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Von Peter Møller
Peter Møller befaßte sich beim Frankfurter Schillerfest am 29. November mit der politischen Bedeutung des Erhabenen.
Guten Abend, Ich möchte über Schillers Konzept vom Erhabenen sprechen, und warum es für die heutige Weltlage wichtig ist.
Die derzeitige strategische Lage hält uns in einer fast unerträglichen Spannung: Auf der einen Seite droht die Eskalation zu einem thermonuklearen Weltkrieg, bei der die menschliche Gattung sehr wahrscheinlich ausgelöscht werden würde; auf der anderen Seite, die Möglichkeit, daß der Mensch sich endlich von den oligarchischen Ketten befreit, und sein volles, kreatives Potential zum Ausdruck bringen kann.
Welchen Weg die Menschheit wählt, scheint von nur wenigen Faktoren abhängig zu sein - und das sind nicht Obama oder Merkel.
Woran liegt es, daß die meisten Menschen gerade dieser Spannung aus dem Weg gehen?
Aus Furcht kapitulieren sie - schon bevor sie angefangen haben, zu kämpfen.
Man hört: „Ach, ich möchte mich damit nicht befassen!“ - „Ach, das wird schon irgendwie! Laß uns abwarten!“ - „Nein, so schlimm wird es nicht.“ - „Das geht mich nichts an - ich bin unpolitisch!“
Solche Aussagen gab es auch in anderen Zeitaltern, und man wird damit auch in Schillers Dramen konfrontiert. In einigen dieser Dramen, wie z.B. Wilhelm Tell oder Johanna von Orleans, stellt er dieser passiven Haltung das Konzept des Erhabenen gegenüber.
Und kein anderer hat dieses Konzept so in die Tiefe ausgearbeitet wie Schiller. In seinem Aufsatz Über das Erhabene schreibt er über die beiden Triebe des Menschen:
Der erste Trieb ist der Existenztrieb, der auf das Überleben und die Sinneswelt gerichtet ist.
Der zweite Trieb ist auf Erkenntnis, auf das Vorstellungsvermögen, die Vernunft ausgerichtet; wir wollen die Welt verstehen.
Schiller definiert das Erhabene auf folgender Weise:
„Erhaben nennen wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsere sinnliche Natur ihre Schranken, unsere vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit, ihre Freiheit von Schranken fühlt: gegen das wir also physisch den Kürzeren ziehen, über welches wir uns aber moralisch, d.i. durch Ideen erheben.“
Der Mensch ist in der Lage, sich von Umständen - selbst dem Tod - unabhängig zu machen, d.h. unser Wille macht uns frei.
Das Erhabene bewirkt in uns eine Kraft, uns selbst von der sinnlichen Abhängigkeit zu befreien, und es rührt nur von der inneren Freiheit des Geistes, weil jeglicher physischer Widerstand vergeblich ist.
Es setzt also einen höheren Geisteszustand voraus, wo die moralische Sicherheit über der physischen Sicherheit steht.
Weiter schreibt er:
„Gegen alles, sagt das Sprichwort, gibt es Mittel, nur nicht gegen den Tod. Aber diese einzige Ausnahme, wenn sie das wirklich im strengsten Sinne wäre, würde den ganzen Begriff des Menschen aufheben. Nimmermehr kann er das Wesen sein, welches will, wenn es auch nur einen Fall gibt, wo er schlechterdings muß, was er nicht will.“
Als ein lebendiges Beispiel für einen solchen Charakter, der selbst den Tod überwindet, möchte ich Sophie Scholl von der Weißen Rose erwähnen.
In den Flugblättern, welche die Weiße Rose heimlich im Dritten Reich verteilten, riefen sie zum passiven Widerstand auf, aber sie griffen auch die Haltung der Bevölkerung auf schärfste an.
Aus einem Flugblatt:
„Wenn das deutsche Volk schon so in seinem tiefsten Wesen korrumpiert und zerfallen ist, daß es, ohne eine Hand zu regen, im leichtsinnigen Vertrauen auf eine fragwürdige Gesetzmäßigkeit der Geschichte das Höchste, das ein Mensch besitzt und das ihn über jede andere Kreatur erhöht, nämlich den freien Willen, preisgibt, die Freiheit des Menschen preisgibt, selbst mit einzugreifen in das Rad der Geschichte und es seiner vernünftigen Entscheidung unterzuordnen - wenn die Deutschen, so jeder Individualität bar, schon so sehr zur geistlosen und feigen Masse geworden sind, dann, ja dann verdienen sie den Untergang.“
Die Geschwister Sophie und Hans Scholl wurden erwischt, als sie in der Münchner Universität Flugblätter verbreitet haben, und von den Nazis festgenommen. Nicht lange danach, wurden sie hingerichtet. Sie sind für die Würde und Freiheit des Menschen, und für ein besseres Deutschland gestorben.
In dem sehenswerten Film mit dem Titel Sophie Scholls letzte Tage gibt es eine interessante Szene eines Dialogs zwischen Sophie und dem Ermittler der Nazis. In diesem Verhör geht sie durch verschiedene Phasen. Erst versucht sie die Beschuldigungen abzustreiten. Dann, als die Beweise unwiderlegbar werden, handelt sie nicht mehr für sich selbst, sondern um ihre Mitverschwörer zu schützen, und sagt aus, daß Hans und sie alles selbst gemacht haben, und keiner sonst darüber Bescheid wußte. In dem Film bekommt der Ermittler Mitleid mit ihr und bietet ihr an, daß sie doch sagen könnte, Hans hätte sie überredet. Somit würde sie eine mildere Strafe erwarten und dem Tod entgehen.
Sophie antwortet aber: „Nein, Herr Moor, weil es nicht stimmt! Ich würde es genau so wieder machen, denn nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß ich das Beste für mein Volk getan habe. Ich bereue das nicht, und ich will die Folgen dafür auf mich nehmen.“
Sie hatte also die Gelegenheit, ihr Leben zu retten, aber ist lieber als wirklich freier Mensch gestorben, und wir empfinden ihre Tat und ihr Festhalten an höheren Prinzipien als erhaben - „auch wenn, oder gerade weil ihr Tod uns als Sinneswesen Furcht einflößt“.
Schiller sagt:
„Wir fühlen uns frei bei der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frei beim Erhabenen, weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen andern als seinen eigenen Gesetzen stünde.“
Wenn wir uns mit dem Erhabenen in der Kunst beschäftigen, gibt es uns die Möglichkeit, diese Qualität des Charakters in uns selbst wahrzunehmen und zu stärken - in gewissem Sinne zu trainieren, weil wir uns in die Personen auf der Bühne hineinversetzen.
Nur wenn eine kritische Masse der Gesellschaft ihre Handlungen auf solch eine Grundlage stellt, kann es die Spannung der heutigen Lage mutig entgegentreten und überwinden und den Kampf für die Menschheit gewinnen.
Vielen Dank.