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Neue Solidarität
Nr. 12, 18. März 2015

„Rußland hat Tausende von nuklearen Sprengköpfen“

In Deutschland entwickelt sich eine öffentliche Debatte über die Konfrontationspolitik der USA und der NATO gegenüber Rußland.

Professor John Mearsheimer von der Universität Chicago, ein Absolvent der US-Militärakademie West Point, der fünf Jahre in der US-Luftwaffe diente, reist derzeit durch Europa, was auch im Zusammenhang mit den Bemühungen steht, die USA von ihrem derzeitigen Kurs in Richtung einer strategischen Konfrontation mit Rußland abzubringen. Am 2. März sprach Mearsheimer in Brüssel, zusammen mit Prof. Stephen Cohen von der Universität Princeton und Katrina van den Heuvel vom Magazin The Nation, bei einer gutbesuchten Veranstaltung zum Thema „Definieren einer neuen Sicherheit für Europa, die Rußland aus der Kälte hereinbringt“, die Gilbert Doctorow vom American Committee for East West Accord organisiert hatte. Unter den Gästen waren auch viele Mitglieder des Europäischen Parlaments. Bei einer anderen Veranstaltung der Gruppe im Dezember 2014 sollte Jack Matlock reden, der unter Präsident Ronald Reagan US-Botschafter in Moskau war und sich klar gegen die Gefahr und den Betrug der derzeitigen Rußlandpolitik der USA und der NATO ausgesprochen hat, er war jedoch verhindert.

Am 4. März war Mearsheimer in Berlin, wo er vor überfülltem Saal in der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach, die mit der Partei Die Linke verbunden ist. Weitere Redner waren der Abgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) aus Aachen und Helmuth Markov, der in Brandenburg unter Matthias Platzeck stellvertretender Ministerpräsident war und derzeit Justizminister ist. Platzeck ist heute Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums.

Prof. Mearsheimer dankte Hunko für die Einladung und machte dann in seinem Vortrag deutlich, daß die westlichen Bemühungen, in der Ukraine u.a. durch Waffenlieferungen und Ausbildung der ukrainischen Truppen eine militärische „Lösung“ durchzusetzen, nicht zu einem Sieg über die Donbaß-Milizen in der Ostukraine führen werden. Die ukrainischen Truppen könnten diesen Krieg nicht gewinnen. „Das ist ein Wunschtraum, der nur dazu führen wird, daß noch mehr Ukrainer sterben.“

Ohne weiteren Kommentar fuhr Mearsheimer fort: „Falls ich mich irre und der Westen hat Erfolg mit seiner Strategie, den Einsatz und die Kosten für Rußland zu erhöhen, dann sollte man sich daran erinnern, daß Rußland Tausende von nuklearen Sprengköpfen hat.“ Die USA seien nicht glücklich über das Minsker Abkommen, ihnen wäre eine Eskalation der militärischen Auseinandersetzung und der Sanktionen gegen Rußland lieber.

Der bekannte amerikanische Rußlandspezialist Stephen Cohen hatte Ende Februar in einem New Yorker Radiointerview ähnlich argumentiert. Die Armee der Ukraine zeige nach der Einkesselung von Debalzewo große Zerfallserscheinungen. Auch Cohen betonte, daß die derzeitige Konfrontation gegen Rußland gefährlicher sei als der Kalte Krieg.

Forderungen der EU lösten den Konflikt aus

Vertreter des Schiller-Instituts besuchten die Berliner Veranstaltung und stellten Fragen zu einer drohenden nuklearen Konfrontation zwischen den USA und Rußland sowie zu der Alternative, die die BRICS-Staaten der Welt anbieten. Sie berichteten, daß sämtliche Redner die Haltung des Westens gegenüber der Ukraine nachdrücklich verurteilten.

Hunko gab einen gründlichen Überblick über die Chronologie der Ereignisse in der Ukraine und erwähnte dabei alle wichtigen Elemente des vom Westen gesteuerten Putschs - daß alle westlichen Regierungen diesen Putsch legitimiert haben, ebenso wie die Sabotage des unter der Leitung von Bundesaußenminister Steinmeier ausgehandelten Abkommens vom 21. Februar 2014. Hunko betonte in seinem Vortrag mehrfach, daß es sich bei diesen Ereignissen nicht um eine Revolution, sondern um einen Putsch handelte, was auch der wissenschaftliche Beirat der deutschen Bundesregierung anerkannt habe. Trotzdem betrachte Deutschland diese Revolte als eine legitime Revolution wie den Fall der Berliner Mauer 1989.

