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Von Kasia Kruczkowski
Beim Frankfurter Schillerfest des Schiller-Instituts am 29. November hielt Kasia Kruczkowski die folgende Festrede.
Das Schiller-Institut arbeitet ja seit über 30 Jahren für eine neue Weltordnung. Um diese Realität werden zu lassen, war von Anfang an klar, daß ein anderes Menschenbild herrschen muß: nämlich der Mensch als einziges kreatives Lebewesen, das universale Prinzipien entdecken und für das Gemeinwohl anwenden und damit die potentielle relative Bevölkerungsdichte und die Energieflußdichte erhöhen kann, welche nach Lyndon LaRouche die beiden wichtigsten Maßstäbe für eine Wirtschaft darstellen.
Wir erleben gerade das Entstehen einer solchen Neuen Welt!
Das Zusammenwirken der BRICS-Nationen offenbart mit ihren neu gesetzten Schwerpunkten der gegenseitigen Entwicklung, des Aufbaus und Dialogs unter souveränen Nationen und Kulturen eine phantastische Alternative für alle Länder, die sich von dem veralteten System der Globalisierung, der Habgier, des Profitdenkens und geostrategischem Imperialismus ein für alle Mal verabschieden wollen.
Für Deutschland ist es eine erfreuliche Notwendigkeit, daran teilzunehmen und unseren Reichtum an Know-how und Fachkräften in allen zukunftsweisenden Technologien mit einzubringen sowie das Potential für die Zukunft der nächsten Generationen voll auszuschöpfen.
Auch wenn uns die meisten darin zustimmen, hört man jedoch sehr oft: „Ach ja, das wäre schön, aber das wird Merkel nie zulassen!“ oder „Ja, aber Deutschland ist doch ein besetztes Land! Wir haben nie unsere Souveränität erhalten!“, Wir können ja nicht frei entscheiden!“
Nun, oft tendieren dieselben Leute zu fragen, warum man sich denn heute mit dem Gedankengut, mit dem Werk eines Mannes beschäftigen soll, der vor über 200 Jahren gelebt und gewirkt hat?!
Aus Schillers Nachlaß stammt ein Gedichtfragment mit dem Titel „Deutsche Größe“, das auf Ende des 18. Jahrhunderts datiert wurde. Das ist die Zeit, als Frankreich unter Napoleon dem Deutschen Reich seine Ohnmacht sehr deutlich demonstrierte - u. a. durch Gebietsabtretungen.
Deutschland war damals keine souveräne Nation, noch nicht einmal ein Staat, sondern zersplittert in viele Fürstentümer, und das sollte ja bekanntlich auch noch eine Weile dauern.
In diesem Fragment entgegnet Schiller trotz dieser Niederlage und Demütigung, daß der Deutsche abgesondert von dem politischen sich einen eigenen Wert gegründet habe:
„So blieb die deutsche Würde unangefochten. Sie ist eine sittliche Größe, Sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, der von ihrem politischen Schicksal unabhängig ist.“
Es gibt über dieses Fragment viele Interpretationen. Häufig wird behauptet, daß Schiller hier die Annahme vertrete, daß die Vollendung des Individuums durch ästhetische Bildung die politische Freiheit ersetze. Dann urteilt man, daß die darauffolgenden beiden Weltkriege bewiesen hätten, daß Schiller falsch lag und demzufolge veraltet sei - „out of date“.
Ganz im Gegenteil: Sie haben bewiesen, daß Schiller recht hatte. Er hat stets in allen seinen Schriften die Überzeugung vermittelt, daß die Ausbildung des Charakters die Voraussetzung der politischen Freiheit, der politischen Emanzipation sei.
Die politische Freiheit war für Schiller nicht eine Frage der Staatsverfassung, ob wir einen Friedensvertrag haben oder nicht, sondern vor allem etwas, das sich aus dem Innern des Menschen, aus der Seele heraus entwickelt.
Nur wenn der einzelne, das Individuum souverän wird, kann es überhaupt Hoffnung geben für eine souveräne Nation.
