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Neue Solidarität
Nr. 25, 19. Juni 2013

Entscheidung für die Demokratie oder für eine EU-Diktatur?

Karlsruhe. Beim gegenwärtigen EZB-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geht es vor allem um die Demokratie.

Nur auf den ersten Blick geht es beim laufenden Verfahren über den ESM und die EZB bei den Anhörungen am 11. und 12. Juni vor dem Bundesverfassungsgericht um rechtliche Einzelaspekte dessen, was die beiden Euro-Institutionen dürfen und was nicht, ob die EZB zum Beispiel Staatsanleihen kaufen darf oder nicht. Es geht, wie bei den vorhergehenden Verfahren, um die Grundfrage: haben demokratische Strukturen und Traditionen in den EU-Mitgliedsländern Vorrang, gelten deren Verfassungen oder sind dies überkommene Rechtsbestände, die durch „Europa“ und die Euro-Rettungserfordernisse zweitrangig geworden sind?

Letzteres ist das Argument der Euro-Regierungen, die gezielt die „absolute Unabhängigkeit“ der EZB gegenüber jedem nationalen Recht betonen und das Karlsruher Gericht am ersten Anhörungstag am 11. Juni davon überzeugen wollten, das gesamte Verfahren als angeblich „nicht zulässig, da EU-Rechte berührend“ einfach abzuweisen. Dem sind die Richter nicht gefolgt, sie wollen den Fall eingehender prüfen.

Prüfen allein, auch durch intensive öffentliche Anhörungen beider Seiten, reicht aber nicht. Darauf wies schon Dietrich Murswiek, Rechtsvertreter des Klägers Peter Gauweiler (CSU) in seinen Ausführungen am 11. Juni hin. „Diese mündliche Verhandlung ist ein historischer Moment“, sagte Murswiek. „Das Urteil, welches das Bundesverfassungsgericht aufgrund dieser Verhandlung sprechen wird, könnte sich als das bedeutsamste Urteil seit Jahrzehnten und für Jahrzehnte erweisen. Es geht um nicht weniger als die Demokratie in Europa.“ Durch die von den Anhängern des Euro gefeierten EZB-Marktinterventionen gehe die „Demokratie vor die Hunde“, fügte er hinzu, anscheinend „rechtfertigt der ökonomische Erfolg alles - selbst wenn dieser Erfolg trügerisch sein mag und sich als bloßes Hinausschieben der Probleme erweisen könnte“. Die EZB sei „nicht demokratisch, sondern expertokratisch legitimiert“, stellte Murswiek fest, und es sei „absolut inakzeptabel, wenn die EZB den Bundeshaushalt mit hohen Milliardenrisiken belastet, ohne daß der Bundestag dazu befragt wird.“

Nun sei „der Punkt gekommen, an dem das Bundesverfassungsgericht seine eigenen Maßstäbe anzuwenden hat“, mahnte Murswiek. „Die bisherige Linie der Euro-Rechtssprechung bestand darin, allerlei Warnzeichen aufzustellen, Begrenzungen einzubauen, aber im übrigen der Politik grünes Licht zu geben - die berühmten ,Ja-aber-Urteile’. Diese Linie kann jetzt nicht mehr weitergezogen werden. Der Senat steht vor den Grenzen, die er zuvor selbst formuliert hat. Das ist der historische Moment. Jetzt hilft kein ,Ja-aber’ mehr. Jetzt ist ein klares Nein gefordert.“

Jedem sei klar, fuhr Murswiek fort, „welchen Aufschrei es an den Finanzmärkten geben wird, wenn das Bundesverfassungsgericht so entscheidet, wie es nach Lage der Dinge zu entscheiden hat. Der Erwartungsdruck ist horrend. Aber würde die Demokratie vor den Banken kapitulieren, dann wäre sie verloren... Der Rechtsstaat darf dem Druck nicht weichen, der ja nicht wie ein Naturereignis über uns kommt, sondern von den Akteuren der Finanzmärkte erzeugt wird.“ Wenn das Gericht sich nicht gegen den Druck der Märkte stemme, verabschiede es sich selbst als Akteur auf der europäischen Bühne, warnte Murswiek, der zwar das Wort „Diktatur“ nicht erwähnte, dessen Worte aber trotzdem deutlich waren.

Das Diktaturthema wurde auch von zwei weiteren Klägervertretern angesprochen: Andreas Fisahn (Linke) und Marcus Kerber (Europolis) wiesen die Argumente der Pro-Euro-Seite, die „besonders kritische Situation“ an den Finanzmärkten rechtfertige sogar Maßnahmen, die nicht durch das Recht gedeckt seien, entschieden zurück. Fisahn sagte, das führe direkt zurück zu Carl Schmitt, zu dessen Ideen von Notstandsregimen auf Kosten der Demokratie, und Kerber wies besonders auf Schmitts Heidelberger Schriften hin, in denen er mit der Behauptung, ein Notstand lasse sich nur überwinden durch eine neue, von den bisherigen Institutionen losgelöste Institution, die die Macht für die Dauer des Notstands haben müsse. Damit hat Schmitt in den 30er Jahren die Diktatur der Nazis zu rechtfertigen versucht.

Somit liegen die Karten unübersehbar auf dem Tisch. Entweder das Gericht entscheidet sich für ein „Nein“ zur Aushöhlung der Demokratie und der Bürgerrechte durch die EU, Eurozone, EZB und ESM, oder es läßt die Bürger und die Demokratie im Stich. Wo sonst, wenn nicht in Karlsruhe, bei den obersten Richtern der Bundesrepublik, könnten denn die Bürger noch die Einhaltung ihrer Rechte einklagen, mahnten mehrere Klagevertreter in der Anhörung. Mit ihrem Urteil, das wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl ergeht, tragen die Richter eine hohe Verantwortung. Aber werden sie dieser auch gerecht werden?

Rainer Apel