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Am 18. Oktober protestierten in Griechenland erneut mehr als 80.000 Gewerkschaftsmitglieder gegen die Zerstörung ihres Lebensstandards durch die EU und den IWF. In Spanien und Portugal wird für den 14. November ein Generalstreik vorbereitet, und die beiden großen griechischen Gewerkschaften der öffentlichen und privaten Wirtschaft haben angekündigt, aus Solidarität an dem Tag ebenfalls einen neuen Generalstreik zu organisieren.
Praktisch geht es bei diesen Protesten um Leben und Tod. Denn noch brutaler als die Senkung der Realeinkommen um 50% durch Kürzungen und höhere Steuern ist die Zerstörung des Gesundheitswesens. Nach dem dramatischen Fall Griechenland werden jetzt in Portugal Kürzungen vorbereitet, die im wörtlichen Sinn mörderisch sind, und es tobt dort darüber eine heftige öffentliche Debatte.
Portugals größter Gewerkschaftsdachverband CGTP-IN antwortete jüngst scharf auf ein Gutachten des „Nationalen Ethikrates für die Lebenswissenschaften“ (CNECV), der im September geraten hatte, daß die Regierung - etwa bei HIV-Infektionen, Krebs und Rheumaerkrankungen - den Zugang zu teuren Medikamenten einschränken „kann und soll“, und diese Empfehlung mit der „Weltfinanzkrise“ und der Vereinbarung mit der EU-Troika begründete. Der CGTP-IN bezeichnet dies als „inakzeptabel und völlig unmenschlich“ und als Verletzung der Menschenwürde. Es verstoße gegen die Verfassung, ein unveräußerliches Recht wie das Recht auf Leben rein wirtschaftlichen Kriterien unterzuordnen. „Wie kann man eine Entscheidung für ethisch halten, wenn man einem Menschen praktisch sagt: Ich werde dich nicht behandeln, weil du ohnehin sterben wirst und es sich nicht lohnt, das Geld für dich auszugeben? Oder daß man Medikamente nicht bekommt, weil sie sehr teuer sind und man schon alt ist und sich das nicht mehr lohnt?“
Die Proteste weiten sich rasch aus. Am 17. Oktober kündigten die Soldatenverbände für den 10. November eine Demonstration in Lissabon an, die Polizeigewerkschaften könnten sich anschließen. In der Ankündigung heißt es, die von der Regierung auf Druck der Troika beschlossenen Kürzungen seien verfassungswidrig und ein „gewalttätiger Angriff auf die Lebensbedingungen der Portugiesen“. Die Militärs betonen in ihrem Aufruf, sie würden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um „das Vaterland und die Verfassung zu verteidigen“.
Ein potentiell richtungsweisender Schritt an einer anderen Front ist ein Urteil des Europäischen Ausschusses für soziale Rechte im Europarat, das am 19. Oktober veröffentlicht wurde. Zwei arbeitsrechtliche Reformen, die in Griechenland auf Druck der Troika beschlossen wurden, werden darin als Verstöße gegen die Europäische Sozialcharta gebrandmarkt. Zwei griechische Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes hatten gegen diese 2010 beschlossenen Maßnahmen - die Verlängerung der gesetzlichen „Probezeit“, in der Arbeitnehmer fristlos gekündigt werden können, auf ein Jahr und die Kürzung des Mindestlohns für Arbeitnehmer unter 25 Jahren auf 2/3 des nationalen Mindestlohns, wodurch diese unter die Armutsgrenze fallen - geklagt.
Der Vorsitzende des Ausschusses, Luis Jimena Quesada, sagte: „Dieses Urteil stellt die Illegalität der betreffenden Maßnahmen fest, worauf man sich in den nationalen Rechtswesen berufen kann.“ Der Ausschuß selbst kann das Urteil nicht vollstrecken, kann es aber an den Ministerrat des Europarats (47 Länder) verweisen, der dann die Mitgliedsstaaten aufruft, die betreffenden Gesetze zu korrigieren.
eir