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Neue Solidarität
Nr. 7, 12. Februar 2014

Wo soll das in der Ukraine enden?
Putsch, Bürgerkrieg – oder Dritter Weltkrieg?

Von Helga Zepp-LaRouche

Wenn die schlafwandelnden und desinteressierten Zeitgenossen aufwachen würden, hätten sie die einmalige Gelegenheit, live mitzuerleben, wie sich die Vorgeschichte des Dritten Weltkrieges vor unseren Augen abspielt. Sie könnten - spannender als in jedem Krimi - mitverfolgen, wie einerseits dem gläubigen Publikum die offizielle Version der Ereignisse durch Politik und Medien serviert wird, und wie sich in Wirklichkeit unter der Spitze des Eisbergs der wesentlich größere Unterwasser-Teil der Ereignisse verbirgt, der die Tätigkeit von Geheimdienstagenten, Diplomaten und Gangstern aller Art betrifft.

Den Einblick in diese schmutzige Unterseite der Politik gewährte dieser Tage ein ins Netz gestelltes Youtube-Audio, auf dem ein gut vierminütiger Mitschnitt eines Telefonats zwischen der Staatssekretärin im US-Außenministerium, Victoria Nuland, und dem amerikanischen Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, zu hören war. Frau Nuland ist dort gut zu hören, wie sie Anweisungen gibt, wie mit großem Tempo der ukrainische Oppositionspolitiker Jazenjuk zum neuen Regierungschef gemacht und der von der EU und Merkel favorisierte Klitschko ausgebootet werden soll, und wie das ganze mit Hilfe der UN „zusammengeleimt“ werden soll. Mit den Worten „Fuck the EU“ unterstrich Frau Nuland ihre Entschlossenheit, ihre Pläne an der EU vorbei durchzusetzen. Jemand, vielleicht der russische Geheimdienst, vielleicht ein neuer „Whistleblower“ bei der NSA, veröffentlichte den Mitschnitt des Gesprächs.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann ist der nun erbracht, nämlich für die direkte Federführung der Obama-Administration bei dem Putschversuch gegen die rechtmäßig gewählte Regierung Janukowitsch, eine Operation, in die diverse US-Regierungen in den vergangenen rund 23 Jahren zwischen 20 und 30 Milliarden Dollar investiert haben und für die derzeit nach Schätzungen von Sergej Glasjew - u.a. für die Bewaffnung der Straßenkämpfer - etwa 20 Millionen pro Woche aufgebracht werden, und die in dem derzeitigen auf ein ganzes Spektrum von Nazi- Organisationen setzenden Coup kulminiert. Die Unterstützung von bis zu 10.000 gewaltbereiten Nazis, Hooligans und terroristischen Elementen und deren Aktivitäten über Kiew hinaus im ganzen Land hat zur Spaltung und zum Beginn eines Bürgerkriegs geführt, dessen vorprogrammierte Eskalation das baldige Eingreifen Rußlands provozieren und damit den Vorwand für eine Machtprobe mit Rußland selbst liefern soll. Wenn dieser Weg zur Hölle weiter beschritten wird, können wir in Tagen oder Wochen im dritten, thermonuklearen Weltkrieg enden - ein Krieg, den aller Wahrscheinlichkeit niemand überleben wird.

Wird Rußland zusehen?

Kann und wird Rußland zusehen, bis dieser Bürgerkrieg sich bis an die Grenzen Rußlands ausbreitet und nach Rußland überschwappt, wie es die Financial Times am 2. Februar propagierte? Wie sich das Skript des auf der anglo-amerikanischen Sonderbeziehung basierenden Britischen Empire, alle sich widersetzenden Regierungen durch eine Politik des Regimewechsels zu stürzen, schließlich auch auf Rußland angewandt wird? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.

