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Neue Solidarität
Nr. 39, 23. September 2015

Die Entwicklung des Mezzogiorno steht wieder auf der Tagesordnung

Von Claudio Celani

Ein Vertreter des Schiller-Instituts sprach am 11. September auf einer Konferenz in Rom über die wirtschaftliche Entwicklung Süditaliens.

Die Kombination der Eröffnung des Neuen Suezkanals, der Flüchtlingskrise im Mittelmeer und eines Berichts über den Niedergang Süditaliens, der im Juli vorgelegt wurde, hat die italienische Politik und die öffentliche Meinung Italiens aufgerüttelt; es herrscht ein neues Bewußtsein, daß man angesichts all dieser Krisen ein Sofortprogramm für den wirtschaftlichen Aufbau braucht. Aber die Schwelle, auch tatsächlich eine politische Entscheidung zur Mobilisierung der notwendigen Ressourcen zu treffen - was bedeutet, die Ketten des derzeitigen Eurosystems abzuschütteln -, ist noch nicht erreicht.

Ende Juli veröffentlichte Svimez, eine Denkfabrik der Regierung für die industrielle Entwicklung des Mezzogiorno, ihren jährlichen Bericht, in dem festgestellt wird, daß Süditalien derzeit einen Prozeß der industriellen Verödung und einen demographischen Niedergang durchlebt. Gemessen am BIP ging die Wirtschaftsleistung in der Zeit von 2001 bis 2014 stärker zurück als in Griechenland, nämlich um 9,4% (gegenüber 1,7%). Das BIP ist sieben Jahre in Folge immer weiter geschrumpft. Zwar wurden alle italienischen Regionen von 2008-14 von der Rezession getroffen, aber insgesamt verlor Süditalien 13% seiner Wirtschaftskraft, während Mittel- und Norditalien „nur“ 7,4% verloren.

Der Kollaps der Industrie ist noch dramatischer: Die Wertschöpfung im Mezzogiorno kollabierte um 45%, gegenüber 17,2% im übrigen Land. Der Bausektor schrumpfte um 38,7%, gegenüber 29,8%.

Dies hat auch einen negativen demographischen Trend ohne Beispiel ausgelöst. 2014 gab es in der Region des Mezzogiorno bei einer Bevölkerung von 20,6 Mio. Menschen nur 174.000 Geburten. Das ist die niedrigste Zahl seit 1862, als der italienische Staat gegründet wurde. „Süditalien wird somit in den nächsten Jahren von einer demographischen Deformation geprägt sein - einem Tsunami mit unvorhersehbaren Konsequenzen - und in den kommenden 50 Jahren 4,2 Mio. Einwohner verlieren“, schreibt Svimez.

Der Bericht, der traditionell allen großen staatlichen Einrichtungen und Institutionen zugestellt wird, löste einen Schock aus. 70 Abgeordnete seiner Demokratischen Partei (DP) unterzeichneten einen Brief an Premierminister Renzi, in dem sie ihn auffordern, sich dieser Probleme anzunehmen. Der Druck auf Renzi kommt von der Basis, da in allen süditalienischen Regionen die DP regiert und sie dort die Gouverneure (Ministerpräsidenten) stellt - auch wenn Italien keine wirklich föderale Struktur hat -, und die sind sich alle in der Forderung nach einem Investitionsplan einig.

Die Chance der Seidenstraße

Diese Gouverneure im Süden haben erkannt, welch einzigartige Chance die Strategie Chinas und der BRICS-Staaten „Eine Straße, ein Gürtel“ ihrer Region bietet. Das zeigte sich mit dem zweiten heilsamen Schock: der Eröffnung des Neuen Suezkanals in Ägypten. „Suez, eine Herausforderung für Sizilien und Kalabrien“, lautete am 6. August anläßlich der Eröffnung des neuen Kanals die Schlagzeile der Zeitung La Gazzetta del Sud aus Messina, der größten Zeitung Kalabriens und drittgrößten Siziliens. So hieß es in der Gazzetta:

Die erste Antwort auf diese Frage kam am 11. September, als in Rom eine wichtige Konferenz unter dem Banner der Demokratischen Partei stattfand, bei der am Vormittag sämtliche „Gouverneure“ Süditaliens sprachen und am Nachmittag ein Expertengremium anhörten. Darunter waren ein offizieller Vertreter des Schiller-Instituts und eine Gruppe entschlossener Kämpfer für wirtschaftliche Entwicklung unter der Führung von Prof. Enzo Siviero, einem bekannten Brückenbauer und Unterstützer des Schiller-Instituts.

