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Neue Solidarität
Nr. 19, 8. Mai 2013

Aus dem Tagebuch einer spanischen Emigrantin des 21. Jahrhunderts

Die spanische Astrophysikerin Amaya Moro-Martin setzt sich ein für die Erhaltung der wissenschaftlichen Forschung und Entwicklung in Spanien, die aufgrund der Haushaltskürzungen bedroht ist. Sie übermittelte der Konferenz des Schiller-Instituts eine längere Grußbotschaft. Wir bringen Auszüge.

Ich streife derzeit durch die Wüsten von Sonora und Mohave im Südwesten der Vereinigten Staaten. Ihre eingeborenen Bewohner leben in Indianerreservaten und sind beschränkt auf Regionen mit begrenzten natürlichen Ressourcen. Eine scheinbare Unabhängigkeit erlaubt es ihnen, einige Gesetze zu ändern, sodaß Kasinos und der Verkauf von Tabak, also Aktivitäten, die in den übrigen Teilen der USA streng reguliert sind, die Grundlage ihrer prekären Wirtschaft bilden.

Ich muß dabei an Eurovegas denken, den gigantischen Komplex von Kasinos und Golfplätzen, die Las Vegas Sands bei Madrid errichten will. Um sich diesem Unternehmen anzubiedern, will die spanische Regierung die Einwanderungs- und Arbeitsgesetze aushöhlen, die Tabakgesetze ändern und großzügige Steuernachlässe erteilen.

Ich denke dabei an jenen Doktor der Biologie, einen früheren Mitarbeiter des Spanischen Nationalen Forschungsrates, den das spanische Arbeitsamt jüngst zu einer Fortbildung geschickt hat, damit er Croupier wird. Welche Ironie, daß das Schicksal des Volkes dieses Landes, das einst zu Neuspanien gehörtem, und unser Schicksal im alten Spanien möglicherweise in einem Spielautomaten zusammenkommen...

Ich mache diese Reisen nicht zum Spaß. Ich bin Wissenschaftlerin und ich suche Arbeit. Ich arbeite für den Spanischen Nationalen Forschungsrat und meine befristete Anstellung endet in wenigen Monaten. Es gibt tausende Forscher wie mich. Aber wir sind unsichtbar. Die jüngsten Äußerungen des für Forschung und Entwicklung zuständigen Abgeordneten der spanischen Regierungspartei klingen mir noch in den Ohren: „Es gibt keinen Brain-drain, das ist bloß ein unbegründetes Klischee.“

Ich denke an das letzte unserer zahlreichen Treffen im Kongreß mit ihm und den „jungen“ Wissenschaftlern, die dabei waren: Diego ist gerade nach Australien gegangen, Andy hat ein Angebot in Brasilien, und ich bewerbe mich in Nordamerika um Arbeitsstellen...

Der Spanische Forschungsrat hat in den letzten 15 Monaten 1208 Wissenschaftlerstellen verloren, 205 allein im Januar und Februar 2013, und die einzige Maßnahme, die die spanische Regierung ergriffen hat, um diesen Brain-drain zu stoppen, ist, Umschulungen zum Croupier anzubieten. Es gibt zuviele Wissenschaftler und zuwenige Croupiers. In einem Brief an das Magazin Nature schrieb der spanische Staatssekretär im Juni 2012: „Das spanische Forschungssystem ist nicht groß genug, um die Bezahlung von mehr Forschern als gegenwärtig zu rechtfertigen.“

Wissenschaftler, die in Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt, und die Zahl der neuen permanenten Wissenschaftlerstellen, die zu besetzen sind, wurde immer weiter zusammengestrichen, von 681 im Jahr 2007 auf 15 im Jahr 2013... Wenn man so tut, als könne die Wissenschaft den Stillstand überleben, der durch diese drastischen Haushaltskürzungen erzwungen wird, ist das so, als bitte man jemanden, eine Stunde lang den Atem anzuhalten... Sie zerreißen die Zukunft unserer Kinder und machen daraus Kasinochips - buchstäblich. Die Steuernachlässe, die derzeit für Las Vegas Sands erwogen werden, könnten die Größenordnung des gesamten Jahresbudgets der Fördergelder für Forschung und Entwicklung erreichen.

In der gerade beschlossenen Spanischen Strategie für Wissenschaft, Technologie und Innovation werden die drastischen Kürzungen der letzten Jahre in Forschung und Entwicklung nicht erwähnt, ihre Wirkungen werden nicht eingeschätzt und es werden keine Maßnahmen vorgeschlagen, um der Vernichtung des Wissens entgegenzuwirken. Sie führt nicht einmal die menschlichen und finanziellen Ressourcen auf, die kurz- und mittelfristig für Forschung und Entwicklung zur Verfügung gestellt werden sollen...

Diese sogenannte Strategie ist mehr als bloßes Wunschdenken. Vielleicht auf Anweisung der Chicagoer Schule der Ökonomie, sieht sie den Transfer der Ressourcen aus der Grundlagenforschung des öffentlichen Sektors in Innovationen des privaten Sektors vor. In welchen privaten Sektor? In den, der schon, als die Wirtschaft noch blühte, nicht in Forschung und Entwicklung investierte? Und was für Innovationen wären das? Die Grundlagenforschung bildet den Grundbaustein allen wissenschaftlichen Fortschritts, und dieses magische Wort Innovation wird ohne den wissenschaftlichen Fortschritt, der im öffentlichen Sektor erreicht wird, nirgendwohin führen. Und, noch grundlegender: Die spanische Regierung sollte berücksichtigen, was für unsere Gesellschaft wichtig ist, und nicht nur, was für die Aktienmärkte von Wert ist. Wie will man den Wert der Suche nach Leben auf anderen Planeten oder einer Kur für eine seltene Krankheit finanziell bewerten?

Wir haben eine Lobby für die Wissenschaft aufgebaut, die die gesamte Wissenschaftsgemeinde vertritt, zusammen mit der Konföderation wissenschaftlicher Gesellschaften, der Konferenz spanischer Universitätskanzler, zweier großer Gewerkschaften und der Föderation junger Wissenschaftler. Hat die Regierung auf unsere Warnungen vor der unwiderruflichen Zerstörung eines Forschungssystems gehört, das in vier Jahrzehnten aufgebaut wurde? Absolut nicht.

Ich erhebe meine Augen von meinem Laptop und sehe eine öde Landschaft. Eine Werbetafel wirbt für ein nahegelegenes Kasino...