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Neue Solidarität
Nr. 51, 19. Dezember 2012

Der Euro zwischen Wirtschaft und Recht

Von Giuseppe Guarino

Giuseppe Guarino, Professor emeritus der Universität La Sapienza in Rom und Mitglied der Accademia dei Lincei, war Mitglied italienischer Regierungen als Industrieminister und Finanzminister.

Der Vertrag über die Europäische Union (EUV, oder Vertrag von Maastricht) hatte ein nachhaltiges Wachstum angekündigt. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, und von Wachstum ist keine Spur zu sehen.

In den vierzig Jahren von 1950 bis 1991 betrug das Durchschnittswachstum des französischen BIP 3,86%. In den ersten sechs Jahren des EUV verringerte sich das Wachstum auf 2,61% und in den folgenden dreizehn Jahren auf 1,61%. Der Durchschnitt für Deutschland in den vierzig Jahren war 4,05%, in den ersten sechs Jahren des EUV 2,09% und in den folgenden dreizehn Euro-Jahren 1,32%. Was soll man mehr dazu sagen?

Die am 6. Dezember 2011 in Kraft getretene Verordnung 1175/2011, § 8, stellt anhand der gesammelten Erfahrung förmlich fest, daß „während des ersten Jahrzehnts der Wirtschafts- und Währungsunion Fehler gemacht wurden“.

Diese Verordnung 1175/2011 ist ein ordentlicher Rechtsakt, an deren Erlaß die EZB, die Parlamente der Mitgliedsstaaten, das Europaparlament und der Europarat mitgewirkt haben. Sie alle haben also zugegeben, daß Fehler begangen wurden.

Wer hat die Fehler gemacht und wann? Ein Fehler geschah durch die Verordnung 1466/97, deren Hauptakteur die EU-Kommission gewesen war. Die Verordnung 1466/97 trat am 1. Januar 1999, dem Tag der Einführung des Euro, in Kraft. Sie blieb dreizehn Jahre gültig, bis zum 6. Dezember 2011. Die Verordnung steht zum Vertrag wie ein einfaches Gesetz zur Verfassung. Ein Gesetz kann die Verfassung nicht ändern. Ein einfaches Gesetz, das bewußt und direkt die Verfassung ändern soll, ist nicht nur unrechtmäßig, sondern grundsätzlich ungültig und im Grunde genommen subversiv.

Das war es, was 1999 geschah. Die Verordnung 1466/97 hat ein neues Prinzip eingeführt, das sich in einen direkten und grundlegenden Gegensatz zum Vertragsrecht setzte. Art. 104 c) des EUV (die berühmte Maastricht-Regel) legt das Verhältnis Verschuldung/GDP auf 3% fest. Die Verordnung 1466/97 verpflichtete die Staaten zu einem ausgeglichenen Haushalt. Art. 104 c) des EUV gewährt den Staaten das Recht auf die Möglichkeit, sich bis zu 3% jährlich zu verschulden. Die Verordnung hat die 3% durch 0% ersetzt. Eigentlich eine „subversive“ Handlung.

Der Lissaboner Vertrag hat im Art. 126 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) den Art. 104 c) des EUV wörtlich wiedergegeben und ihn als von Anfang an ununterbrochen geltendes Gesetz übernommen. Dennoch hat die Kommission weiterhin, contra legem das Prinzip des Haushaltsausgleichs angewandt.

Die Disziplin des Art. 104 c) EUV und des Art. 126 AEUV war ein Produkt der jahrzehntelangen, besser, jahrhundertelangen Erfahrung aller fortgeschrittenen Staaten der Welt. Wenn festgestellt wird, daß ungenutzte oder nutzbare Produktionsfaktoren vorhanden sind, muß der Staat, um davon Gebrauch zu machen, über eine Marge von Verschuldungskapazität verfügen.

Am 1. Januar 1999 spürten alle Staaten, die sich zum Euroeintritt qualifiziert hatten, den Zwang, dem sie durch die Konvergenzdisziplin unterworfen worden waren. Vitale Faktoren der Volkswirtschaft waren verloren gegangen. Hätten die Staaten über die 3% Verschuldungskapazität verfügt, hätten sie diese Faktoren zurückgewinnen können. Der Zwang zum Haushaltsausgleich hat die Fähigkeit der Staaten blockiert, wieder zu Kräften zu kommen, und hat eine Depressionsspirale verursacht.

Die Verordnung 1175/2011, welche die Irrtümlichkeit der Ver. 1466/97 feststellte, hat letztere zwar abgeschafft; aber die neue Verordnung ist sofort auf Eis gelegt worden, um Platz für Maßnahmen zu schaffen, die eine frühe Anwendung des Fiskalpakts darstellten. Die Lage wurde dadurch immer verworrener. Der [jetzt eingeführte] Fiskalpakt wiederholt nicht nur, sondern verschärft noch die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich. Er macht den Gegensatz zu Art. 126 AEUV noch krasser. Der Fiskalpakt als völkerrechtlicher Vertrag hat keine Autorität in Sachen Euro. Art. 126 darf nur durch die Prozedur nach Art. 48 EUV (Lissabon) geändert werden. Um die Verwirrung noch größer zu machen, heißt es im Text des Fiskalpakts, er sei nur unter der Bedingung der Übereinstimmung mit den eigentlichen Europäischen Verträgen gültig. Diese Übereinstimmung gibt es aber nicht. Der Fiskalpakt ist damit nicht anwendbar. Trotzdem wird seine Beachtung verlangt.

Der Euro ist eine Reservewährung. Sowohl die wichtigsten Zentralbanken als auch Geschäftsbanken haben Euroreserven. Fast alle europaweiten Geschäfte werden in Euro abgewickelt. Die Unrechtmäßigkeit des Ausgleichsprinzips, die durch den Fiskalpakt und die ihm entsprechenden Gesetze verursachte Verwirrung beeinträchtigt die internationale Rolle der Währung. Falls sich die Märkte der in der Verwaltung des Euro begangenen Fehler und des Mangels einer klaren und festen Rechtsbasis bewußt werden, kann das unglaublich schwere Folgen haben. Die Staaten haben durch die Gewährleistung von Art. 126 AEUV (Lissabon) die Pflicht, über die 3%-Marge bei den jährlichen Ausgaben zu verfügen. Die EU-Organe sind förmlich und unwiderruflich verpflichtet, zu erklären, daß die Staaten zu einer Verschuldungskapazität von bis zu 3% berechtigt sind und daß Art. 126 AEUV mit strenger Sorgfalt beachtet wird.