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Neue Solidarität
Nr. 15, 9. April 2014

Die Mär vom Bär

Eine Fabel über den russischen Bären

Lange Jahre lebte der Oberbär im Osten mit der orthodoxen Kirche in Frieden. Das Leben für die Bären war hart, aber es gab auch Bemühungen, ihr Los zu verbessern. Der Oberbär hieß damals Zar.

Die Geldwechsler im Reich der bösen Königin einer kleinen Insel im Norden Europas hatten jedoch andere Pläne. Deshalb schickten sie zwei Agenten mit Koffern voll Geld in das verschneite Land des Bären. Geld, das ihnen ein gewisser Herr Jakob Schiff besorgt hatte. Mit diesem Geld fiel es den Herren leicht, viele Bären und Bärinnen im Bärenreich davon zu überzeugen, daß es Zeit wäre, den Zarenbär um einen Kopf kürzer zu machen. Auch die Jungbären der Familie wurden nicht verschont.

Alle Bären waren nun gleich. Viele Jahre glaubten die Bären dies, aber als alle immer ärmer und gleicher wurden und einige immer reicher, wollten die Bären den Vorhang lüften. Die böse Königin, die unterdessen „Merry Witch of Windsor“ hieß, überlegte fürsorglich mit Uncle Sam und den Geldwechslern, welche Zukunft man den Bären bescheren wolle. Man suchte einen geeigneten Oberbären und fand einen, dem man das Fell schon so über die Ohren gezogen hatte, daß man ihn hinfort immer an seinem Kainsmal auf der Stirn erkennen sollte. Dieser Oberbär sprach von Erneuerung und Öffnung und machte den Freunden der Königin und des bunten Onkels viele Geschenke, weshalb die Vögel im Westen liebliche Lieder über ihn anstimmten. Die Bären liebten diesen Oberbären jedoch nicht, denn die Geschenke machten die armen Bären noch ärmer. Dieser Oberbär lebt heute im Land der Merry Witch, denn im neuen Bärenreich ist er nicht willkommen.

Aber es kam noch schlimmer für die Bären. Der nächste Oberbär wurde trunken, ob seines Verrats an seinen Mitbären. Er verramschte alles, was den Bären gehörte, die Schätze unter den Bärentatzen ebenso wie die Fabriken der Bären. Die Freunde von Uncle Sam und der Merry Witch nahmen, was sie konnten. Den Bären blieb nicht einmal mehr ihr Stolz. Der Oberbär wurde krank vom Feuerwasser, mit dem er doch nur vergessen wollte. So endete die Zeit der Tanzbären am Gängelband des Westens.

Da wollte es die unergründliche Vorsehung, daß ein unscheinbarer, junger Bär Oberbär wurde, den niemand so recht einschätzen konnte. Er war zwar kein Yogi-Bär, aber ein Judo-Bär. Dieser Oberbär war klug. Er merkte, daß die Bären nicht mehr Herr im Bärenland waren. Und er warf einige Freunde der Witch und von Uncle Sam ins Gefängnis. Das machte jene nicht froh, und forthin sangen die Vögel im Westen nur noch böse Lieder über den Bären Vladimir Vladimirowitsch, der es gewagt hatte, das schwarze Gold wieder dem Bärenstaat einzuverleiben. Die Bären waren der Meinung, dieses schwarze Gold gehöre dem Bärenvolk, und sie unterstützten ihren Oberbären.

Doch das Bärenland war noch schwach und der neue Oberbär vorsichtig. Er beschloß, mit bäriger Beharrlichkeit das Bärenland aufzubauen. Eines Tages waren die Schatzkammern des Bärenlandes wieder voll mit goldenem Honig, und der Oberbär schickte die Pleitegeier des IWF weg, womit das Bärenland frei von Schulden war.

In den Ländern der Merry Witch und von Uncle Sam sowie ihrer Brüsseler Schafhirten sah es nicht gut aus. Sie hatten Rechenmaschinen gebaut, die in Sekundenbruchteilen Dinge kaufen und verkaufen können, und manchmal verkauften und kauften sie gar nur noch Zahlen. Viele Schafe im Süden, die nicht zum Clan der Zahlenzauberer gehörten, mußten bitter erfahren, daß sie die Zahlen, die andere verdienen, nicht essen können.