Hunko verwies außerdem auf die Gefahr durch die Kampfgruppen der ukrainischen Nazis, „dem Bandera-Kult in der Westukraine“, die in privaten Armeen organisiert sind - ein Problem, das gelöst werden müsse. Er habe im April 2014 demonstrierende Bergarbeiter in der Ostukraine gefragt, weshalb sie protestieren, und sie hätten ihm geantwortet: „Wegen der Banderistas in Kiew.“

Der entscheidende Auslöser der Eskalation und des Bürgerkrieges sei die ultimative Forderung der EU bei den Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen gewesen, daß die Ukraine sich zwischen Europa und Rußland entscheiden müsse, obwohl die Ostukraine sehr enge wirtschaftliche Verbindungen nach Rußland hatte.

Mearsheimer stellte in seinen Bemerkungen drei Haupttrends unter den politischen Motiven der USA in den Mittelpunkt, die die Krise in der Ukraine auslösten: die NATO-Osterweiterung, die EU-Erweiterung und die „Förderung der Demokratie“. Es sei dumm und gefährlich, Putin trotz seiner vielen Warnungen zu ignorieren oder zu provozieren - vor allem, weil Putin Kernwaffen habe. Er erinnerte an die Warnung des berühmten US-Diplomaten George Kennan, die NATO-Osterweiterung werde „zu einer Krise mit Rußland führen, und wir werden die Russen dafür verantwortlich machen“. Mearsheimer sagte, daß das eigentliche Ziel sei, Putin in einem „Regimewechsel“ zu stürzen und letztendlich China einzudämmen.

Helmuth Markov griff die EU an, weil sie das Assoziationsabkommen mit der Ukraine mit lächerlichen Forderungen wie der Freilassung von Julia Timoschenko verbunden habe. Er begrüßte die BRICS-Entwicklungen. Die Sanktionspolitik gegen Rußland habe zur Folge, daß Rußland die Beziehungen zu China vertieft. Eine Deeskalation nicht nur in der Region, sondern auch für die gesamte politische Atmosphäre sei notwendig, und dazu müsse man die positiven Schritte der OSZE stärken und noch besser koordinieren.

Trotzdem war Markov in Bezug auf das Minsker Abkommen recht optimistisch, während Hunko weniger Hoffnung hatte, weil seit dem Minsker Abkommen noch mehr Sanktionen gefordert werden, was den Prozeß der Zusammenarbeit und des Vertrauens sabotiert.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum sprachen viele die Politik der Regimewechsel und die Gefahr eines Krieges oder sogar Nuklearkrieges an, der sich daraus entwickeln könne. Auf eine Frage zur Gefahr eines Krieges in Europa mit Einsatz von Kernwaffen antwortete Mearsheimer, diese Gefahr sei auch den vernünftigen Leuten in Washington bewußt, aber er glaube nicht, daß es dazu kommen werde. Alle Redner hielten ein nukleares Szenario für unwahrscheinlich, aber sie waren sich auch einig, daß es trotzdem keine gute Idee sei, Putin zu provozieren.

Auf eine Frage des Schiller-Instituts zur Militärdoktrin „Prompt Global Strike“, zur Modernisierung der Kernwaffen und zu Erstschlagskapazitäten der USA mochte keiner der Redner antworten. Eine Äußerung Mearsheimers, die Vereinigten Staaten hätten kein strategisches Interesse in der Ukraine, wohl aber Rußland und Deutschland - ein Thema, das auch in seinem Interview mit Russia Today Deutschland in Berlin angesprochen wurde - wurde nicht von allen richtig verstanden. Er meinte damit, daß die USA als Nation kein objektives strategisches Interesse an der Ukraine haben und deshalb die gegenwärtige US-Politik falsch ist.

Ein Vertreter des Schiller-Instituts fragte nach Obamas Unterstützung für einen Regimewechsel gegen Putin. Mearsheimer erwähnte in seiner Antwort, daß die Erklärung der US-Staatssekretärin für Europäische und Eurasische Angelegenheiten Victoria Nuland, die Vereinigten Staaten hätten für den Regimewechsel in der Ukraine fünf Milliarden Dollar investiert, immer noch auf der Internetseite des Weißen Hauses zu finden sei. Er schloß die Veranstaltung mit einem Appell an die Deutschen, mehr für ihre eigenen Interessen zu tun.

Nilufar Bahadorvand Shehni und Roger Moore