Der Vortrag des Vertreters des Schiller-Instituts, Massimo Lodi Rizzini, konzentrierte sich auf die Bedeutung eines Kreditsystems für den Ausbau der Infrastruktur und die Entwicklung des Mezzogiorno als Teil der Weltlandbrücke und der BRICS-Politik der Neuen Seidenstraße. Er wurde sehr gut aufgenommen.

Die BRICS-Staaten setzten heute unter der Führung Chinas ein Programm um, für das Lyndon LaRouche und das Schiller-Institut sich schon seit 40 Jahren einsetzen, betonte Lodi Rizzini. „Historisch und geographisch ist Italien eine ideale Brücke zwischen Europa und Afrika und diese Brücke muß auch physisch gebaut werden, um die gemeinsame Entwicklung der beiden Kontinente zu planen - eine Entwicklung, wie sie schon Enrico Mattei vorschwebte, dem großen Industriellen, der schon vor 60 Jahren den technischen Fortschritt nach Afrika und in den Nahen Osten bringen wollte. Mattei wollte im Namen Italiens aufbauen, statt zu plündern.“

Offenbar ist die Regierung Renzi in zwei Fraktionen gespalten: die eine, angeführt von Finanzminister Gian Carlo Padoan, möchte das wenige verfügbare Geld benutzen, um die Unternehmenssteuern in Süditalien zu senken, obwohl diese Strategie in unterentwickelten Gebieten noch nie aufgegangen ist; die andere will lieber in Infrastruktur investieren.

Das Infrastrukturministerium hat sogar seinen gesamten Plan 2014-20 dem Mezzogiorno gewidmet (s. letzte Ausgabe). Die Regierung listet dort alle Projekte auf, die unverzichtbar sind, damit die süditalienische Wirtschaft die in der Gazzetta del Sud beschriebene Herausforderung meistern kann. Es fehlt nur die Brücke von Messina als Bindeglied - aber ohne die Brücke ist der ganze Plan sinnlos.

Auf Druck der Basis hin kündigte jedoch am 10. September ein Regierungsmitglied ein Sondergesetz an, die Brücke wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Innenminister Angelino Alfano erklärte, seine Partei (NCD) werden bald einen Gesetzentwurf zur Wiederaufnahme der formalen Prozeduren für den Bau der Messinabrücke einbringen. Bei der Vorstellung des Parteiprogramms für den Mezzogiorno sagte Alfano: „Es ist undenkbar, daß die künftige Schnellbahn bei Reggio Calabria aufhört“, also am „großen Zeh“ des Festlands endet, ohne daß man Palermo und Sizilien erreichen kann. Die Brücke ist die unverzichtbare Infrastruktur, um das ausgebaute Netz integrierter Hafen-, Bahn- und Straßeninfrastruktur Siziliens und des südlichen Festlands zu vereinen.

Wie dies funktionieren könnte, hat der frühere Regierungsberater Andrea del Monaco am 10. September in Form eines Artikels in der Gazzetta del Sud beschrieben. Er wirbt für ein integriertes Netz von Häfen und Bahnstrecken, um die Region zur „logistischen Basis für ein neues produktives Becken am Mittelmeer“ zu machen. Süditalienische Häfen und ausgebaute Bahn- und Logistiknetze würden zur Drehscheibe für den Seehandel zwischen Südostasien, Europa und Nordamerika, so del Monaco. Zusätzlich entstünden durch die Verbindungen zwischen den existierenden Ballungsräumen drei neue Großstädte in den Regionen Sizilien, Basilikata und Kalabrien.