Die Bären hielten das für verrückt. Es gibt natürlich auch Zahlenzauberer unter den Bären, die gerne mit der Merry Witch Tee trinken, aber sie sind in der Minderzahl. Diese Bären erhalten viel Hilfe von Uncle Sam, der Organisationen hat, die er NGOs nennt, die den Bären die Demokratie bringen. Aber wie Uncle Sam es auch anstellte, er wurde den zähen Oberbären nicht los. Ja, zu seinem Verdruß wurde der Oberbär immer beliebter bei seinen Mitbären, da Mut und Aufrichtigkeit unter Bären mehr geschätzt werden als bei den Schafen des Westens, die sich gerne von der leeren Hoffnung trügen lassen.

Da die Merry Witch und Uncle Sam nicht nur leere Hoffnungen verbreiten, sondern auch leere Kassen haben, schaffen sie immer mehr Luftgeld und schnüren aus diesem Luftgeld Rettungspakete, nicht etwa für die vielen Schafe in ihren Ländern, die immer dünner werden, nein, für die Geldwechsler mit ihren Rechenmaschinen, damit sie wieder Dinge kaufen und verkaufen können, die es nicht gibt. Auf diesem sich immer schneller drehenden Karussell schwindelt es die Merry Witch, ob des Abgrundes, der sich unter ihren Füßen auftut. The Queen is not amused.

Die Bären hingegen verstanden, daß sie nicht ewig nur vom schwarzen Gold leben konnten, und begannen zu forschen und die Bärenindustrie zu fördern. Sie wandten sich dem Großen Drachen im Osten zu, dem das Verhalten der Witch und des Onkels auch immer mehr Sorgen machte. Die Bären und der Große Drache begannen hinfort zusammenzuarbeiten, gemeinsam in der Erde zu buddeln und die Drachen- und Bärenkräfte zu vereinen. Aus dem Süden hörten die beiden schon das Trompeten des Weisen Elefanten herannahen und unweit zog der Persische Phoenix seine Kreise.

Die Merry Witch wurde da ganz unfroh. Aber sie, Uncle Sam und die Zahlenzauberer hatten schon lange einen Plan in der Schublade. Es war kein besonders kluger Plan, aber das machte nichts, denn Uncle Sam hatte schlagende Argumente, um auch einen weniger klugen Plan durchzusetzen. Der Plan lautete so:

Die Schafsköpfe, so hießen die obersten Politiker im Schafsenat, nannten das Erstschlag-Kapazität. Der Plan war einfach und logisch.

So machten sie sich auf den Weg und begannen mit der Eroberung der Länder der Wüstensöhne und der Töchter des Halbmonds. Es war Frühling unter dem Halbmond, doch die Früchte des Sommers sollten Uncle Sam gehören und die verdorrten Ähren des Winters den stolzen Wüstenfüchsen.

Anfänglich glaubten die meisten Schafe im Westen noch die betörenden Lieder der Vögel von der Demokratie, den Menschenrechten und der Freiheit, denen sie täglich in allen Winkeln ihrer Länder lauschen konnten. Doch je näher der Onkel an den Persischen Phoenix rückte, desto mehr streiften auch im Westen die Politiker ihre Schafskostüme ab und entdeckten ihre Löwenherzen.

Manche der stolzen Wüstensöhne waren zudem nicht käuflich und erwiesen sich als äußerst zäh. Zum ersten Mal sagte nun auch der Oberbär auf seine den Bären eigene trockene Art in seiner Bärensprache „Njet“.