Das heißt aber nicht, daß alle Bürger frei sein müssen, um die Nation zu befreien - wie die Geschichte der Menschheit so oft zeigte und wie Schiller in seinen Dramen, wie Johanna von Orleans oder Wilhelm Tell besonders eindrucksvoll aufgezeigt hat. Lange bevor es politische Souveränität gab, hatte er den Begriff als Idee in diesen Stücken schon entwickelt und darin verarbeitet, um die Menschen dazu zu erziehen. So läßt er im Rütli-Schwur die Worte sagen:
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last - greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst -
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht.
Schiller verstand wie kein anderer die Möglichkeit - ja gar die Notwendigkeit der Menschenentwicklung - wobei die Ausbildung des Empfindungsvermögens die entscheidende Rolle spielt. Denn auch in Schillers Zeit war es das fehlende Empfindungsvermögen, das den Verlauf der europäischen Geschichte so mißglücken ließ.
Allgemein herrscht heute die Ansicht vor, Menschen sollten ihren Geist bilden und Wissen erlangen. Weniger bekannt ist, daß man genauso auch seine Gefühle erziehen und sie so empfänglicher machen kann. So schreibt er in seinen ästhetischen Briefen zur Erziehung des Menschengeschlechts:
„Nicht genug also, daß alle Aufklärung des Verstandes nur insofern Achtung verdient, als sie auf den Charakter zurückfließt; sie geht auch gewissermaßen von dem Charakter aus, weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden. Ausbildung des Empfindungsvermögens ist also das dringendere Bedürfnis der Zeit, nicht bloß weil sie ein Mittel wird, die verbesserte Einsicht für das Leben wirksam zu machen, sondern selbst darum, weil sie zu Verbesserung der Einsicht erweckt.“ (8. Brief)
Wie wird nun aber das Empfindungsvermögen verbessert? Das Werkzeug dazu ist die schöne Kunst: Er schreibt in einem späteren Brief:
„Umgib [den Menschen] mit edlen, mit großen, mit geistreichen Formen, schließe sie ringsum mit den Symbolen des Vortrefflichen ein, bis der Schein die Wirklichkeit und die Kunst die Natur überwindet.“ (9. Brief)
Mit der Überwindung der Natur meint er die beiden Grundtriebe des Menschen - den sinnlichen und dem geistigen. Zur schönen Seele wird der Mensch erst, wenn er den Kampf zwischen Neigung und Pflicht überwunden hat - diese Aufhebung der Gegensätze erfolgt im ästhetischen Zustand, in den uns die schöne Kunst versetzen kann, weil sie das Universale, das Schöne zu ihrem Objekt macht. Und später schreibt er:
„Der Übergang von dem leidenden Zustande des Empfindens zu dem tätigen des Denkens und Wollens geschieht also nicht anders, als durch einen mittleren Zustand ästhetischer Freiheit, und obgleich dieser Zustand an sich selbst weder für unsere Einsichten noch Gesinnungen etwas entscheidet,... so ist er doch die notwendige Bedingung, unter welcher allein wir zu einer Einsicht und zu einer Gesinnung gelangen können. Mit einem Wort: es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht.“ (23. Brief)
Schönheit ist also die notwendige Bedingung der Menschheit; Schönheit ist die Tochter der Freiheit, denn sie macht uns vollständig. Die Freiheit nimmt ihren Anfang erst, wenn der Mensch vollständig ist und seine beiden Grundtriebe sich entwickelt haben; sie muß also fehlen, solang er unvollständig und einer von beiden Trieben ausgeschlossen ist, und muß durch alles das, was ihm seine Vollständigkeit zurückgibt, wieder hergestellt werden können. (20. Brief)
Was hat das mit der souveränen Persönlichkeit zu tun?
