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Neue Solidarität
Nr. 42, 14. Oktober 2015

Deutschland kann es schaffen, aber es muß sich ändern!

Von Rainer Apel

Droht die Stimmung zu kippen, ist die breite Offenheit gegenüber den Flüchtlingen endgültig vorbei, wenn es jetzt heißt, daß es letztendlich 1 Million, 1,5 Millionen oder noch mehr werden? Hat Deutschland die Grenze des Möglichen erreicht, können Bund, Länder und Kommunen es jetzt nicht mehr „stemmen”? Muß, wie Schäuble und andere Anhänger der „schwarzen Null” sagen, woanders gekürzt werden, um die Ausgaben für die Flüchtlinge zu bewältigen? Schließlich: muß dann Jahr für Jahr eine neue Großstadt so groß wie München aus dem Boden gestampft werden, um alle Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen? Erhält jetzt die AfD massenhaft Zulauf und Aufwind, stellt vielleicht sogar den nächsten Bundeskanzler?

Armes Deutschland, wie bist Du heruntergekommen, wenn das alles so stimmt, was dieser Tage über die meinungsmachenden Massenmedien verbreitet wird! Wie eigentlich, muß man da fragen, haben vor 70 Jahren die Deutschen - in Ost wie in West übrigens - es überhaupt schaffen können, kurz vor Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit etwa 14 (!) Millionen Flüchtlinge aus dem verlorenen Osten und aus dem Sudetenland aufzunehmen und zu integrieren? Wie konnten die Deutschen ihre kriegszerbombten Städte so schnell wieder aufbauen? Wie war es dem Westen Deutschlands möglich, noch einmal drei Millionen Flüchtlinge aus der DDR aufzunehmen - vor 1989 und danach? Und dann die 750.000 Flüchtlinge aus den Balkankriegen der 90er Jahre, das wurde auch noch „gestemmt”!

Deutschland hat das geschafft, weil es damals, selbst noch bis zur Einführung des Euro um die Jahrtausendwende, eine andere, bis in die 70er Jahre sogar eine ganz andere Wirtschafts- und Finanzpolitik besaß. Finanzspekulation war allenfalls eine Randerscheinung, das Bankenwesen und die Finanzpolitik diente überwiegend der Förderung der realen Wirtschaft und der produktiven Berufe, der Schaffung von realen Werten und von realem Wachstum.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau zum Beispiel machte zumindest bis in die frühen 70er Jahre hinein eine Politik der Förderung des Mittelstands durch niedrigverzinste Krediten mit langen Laufzeiten, eine Politik, wie sie mit großem Erfolg die Reconstruction Finance Corporation der Ära Roosevelt in den USA der 30er Jahre machte. Das deutsche „Wirtschaftswunder” war überhaupt kein Wunder, es war das Resultat einer klugen, langfristig dem Menschen dienenden Politik - und Deutschland muß zu einer solchen Politik dringend zurückkehren. Außerdem, um noch ein weiteres konstruktives Beispiel zu geben: Nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe entlang der Elbe mit Milliardenschäden 2002 ordnete Bundeskanzler Schröder an, die Brüsseler EU-Haushaltsvorgaben auszusetzen und die ansonsten blockierten Gelder sofort verfügbar zu machen, die für den Wiederaufbau der flutgeschädigten Regionen erforderlich waren. Die berüchtigte „schwarze Null” gab es damals vernünftigerweise, allerdings leider nur befristet, nicht. So muß es auch heute laufen - aber unbefristet eben, im Rahmen einer ganz neuen Herangehensweise.

Nur so wird Deutschland es schaffen, Jahr für Jahr neuen Wohnraum im Umfang einer Großstadt wie München zu errichten, seine schon lange vor der großen Flüchtlingswelle marode gewordenen Straßen, Brücken, Schienennetze, Schulgebäude usw. wieder instand zu setzen und zu modernisieren.

Intakte Infrastruktur und guter Wohnraum ziehen Gewerbe und gut bezahlte Arbeitsplätze an, so können auch die Kommunen über gesteigerte Steuereinnahmen wieder finanzkräftig werden und den 82 Millionen Bürgern, die bereits in Deutschland leben, plus 1,5 Millionen Flüchtlingen oder noch mehr ein Leben ermöglichen, wie es dem Stand des 21. Jahrhunderts angemessen ist. Nicht nur entlang der Neuen Seidenstraße muß aufgebaut werden, auch in Deutschland ist, wie gerade erwähnt, noch enorm viel zu tun - und das wäre auch so, wäre nicht ein einziger syrischer Flüchtling gekommen!

Die Kosten für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge sind nur scheinbar hoch, genaugenommen aber nur ein kleiner Teil dessen, was Deutschland ohnehin investieren muß. Der rein innerdeutsche Investitionsstau beträgt mindestens einige hundert Milliarden Euro, wahrscheinlich noch etliche Milliarden mehr.

Was die Aufwendungen für die Flüchtlinge selbst betrifft, kann man die z.B. in der Bildzeitung am 6. Oktober aufgelisteten Zahlen sicher noch nach oben korrigieren: Neubau von bis zu 400.000 Wohnungen pro Jahr, bis zu 25.000 zusätzliche Lehrer, 1000 renovierte oder ganz neu errichtete Schulen, 68.000 Plätze an Kindertagesstätten, 10.000 mehr Krankenhausbetten, 6000 mehr Ärzte. Dazu kommen 20.000 neue Verwaltungsangestellte, 50.000 neue Sozialarbeiter, und 15.000 neue Polizeibeamte.

Gelingt es, einen großen Teil der benötigten neuen Kapazitäten und Arbeitsplätze bereits mit direkter Beteiligung von dafür qualifizierten Flüchtlingen zu schaffen, ist schon ein guter Teil der Integrationsarbeit geleistet, denn nichts hilft Flüchtlingen mehr, die traumatischen Erfahrungen und Leiden der Flucht schneller zu überwinden, als die aktive Teilnahme an etwas Produktivem, das sie weiterbringt. Dies ist die Erfahrung der deutschen Wiederaufbauperiode nach dem Weltkrieg.

Das Gegenbeispiel ist der Nichtwiederaufbau im Balkan nach den Kriegen der 90er Jahre, der vor allem junge Leuten in Kosovo zu 80 Prozent arbeitslos gemacht und ihnen jegliche Perspektive auf Verbesserung genommen hat und sie nach Deutschland treibt in der Hoffnung, daß es dort besser ist.

Wenn die angesprochene grundlegende Wende in der Politik erfolgt, bleibt genügend Geld übrig, um auch die Städte Syriens, Iraks und Libanons, die heute aussehen wie die Städte Deutschlands 1945, wieder aufzubauen. Das ist gut investiertes Geld, denn diese und etliche andere Länder werden in 10 oder 20 Jahren zu den besten Wirtschaftspartnern Deutschlands zählen, weil die heute gewährte deutsche  Wiederaufbauhilfe nicht vergessen wird.