Der für die Beziehungen Rußlands zur Ukraine verantwortliche Berater Putins, Sergej Glasjew, kommentierte den erneut durch das Nuland-Audio bewiesenen Putschversuch als eine eklatante Verletzung des sogenannten Budapester Memorandums von 1994, das anläßlich der ukrainischen Aufgabe des sowjetischen Nukleararsenals unterzeichnet worden war und in dem die USA und Rußland sich gemeinsam als Verantwortliche für die Sicherheit und Souveränität der Ukraine verpflichtet hatten. Nach diesem Vertrag sei Rußland sogar verpflichtet, in einer Lage wie dieser einzugreifen. Die US-Einmischung hingegen stelle eine klare Verletzung dieses Abkommens ein.

Die aserische Nachrichtenagentur abc berichtete, daß der Werchowna Rada der autonomen Republik der Krim schon am 19. Februar ein Paket von Gesetzen verabschieden könnte, die die Republik in die Lage versetzen würde, sich von der Ukraine abzuspalten und Rußland anzuschließen. Wladimir Klitschnykow, ein Abgeordneter dieses Parlaments, hat bereits einen Appell an den russischen Präsidenten und die russische Duma vorbereitet, zum Garanten für die Unverletzbarkeit des Status der Krim und das Recht und die Freiheit der Bürger zu werden. Klitschnykow begründete diesen Schritt mit der Gefahr, die von der wachsenden Macht der extremen Nationalisten in Kiew ausgehe. Ein weiterer Initiator des Appells, Sergej Zekow, betonte die russische Nationalität, Kultur und Sprache der autonomen Republik, auf der zwar die Repräsentanten vieler Völker friedlich zusammenleben, die aber nur von der Russischen Föderation beschützt werden könnten.

Die bindende Gültigkeit des Budapester Memorandums und der bevorstehende Appell des Parlaments der Krim unterstreichen, daß eine russische Intervention in der Ukraine durchaus eine rechtliche Basis hätte. Daß sie trotzdem zum Vorwand für eine thermonukleare Machtprobe oder schlimmeres durch die gleichen Kräfte benutzt würde, die den Putsch in der Ukraine lancieren, ist Teil des Szenarios.

Kontinuität der Politik

Die Politik der systematischen Einkreisung Rußlands durch die Ostausweitung der NATO und der EU sowie des Regimewechsels stellt dabei eine Kontinuität seit der Auflösung der Sowjetunion dar. Margaret Thatcher und George Bush senior einigten sich damals auf die neokonservative Doktrin, die Welt auf der Grundlage der anglo-amerikanischen Sonderbeziehung als Empire zu regieren. Mit Ausnahme der acht Jahre der Clinton-Administration wurden die USA seitdem von Marionetten-Regierungen dieses Britischen Empires beherrscht: erst Bush senior, dann acht Jahre George W. Bush junior und schließlich fünf Jahre Obama.

Viktoria Nuland steht exemplarisch für die Kontinuität dieser Politik, sie ist verheiratet mit Robert Kagan, einem Mitbegründer der Denkfabrik „Project for the New American Century“ und damit der imperialen Ideologie der Neokonservativen, er war u.a. einer der Propagandisten für den Irakkrieg. Nuland selbst war stellvertretende außenpolitische Beraterin von Dick Cheney, von 2005-2008 US-Botschafterin bei der NATO und Sprecherin des Außenministeriums in der Obama-Administration. Ihre Rolle bei der Vertuschung des Bengasi-Skandals, bei dem es u.a. um Waffenlieferungen an Al-Kaida in Syrien geht, wird derzeit untersucht.