„Je erhabener das Ziel ist, nach welchem wir streben, je weiter, je mehr
umfassend der Kreis, worin wir uns üben, desto höher steigt unser Mut, desto
reiner wird unser Selbstvertrauen, desto unabhängiger von der Meinung der
Welt. Dann nur, wenn wir bei uns selbst erst entschieden haben, was wir sind,
und was wir nicht sind, nur dann sind wir der Gefahr entgangen, von fremden
Urteil zu leiden - durch Bewunderung aufgeblasen, oder durch Geringschätzung
feig zu werden.“
Heute geht man allgemein nur vom sinnlichen Menschen aus oder man hat es überwiegend mit dem sinnlichen Menschen zu tun. Für diesen gilt dasselbe wie für ein Tier. Das einzelne Tier kann mit seinem Tun und lassen keinen Einfluß nehmen auf seine Gattung oder auf deren Zukunft. Wenn uns also ein Mensch sagt, man könne ja eh nichts tun (was eine Auswirkung hätte), hat man im strengen Sinne nicht mit einem sinnlichen Menschen zu tun und nicht mit einem vollständigen. Mit den Menschen hat es etwas auf sich, das ihn absolut über das Tier erhebt- auch wenn die heute herrschende Kultur genau diesen Unterschied unterminiert.
Ein Gemeinwesen wie ein Staat funktioniert nicht, in dem man eine Mehrheit unter wenig entwickelten Persönlichkeiten arrangiert, sondern nur, indem man jedem Menschen ermöglicht, sein ganzes Potential zu entfalten. Und daher, so Schiller, besteht das „vollkommenste aller Kunstwerke“ im „Bau der wahren, politischen Freiheit“. Durch die Veredlung aller Individuen, sodaß immer mehr Menschen sich soweit entwickeln, daß sie ihre Individualität „zur Gattung steigern“, wird der einzelne Mensch zum Staat. Und der zeitgebundene Mensch veredelt sich zum Ideenschöpfer.
Woher sollen die Veränderungen kommen, wenn der Staat korrupt ist und die Massen erschlafft?
Das kann nur die große Kunst leisten! Es ist unsere klassische Kultur, diese sittliche Größe, von der Schiller schrieb, die unabhängig davon ist, ob wir in Sklavenketten liegen oder von der NSA ausspioniert werden. Es ist egal, ob alle anderen um uns herum pessimistisch sind, oder gierig oder Brotgelehrte; es ist egal, solange uns unsere Würde bewußt ist und unserer sittliche Größe unser Denken und unsere Taten bestimmt. Und uns bewußt ist, daß jeder individuelle Mensch - mag er auch noch so uneinsichtig sein - „der Anlage und Bestimmung nach einen reinen, idealischen Menschen in sich“ trägt, dessen Daseinsaufgabe die kontinuierliche Annäherung zu diesem Ideal ist. Zum Abschluß möchte ich mit einem Auszug Über das Pathetische enden:
„Den Menschen moralisch auszubilden und Nationalgefühle in dem Bürger zu entzünden, ist zwar ein sehr ehrenvoller Auftrag für den Dichter, und die Musen wissen es am besten, wie nahe die Künste des Erhabenen und Schönen damit zusammenhängen mögen. Aber was die Dichtkunst mittelbar ganz vortrefflich macht, würde ihr unmittelbar nur sehr schlecht gelingen. Die Dichtkunst führt bei dem Menschen nie ein besonderes Geschäft aus, und man könnte kein ungeschickteres Werkzeug erwählen, um einen einzelnen Auftrag, ein Detail, gut besorgt zu sehen. Ihr Wirkungskreis ist das Totale der menschlichen Natur, und bloß, insofern sie auf den Charakter einfließt, kann sie auf seine einzelnen Wirkungen Einfluß haben. Die Poesie kann dem Menschen werden, was dem Helden die Liebe ist. Sie kann ihm weder raten, noch mit ihm schlagen, noch sonst eine Arbeit für ihn tun; aber zum Helden kann sie ihn erziehen, zu Taten kann sie ihn rufen und zu allem, was er sein soll, ihn mit Stärke ausrüsten.“ (Über das Pathetische)
Also lassen Sie für die Taten uns rüsten, die vor uns liegen und uns selbst in die unendliche Kette, „die durch alle Menschengeschlechter sich windet“ einreihen!