Der Plan der Witch und des ollen Onkels schien zu scheitern. Sie tobten, aber der Oberbär brummte nur abweisend. Nun wollten sie aufs Ganze gehen. Wie sie es schon oft gemacht hatten, setzten sie auf die von ihnen in vielen Ländern ausgebildeten Revolutionsschafe. Diese Schafe sind farbig. Es gab rosenfarbene, weiße, grüne und orangene Revolutionsschafe. Diesmal wollten sie ganz nah ans Bärenreich herankommen, und so gingen sie ins Land der alten Bärengenossen im Westen des Bärenreiches. Dorthin, wo die orangenen Revolutionsschafe schon einmal gescheitert waren. Diesmal mußten es fettere Farbschafe sein. Widder genügten nicht, es mußten echte Wölfe im Schafspelz sein. Und so zeigten sich Uncle Sam und die Witch großzügig und unterstützten die Wölfe im durchsichtigen Schafspelz unter dem Banner des Hakenkreuzes. Jene Wölfe, die schon im zweiten großen Krieg mit dem germanischen Oberwolf kollaboriert und viele Bären auf dem Gewissen hatten.

Der Onkel und seine Brüsseler Schafhirten waren Träger eines großen Friedenspreises im Westen. Doch in einer solchen Notsituation konnten sie nicht wählerisch sein, was ihre Freunde anbelangt. Es mußte schnell gehen, und die Wölfe waren bekannt dafür, keine halben Sachen zu machen.

Als der ungeschickte Bruderbär aus dem Westen zum großen Oberbär fliehen mußte, damit ihn die Wölfe nicht zerrissen, übernahmen diese das westliche Bärenreich. Nun wollten viele Westbären lieber zum großen Bärenreich im Osten gehören, wo die Bären doppelt so viel verdienten und die Bärenregierung nicht jedes Jahr wechselte. Sie wollten nicht von den Wölfen regiert werden. Die Krimbären stimmten ab und wollten alle lieber Teil des großen Ostbärenreiches sein. Der große Oberbär dort war kein Bär der leeren Gesten und sagte ja.

Die Witch und der Onkel waren außer sich. Wie sie jetzt dastanden! Gedemütigt von den Bären - vor den Wüstenfüchsen, dem Großen Drachen, dem Phoenix, dem Weisen Elefanten, den Ländern des Condors, den Völkern von Azania, ja, und sogar vor ihren eigenen Schafen!

Die letzte Stufe des Plans sieht vor, daß die Schafheere ihre neusten Feuerschlangen gerade vor den Grenzen des großen Bärenreiches im Osten aufstellen. So hat man die Bären unter Kontrolle, denn die neuen Feuerschlangen sollten alle Bärenspeere abfangen können. Von dort ist es nur ein Katzensprung für die Feuerschlangen direkt ins Herz des großen Bärenreiches, der Stadt mit den Zwiebeltürmen. Das ist die Vision des Friedens der Witch, des Onkels, der Schafhirten, der Geldwechsler und Zahlenzauberer. So jedenfalls der Plan.

Die Wölfe der neuen Regierung im Westbärenreich wollten dem Onkel und der Witch keinen Bärendienst für ihre selbstlose Unterstützung erweisen und baten umgehend um Aufnahme in den westlichen Kriegerclan. Uncle Sam reist nun durch die Länder der Brüsseler Schafhirten, um mit ihnen die Achse des Bösen zu beschwören. So jedenfalls der Plan.

Die Bären hatten unterdessen ihren Stolz wiedergefunden. Der Onkel und die Witch hatten eine rote Linie überschritten. Der Oberbär erinnerte die Bären an ihre lange Geschichte, ihre reiche Bärenkultur und die vielen Bärenarten, die im Bärenreich meist gut zusammengelebt hatten. Er verbündete sich auch mit der orthodoxen Bärenkirche - nicht wie seine Vorgänger, die darin bloß einschläfernden Rauschhonig sahen. So waren die Bären geeint.

Unter den Oberhirten der riesigen Schafheere gibt es aber auch einige kluge, die wissen, daß die Bären Bärenspeere haben, die von den Feuerschlangen nicht abgefangen werden können und daß das große Feuer nicht zwischen Bären, Schafen und deren Hirten unterscheiden wird. Viele in den Ländern des Westens merken, daß sie keine in der Wolle gefärbten Schafe sind und scheren ihren Schafspelz, um Farbe zu bekennen. So war das nicht geplant.

René Machu, 25.3.2014