Es ist allerhöchste Zeit, daß die schlafwandelnden und desinteressierten Zeitgenossen den unverhofften Einblick in die Realität dieser imperialen Politik, den uns die Konversation zwischen Frau Nuland und Botschafter Pyatt verschafft hat, dazu nutzen, um aufzuwachen und die Wahrheit hinter der Propaganda zu erkennen. Auf einer kürzlichen Veranstaltung des World Affairs Council in Washington zum Thema „Wohin treibt die Ukraine?“ gaben die ehemaligen US-Botschafter John Herbst und William Courtney sowie die Vizepräsidentin des National Endowment für Democracy (NED), Nadia Diuk, so unglaubliche Lügengeschichten zum besten, daß man vermuten mußte, daß sie gewöhnlich auf der Kanonenkugel des Barons von Münchhausen umherreisen.

Das NED verfügt über ein Budget von 100 Millionen $ jährlich und ist einer der Hauptfinanzierer der 2200 NGOs (!), die in der Ukraine in den vergangenen beiden Jahrzehnten ein russophobes Netzwerk aufgebaut haben. Frau Diuk pries den Maidan als einen „physischen Raum“, in dem der autoritäre Janukowitsch keinen Einfluß habe und in dem der „zivile Sektor“ dominiere, wo man den „Geist des Maidan“ atmen könne und die Menschen trotz kalter Temperaturen ausharrten. Kein einziges Wort über Swoboda und die anderen Neonazi-Organisationen, über Barrikaden, vermummte Sturmtruppen, Besetzungen von Ministerien und Häusern, bewaffnete Angriffe auf die Polizei.

Auf eine diesbezügliche Intervention antwortete Frau Diuk, sie sei gänzlich „uninformiert“, was die Möglichkeit einer Einkreisung Rußlands angehe. Rußland sei doch ein so großes Land, das ein Sechstel der Landmasse der Erde ausmache, das könne man doch gar nicht einkreisen. Vom Swoboda-Anführer Tjagnibok habe sie noch nie ein antisemitisches Wort gehört, und die Demonstranten wollten doch nur ein besseres Leben für ihre Kinder in Europa. Diese Leute lügen mit einer solchen Expertise und Dreistigkeit, daß es nur als schwarze Vorkriegspropaganda verstanden werden kann.

Die versuchte Übernahme der Ukraine muß im Kontext des US-Raketenabwehrsystems und der Doktrin des „Prompt Global Strike“ des gesehen werden, die trotz aller Beteuerungen des Gegenteils die Utopie beinhalten, daß die nuklearen Kapazitäten der Gegenseite durch einen atomaren Erstschlag ausgeschaltet werden könnten. Rußland und auch China - in Bezug auf die Doktrin des „Air-Sea Battle“ - haben unmißverständlich klargestellt, daß sie notfalls ihre Kernwaffenarsenale einsetzen werden. Wenn Deutschland und die anderen europäischen Nationen nicht innerhalb von Tagen oder Wochen in einen thermonuklearen Konflikt hineingezogen werden sollen, den niemand auf diesem Planeten überleben wird, dann muß der faschistische Charakter des Putschversuchs in der Ukraine beim Namen genannt werden.

Vor allem müssen wir aufhören, uns wie Untertanen und Vasallen des Britischen Empires und seiner amerikanischen Marionettenregierung aufzuführen. Aktuelles Beispiel: Clemens Wergin schreibt anläßlich des Nuland-Pyatt-Mitschnitts, für den er natürlich Rußland verantwortlich macht, in Die Welt, man müsse sich „in Europa und der Nato deshalb langsam mit einigen Worst-Case-Szenarios befassen“. Worst Case? Wie wäre es mit der Auslöschung der menschlichen Gattung?

Und dann kommt er zu dem Schluß: „Ähnlich wie schon die Wikileaks-Veröffentlichungen wirft dieser kurze Mitschnitt eigentlich ein gutes Licht auf die amerikanische Diplomatie. Er zeigt, wie Amerika pragmatisch und zielorientiert die Fäden zusammenführt, die UN mit ins Spiel bringt und bemüht ist, die ukrainische Opposition zu einen.“

Wie sagte noch Victoria Unland: „Fuck the EU!“ Offensichtlich gefällt das manchen Leuten.