigen können. Was hilft es, der Gläubiger Europas zu sein, wenn die Realwirtschaft immer mehr kollabiert, so daß diese sogenannten Schulden an uns sicher nicht zurückgezahlt werden können, was sie wohl auch von vornherein nicht sollten?

Werner Zuse