Die Häfen Gioia Tauro, Crotone und Taranto „sind die einzigen Häfen, die vier Märkte bedienen, nämlich Mitteleuropa, Nordamerika, Nordafrika und den Nahen Osten“, so del Monaco. Derzeit verlaufen drei Viertel des Containerverkehrs zwischen Südostasien und Nordamerika (etwa 240 Linien) durch den Pazifik. Das übrige Viertel verläuft in Europa über das Mittelmeer und bedient die wichtigsten europäischen Märkte über mittel-nordeuropäische Häfen wie Rotterdam. Heute funktioniert der Warentransport nach dem System „Nabe und Speichen“: Die Güter werden erst auf große Schiffe (Mutterschiffe) verladen und in wenigen Großhäfen („Naben“) entlang der sog. Pendelwege zwischen den wirtschaftlich bedeutendsten Häfen abgeladen; in der zweiten Phase werden sie auf kleinere sog. Feederschiffe umgeladen und in die eigentlichen Zielhäfen („Speichen“) gebracht.

Angesichts der immer größeren Ladekapazität der Schiffe und dem von den Kunden verlangten häufigeren und schnelleren Transport besteht das Risiko, daß Großschiffe nicht voll ausgelastet sind. Über die süditalienischen Häfen Taranto, Gioia Tauro und Cortone könnten Güter Mitteleuropa 5-7 Tage schneller erreichen als durch die Straße von Gibraltar. Außerdem könnten aus Singapur kommende Großschiffe nach dem Be- und Entladen mit Zielen in Europa und am Mittelmeer mit geringeren Frachtkosten und mehr Ladung nach Nordamerika weiterfahren.

Wie del Monaco schreibt: „Taranto-Gioia Tauro-Crotone würde zum Mittelpunkt der Weltlogistik, wo sich das Be- und Entladen von Containern, Sammeln, Montieren und Verpacken von Gütern konzentriert. Darüber hinaus könnten ihre rückwärtigen Häfen neue Produktionsstätten für Schiffbau und Schwermechanik werden, die wesentliche Güter für Stahl, Petrochemie, Bauwesen, Frachtbewegung in Hafen- und Eisenbahnterminals fertigen. Die Häfen Genua und Triest könnten sich auf den Empfang von Feederschiffen mit Fracht für Ziele in Nordeuropa spezialisieren.“

Komplementär zu diesem Logistiknetz sollten die Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindungen südlich von Salerno nicht nur dem Personenverkehr (mit 350 km/h) dienen, sondern Personen und Gütern parallel (bei 250-300 km/h), und sie sollten die fünf Ballungsräume auf dem Festland sowie Messina und Palermo auf Sizilien miteinander verbinden.

Zusätzlich sollte man drei neue Großstädte schaffen, indem man die Verbindungen zwischen den existierenden Bevölkerungszentren so ausbaut, daß jeder Punkt in dem Gebiet innerhalb von 60 Minuten erreicht wird. Diese Zentren sind: die Doppelstadt Messina-Reggio Calabria, die durch die Messinabrücke entsteht, die Stadt „Apulo-Lucana“, bestehend aus Potenza, Tricarico, Ferrandina, Matera, Altamura, Gravina und Genzani, sowie eine dritte Stadt in Kalabrien (Cosenza, Scigliano, Serrastretta, Catanzaro).

Del Monacos Plan ist dem Plan sehr ähnlich, den der Autor selbst 2012 in verschiedenen Publikationen der LaRouche-Bewegung unter dem Schlagwort „Die Wiedergeburt des Mezzogiorno“ veröffentlicht hat. Der kritische Punkt ist, daß es unter dem gegenwärtigen EU-System unmöglich ist, den nötigen Kredit zur Finanzierung des Projektes zu schaffen, und deshalb muß man darauf bestehen (auf die Gefahr hin, daß wir uns wiederholen), daß eine Reorganisation des Finanzsystems mit einer strikten Glass-Steagall-Bankentrennung dringend notwendig ist.